Im sonst so konservativen Unterwäsche-Markt tut sich langsam was. 2000er-Schöheitsideale waren gestern: Diese Alternativen mischen den Markt auf.
Während sich die sichtbare Kleidung bereits vieler traditioneller Regeln entledigt hat und mit den Genderrollen immer mehr bricht ist der Unterwäschemarkt von traditionellen Normen, Stigmatisierung und Stereotypisierung gekennzeichnet. Sexy Dessous waren für dünne Menschen, Stringtangas und Bikinis nur für Frauen. Kleinbusige Frauen sollten sich mit Push-Up BHs optisch dem Schönheitsideal angleichen, während dicke Menschen in Übergrößenläden abgeschoben und mit schlankmachender Shapewear dazu ermutigt wurden, ihre Kurven möglichst zu kaschieren. Alles, um in das unrealistische 90-60-90 Victoria’s Secret Schönheitsideal reinzupassen, von dem die Mehrheit sowieso weit entfernt ist.
Kleidung hat kein Geschlecht
Während Frauen stets dazu ermutigt wurden, ihre “sexy Seite” mit passender Unterwäsche zu betonen, wurde Männern das traditionell streng untersagt. Wer es doch wagte, als cis-Mann mal den Hintern in einem Tanga oder Bikinihöschen zur Schau zu stellen, wurde schnell in die schwule Schublade gesteckt. Dabei hat Kleidung kein Geschlecht – und dass Männer in Strings sexy sind, ist unbestritten, seit Steven Soderbergh aus Channing Tatum’s Stripperkarriere 2012 den Blockbuster Magic Mike machte. Auch diese kleine Umfrage unter AustralierInnen aus dem Jahr 1977, die Bikinis bei Männern grundsätzlich befürworten, bekräftigt diese These:
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Dass sich spießige Stigmata langsam abbauen, wird nicht nur durch den Fall von Victoria’s Secret deutlich – die Verkäufe des Konzerns sanken zwischen 2015 und 2020 um mehr als 2 Billionen Dollar – sondern auch durch eine Menge Alternativen, die den konservativen Lingerie-Markt aufmischen. Von selfmade DesignerInnen, die ihre alternativen Dessous online verkaufen, bis hin zu Promis, die mit inklusiven Designs den Markt aufbrechen: Unterwäsche, die sich nicht mehr an den Schönheitsnormen der 2000er orientiert, ist gekommen, um zu bleiben.
Luxus-Crochet Lingerie für Männer – Pinkish by HKN Studio
Der israelische Designer Ravid Haken-Uzan hat sich auf handgemachte Crochet-Mode spezialisiert. Haken häkelt seit 2013, und neben Oberteilen, Pullovern und Hosen hat der 34-jährige auch eine luxuriöse Crochet-Dessous Kollektion für Männer. Obwohl Haken vornehmlich mit Männern aus dem queeren Spektrum arbeitet, sind seine Kunden keineswegs nur Männer – auch Frauen kaufen hier für ihre Liebsten das nächste (eigennützige) Geburtstagsgeschenk.
Mit seiner Lingerie versucht Haken auch, für Israel typische hypermaskuline Stereotypen aufzubrechen. “Hypermaskulinität ist hier so geläufig, weil viele Kulturen miteinander verschmelzen, manchmal auf aggressive Weise, und auch weil die meisten hier verpflichtet sind, zur Armee zu gehen. Ich habe diesen Druck, Maskulinität zu performen, seit dem Kindergarten gespürt”, sagte der Designer der Vogue. Hakens Lingerie bricht mit solchen hypermaskulinen Stereotypen und macht deutlich, dass sexy Dessous unabhängig von Geschlecht oder sexueller Orientierung für jeden und jede geeignet sind.
Shapewear, die keine ist – YITTY by Lizzo
Erst im März kündigte Popstar Lizzo auf ihrem Instagram Account an, bald etwas herauszubringen, was “das größte Ding bisher ist. Größer, als alles was ich bisher gemacht habe.” Wie die New York Times es auf den Punkt brachte, ist Lizzos frische Shapewear Kollektion womöglich auch das Kontroverseste, was die Sängerin jemals auf den Markt brachte – schließlich suggeriert traditionelle Shapewear Frauen, sie sollen ihre Kurven kaschieren. Doch Lizzo will keine Kurven kaschieren, im Gegenteil: Sie möchte Kurven bewusst zeigen und damit Shapewear – und ganz nebenbei traditionelle Schönheitsstandards – neu definieren.
Auf ihrem Instagram Account stellt Lizzo gleich klar: “Das ist *keine* Einladung, zu ändern, wer du bist…sondern eine Gelegenheit, du selbst zu sein, zu deinen Bedingungen. Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich bin es Leid, dass Leute mir sagen, wie ich aussehen soll oder wie ich mich wegen meines Körpers fühlen soll. Ich bin es Leid, dass unbequem ein Synonym für sexy ist. Wenn es unbequem ist, zieh es aus. Wenn es sich gut anfühlt, zieh es an. YITTY ist nicht nur Shapewear, es ist eine Chance, deinen Körper zurückzuerobern und deinen Schönheitsstandard neu zu definieren.”
Anders als Kim Kardashians Shapewear Marke Skims bietet Lizzo mit YITTY Größen bis zu 6XL an. Im Gegensatz zu Kim Kardashian, die sich den Schönheitsstandards der Industrie mit Operationen und Blackfishing beugt, hat Lizzo auch einen persönlichen Bezug zu ihrer Marke, die ihr, so Lizzo, dabei hilft, ihre Unsicherheiten zu heilen und ihr Selbstbewusstsein zu stärken.
Individuelle Unterwäsche für individuelle Körper – 3D gedruckte BHs von Lidewij Vera Arí van Twillert
Die meisten BHs sind nicht wirklich bequem – da würden vermutlich alle Frauen zustimmen. Das liegt vor allem daran, dass jeder Körper einzigartig ist und Dessous aus der Massenfertigung jeden Körper in eine generische Größe zwingen. Dem wollte die holländische Designerin Lidewij Vera Arí van Twillert mit 3D-gedruckten, maßgeschneiderten BHs entgegenwirken.
“Heutzutage sind BHs entweder hübsch oder bequem. Ich wollte ein Projekt entwickeln, bei dem Ästhetik und Funktion ein und dasselbe sind”, erklärt die Designerin. Van Twillert studierte Ingenieurwissenschaften und war gleichzeitig immer von Mode begeistert. Mit der Lingerie-Reihe fand sie einen Weg, Technologie und Mode miteinander verbinden.
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Zum maßgeschneiderten BH geht es in wenigen Schritten: Zunächst wird ein Termin für ein Fitting vereinbart, was entweder in van Twillerts Studio in Rotterdam, oder zuhause stattfinden kann. Beim Fitting wird aus 20.000 Datenpunkten ein 3D-Scan des Oberkörpers angefertigt. Danach kann ein Design ausgewählt werden. Anschließend fertigt das Team ein Modell zum zweiten Fitting an. Wenn die Kundin zufrieden ist, wird das Modell zum 3D Druck versendet. Wer einen maßgeschneiderten, 3D-gedruckten BH möchte, muss sich allerdings gedulden: Das gesamte Verfahren dauert noch bis zu 9 Wochen und kostet ungefähr 95€. Dass in Zukunft aber mehr DesignerInnen auf den Trend aufspringern, und sich das Verfahren dann beschleunigt, ist aber nicht unwahrscheinlich. Wer hätte nicht gerne einen BH, der genauso sitzt, wie er sitzen soll?
Bye bye, Victoria’s Secret
Kein Wunder, dass sich bei solch inspirierenden Alternativen heutzutage keiner mehr für die ehemals größte Dessous-Show der Welt interessiert. Heidi Klum, Tyra Banks und Adriana Lima können abdanken und der neuen Generation den Laufsteg überlassen. Denn über einen Bombshell-BH, der stolz damit wirbt, zwei Körbchengrößen dazuzumogeln, sind wir mittlerweile hinausgewachsen – zum Glück.