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Collage mit Fotos von: Vitsoe

Weniger, aber besser! Design bitte einfach halten

Die „10 Gebote“ des bekanntesten deutschen Funktionalisten Dieter Rams sind über 40 Jahre alt. Heute sind sie relevanter denn je.

Foto: Vitsoe, CC BY-SA 3.0

Ob der Name bekannt ist oder nicht, seinen Style kennt jeder! Der deutsche Industriedesigner Dieter Rams revolutionierte in den 1960er Jahren durch seinen minimalistischen Funktionalismus nicht nur das Aussehen unseres Haushalts, sondern auch wie wir mit ihm umgehen. Von Haartrocknern, Plattenspielern, Regalsystemen bis hin zum Taschenrechner – seine reduzierten Entwürfe sind schlicht legendär und beeinflussten Generationen von Produktdesignern.

So prägte Rams auch das iPhone, jedoch nur oberflächlich. Denn es ging ihm in seiner berühmten Designlehre nie nur um Funktionalität und Ästhetik, sondern auch um Nachhaltigkeit. Es folgen einige Anregungen, wie Dieter Rams uns heute helfen kann, unseren Konsum zu überdenken und uns auf das Wesentliche zurückzubesinnen.

Foto: Vitsoe

Rams ist Trend

Der US-Amerikaner Gary Hustwit erhielt eine seltene Gelegenheit. Die damals 85-jährige Design-Ikone öffnete dem preisgekrönten Dokumentar-Regisseur im Sommer 2016 die Tür seines bescheidenen Bungalows im Taunus für ein – vielleicht allerletztes – Interview. Dieter Rams spricht nicht gern mit der Presse. „Ich habe bereits alles gesagt!“, meint „The Godfather of Design“, wie WSJ Magazine titelt. Wohl wahr – über fünf Jahrzehnte predigt Rams seine Lehre in 10 Punkten, die sich wohl am besten durch seinen Slogan „Weniger, aber besser!“ zusammenfassen lässt.

Rams Haare sind fein frisiert, er trägt ein schwarzes Hemd und eine dunkle Hornbrille – der signature look Rams’. Sein Aussehen hat sich über die Jahre wenig verändert, abgesehen von ein paar freundlichen Falten und dem silbergrauen Haar. Der gebürtige Wiesbadener mochte es schon immer schlicht. Er führt den Zuschauer in sein Arbeitszimmer. Wir betreten einen weißen, lichtdurchfluteten Raum.

Foto: Vitsoe

Gutes Design ist zeitlos

An den Wänden hängt das berühmte 606 Regalsystem der dänischen Firma Vitsoe, das vor 50 Jahren designt wurde, aber noch heute produziert wird. Man erkennt den Braun SK61 Plattenspieler (Schneewittchensarg genannt) aus dem Jahr 1962. Der zeitlose ET33 Taschenrechner liegt auf dem – akkurat aufgeräumten – Schreibtisch. Der Raum wirkt zeitlos. „Wir sollten sehr genau überlegen, ob wir ständig neue Dinge brauchen“, äußert Rams im Interview mit Dezeen. „Wenn Sie mit Objekten leben, lernen Sie deren Fehler kennen, Sie können sie verbessern und das Design länger am Leben erhalten.“ Dieter Rams und seine Frau Ingeborg besitzen noch heute Hunderte der von ihm entworfenen Produkte. Sie funktionieren einwandfrei.

Langlebige, hochwertige Produkte passen so gar nicht in die Zeit der 80er und 90er. Sie ist bestimmt von Massenware, billig produziert, für den schnellen Konsum. Lieber günstig kaufen und nach zwei Jahren ersetzen, anstatt sich für das ganze Leben festzulegen. Diesem Motto sagt Rams den Kampf an. Immer und immer wieder. Dies könnte sein letzter Anlauf sein.

Dieter Rams diskutiert das Design des anpassbaren 621 Tisches. Foto: Vitsoe

„Wir wollten Unwesentliches weglassen“

1955 wurde Rams nach absolvierter Tischlerlehre und dem Architekturstudium an der Universität Wiesbaden in der Firma der Gebrüder Braun in Kronberg angestellt. Im Nachkriegsdeutschland der 50er Jahre gab es vor allem Bedarf an einem: Dinge, die alltägliches Leben einfacher machen. Im Studium an der Universität der Künste ging Rams in die Lehre von führenden Denkern der Bauhausschule, die seine spätere Designphilosophie stark beeinflussen sollten. Die gestalterischen Ansätze des Funktionalismus und der frühen Massenproduktion wurden durch die Bauhausschule bereits Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelt und populär gemacht.

„Wir wollten Design wieder auf das Wesentliche reduzieren, Unwesentliches weglassen“, berichtet Dieter Rams dem Zeit Magazin. „Ich war immer ein Verfechter davon, die Dinge nicht zu überfrachten.“ Prunk und Schnörkel wichen moderner Simplizität. Erwin Braun erkannte Rams zukunftsweisende Vision und beförderte den jungen Architekten 1961 zum Chef der Abteilung für Produktdesign – ein ungewöhnlicher, aber cleverer Schritt.

Dieter Rams at SFMOMA. Foto: Marcin Wichary (CC BY 2.0)

Gutes Design ist so wenig Design wie möglich

Die Kunst- und Designwelt ist schnelllebig, doch haben sich seine Designprinzipien und die daraus entwickelten funktionalistischen Arbeiten des Industriedesigners über die Jahrzehnte als immun gegen diesen hektischen Wandel erwiesen. Seine 10 Thesen des guten Designs, die er bereits in den 1970er Jahren ausformulierte, sind auch heute so einleuchtend wie bahnbrechend. Gutes Design ist innovativ, zweckdienlich, ästhetisch, benutzerfreundlich, durchdacht, ehrlich und umweltfreundlich. Gutes Design ist so wenig Design wie möglich! Erst in den letzten Jahren haben junge Designer*innen begonnen, seine Thesen an die Ansprüche des neuen Millenniums anzupassen. Die Kernaussagen bleiben jedoch bis heute bestehen.

Das beste Beispiel der praktischen Umsetzung seiner eigenen Designphilosophie ist das Vitsoe 606 Regalsystem. „In Deutschland waren die Häuser nach dem Krieg kleiner – alles war kleiner. Die alten deutschen Möbel waren groß und reich verziert. Ich wollte einfach mehr Platz für mehr Menschen schaffen“, berichtet Rams der Plattform Medium zum 50. Jahrestag des praktischen Alleskönners – dem Vorreiter des Wunder-Aufbewahrungssystems von Ikea.

Dieter Rams at SFMOMA. Foto: Marcin Wichary (CC BY 2.0)

Funktionalismus gone wrong

Rams Prinzipien sind zum Teil in den Arbeiten führender Produktdesigner*innen der Gegenwart, wie den funktionalen Möbeln des Briten Jasper Morrison oder Jonathan Ives prägenden Designs für Apple zu erkennen – doch eben nur zum Teil. Gerade letzteres Beispiel verdeutlicht den paradoxen Einfluss, den Dieter Rams auf zeitgenössisches Industriedesign ausgeübt hat.

Eine Szene aus Hustwits Dokumentation zeigt Rams, wie er die Konsumhölle eines überfüllten Londoner Apple Stores betritt. Der Moment hat etwas Tragisches, als würde Rams mit den katastrophalen Folgen seines Wirkens konfrontiert, als habe ihm niemand richtig zugehört. Es lässt die Frage aufkommen: Kann die Massenproduktion von Gebrauchsgegenständen nachhaltig sein? Es ist bezeichnend, dass Rams im Film selber äußert, wenn er sich noch einmal entscheiden könnte, würde er nicht Produktdesigner, sondern Landschaftsarchitekt werden: „Mir scheint, dass die Gestaltung unserer Umgebung das Wichtigste ist.“

606 Regalsystem (Dieter Rams) Foto: Vitsoe

Auf die Simplizität kommt es an

Eine Rückbesinnung auf Dieter Rams ist eine Rückbesinnung auf unsere eigene Verantwortung. „Was wir brauchen, ist ein wirklich fundamentales Umdenken – nicht nur im Design, sondern generell“, so Rams im gleichnamigen Film. Warum funktioniert ein Smartphone eigentlich schon nach ein paar Jahren nicht mehr? Die Antwort ist naheliegend, doch hinterfragen wir sie nicht. Wir gehorchen und kaufen einfach neu”.

Verbraucher*innen und Entwickler*innen müssen ihren Umgang mit Produkten radikal umdenken. Dennoch äußert sich Rams in einem Interview mit Dwell hoffnungsvoll über die neue Generation von Designer*innen: „Die junge Generation hat das im Gefühl. Sie wissen, dass sie – als Designer oder Architekten – etwas verändern müssen. Wir müssen zum Wesentlichen zurück. Innovation kann so simpel sein.