facebook-likehamburgerlupeoverview_iconoverviewplusslider-arrow-downslider-arrow-leftslider-arrow-righttwitter

Foto: Sujatro Ghosh

Wer ist hier heilig? Diese Fotos zeigen Überlebende von sexueller Gewalt in Indien mit Kuhmasken

Der indische Künstler und Aktivist Sujatro Ghosh wollte seine Heimat nie verlassen. Doch seine Fotoserie „The Cow Mask Project“, für die er Überlebende sexueller Gewalt mit Kuhmasken fotografiert, sorgte in Indien für so viel Aufruhr, dass Ghosh sich in seiner Heimat Kalkutta nicht mehr sicher fühlte und nach Berlin floh.  

Werden Kühe in Indien mehr respektiert als Frauen? Und müssen sie zu Kühen werden, um in Sicherheit zu leben?⁠ Diese provokanten Fragen stellt der indische Künstler und Aktivist Sujatro Ghosh mit seiner Fotoserie „The Cow Mask Project“.

Kühe sind im hinduistischen Indien heilig und erfahren besonderen Schutz. Wer ihnen Schaden zufügt, dem drohen harte Strafen. Selbsternannte Kuh-Beschützer-Gruppen, sogenannte Gau Rakshaks, gehen sogar so weit, dass sie Menschen, die womöglich Rindfleisch konsumieren oder damit handeln, verfolgen, bedrohen oder töten. So werden beispielsweise muslimische Menschen, die Rindfleisch konsumieren, automatisch zum Feindbild. ⁠

In seiner Fotoserie stellt Sujatro Ghosh die provokante Frage, ob Frauen in Indien zu Kühen werden müssen, um in Sicherheit zu leben. Foto: Sujatro Ghosh
Obwohl Vergewaltigungen in Indien das vierthäufigste Verbrechen gegen Frauen sind, liegt die Verurteilungsrate unter 30 %. Foto: Sujatro Ghosh

Werden Kühe in Indien mehr respektiert als Frauen?

„Ich glaube, in meinem Land sind Kühe wichtiger als Frauen. Seitdem die rechte Regierung an der Macht ist, gibt es sogar ein Ministerium, das für den Schutz von Kühen zuständig ist“, sagt Ghosh. 

Alle 15 Minuten wird in Indien eine Frau vergewaltigt. Und obwohl Vergewaltigungen in Indien das vierthäufigste Verbrechen gegen Frauen sind, liegt die Verurteilungsrate unter 30 %. ⁠Sujatro Ghosh ist selbst mit vielen starken Frauen aufgewachsen. Das sei einer der Gründe, wieso Gewalt gegen Frauen ein wichtiges Thema für ihn ist. 

„Meine Vorbilder waren meistens Frauen. Aber das, was ich zu Hause gelernt habe, hat mit dem, was ich draußen gesehen habe, nicht zusammengepasst. Deshalb war es mir wichtig, das anzusprechen. Denn nur so kann ich als Künstler einen Unterschied machen“, sagt Ghosh.  

„Ich glaube, in meinem Land sind Kühe wichtiger als Frauen“, sagt der Künstler und Aktivist Sujatro Ghosh.  Bild: Sujatro Ghosh
„Meine Vorbilder waren meistens Frauen. Aber das, was ich zu Hause gelernt habe, hat mit dem, was ich draußen gesehen habe, nicht zusammengepasst. Deshalb war es mir wichtig, das anzusprechen. Denn nur so kann ich als Künstler einen Unterschied machen“, sagt Ghosh.  Foto: Sujatro Ghosh

„Im altgriechischen Theater sind Masken eine Form des Ausdrucks“

Auf die Idee mit den Kuhmasken kam Ghosh zufällig. Vom altgriechischen Theater inspiriert, entdeckte er sie in einem Party-Geschäft während einer beruflichen Reise nach New York. Er zögerte nicht lange und brachte ein paar Masken mit nach Indien. Neben der provokanten Ausdrucksstärke der Kuhmasken war ihm ebenfalls die Anonymität der Fotografierten wichtig: „Die Masken schützen die Identitäten der Menschen, mit denen ich arbeite. Das war mir bei diesem sensiblen Thema sehr wichtig.“

Dabei lag die größte Herausforderung darin, Frauen für das Projekt zu gewinnen, die sich fotografieren lassen würden. „Ich konnte ja nicht einfach auf die Straße gehen und Menschen fragen, ob sie mit Kuhmasken fotografiert werden wollen“, so Ghosh. Also suchte er zunächst in seinem erweiterten Freundeskreis. Mit der Zeit und mit zunehmender Bekanntheit des Projekts erreichten ihn immer mehr Anfragen. 

„Die Masken schützen die Identitäten der Menschen, mit denen ich arbeite. Das war mir bei diesem sensiblen Thema sehr wichtig”, sagt Sujatro Ghosh. Foto: Sujatro Ghosh.
Die größte Herausforderung bestand darin, Frauen für das Projekt zu gewinnen, die sich fotografieren lassen würden. „Ich konnte ja nicht einfach auf die Straße gehen und Menschen fragen, ob sie mit Kuhmasken fotografiert werden wollen“, so Ghosh. Foto: Sujatro Ghosh

„Ich hätte niemals gedacht, dass ich Indien verlassen muss“

Bis Ghosh 2019, zwei Jahre nach Beginn des Projekts, Indien verlassen musste. Seine Fotos wurden bis dahin bereits millionenfach in Indien gesehen. „Je mehr Aufmerksamkeit das Projekt bekam, desto mehr versuchte ich, unterzutauchen, weil ich langsam verstand, wie kontrovers das Projekt ist“, so Ghosh. 

Dass er Indien verlassen muss, hätte er trotzdem nie gedacht. „Ich hatte nie den Wunsch, meine Heimat zu verlassen, und selbst wenn ich das gewollt hätte, dann nicht so“, sagt Ghosh. Doch irgendwann spitzte sich die Situation für ihn zu, die Umgebung um ihn herum wurde immer feindseliger – so feindselig, dass er von Fremden bis in sein Haus in Kalkutta verfolgt wurde und nicht mehr wusste, wem er vertrauen kann. 

2019 kam Ghosh schließlich mittels eines Stipendiums nach Deutschland und führt seitdem seine Arbeit von Berlin aus fort.  

Seit 2019 lebt Sujatro Ghosh in Berlin und führt seine Arbeit von hier fort.