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Bild: NEOM

Urbaner Alptraum – Saudi Arabien baut Stadt der Zukunft als goldenen Käfig

Vor knapp einem halben Jahr kündigte Saudi Arabien erstmals das Megacity-Konzept „The Line“ an. Vor einigen Tagen enthüllte nun Kronprinz Mohammed Bin Salman endlich die ersten Pläne. Das Problem: Was Saudi Arabien als nachhaltige „Stadt der Zukunft“ präsentiert, gleicht eher einer imperialistischen Dystopie. 

9 Millionen Menschen zwischen zwei verspiegelte, 170 km lange Wände gepresst, das ist the Line. Letzte Woche kündigte die saudische Regierung genauere Pläne für das Megacity-Projekt an, das bereits ab 2030 bewohnbar sein soll. Die doppelseitige Mauer ist als eine utopische Stadt der Zukunft geplant, die zu 100 % klimaneutral sein soll und ihren Bewohner:innen maximalen Komfort bieten soll. Mit geplanten Kosten von 717 Milliarden US-Dollar ist the Line eines der teuersten Bauprojekte der Welt. 

Luxusgefängnis oder Zukunftsutopie?

Zu den Annehmlichkeiten in the Line zählen unter anderem ein Highspeed Zug, der in 20 Minuten von einem zum anderen Ende fährt, ein 1000 m hohes Sportstadion, ein Yachthafen und eine vertikale Farm. Bewohner:innen werden nicht selber kochen, sondern einen Monatsbeitrag zahlen, um Frühstück, Mittagessen und Abendessen serviert zu bekommen. Ein gigantisches Luxushotel für 9 Millionen Menschen oder ein totalitäres Gefängnis?

Der ambitionierte Kronprinz Mohammad Bin Salman vermarktet the Line als eine „zivilisatorische Revolution, die die Menschen an erste Stelle setzt und eine beispiellose, urbane Lebenserfahrung bietet, während sie gleichzeitig die Natur bewahrt.“ Dabei blendet er jedoch völlig aus, dass eine Linie die wohl unnatürlichste denkbare Form ist, trennt sie doch beide Seiten wie eine Mauer endgültig voneinander ab und erschafft so ein Gefängnis ohne Entkommen für Mensch und Natur.

Der 00 Kronprinz Mohammad Bin Salman vermarktet the Line als eine zivilisatorische Revolution. Dabei blendet er jedoch völlig aus, dass eine Linie die wohl unnatürlichste denkbare Form ist, trennt sie doch beide Seiten wie eine Mauer endgültig voneinander ab und erschafft so ein Gefängnis ohne Entkommen für Mensch und Natur. Bild: NEOM

Eine zivilisatorische Revolution, die die Menschen an erste Stelle setzt und gleichzeitig die Natur bewahrt – wie passt das zusammen? Keine Autos, keine CO₂-Emissionen und 95 % Landmasse, die der Natur bleibt – so weit, so gut. Aber wie glaubwürdig ist das Vorhaben des durch Öl reich gewordenen Königreichs Saudi Arabiens überhaupt, das mit 621 Millionen Tonnen jährlichem CO₂-Ausstoß auf Platz 9 der klimaschädlichsten Länder landet

Und wie revolutionär und nachhaltig kann eine linienförmige Stadt sein, dessen Bau immense Ressourcen fordert, die Bewohner:innen in einem goldenen Käfig hält und zudem lokale Anwohner:innen vertreibt?

The MBS-Way: Wer im Weg steht, wird aus dem Weg geschafft

Das Land, auf dem the Line entstehen soll, ist keineswegs ein Niemandsland. Es ist das zuhause mehrerer lokaler Communities, wie zum Beispiel dem Howeitat Volk. Um the Line zu bauen, vertreibt die saudische Regierung diese Communities. Wer sich wehrt, wird in dem diktatorischen Königreich kurzerhand exekutiert – wie im Fall von Abdul Rahim al-Huwaiti, der 2020 von saudischen Spezialkräften ermordet wurde, nachdem er sich kritisch zu dem Projekt geäußert hatte.

Doch bei Vertreibung und Exekutierung hört es nicht auf. Denn die schiere Idee von the Line, die de facto eine Mauer ist, weckt unangenehme Erinnerungen von imperialistischen Projekten und kolonialer Grenzziehung, schreibt der Architekturhistoriker Mohamed Elshahed.

Utopie der Zukunft oder Dystopie der Vergangenheit?

„Sowohl eine gerade Linie als auch die Mauer sind Artefakte der kolonialen Moderne, die natürliche Landschaften aufteilen, als wären sie auf stumme Karten gezeichnet (…). Eine Mauer dieser Länge erinnert an koloniale Grenzziehung, die aus militarisierter Paranoia entstanden ist, wie die Mauer zwischen den USA und Mexiko, oder die Mauer, die schrumpfenden palästinensischen Gebiete eingrenzt“, so Elshahed.

„Sowohl eine gerade Linie als auch die Mauer sind Artefakte der kolonialen Moderne, die natürliche Landschaften aufteilen, als wären sie auf stumme Karten gezeichnet“, schreibt der Architekturhistoriker Mohamed Elshahed. Bild: NEOM

Laut Elshahed sei das Projekt von Anfang an ein Beispiel von medienwirksamen Greenwashing, das falsche Erwartungen weckt. Denn der Kapitalismus ist mit der Erhaltung der Erde nicht vereinbar, das spiegele the Line’s verspiegelte Fassade, die hinter ihrem Glanz Umweltschäden und Menschenrechtsverletzungen versteckt, wider.

Tatsächlich ignoriert the Line nicht nur die lokalen Communities, die die Fläche bewohnen, sondern ebenso die immensen Ressourcen, die für das Projekt aufgebracht werden müssen. Hinzu kommt die umfassende Eingliederung von KI-Systemen in das Projekt, welche in Saudi Arabien eher an Überwachungsdiktatur als an Utopie der Zukunft denken lassen. 

Dass Planstädte nicht die Städte der Zukunft sind, haben Quayside in Toronto und die brasilianische Hauptstadt Brasilia mittlerweile bewiesen. Es sind Beispiele seelenloser Architektur, in der sich Menschen meist nicht wohlfühlen. Die Zukunft stellt sich Architekturhistoriker Elshaded anders vor: „Die Zukunft wird frei von PR-generierten Statements und Bildern sein. Sie wird weiblich, kollektiv und frei sein.“ Fraglich ist, ob the Line überhaupt umgesetzt wird oder es bei dem von Mohammad Bin Salman inszenierten PR-Trubel bleibt. Denn aufgrund der internationalen Kritik sind bereits erste Investor:innen abgesprungen. 

Mehr über die Domestizierung von Ökosystemen liest du übrigens in unserem Kompendium: Domesticated Ecosystems.