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Foto: Luca Fröhlingsdorf.

#Vanlife – Kurze Stadtflucht oder ein alternativer Lebensentwurf?

Statistiken zeigen, dass die Verkaufszahlen von bewohnbaren Vans im Jahr 2020 explodiert sind. Doch wie ist es wirklich, so ein Leben „on the road”? Qiio-Autorin Franziska Müller-Degenhardt hat mit fünf Van-Instagrammern gesprochen. Sie verraten ihr, was sie dazu bewegt hat, ihr Stadtleben hinter sich zu lassen und was für Herausforderungen das #Vanlife mit sich bringt. 

Du wirst von fernem Möwengeschrei geweckt. Von deinem Bett sind es nur wenige Meter bis zum Meer. Verschlafen lässt du deine Füße von schaumigen Wellen kitzeln, atmest tief ein und blickst in die Ferne, wo sich das tiefblaue Meer und der Horizont schneiden. All dein Hab und Gut verteilt sich auf vier fahrbare Quadratmeter eines Campervans. Was löst diese Lebensvorstellungen in euch aus? 

Die Faszination von Menschen, die ihr Leben nach „unterwegs” verlagern, begleitet mich schon seit Jahren. Da liegt so ein Nervenkitzel, irgendwo zwischen purer Begeisterung und Wahnsinn. Anders als bei einer Kurzreise entscheidet man sich für das Leben in einem Van nicht aus einer temporären Laune heraus, sondern sieht es als eine Zusage. Ein Entschluss à la „ja, ich habe mich dem konventionellen Leben mit festem Wohnsitz entsagt” und „ja, ich investiere jetzt mein Erspartes in den Kauf eines mobilen Heims”. Menschen, die sich für das sogenannte „Vanlife” entscheiden, verlagern ihre Wohnung auf vier Räder. Damit sind nicht mehrtägige Ausflüge gemeint, dahinter steckt eine ganze Lebensphilosophie.

Der Industrieverband Caravaning berichtet, dass 2020 ein Rekordjahr für die Caravanbranche darstellte. Es wurden sage und schreibe 107203 Freizeitfahrzeuge neu zugelassen. Das sind 32,6 Prozent mehr Camper im Vergleich zu 2019. Der Andrang war so groß, dass sich die neuen Van-Besitzer im letzten Sommer mit ihren Reiseplänen oft monatelang gedulden mussten, da das Amt mit den Zulassungen in Deutschland kaum hinterher kam. Doch was genau bewegte 2020 plötzlich so viele Menschen, ihren festen Wohnsitz für einige Zeit hinter sich zu lassen und einen Van zu beziehen? 

Luca reist mit seinem “Vandrew” derzeit durch die wunderschöne Landschaft der Kanaren. Alleine ist er nie wirklich, da er immer auf gleichgesinnte Reisende trifft. Foto: Luca Fröhlingsdorf.

Lebensentwurf Dauerreise: Von der Kunst, sich von seinem Weg nicht abbringen zu lassen

Die Meerwärtsfamilie ist nun schon seit einiger Zeit unterwegs und zeigt, wie bereichernd das Reisen mit Kind und Hund im Van sein kann. Foto: Thorben & Eefke.

Um das Leben hinter den Kulissen des Vanlife besser kennenzulernen, sprach ich mit fünf außergewöhnlichen Reisenden, die bereits seit Monaten mit ihrem Van durch Europa touren. Dabei erhielt ich einen vielschichtigen Einblick in die Höhen und Tiefen eines Lebens unterwegs. Das Leben in einem Van, unabhängiges Reisen und der Natur nahe sein, davon träumten auch die Reiseblogger Eefke und Thorben von Meerwärts. Wie entstand er eigentlich, der Wunsch nach einem ortsunabhängigen Leben? 

„Wir hatten nicht wirklich etwas, was uns an einem Ort gehalten hat und die Liebe zum Reisen war schon immer da. Am Anfang war das ‘Komm.. wir schmeißen unsere Jobs hin und ziehen in einen Van‘ eher eine Schnapsidee, die dann mit jedem Tag konkreter wurde.”

Samantha und Matthias von “On The Go With Us” lieben das Reisen mit ihren Kindern. Foto: Samantha Geis

Menschen die glauben, ihre Kinder hindern sie am Reisen, sollten sich ebenfalls Samantha und Matthias von On The Go With Us zum Vorbild nehmen. Auch

Lucas Hund Nico ist sein treuer Begleiter auf seiner langen Reise. Doch wirklich alleine ist Luca tatsächlich nie: “Man trifft viele Gleichgesinnte, die den gleichen Lifestyle führen, kocht und sitzt abends zusammen. Das sind mit die schönsten Momente auf Reisen.” Foto: Luca Fröhlingsdorf.

sie reisen mit ihren zwei Kindern, zweieinhalb Jahre und sechs Monate alt, bereits seit letztem September pausenlos durch Europa. Ob Kinder einen bei Reiseplänen nicht zurückhalten?

Kinder sind definitiv kein Grund nicht zu reisen, sondern gerade einer, erst recht loszuziehen! Was gibt es denn schöneres, als seinen Kindern die Welt zu zeigen?” 

Für den Fotograf Luca Fröhlingsdorf war direkt nach dem Abitur klar, dass ihn der Gedanke an eine traditionelle Lebensweise nicht reizt. Kein WG-Zimmer und Studium, sondern ungebundenes Reisen in einem Van sollte es sein. So zog es ihn direkt nach der Schule mit seinem selbst umgebauten Vehikel „Vandrew” auf eine Reise ohne Ziel durch ganz Europa.

„Ich liebe es: diese Freiheit, Unabhängigkeit und Ungebundenheit. Für keinen Ort der Welt würde ich das eintauschen, warum auch, wenn die Welt mein Zuhause sein kann.”

Von der romantisierten Vorstellung des Reisens hin zur Van-Realität

Das Leben in einem Campervan birgt natürlich auch einige Herausforderungen, denen sich unsere Reisenden gestellt haben. Einen geeigneten Stellplatz zu finden ist nämlich während der Pandemie gerade in Europa gar nicht so einfach. Van-Reisende übernachten gerne auf Campingplätzen oder in Nationalparks, doch diese sind aufgrund der Pandemie weitgehend geschlossen. Wildes Campen, also das Parken irgendwo außerhalb des Geländes oder auf einem inoffiziellen Campingplatz, kommt ebenfalls nicht immer in Frage, da es in vielen Ländern in Europa nicht erlaubt ist und es zudem keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser und Duschen gibt. „An manchen Tagen fühlt man sich ein wenig verloren, weiß nicht wohin, weil man keinen Stellplatz findet oder fühlt sich unerwünscht, weil man verscheucht wurde. Man hat zwar immer sein Zuhause dabei, aber nicht überall ist man willkommen”, erklärt Luca und beschreibt somit, dass das Gefühl von Verlorenheit neben all den schönen Aspekten auch ein Teil der Reise ist.

Haarig wird es laut Thorben besonders bei kühlem Herbst- und Winterwetter und andauernden Regenfällen. Würde die Meerwärtsfamilie deswegen auch manchmal gerne wieder umkehren? Wenn dann nur, um den Menschen zu Hause mal wieder nahe zu sein. „Die Vorteile sind in jedem Fall die gemeinsame Zeit. Wir genießen und schätzen dieses enge Familienleben unterwegs sehr und nehmen uns dadurch viel, viel bewusster wahr. Das ist ein großes Geschenk.”

Samantha ist ganz verliebt in das Leben, was sie und Matthias sich gemeinsam mit ihren Kindern unterwegs aufgebaut haben. Foto: Samantha Geis.

Arbeiten können die Van-Reisenden tatsächlich online und von unterwegs. Ihr mobiles Datenvolumen ermöglicht es ihnen praktisch von überall zu arbeiten. Als zusätzliche Einnahmequelle von unterwegs nennen drei der Interviewten ihren persönlichen Instagram-Kanal. Doch auch ein angespartes finanzielles Polster hilft ihnen dabei, unterwegs zu sein. Die Schwierigkeit liegt dabei wohl doch eher am wenigen Platz, wie Samantha es beschreibt:

„Ob man es glaubt oder nicht, im Wohnmobil gibt es viel mehr zu tun als in einer Wohnung. Es herrscht sehr schnell großes Chaos, da sich die Dinge auf sehr wenig Platz anhäufen. Entweder man spült vier Mal täglich per Hand oder hat einen riesen Spülberg am Ende des Tages. Und wenn dann nicht gerade die Trockentrenntoilette geleert werden muss, ist  wahrscheinlich der Wassertank gerade leer.”

Arbeiten von unterwegs, höchstens mal Geld für eine Übernachtung auf dem Campingplatz ausgeben und nur die Startkosten des Vankaufs – so ein Vanlife scheint erschwinglich zu sein. „Meine einzigen Ausgaben unterwegs sind Lebensmittel, Kraftstoff, ab und zu Kaffeetrinken gehen und gegebenenfalls Fährüberfahrten”, erklärt Luca, der seine Dauerreise von seinem Ersparten und Jobs als Fotograf finanziert. 

#Vanlife: Was macht der Hashtag eigentlich mit dieser Reisekultur?

Öffnet man Instagram wird ersichtlich, dass heute bereits knapp 10 Millionen Beiträge mit dem Hashtag #Vanlife versehen sind. Das sind doppelt so viele wie noch vor zwei Jahren und es werden stetig mehr. Der Hashtag geht auf das Jahr 2011 zurück, als der Fotograf Foster Huntington ihn zum ersten Mal verwendete. Als damals die Begeisterung über wunderschön inszenierte Reisefotos auf Instagram unsere Feeds eroberte, war ich geradezu verzaubert. Das diese geschönte Realität höchstwahrscheinlich gestellt war, schien mir damals noch nebensächlich. Spätestens wer es dann über die Jahre hinweg selbst mal ausprobiert hat, weiß, dass jene Bilder selten spontan und gänzlich ungezwungen entstehen.

Die ästhetische Reproduktion der Reiseerfahrung stellt also im Laufe der Zeit letztlich genau jene Erfahrung in Frage. „Ich habe aber das Gefühl, dass in den sozialen Medien, ob gewollt oder nicht, oft ein viel zu romantisiertes Bild vom Vanlife präsentiert wird. Das bringt auch die Menschen dazu mit dem Van zu reisen, zu denen dieser Lifestyle nicht passt. Wie beispielsweise Menschen, die sich nicht gerne mit so wenig Luxus‘ zufriedengeben.” Luca merkt dabei auch an, dass der verstärkte Vanlife-Tourismus leider dazu führt, dass grundlegende Wildcampingregeln gebrochen werden, viel mehr Müll und Dreck hinterlassen wird, was dann an vielen schönen Orten schließlich zu Wildcampingverboten führt. Doch macht dieser Hype um ein ästhetisch präsentiertes Vanlife auf Instagram nicht auch Druck, dem auch selbst entsprechen zu wollen? 

“Ich sehe diesen Hype eher als eine Bedrohung für diesen Lifestyle, denn in immer mehr Ländern wird das Wildcampen verboten, weil die Menschen ihren Müll in der Natur liegen lassen.”, erzählt Luca von seinen Erfahrungen während seiner Reise durch Portugal. Foto: Luca Fröhlingsdorf.

Während Samantha und Matthias sich von dieser Bewegung nicht aus der Ruhe bringen lassen, sprechen Thorben und Eefke darüber, dass die gezielte Optimierung einer gewissen Ästhetik ihnen durch ihre wachsende Abonnentenzahl öfter Druck macht. „Zu Beginn war es definitiv nur Inspiration, doch je größer unsere eigene Reichweite auf Instagram wird, umso eher verfällt man dem Vergleichen. Dabei ist es wirklich ein großer Vorteil den Account zu zweit zu führen, da führen wir uns immer wieder gegenseitig vor Augen, wenn wir uns mal wieder im Vergleich verlaufen.” 

Letztendlich wird mir während des Gesprächs klar, dass das Vanlife weniger eine Urlaubserfahrung, als Denkanstoß für Lebensfragen ist. Wie viele materielle Dinge brauche ich in meinem Leben, um glücklich zu sein? Wie wichtig ist mir der Kontakt zur Natur? Und gebe ich lieber dem Druck nach, ein Leben zu führen, dass von der herkömmlichen Definition von Erfolg und Geld geprägt ist? Das Leben in Koexistenz mit der Natur, ohne den gewohnten Luxus von Toilette und Dusche, ist ein Kompromiss mit der Freiheit und bedarf auch dem nötigen Respekt der Natur gegenüber. Die Erfüllung seiner individuellen Träume erfordert also Kompromissbereitschaft und Anpassungsfähigkeit, Mut und ein angespartes finanzielles Kissen.

Würde ich es als naturverbundener Mensch selbst wagen wollen? Definitiv! Doch es braucht einiges an Mumm, sein gewohntes Leben auf unbestimmte Zeit zu verlassen, nicht den gewohnten Karriereweg zu gehen oder in den festen vier Wänden zu leben wie wahrscheinlich der Großteil des eigenen Umfelds. Die Vanlife-Bewegung wurde in erster Linie durch ihre ästhetische Reproduktion auf Instagram zu einer Trendbewegung. Persönlich lehrten mich die Gespräche mit den Reisenden besonders, dass es sich beim Vanlife nicht nur um schöne Sonnenuntergänge vor offener Vantür dreht. Es ist eine Lebensphilosophie, die Menschen ermöglicht abseits unserer Gesellschaftsstrukturen glücklich zu sein. Es geht um Kompromissbereitschaft, Flexibilität, Bescheidenheit, viel Mensch auf wenigen Quadratmetern und die Kunst, damit auskommen zu können.

Mehr zu diesem Thema findest du auch in unserem Kompendium: Reisen als Sinnsuche