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Guten Morgen Wald, 2016, Frauen im Wald.

Wenn Frauen in den Wald gehen und einen uralten Mythos untergraben

Wenn es nach den Künstlerinnen Justyna Koeke und Mimosa Pale geht, fehlt es der Erotik vor allem an Humor. Für das Foto- und Performanceprojekt “Women in the Forest” luden die beiden Frauen fremde Männer, die sie über Tinder gecastet hatten, zu einem Shooting in den Wald ein. Dabei entstanden Bilder und Erfahrungen, die zeigen, dass erotische Fantasien auch witzig sein können.

Bei ‘Frauen im Wald’ denkt man meist an vergrabene Leichen oder entführte Joggerinnen. Eine Google-Suche nach dem Ausdruck ergibt ähnliche Vorschläge: “Frau im Wald vermisst”, “Frauen allein im Wald”, “Frau im Wald verbrannt”, “Frau im Wald von PKW überrollt”, “Frau im Wald gefunden”… die Liste ist lang. Wenn Justyna Koeke und Mimosa Pale in den Wald gehen, denken sie an Abenteuer, Spaß, Natur und Erotik. Von Mythen, Männern und feuchtem Moos lassen sich die beiden Performance-Künstlerinnen nicht einschüchtern. Leicht bekleidet, mit einer Kettensäge und einer Kamera bewaffnet, machten sie den Wald zu ihrer Spielwiese und luden Männer zu einem Fotoshooting jenseits von Machtverhältnissen und Genderklischees ein. Wieso die Penetration eines Felsens etwas Tiefgründiges sein kann und wo die Grenze zwischen erotischer Kunst und Pornografie verläuft, erklären sie im Qiio-Gespräch.

Was hat euch in den Wald und zu diesem Projekt getrieben? 

Mimosa: Justyna und ich haben uns 2007 in Paris kennengelernt und haben seitdem immer wieder Performance-Projekte zusammen gemacht. Einmal hat mich Justyna in Finnland zum Urlaub machen besucht. Der Wald hier hat uns sehr inspiriert. Wir wollten die schönen Dinge des Lebens kombinieren: Arbeit, Natur und den Austausch mit Menschen. Und so entstand das Projekt, aus einem gemeinschaftlichen Urlaub, aus dem wir mehr machen wollten. 

Ihr habt die Männer über Tinder gefunden und sie zu Blinddates in den Wald eingeladen. Männer, die ihr vorher noch nie gesehen habt, stießen auf zwei fremde, halbnackte Frauen am Waldrand, mit einer Kettensäge in der Hand. Da könnte man schon Angst bekommen. Wie konnten die Männer sich sicher sein, dass ihr sie nicht vom rechten Weg abbringen wollt?

Mimosa: Das konnten sie nicht. Es gab sogar welche, die einen Fluchtplan vorbereitet hatten. Als wir Dates während eines Symposiums auf einer Insel in Helsinki gemacht haben, hatte ein Mann einen Rucksack mit einem wasserfesten Sack dabei, damit er hätte rüberschwimmen können, falls wir ihm zu bedrohlich werden.

Das Projekt “Frauen im Wald” entstand aus einem gemeinsamen Urlaub der Künstlerinnen Justyna und Mimosa. Bild: Schneeengel, 2021, Frauen im Wald.

Also hatten die Männer Angst vor euch.

Justyna: Ja, wir waren ja auch in der Überzahl. Und davon lebte das Ganze auch irgendwie: Diese märchenhafte Vorstellung von Gefahr und Überraschung, auf die sich beide Seiten einlassen müssen. Wir kreieren zwar diese Situation, aber wir haben auch viel von dem Mut der Männer, die sich getraut haben, mit völlig unbekannten Frauen in den Wald zu gehen. Natürlich hatten sie ihre Vorstellungen, aber wir haben im Vorhinein geklärt, dass wir Fotos machen werden und es sich um ein künstlerisches Abenteuer handelt. 

Mimosa: Und es war ja auch die Idee, neue Bilder zu schaffen, weg von dem, was wir schon kennen. So eine nackte Frau in der Natur ist ja ein klassisches Bild. Das zu brechen, mit Humor und Witz, war unser Ziel. Dabei haben wir auch versucht, die Ideen und Fantasien der Männer mit einzubringen. 

Justyna: Einer hat zum Beispiel Würste mitgebracht (lacht). Ein anderer wollte ein Floß bauen. Das haben wir dann auch gemacht, und dabei ist ein Bild entstanden, auf dem Mimosa augenscheinlich auf dem Wasser schwebt. Wir haben versucht, das Potenzial der Männer zu nutzen.

Mal brachten die Männer eigene Ideen mit in die Bilder, mal drückten sie nur den Auslöser. Bild: Jägerinnen/Wursternte – Frauen im Wald.

Gab es auch unangenehme Situationen?

Justyna: Ja, auch die gab es. Wir haben schon im Vorfeld etwas Zeit investiert, um mit den Männern zu kommunizieren und sie näher kennenzulernen. Wir haben bei einem Mann schon vorher gespürt, dass etwas komisch war, wollten aber keinen Rückzieher machen. Deshalb haben wir ein Doppeldate daraus gemacht und noch einen anderen Mann eingeladen. Wir haben dann aber trotzdem das Date abgebrochen. 

Nochmal zurück zu den Fotos: Sind die spontan entstanden, oder war es eine geplante Inszenierung?

Justyna: Wir hatten nicht so einen genauen Plan. Wir haben eher spontan geschaut, was uns in der Landschaft inspiriert. Ein finnischer Mann hatte zum Beispiel den Traum, einen Fels zu penetrieren. Für mich war das sehr sinnbildlich, denn manchmal haben Menschen Sex miteinander, aber trotzdem ist zwischen ihnen ein Stein, keine Kommunikation. Die Idee, einen Fels zu penetrieren, ist komisch, aber irgendwie interessant. Warum möchte man einen Fels penetrieren, der hart und kalt ist und keine Gefühle hat? In dieses Bild kann man viel reininterpretieren. Das kam direkt von der eigenartigen Fantasie dieses Mannes, die wir ernst genommen und umgesetzt haben. Für mich ist es deshalb ein sehr tiefgründiges Bild.

“Warum möchte man einen Fels penetrieren, der hart und kalt ist und keine Gefühle hat? In dieses Bild kann man viel reininterpretieren. Das kam direkt von der eigenartigen Fantasie dieses Mannes, die wir ernst genommen und umgesetzt haben. Für mich ist es deshalb ein sehr tiefgründiges Bild”, sagt Justyna Koeke. Bild: Steinfick, 2017, Frauen im Wald.

Weiblichkeit wird oft mit Natur verbunden. Was haltet ihr von dieser Kulturerzählung?

Justyna: Das ist eine sehr alte und traditionsbeladene Kulturerzählung! Aber das Schöne ist, dass man sie immer wieder neu erzählen kann. In unserem Projekt wird der Kontrast zwischen der digitalen und der “realen” Welt deutlich. Dieser Clash hat mich beschäftigt. Wir schauen uns die Natur oft nur noch auf Bildschirmen an. Zurück in die reale Welt zu gehen, in den Wald, wo man mit der Erde in Berührung kommt, das Gesicht in den Schlamm und den Popo auf die Wurzeln setzt – das ist für mich das Schöne an dieser Erfahrung.” Wenn es diese Erzählung ist, die uns zurück in die Natur führt – warum nicht? 

Mimosa: Alle haben ein unterschiedliches Verhältnis zur Natur. Eine deutsche Freundin von mir geht nicht durch den Wald, weil sie den Wald nicht belästigen will. Ich als Finnin habe gemerkt, dass wir spielerischer mit der Natur umgehen. Wir hacken Holz, saunieren und springen nackt in den See. Ich finde, Frauen und Männer sollten mehr mit der Natur experimentieren. So lernt man seine Umgebung kennen und hat einen Bezug zur Natur, der über das Anschauen des Sonnenuntergangs und der Winterlandschaft hinausgeht. 

“Wir schauen uns die Natur oft nur noch auf Bildschirmen an. Im Wald kommt man mit der Erde in Berührung. Mit dem Gesicht im Schlamm und dem Popo auf den Wurzeln sitzen – das ist für mich das Schöne an dieser Erfahrung”, findet Justyna Koeke. Bild: Paravent, 2019, Frauen im Wald.

Fehlt es der Erotik an Humor?

Justyna: Absolut! Dieser Bereich des Lebens wird sehr ernst genommen, aber wenn es lustig sein soll, wird es schnell unangenehm. Wir wollten zeigen, dass erotische Fantasien auch witzig und angenehm sein können, ohne unangenehme, dreckige Hintergedanken. Darstellungen erotischer Fantasien sind nicht besonders divers, dabei kann die Ästhetik der Erotik sehr vielfältig sein. 

Warum ist gerade der Wald für euch ein Ort der machtbefreiten Lust?

Justyna: Erstmal, weil es unsere natürliche Umgebung ist. Zum anderen aber auch, weil es ein Ort ist, an dem wir frei von sozialen Konventionen sein können – anders als in der Küche zum Beispiel. Im Wald kann man den nackten Menschen frei von seinem sozialen Umfeld sehen. Wenn man Nacktbilder macht, ist man auf das Menschsein reduziert. Im Wald kann man sich auf das Wesentliche konzentrieren. 

Mimosa: Sobald man Kleidung trägt, versetzt man die Person in einen Zeitrahmen. Aber als nackte Menschen im Wald sind wir zeitlos, genauso wie die Natur in ihrem natürlichen Zustand. 

Mit ihren Bildern wollen sie zeigen, dass Erotik auch humorvoll und angenehm sein kann. Bild: Pfau in blau, 2019, Frauen im Wald
Erotik muss spielerisch sein – wie die Natur selbst, finden Justyna und Mimosa. Bild: Royal TS, 2020, Daniela Wolf

Frauen sind im Wald eher Opfer als Täter:innen. Im Volksmund ist der Wald für sie zwar schön, aber bedrohlich. 

Justyna: Wir haben da gar nicht drüber nachgedacht. Ich komme aus Polen, ich habe meine ganze Kindheit im Wald verbracht. Ich glaube, diese bedrohlichen Bilder von Frauen im Wald sind eher etwas Deutsches. Zumindest haben uns in Deutschland viele auf diese Vorstellung angesprochen. Glaubt man diesem Mythos, ist eine nackte Frau im Wald tot und vergewaltigt worden. Aber in Wahrheit passieren die meisten Vergewaltigungen Zuhause. Dann kommt der urbane Raum. Und zuletzt der Wald – in der Natur kommt sowas am seltensten vor. Unsere Bilder spielen mit dieser Vorstellung, die ganz anders ist als die Realität. Wir haben diesen Mythos des Waldes als Ort des Bösen für uns genutzt. Bei Frauen im Wald geht es um Fantasien, Abenteuer, Bilder erschaffen, aber eben auch um Sex und Erotik. Da gibt es diese Umkehrung: Es sind diesmal Frauen, die Männer in den Wald einladen. Das ändert die ganze Geschichte und zeigt auch eine gewisse Ungerechtigkeit. Denn wenn es um Sex und Erotik geht, wird gerne mit zweierlei Maß gemessen. Was wir Frauen erlauben und was wir Männern erlauben, sind zwei verschiedene Welten. Wenn stattdessen Männer Frauen in den Wald einladen würden, wäre das eine ganz andere Geschichte, die sicherlich auch anders ausgehen würde. Aber wir sind Frauen, und deswegen zeigen wir diese fehlende Balance auf. 

Ist das Vorwegnehmen der Fantasie auch die Grenze zwischen erotischer Kunst und Pornografie?

Mimosa: Pornografie passiert auch im Kopf. Das Gehirn ist unser größtes Sexualorgan. Zudem kann auch Pornografie Kunst sein, ich würde da keine Abgrenzung ziehen. Pornografie, die sehr explizit ist und nichts der Vorstellungskraft überlässt, dient eher der direkten Befriedigung, aber Kunst dient auch dem Geiste. 

Mit Frauen im Wald wollten Justyna und Mimosa Humor in die Erotik bringren und Genderklischees brechen. Bild: Frauen im Wald.

Justyna Koeke, die in Krakau geboren wurde, arbeitet als Bildhauerin und Performancekünstlerin vorwiegend im öffentlichen Raum. Partizipation und Intervention sind nahezu immer die Kernelemente ihrer Arbeiten, tragbare skulpturale Kostüme prägen stets ihre Performances, die sie in Zusammenarbeit mit Aktivist*innen, Musikschaffenden oder Theaterproduktionen entwickelt. Justyna Koeke ist als Dozentin an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart tätig. www.justynakoeke.com

Mimosa Pale studierte Kunst in Birmingham, Helsinki und Paris. Ihre künstlerische Praxis ist eine Sythese aus Skulptur und Performancekunst. Dabei arbeitet sie mit Kontextwechseln in den öffentlichen Raum oder ihrer singenden Säge und geht unterschiedlichste Kollaborationen ein. Die finnische Künstlerin lebt in Horb am Neckar und Berlin, wo sie viele Jahre den Hutladen Atelier Himo mit ihren eigenen Designs betrieb. Sie ist momentan Stipendiatin im Antonie-Leins Künstler*innenhaus in Horb am Neckar. www.mimosapale.com