facebook-likehamburgerlupeoverview_iconoverviewplusslider-arrow-downslider-arrow-leftslider-arrow-righttwitter

Wie machen wir die Welt zu einem besseren Ort? Interview mit Dr. Joana Breidenbach

Warum ist Gutmensch heute ein Schimpfwort geworden? Wir haben mit Dr. Joana Breidenbach gesprochen, die Betterplace.org gegründet hat. Die Aufsichtsrätin von gut.org kommt aus dem Punkrock und glaubt an das Gute im Menschen. Wirklich!

Joana Breidenbach.

Joana Breidenbach hat nicht nur spannende Bücher zu den kulturellen Folgen der Globalisierung, Migration und des Tourismus geschrieben, sondern ist auch eine erfolgreiche Unternehmensgründerin. Vor elf Jahren hat sie die Online-Spendenplattform betterplace.org mitgegründet, später den Think Tank betterplace lab, die betterplace solutions und im Mai dieses Jahres den Inkubator Das Dach. betterplace.org ist Deutschlands größte gemeinnützige Online-Spendenplattform und bietet hilfreiche Werkzeuge wie Tutorials, Webinare und Workshops sowie Unterstützung zum Spendensammeln im Internet. Seit der Gründung 2007 wurden mehr als 60 Millionen Euro an rund 27.000 soziale Projekte in 185 Ländern gespendet. Die Benutzung der Plattform wird maßgeblich über Dienstleistungen für Unternehmen, private Einzelspenden sowie Förderungen durch strategische Partner wie DEVK, shoop.de oder Startnext finanziert. Wir sprachen mit Joana über Female Founders, die Chancen der Digitalisierung und Zukunftsmodelle zur Schaffung einer besseren Welt.

Liebe Joana, wir sitzen hier in den neuen Räumen von Das Dach in der Köpenicker Straße. Ich bin schon ganz gespannt. Was verbirgt sich denn hinter Eurer neuen Gründung?

Das Dach ist ein Inkubator, der eine systemische Perspektive auf den Wandel bietet und für Start-ups und Investoren gedacht ist, die nicht nur an schnellem Geld und Exit interessiert sind, sondern an längerfristigen Projekten. Wir laden Teams ein, die eine gesellschaftliche Aufgabe angehen wollen und bieten ihnen in einer Art Forschungslabor, den Raum und die Ressourcen, um ihre Ideen umzusetzen. Angefangen haben wir mit drei Projekten –  in jedem sitzt übrigens eine weibliche Gründerin – sie alle arbeiten an Lösungen konkreter gesellschaftspolitischer und umwelttechnischer Probleme und werden von uns technisch und mental unterstützt. Frei nach dem israelischen Historiker Yuval Noah Harari, dessen neues Buch 21 Lessons for the 21st Century ich gerade lese: „Für jeden Dollar, den wir in Künstliche Intelligenz stecken, müssten wir auch einen Dollar in die Erforschung unseres Bewusstseins investieren.“

“Was als Spielwiese angefangen hat, wird heute von Projekten aus der ganzen Welt genutzt – von kleinen Grassroot-Initiativen, bis hin zu Projekten großer Organisationen.” Foto: Franck V.

Am 9. November 2007 haben Du und Dein Mann – inspiriert von einer Weltreise mit der Familie – mit betterplace.org mit Partnern gelauncht. Welche Bilanz ziehst Du heute daraus?

Ich bin seit 2015 nicht mehr operativ bei betterplace.org tätig. Das machen jetzt rund 40 Mitarbeiter und ehrenamtliche Botschafter sehr gut. Was als Spielwiese angefangen hat, wird heute von Projekten aus der ganzen Welt genutzt – von kleinen Grassroot-Initiativen, bis hin zu Projekten großer Organisationen. Dazu entwickeln wir mit betterplace solutions digitale Lösungen zur Umsetzung von Corporate Social Responsability-Strategien für Unternehmen, die zur Finanzierung beitragen. Hier haben wir mehsr als 200 erfolgreiche Kooperationen geschlossen. Wie zum Beispiel mit Payback: Kunden können ihre gesammelten Punkte auch an gemeinnützige Projekte spenden, statt ihre Prämien in Konsumgüter einzulösen.

Hat sich die Haltung von Konzernen bei der Unterstützung sozialer Projekte im letzten Jahrzehnt geändert, sprich, gibt es einen Trend hin zu sozialem Unternehmertum?

Wir arbeiten mit vielen Unternehmen zusammen, auch weil die Digitalisierung Transparenz schafft. Unternehmen konnten früher vieles verschweigen, das funktioniert heute “nicht mehr. So haben wir im betterplace lab gerade im Auftrag von Google einen Workshop mit den Finalisten der Google.org Impact Challenge veranstaltet und in Zusammenarbeit mit Zalando die Studie Transparent – Sustainable Fashion in the Digital Era durchgeführt, die einen Überblick über die Mode- und Textilindustrie gibt. Bei letzterer haben wir nachgeforscht, welche digitalen Initiativen explizit gestartet wurden, um Veränderungen in den Produktionsprozessen auch für große Betriebe zu erzwingen. Dabei haben wir alle Bereiche beleuchtet: von Experten über CEOs bis zu den Designern und Unternehmen, die heute bereits die Möglichkeit der Datenintegration, der Abbildung von Lieferketten und der Materialverfolgung bieten. Es ist eine Einladung an die Industrie, neue Materialien zu erforschen, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln und neue Technologien einzusetzen.

Sustainable Fashion wird ein immer wichtigeres Thema – für die Gesellschaft, aber auch für Unternehmen. Foto: Charles Etoroma

Was findet sonst noch in Eurem Do- and Think Tank, dem betterplace lab, statt?

Im Lab erforschen wir, welche Innovationen an der Schnittstelle zwischen Digitalisierung und Gemeinwohl entstehen und treffen Organisationen und Menschen aus aller Welt, die auf betterplace.org aktiv sind. Letztes Jahr haben wir die Studie Bridging the digital gender gap in Äthiopien, Brasilien, Deutschland, Indonesien und Indien durchgeführt: Diese haben wir auf dem W20 Gipfel im April 2017 vorgestellt. Gemeinsam mit internationalen Vertreterinnen diskutierten wir über die digitale Inklusion von Frauen. Unsere Empfehlungen fanden Eingang in das W20-Communiqué, das Bundeskanzlerin Angela Merkel am Ende der Veranstaltung überreicht wurde, um es in die G20 Verhandlungen einfließen zu lassen. Die zentrale Frage war, was man tun kann, um mehr Frauen Zugang zu digitalen Medien zu ermöglichen.

Brauchen wir mehr weibliche Gründerinnen?

Ja, unbedingt. Bislang werden weibliche Eigenschaften oft eher negativ gesehen, Frauen seien weicher, passiver nicht führungsstark. Dabei wird es immer wichtiger, wie Beziehungen geführt werden: Wir müssen fähig zum Multitasking sein, unsere kommunikativen Fertigkeiten ausbauen – alles ist in Bewegung, alles ändert sich in Echtzeit, nichts ist mehr statisch. Das erfordert enorme Flexibilität. Eigenschaften, die Frauen zugeschrieben werden. Noch gibt es zu wenige weibliche Rollenvorbilder im Gründerinnen- und Tech-Sektor. Das gilt für Brasilien wie für Deutschland oder Südafrika.

Mehr weibliche Gründerinnen? Unbedingt! Foto: Rawpixel

Du selbst bist ein Serial Entrepreneur und nicht nur ein Rollenvorbild für Deine Tochter Lilian, die das Startup Legal OS mitgegründet hat. Hast Du das von Zuhause mitbekommen?

Nein, meine Mutter war Hausfrau, aber meine Tochter und ihre Freundinnen haben berufstätige Mütter. Für sie ist das Gründen selbstverständlicher als in unserer Generation. Junge Frauen haben heute mehr Selbstbewusstsein, oft bessere Abschlüssen als ihre Kommilitonen und ich empfinde sie fokussierter als gleichaltrige junge Männer. Dennoch liegt der Anteil weiblicher Start-ups in Deutschland erst bei rund zehn Prozent, es ist also noch reichlich Luft nach oben.

Digitale Technologien schaffen neue Möglichkeiten: Transparenz, einfacher Zugang zu Informationen und Möglichkeit der Vernetzung. Hilft Digitalisierung, die Welt zu verbessern?

Digitalisierung ist wertfrei – digitale Medien sind zunächst nur neutrale Werkzeuge. Sie können sowohl für prosoziale Ziele genutzt werden als auch für Destruktives. Was sich verändert, sind Weltsichten – und ebenso wie die Welt nach Luther, dem Buchdruck und der Reformation eine andere war, schafft die Industrialisierung 4.0 neue Perspektiven. Ich persönlich glaube aber an die Menschheit und ihre Fähigkeit. Viele Menschen, die wir getroffen haben, möchten zu einer besseren Welt beitragen – deswegen würde ich die Frage grundsätzlich mit einem Ja beantworten.

Digitalisierung macht vielen Menschen Angst. Können Projekte, die dem Gemeinwohl nützen, das Bild der Digitalisierung positiv verändern?

Digitalisierung ist eine wichtige Stütze bei der Förderung von gemeinnützigen Projekten. Foto: Simson Petrol

Ja, derzeit sind viele von der schnellen Transformation und von digitalen Themen überfordert und eher reaktiv. Die Digitalisierung fordert uns heraus, aber diese Entwicklung kann man nicht mehr zurückdrehen. Einerseits hat fast jeder Mensch übers Internet Zugang zum Rest der Welt und weiß, dass wir in einer Welt unter einem Himmel leben. Andererseits sind wir noch in egozentrischen und nationalistischen Weltbildern gefangen – wie man an den vielen Hassbotschaften sieht, die digital rasend schnell über soziale Medien verbreitet werden. Ich glaube trotzdem an das Potenzial der Digitalisierung. Wir brauchen mehr positive Beispiele, wie Digitalisierung unsere Lebensqualität verbessert. Ich denke, dass aus dem Gemeinwohl-Bereich viele New Work-Ansätze kommen, wo Menschen an Herausforderungen und Problemen zusammenarbeiten und erforschen, wie wir auch in unserer komplexen, hochgradig vernetzten Welt navigieren und diese gestalten können.

Stichwort Kollaboration: In all Deinen Unternehmen geht es viel um New Work. Welche Kompetenzen sind in der Industrialisierung 4.0 gefordert?

Die Industrialisierung 4.0 verlangt von uns neue, innere Kompetenzen und Kapazitäten. Viele Menschen fühlen sich überfordert und teilweise abgehängt. Was früher oft Manager gemacht haben, muss heute tendenziell von den Mitarbeitern selbst geleistet werden. Chefs und Hierarchien geben Halt. Wenn diese äußeren Strukturen sich verändern oder wegfallen, müssen Menschen sich selbst Orientierung geben. Dies erfordert Selbst- und Metareflektion, kurzum einen Reifungsprozess.

Ihr habt das im Eigenversuch mit den zwölf Mitarbeitern von betterplace lab ausprobiert. Wie war das für Euch, auf eine hierarchiefreie Organisation umzustellen?

Inspiriert von der Lektüre des Buchs Reinventing Organizations von Frédéric Laloux, bin ich 2015 als Leiterin des Labs zurückgetreten. Wir haben alles mit unserem Coach Bettina Rollow entwickelt, die uns bis heute begleitet. Wir konnten feststellen, dass geteilte Führung kein Kinderspiel ist. Auch hier braucht es eine ganze Menge an Selbstkontakt, Reflexion, Austausch und geteilte Vision. Das ganze Team musste sich mit agilen Organisations- und Führungsstrukturen beschäftigen. Transparente Gehälter, selbstbestimmte Arbeitszeiten und hierarchiefreie Entscheidungen inklusive. Als ehemalige Chefin war es aber auch schön, nicht mehr die Verantwortung alleine tragen und den finanziellen Druck aushalten zu müssen, der mit jeder unternehmerischen Tätigkeit einhergeht. Falls jemand dazu Fragen hat, geben wir auch hier gerne unsere Erfahrungen weiter.

Danke für das Gespräch.