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Lu Yang: The Great Adventure of Material World, 2019. Bild: Lu Yang.

Von radikal bis Arthouse: Die nächste Welle des Gaming

Gaming ist von einer Subkultur zum Mainstream geworden. Welche zeitgemäßen Positionen werden zurzeit im Game-Bereich heiß diskutiert? Darüber haben wir mit zwei Experten ausführlich gesprochen.

In Computerspiel „Pastoral“ von Theo Triantafyllidis ist die Hauptdarstellerin ein transgender Ork. Anstatt wie sonst üblich Elfen und Menschen zu bekämpfen, spaziert sie einfach über die Wiese in den Sonnenuntergang. Idyllisch, oder? Und so gar nicht, wie man sich auf den ersten Blick ein Fantasy-Game vorstellt.

Es sind Games wie dieses, die bei der „Radical Gaming“-Ausstellung im Basler „Haus der Elektronischen Künste” im Fokus stehen. Diese Games stellen sich neue Fragen zu Gender und Identität und wenden sich gegen die üblichen Spielenormen und Mechaniken. Wo früher ein Mann die Prinzessin retten sollte, ist die Protagonistin nun eine Frau oder eben ein transgender Ork.

In Computerspiel „Pastoral“ ist die Hauptdarstellerin ein transgender Ork. Bild: Theo Triantafyllidis.

Von Macho zu Trans

Subversiv ist das in der heutigen Game-Landschaft aber nicht mehr: Längst behandeln auch die großen Game-Produktionen wie „Cyberpunk 2077“ nicht immer nur Macho-Gamefiguren – die starken Spielfiguren dort sind eindeutig die Frauen. Natürlich gibt es in dieser Spielumgebung noch viele Schwächen, wie Frauen dargestellt werden – das wird aber auch sehr genau von den User*innen analysiert und diskutiert.

Heutige Games gehen da schon weiter: So hat Danielle Brathwaite-Shirley mit „Resurrection Land“ ein Spieleuniversum für „black transgender people“ gebaut. Für den Einlass muss sich der Player erst identifizieren: Wählt der Spielende einen Transgender-Player, wird er oder sie in der Community im Spiel akzeptiert – nicht aber als weißer, heterosexueller Player. Boris Magrini, Kurator der Ausstellung, erklärt: „Die Spielenden betreten eine fiktive Stadt, in der die Trans-Schwarze-Community dominiert. Das Spiel lässt darin mehrere Wahlmöglichkeiten zu. Wenn die Spielenden sich mit dieser Community identifizieren, werden sie stärker integriert. Wenn nicht, erfahren sie Ablehnung, so wie es Schwarze und Trans-Menschen in der realen Welt oft erleben.“

Danielle Brathwaite-Shirley hat mit „Resurrection Land“ ein Spieleuniversum für „black transgender people“ gebaut. Bild: Resurrection Land, 2020, Danielle Brathwaite-Shirley.

Games sind bedeutend für die Kulturproduktion

Aber was bedeutet heute genau radikal in Bezug auf Games und ihre Subkultur? Und sind Gender- und Rassismusthemen gleich radikal oder einfach zeitgemäß und konsequent? „In erster Linie heißt das, diese Game-Kunst ist nicht kommerziell im traditionellen Sinn. Diese Spiele werden nicht produziert, um die Wünsche der Käufer*innen zu befriedigen, sondern sie sind experimentell. Sie sind radikal in dem Sinn, dass sie versuchen, je nach ihrer Position als Kunstwerk, etwas Neues und auch Subversives zu schaffen“ sagt Boris Magrini.

Er beobachtet die letzten Jahre eine neue Welle an Indie-Games, die nicht die typischen Themen bearbeiten und sich auch nicht an traditionelles Game Play halten: Sie haben eine kommerzielle Vorgabe, sind gleichzeitig unkonventionell und werden damit immer erfolgreicher – aber sie sind eben auch keine Kunstwerke. Und genau diese Games sind so wichtig heute, wie die Game-Designerin Anna Anthropy es bereits 2012 in ihrem Buch „Rise of the Videogame Zinesters“ beschreibt. Die damalige These von Anthropy war: Subversive Games sind wesentlich, um diesen Markt beziehungsweise die Kulturproduktion zu besetzen. Denn die Game-Industrie erschafft nur Produkte, die der Erwartungshaltung der Zielgruppe gerecht werden. Es gibt keinen Versuch eines Gegendiskurses.

Boris Magrini ist Kurator des Hauses der elektronischen Künste Basel (HEK) und Autor des Buches Confronting the Machine: An Enquiry Into the Subversive Drives of Computer-Generated Art. Bild: Ivana Kresic.

Von Gamergate bis zu #MeToo

In den letzten zehn Jahren hat sich allerdings einiges geändert, erzählt Thorsten S. Wiedemann. Der Gründer und Direktor des Berliner A MAZE – Games and Playful Media Festivals begann 2001, Indie-Games vorzustellen – damals noch etwas komplett Neues. Dann kam die Game-Plattform Steam 2003 dazu. Die zunächst proprietäre Distributionsplattform des Entwicklers Valve wurde für Drittanbieter geöffnet, sodass jeder Indie-Game-Entwickler darauf publizieren konnte. Das ebnete den Weg für das Self-Publishing und irgendwann den nächsten Schritt für unkonventionelle Game-Produzenten: einen eigenen Publisher für seine unabhängigen Inhalte und eine experimentelle Game-Mechanik zu bekommen. Thorsten S. Wiedemann berichtet: „Die Indie-Game-Szene hat sich auch weiterentwickelt, weil sie generell sozialkritische beziehungsweise tagesaktuelle Themen aufgreift. Etwa Themen wie die Gamergate-Kontroverse um die Diffamierung der Game-Designerin Zoë Quinn und alles, was mit Gender zu tun hat. Selbst eine Anti-Sexismus-Bewegung wie #MeToo ist an mehreren Ecken in der Gesellschaft entstanden und zeitgleich auch aus der Game-Community heraus. Deshalb gab es zu diesen Themen schon einige Games, auch aus der Queer-Community.“ Zu sehen waren diese unter anderem bei der „Rainbow Arcade“-Ausstellung im Schwulen-Museum in Berlin.

How The Internet Changed My Life, Mike Diva, 2021, von Nicole Ruggiero wurde auf der Radical Gaming Ausstellung gezeigt. Bild: Nicole Ruggiero, Daniel Sabio, Dylan Banks.

Nach Indie kommt Arthouse

Vergleichbar mit dem Filmsektor wird sich die Game-Szene ähnlich weiterentwickeln, so Wiedemann: Arthouse-Games sind der nächste Schritt nach den Indies. „Arthouse-Games haben keine klare Game-Mechanik. Wichtiger ist, was für eine Geschichte erzählt werden soll. Es sind wesentlich radikalere, künstlerische Auseinandersetzungen mit Themen.“ Als Beispiel nennt er Stilstand“ von der Grafikkünstlerin Ida Hartmann, die dieses Jahr bei A MAZE prämiert wurden. Bei Stillstand geht es um die Angstzustände einer jungen Frau während eines Sommers in Kopenhagen.

„Die Indie-Game-Szene hat sich auch weiterentwickelt, weil sie generell sozialkritische beziehungsweise tagesaktuelle Themen aufgreift”, sagt Thorsten Wiedemann, Gründer und Direktor des Berliner A MAZE – Games and Playful Media Festivals. Bild: Thorsten S. Wiedemann

Games werden politisch

„Interessant daran ist, dass Frauen aus interdisziplinären Bereichen Games kreieren und sich darin ausprobieren. Das ist Teil eines Trends: Games als solche werden zu persönlichen Ausdrucksformen, die sich mit dem Jetzt zeitgemäß auseinandersetzen“, so Wiedemann. Damit nähert sich das Genre immer mehr anderen Kulturformen wie etwa dem Film an, in die gegenwärtige Entwicklungen aus dem Bereich Social Media einfließen. „Gerade in der Coronavirus-Pandemie gibt es vermehrt Themen wie Panik, Alleinsein oder Verzweiflung, die die Künstler*innen beschäftigen. Games werden zu einer Plattform für die eigene Meinung. Sie wollen das, was auch die Kunst macht: radikal sein und die User*innen anregen, Fragen zu stellen. Damit werden sie auch politisch und machen sich angreifbar. Das gab es früher in der Game-Szene nicht“, sagt Thorsten S. Wiedemann. Als ein weiteres Beispiel dafür nennt er „Knife Sisters“ von der queeren Entwicklerin Bobbi A Sand aus Schweden, ein Game zum Thema BDSM mit einer non-binären Transperson. Oder „Adventures of Harriharri“ von Harold Hejazi, eine Art Theaterperformance mit Hip-Hop-Musik beziehungsweise performativem Game. Das Game beschreibt selbstironisch den sozialen Zirkus und Aufwand, den man betreiben muss, um ein Projekt sowohl bei staatlichen Förderungen als auch bei Game-Festivals unterzubringen und gesehen zu werden.

In „Stilstand“ der Grafikkünstlerin Ida Hartmann, die dieses Jahr bei A MAZE prämiert wurde, geht es um die Angstzustände einer jungen Frau während eines Sommers in Kopenhagen. Bild: Ida Hartmann

Künstler*innen aus anderen Bereichen haben ihre Scheu vor Games abgelegt und werden darin kreativ. Das bedeutet auch: Die Grenzen des Game-Genres werden fluide und vermengen sich mit allen anderen Kulturformen. Als Nächstes arbeitet Thorsten S. Wiedemann etwa mit der Komischen Oper und dem Berliner Ensemble zusammen. Bei einem Game-Jam im November sollen Theaterleute mit Game-Entwickler*innen Games kreieren und „das Theater neu denken“. Nicht nur die Kultur hat eine zeitgemäße Spielart mehr zu bieten. Das Spielgenre selbst wird erwachsen und setzt mit Arthouse-Games massentaugliche, künstlerische Akzente. Subversiv ist längst im Alltag angekommen.

Nicole Ruggiero: How the Internet changed my life, Franziska von Guten, 2021. Bild: Nicole Ruggiero, Daniel Sabio, Dylan Banks.

„Radical Gaming“: Ausstellung vom 2.9. bis 14.11.2021 im Haus der Elektronischen Künste, Basel

A MAZE – Games and Playful Media Festival

Itch.io: Plattform für Indie-Game-Designer