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Collage: Paula Günther (Qiio Magazin), Screenshot und Logo/Wikimedia Foundation (CC BY-SA 3.0), Donna Strickland/Bengt Nyman (CC BY 2.0), Clarice Phelps/U.S. Department of Energy (PD), Sarah Tuttle/privat (CC BY-SA 4.0), DariaDaria/Manfred Werner-Tsui (CC BY-SA 3.0)

Wikipedia – Haben Biografien von Frauen keinen Platz in der Online-Enzyklopädie?

Die Löschung des Wikipedia-Eintrags der österreichischen Aktivistin und Influencerin DariaDaria wirft neues Licht auf ein altes Problem: Sexismus, der Frauen unsichtbar macht.

Madeleine Darya Alizadeh, auch bekannt als „DariaDaria“, steht seit über einem Jahrzehnt immer wieder in der Öffentlichkeit. Egal, ob durch Kritik an Europas Flüchtlingspolitik, an Bodyshaming oder Rassismus – DariaDaria macht sich dafür stark, diese Themen öffentlich anzugehen, selbst wenn sie dafür regelmäßig kritisiert wird. Als Unternehmerin und Influencerin leitet sie außerdem nicht nur ein eigenes Label mit nachhaltigen Produkten, sie gibt ihr Know-How auch auf Instagram weiter und klärt über Fair Fashion Optionen, Body Neutrality und Feminismus auf. Erst 2019 trat sie für die Grünen bei der Wahl fürs Parlament an. 

Vor kurzem hatte DariaDaria auch einen deutschsprachigen Wikipedia-Artikel über ihre Person. Doch dieser wurde am 25. Januar 2023 gelöscht, mit der Begründung: „Aus dem Artikelinhalt ist keine enzyklopädische Relevanz der Biografie ersichtlich.“ Veröffentlichungen, Projekte und Auszeichnungen der Österreicherin werteten einige Wikipedia-Administrator:innen eher als Selbstdarstellung, Werbung oder PR-Maßnahme.

Wie sie ihren rund 330.000 Followern auf Instagram mitteilte, schaute sich DariaDaria den Bearbeitungsverlauf ihres Wikipedia-Eintrags an, um herauszufinden, wer ihre Biografie aus der Online-Enzyklopädie entfernen ließ. Und, oh, wie überraschend: Es waren wohl vor allem männliche Nutzer, die die Löschung befürworteten. „Männer, die offensichtlich ein Problem damit haben, wenn eine Frau wie ich in einer Enzyklopädie steht“, sagt DariaDaria in einer Instagram-Story dazu.

Vor kurzem hatte DariaDaria noch einen deutschsprachigen Wikipedia-Artikel über ihre Person. Doch dieser wurde am 25. Januar 2023 gelöscht, mit der Begründung: „Aus dem Artikelinhalt ist keine enzyklopädische Relevanz der Biografie ersichtlich.“ Bild: Screenshots Instagram-Stories von Madeleine Darya Alizadeh (@dariadaria)

Wikipedia bestreitet das. Es seien „die sich als Frauen deklarierenden Benutzer*innen [gewesen], die für erneutes Löschen plädierten, während die (wenigen) Stimmen, die für Behalten votierten, männliche Benutzer waren.“ Beim Durchklicken der Benutzer:innen aus der Löschdiskussion zeigt sich vor allem eins: Konkret für das Löschen haben überhaupt nur zwei Nutzer:innen (offenbar ein Mann und eine Frau) gestimmt. Es fallen zudem mehrere nachvollziehbare Argumente, weshalb der Artikel nicht gelöscht werden sollte. Warum der Artikel auf dieser recht dünnen Basis dennoch direkt durch einen männlichen Administrator gelöscht wurde, bleibt also fragwürdig.

Die lange Geschichte der unsichtbaren Frauen

Als Reaktion erhält die Unternehmerin und Autorin nach eigenen Aussagen unzählige Nachrichten anderer Frauen, deren Einträge ebenfalls aus Wikipedia entfernt wurden – trotz ihres Renommees, ihren Erfolgen und ihrer Leistungen in Wissenschaft, Gesellschaft oder Politik. Traurigerweise bestätigt dieser aktuelle Fall der österreichischen Unternehmerin nicht nur ältere bekannte Geschichten von weiblichen Biografien, die von männlichen Nutzern gelöscht wurden. Er macht auch deutlich, dass DariaDarias Erfahrung kein Einzelschicksal ist und Wikipedia im Jahr 2023 immer noch ein Problem mit Sexismus hat. 

„Nur, um das mal klarzustellen“, meint sie in einer weiteren Instagram Story, „jeder Fußballspieler, auch wenn er aus der 7. Liga ist, ist auf Wikipedia. Aber eine Frau, die einen Spiegel-Besteller geschrieben hat, mehrere Unternehmen führt und in der Politik kandidiert hat, hat es nicht verdient auf dieser Plattform zu sein. Und daran erkennt man wieder, wie schwierig es ist, sich diesen Platz zu erkämpfen. Es ist unfassbar.“ 

Frauen und ihre Leistungen aus der Öffentlichkeit zu drängen, ihre Leben unsichtbar zu machen, ist kein neues Phänomen. Die Forschung hat dafür bereits seit fast drei Jahrzehnten einen Namen: der Matilda-Effekt. 1993 benannte die Historikerin Margaret Rossiter die Unsichtbarkeit von Frauen in Wissenschaftsdiskursen nach der Aktivistin Matilda Joslyn Gage, deren Schriften von ihren männlichen Zeitgenossen weitestgehend ignoriert wurden. 

In einem Essay schrieb Rossiter damals: „Jüngste Arbeiten haben so viele historische und aktuelle Fälle von Wissenschaftlerinnen ans Licht gebracht, die ignoriert wurden, denen die Anerkennung verweigert wurde oder die anderweitig aus dem Blickfeld gerieten, dass hier ein geschlechtsgebundenes Phänomen vorzuliegen scheint.“ 

Frauen haben keine enzyklopädische Relevanz

Als DariaDaria Wikipedia auf die Diskrepanz zwischen den Einträgen zu Männern und jenen zu Frauen anspricht, erhält sie die Erklärung, dass Frauen vermeintlich historisch betrachtet „gar nicht die Möglichkeit hatten, etwas zu tun, das enzyklopädische Relevanz begründet“. Das Narrativ von Frauen, die in den letzten Jahrtausenden nicht geforscht, gelehrt, erfunden und gegründet haben, scheint sich bei Wikipedia hartnäckig zu halten. 

Dabei ist sich Wikipedia durchaus bewusst, dass die Biografien von Frauen einen zu geringen Anteil auf der Plattform ausmachen (Stand heute gerade einmal 17,3 %). Der sogenannte „Wikipedia Gender Gap“ wird sogar in einem eigenen Wikipedia Eintrag der englischsprachigen Version thematisiert. Und auch den uns mitgeteilten Umstand, dass „nach Löschdiskussionen eher Artikel über Männer als über Frauen gelöscht [werden]“, ordnet Wikipedia richtig ein: nämlich als „ein Indiz für den großen Nachholbedarf bei Wikipedia-Artikeln über Frauen“. 

Doch solange Biografien wie die von DariaDaria und all den Frauen, die sich bei ihr gemeldet und Ähnliches berichtet haben, weiterhin gelöscht werden – wie soll diese Lücke tatsächlich geschlossen werden? Eine wirkliche Antwort findet sich auch in den Erklärungsversuchen von Wikipedia nicht. 

Wann ist man für Wikipedia relevant?

Natürlich kann nicht jeder Mensch einen Wikipedia Eintrag haben. Das würde die Idee einer gemeinnützigen Enzyklopädie, als Gütesiegel für relevante Informationen verzerren. Daher formuliert Wikipedia Relevanzkriterien für Personen. Bei der Beschreibung potenziell relevanter Personen ist dabei aber nur die Rede von Autoren, Herausgebern, Fotografen und Co. – gendergerechte Sprache und Inklusion scheinen keine Rolle zu spielen. 

Die Kriterien lassen außerdem sehr viel Spielraum, um nach persönlichem Gutdünken zu urteilen, ob jemand einen Eintrag verdient oder nicht. Anschließende Löschdiskussionen, in denen etwaige Grenzfälle geklärt werden, sind auch nicht frei von Subjektivität: Laut Wikipedia gibt es „einen gewissen Entscheidungsspielraum des abarbeitenden Administrators“. Wie leicht dieser Entscheidungsspielraum zuungunsten der Sichtbarkeit von Frauen entscheiden kann, macht DariaDarias Fall mehr als deutlich.  

Headerbild (Collage): Paula Günther (Qiio Magazin), Screenshot und Logo/Wikimedia Foundation (CC BY-SA 3.0), Donna Strickland/Bengt Nyman (CC BY 2.0), Clarice Phelps/U.S. Department of Energy (PD), Sarah Tuttle/privat (CC BY-SA 4.0), DariaDaria/Manfred Werner-Tsui (CC BY-SA 3.0)