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Foto: Sam Balye.

Wie rassistisch ist der deutsche Lehrplan? – Ein Offener Brief

Wo beginnt die Arbeit gegen Rassismus und Diskriminierung? Die Journalistin und Qiio-Autorin Marieke Fischer hat einen offenen Brief an ihre eigene Schule geschrieben. Darin verweist sie auf die Bildungslücken rund um die deutsche Kolonialgeschichte. Mit ihrer Erlaubnis dürfen wir ihn hier veröffentlichen. 

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An die Lehrer_innen der …, an die Schulleitung …,

Sie alle haben die Nachrichten um die Ermordung George Floyds in Minneapolis verfolgt. Sie alle haben gesehen, welche Wirkkraft dieser weitere Fall von Polizeigewalt gegen eine unschuldige Schwarze Person auch in Deutschland hat: Am Wochenende waren hunderttausende Menschen auf den Straßen, um Solidarität zu bezeugen, um zu zeigen, dass Rassismus vor der eigenen Haustür genauso eine tödliche Gefahr für BIPoC (Black, Indigenous, People of Colour) darstellt.

Es ist keine neue Bewegung, die sich hier unter der Führung von BlackLivesMatter-Aktivist*innen formiert. Dass Rassismus ein gravierendes Problem in Deutschland war und ist, beweisen rechte Terroranschläge, die mangelnde Aufklärung des NSU-Komplex, Statistiken über Schwarze Menschen, die in Polizeigewahrsam verstorben sind, die Stimmen Betroffener, wenn sie von struktureller Diskriminierung und täglichen Mikro-Aggressionen erzählen. Doch hat die mediale Berichterstattung und die Flut an Social Media-Posts ein weitreichendes anti-rassistisches Momentum kreiert, das nun die Tür für eine längst überfällige systemische Veränderung öffnet.

Und diese Veränderung muss von Ihnen mitgetragen werden.

Die Institution Schule soll ein verletzungsfreier Ort der Bildung sein. Ein Ort, an dem kritisches Denken gelehrt wird. Ein Ort, an dem ein Verständnis für die komplexen Zusammenhänge der Welt vermittelt wird. Aus meiner eigenen Erfahrung und den Erfahrungen vieler anderer, mit denen ich mich in den letzten Tagen ausgetauscht habe, muss ich bedauerlicherweise feststellen, dass dies nur bedingt zutrifft.

Wie ist es möglich, dass die deutsche Kolonialgeschichte, der Genozid an den Herero und Nama, die brutale Niederschlagung des Maji Maji-Aufstands verschwiegen wird?

Warum wird das Zeitalter der Aufklärung als Hochphase der Vernunft zelebriert, ohne die rassistische Ideologie Kants zu reflektieren?Wieso wird die eurozentristische, weiße, männliche Geschichtsschreibung als die unmarkierte Norm hingenommen?Was sagt es über eine Bildungsinstitution aus, die in Lehrmaterialien rassistische Stereotype durch Darstellung und Sprache reproduziert, die Schwarze Menschen und Personen of Colour unsichtbar macht?

Wieso findet keine explizit anti-rassistische Sensibilisierung statt?

Ich bin mir bewusst, dass Sie Teil eines Systems sind, das sich nach den Anweisungen des Bildungsministeriums und dem vorgeschriebenen Kerncurriculum richtet. Doch Sie tragen die Verantwortung zuzuhören, einzustehen, Veränderung voranzubringen. Es ist eine Verantwortung, die weiter reicht als das Vermitteln von einseitigem Schulbuchwissen. Sie müssen mithelfen, die Tür aus ihren Angeln zu heben. Jetzt.

Mit erwartungsvollen Grüßen,

Marieke Fischer

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Wie war eure Erfahrung mit dem Lehrplan? Wie viel wurde über den deutschen Kolonialismus und den europäischen Sklavenhandel gesprochen? Wenn ihr möchtet könnt ihr auch wie Marieke diesen Brief an eure Schule schicken. Außerdem gibt es gerade diese Petition auf Change.org, die konkrete Forderungen für mehr historische Aufarbeitung und Antirassismus im Bildungssystem an die deutsche Politik richtet.