Als erstes Land der Welt verbietet Nigeria ab dem 1. Oktober ausländische Models und Sprecher:innen in nigerianischen Werbekampagnen. In den Medien sorgt dies für Aufruhr und Kritik von Weißen. Ist sie berechtigt?
Wisst ihr, wie es sich anfühlt, den Fernseher einzuschalten und niemanden auf dem Bildschirm zu sehen, mit dem ihr euch identifizieren könnt – ein Leben lang? Das ist die Realität vieler BIPOCs, die in Ländern wohnen, in denen die Werbebranche immer noch von weißen Models und Darsteller:innen dominiert wird. Schwarze Menschen als Nachrichtensprecher:innen oder in der Hauptrolle einer Prime-Time Telenovela? In den meisten Ländern immer noch undenkbar. Schwarzen Menschen werden stattdessen immer noch oft Rollen zugeschrieben, die mit negativen Stereotypen und Klassengesellschaft verbunden werden: die Hausangestellte, der Kriminelle, der Fahrer oder Sicherheitsangestellte.
Die Nigerianische Regierung hat jetzt auf diese ungerechte Repräsentation reagiert. Als die dortige Werbe-Aufsichtsbehörde Arcon am 22. August mitteilte, ab dem 1. Oktober ausländische Models und Sprecher:innen in Werbekampagnen in Nigeria zu verbieten, ließ die Kritik nicht lange auf sich warten:
„Ausgrenzung ist Ausgrenzung, egal wie rum.“
„Also ein generelles Verbot ist dann in eine andere Richtung rassistisch oder sehe ich das falsch?“
„Apartheid anders herum.“
So lesen sich einige der Reaktionen in den Kommentarspalten. Tatsächlich stecken hinter dem neuen Gesetz aber durchaus mehr Überlegungen als die fälschliche Illusion von „Reverse Racism“, „Ausgrenzung“ oder „umgekehrter Apartheid“, wie durch einige Kommentator:innen suggeriert.
Ausländische Unternehmen profitieren von rassistischen Stereotypen
Denn bisher war die nigerianische Werbeindustrie vor allem von britischen und amerikanischen Unternehmen, Models und Sprecher:innen dominiert. Ausländische Unternehmen schienen wenig daran interessiert zu sein, Werbung in Nigeria repräsentativer zu gestalten, da sie von rassistischen Stereotypen durchaus profitieren. In einigen Industrien, wie zum Beispiel der Bleaching-Industrie, wird oft bewusst mit weißen oder Schwarzen Darsteller:innen mit heller Haut geworben.
So macht die Bleaching-Industrie in Nigeria gezielt Profit mit der rassistischen Idee, helle Haut sei „besser“, „gesünder“ und „smoother“. Verschiedene Quellen gehen davon aus, dass ca 75 bis 77 % der nigerianischen Frauen Bleaching-Produkte nutzen – das ist der weltweit höchste Anteil. Für besonders großen Aufruhr sorgte eine Werbekampagne des deutschen Unternehmens Nivea im Jahr 2017, die eine Bleaching-Creme für „sichtbar fairere Haut“ bewarb.
Vor diesem Hintergrund ist ein Verbot von ausländischen Darsteller:innen in nigerianischen Kampagnen also eine Reaktion auf die rassistischen Standards der Beauty- und Werbeindustrie sowie ein Versuch, die eigene Industrie zu stärken. Außerdem reagiert das Verbot auf die fehlende Repräsentativität von Nigerianer:innen in Werbekampagnen – eine Tradition, die drastische psychologische und wirtschaftliche Auswirkungen auf Betroffene hat. Stattdessen soll nun laut Arcon inklusives Wirtschaftswachstum gefördert und die nigerianische Werbeindustrie ausgebaut werden.
Nigerianischer Entertainment-Sektor wächst weltweit am schnellsten
Tatsächlich ist die nigerianische Entertainment- und Media Industrie (E&M) laut dem Wirtschaftsprüfungsnetzwerk PWC seit 2021 der am schnellsten wachsende E&M Markt der Welt. Zwar geben europäische und amerikanische Konsument:innen deutlich mehr pro Kopf für Entertainment und Medien aus, doch stagnieren europäische und amerikanische Wachstumsraten im Gegensatz zum aufstrebenden nigerianischen Markt.
Mit über 200 Millionen Einwohner:innen ist Nigeria der bedeutendste Markt auf dem afrikanischen Kontinent und gehört zudem zu den größten Märkten der Welt. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass nigerianische Behörden zu drastischen Schritten greifen, um den eigenen Markt vor internationaler Konkurrenz zu schützen und lokales Wachstum zu fördern.
Zudem ist der Trend im Einklang mit den seit den 1970er-Jahren bestehenden Gesetzen, die einheimische Unternehmen gezielt fördern. So mussten Unternehmen, die ausländische Models zeigten, eine Strafe von 250 Dollar zahlen.
Die Behauptung einiger Medien, Nigeria verbiete ab sofort „weiße“ Models oder Sprecher:innen mit britischem Akzent, ist demnach falsch. Die neue Auflage bezieht sich grundsätzlich auf nicht-nigerianische Darsteller:innen und Sprecher:innen, ohne auf bestimmte Hautfarben, ethnische Gruppen oder Akzente einzugehen. In Nigeria selbst gibt es über 250 verschiedene ethnische Gruppen.
Um Ausländerfeindlichkeit gehe es bei der neuen Regelung nicht, sondern um die Schaffung von lokalen Arbeitsplätzen, beteuerte auch Steve Babaeko, Verbandspräsident der Werbebranche in Nigeria, gegenüber der FAZ. „Wer seine Produkte verkaufen will, sollte ohnehin Fotomodelle, Schauspieler und Sprecher wählen, mit denen sich Nigerianer identifizieren können“, so Babaeko.
Reverse Racism gibt es nicht
„Von Reverse Racism zu sprechen, ist wie an Einhörner zu glauben“, schreibt die brasilianische Autorin und Ikone der Schwarzen Feminismus-Debatte Djamila Ribeiro in ihrem Buch Wer hat Angst vorm Schwarzen Feminismus?. Der Begriff „Reverse Racism“ beschreibt die falsche Theorie, BIPOCs könnten rassistisch gegenüber weißen Menschen sein, also einen „umgekehrten“ Rassismus ausüben. Wie Ribeiro in ihrem Buch anschaulich für die, die es nach wie vor nicht verstanden haben, erklärt, existiert „Reverse Racism“ nicht. BIPoCs können zwar genauso wie andere Menschen diskriminierend, aber nicht rassistisch sein.
Denn damit BIPOCs rassistisch sein können, müssten wir in einer Welt leben, in der alle ethnischen Gruppen dieselben Rechte, Möglichkeiten und Machtverhältnisse haben – doch das tun wir nicht. Rassismus wurde gemacht, um weiße Menschen zu privilegieren und BIPOCs zu unterdrücken. Demnach ist die neue nigerianische Auflage keineswegs ein Fall von „Reverse Racism“. Vielmehr handelt es sich um den Versuch, die eigene Wirtschaft und die Bevölkerung zu schützen und für mehr Repräsentativität und Inklusivität zu sorgen.
Würde es Cara Delevingne oder Candice Swanepoel schaden, nicht mehr in einer in Nigeria ausgestrahlten Nivea-Kampagne zu sein? Wohl kaum.