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Einmal Yoga, bitte! – Kulturelle Aneignung & die Yoga-Industrie

Wenn wir im Westen Yoga praktizieren, dann gehen wir oft als Kund:innen mit einer Erwartungshaltung auf die Matte. Ob wir geistige Kolonisator:innen sein wollen, die Yoga zum Produkt machen, oder spirituelle Sinnsuchende, das entscheidet unsere Einstellung.

Das Bild von Yoga im Westen hat sich in den letzten Jahren drastisch verändert. Aus der piefigen Aktivität für Hippies ist eine hippe Sportart geworden, die einen milliardenschweren Markt hervorgebracht hat. Schaut man sich auf Instagram um, sieht man, dass Yoga nicht nur gesund, sondern auch fotogen ist. Hashtags gibt es viele und Yoga-Lehrer:innen vermarkten sich dort mit einer Mischung aus spirituellen Weisheiten und akrobatischen Yoga-Posen. Der Hashtag #yogaeveryday wurde auf der Plattform bereits mehr als 10,6 Millionen Mal benutzt. Er zeigt das Bild von Yoga in der Gegenwart: fancy Leggings, coole Matte, inspirierender Text über das Leben.

Yogalehrer:in als Sales-Agent:in der Entspannung?

So gibt der BDY (Berufsverband der Yoga-Lehrenden in Deutschland) in einer Studie an, dass sich 90% der Praktizierenden durch Yoga besser fühlten. Die Steigerung des allgemeinen Wohlbefindens, die Stressreduktion und die bessere Fähigkeit sich zu konzentrieren: Sie alle sprechen für Yoga und seine Wirkung. Wenn Kund:innen in ein Studio  gehen, um dort 90 Minuten Entspannung zu konsumieren, dann machen wir Yoga zum Produkt. Wenn wir uns nur dem körperlichen Aspekt des Yogas widmen und vergessen, aus welchem kulturellen Kontext die Praxis stammt, dann eignen wir uns Yoga aus einer distanzierten Haltung heraus an. In dieser stehen wir als westliche Konsument:innen aber unweigerlich.

Ist die Yoga-Industrie kultureller Kolonialismus?

Den Kulturwissenschaften entlehnt, kommt in Debatten um Yoga immer wieder ein Begriff auf: Cultural Appropriation. Das ist die kulturelle Aneignung von Praxen, oft aus ehemaligen Kolonien, aus einer westlichen Machtposition heraus. Aus dieser Perspektive kann Yoga durchaus ein Fall von kultureller Aneignung sein. So wird aus der Praxis ein Produkt, das sich vermarkten lässt, ohne auf dessen kulturellen Kontext zu achten. Heißt das jetzt, dass sich alle weißen Menschen, die mit einem Yoga-Studio Geld verdienen, sich der geistigen Kolonialisierung schuldig machen?

Eine Universität in Kanada strich bereits einen Yoga-Kurs vom Stundenplan, weil der Kurs unter Cultural Appropriation fiele. Das Internet diskutierte heiß, der Vorfall machte weltweit Schlagzeilen. Die Zeitung Times of India berichtete über den Vorfall in Form einer Meldung in der Sparte “Mad, Mad World” – der Abteilung für Kurioses. Der lockere Umgang eines indischen Mediums mit diesem Thema zeigt: Wie bei allen Diskussionen um Privilegien und Macht, gibt es auch Vorfälle, in denen Überreaktion das Handeln bestimmt. Die Lehrerin, die den Kurs betrieb, schlug im Laufe der Debatte vor, den Kurs in “mindful stretching” umzubenennen. Auch das ist eher ein semantischer Unfall, als eine angemessene Beschreibung für das, was Yoga für Praktizierende, auch im Westen, sein kann.

Yoga – Philosophie ist mehr als nur #instaworthy

Wenn wir von Yoga sprechen, dann sprechen wir von einer spirituellen und körperlichen Praxis, die seit vielen tausend Jahren von Lehrer:innen auf ihre Schüler:innen übertragen wurde. Dabei ist Asana, der körperlich Aspekt des Yogas, nur einer von 8 klassischen Stufen, die Yoga umfasst. Die sieben anderen Aspekte beschäftigen sich mit Philosophie, Ethik und Meditationstechniken. Geistesgeschichtlich stammt die Praxis des Yogas aus einer Vielzahl von Quellen. Dadurch gibt es kein einheitliches System und Yoga hat sich immer wieder den Kontexten angepasst, in denen es praktiziert wurde. Ab dem späten 19. Jahrhundert gab es die ersten Yogis, die in den Westen reisen, allen voran die USA. Ein bekanntes Beispiel ist Paramahansa Yogananda, dessen Buch “Autobiography of a Yogi” bis heute ein Klassiker ist. Dort beschreibt er, wie er auf den Wunsch seines Gurus hin, in den Westen reist und Yoga-Zentren gründet. Für ihn war Yoga ein Geschenk an die Menschheit, an dem alle teilhaben dürfen.

Kulturelle Wertschätzung statt Aneignung

Gehen wir heutzutage auf die Matte, um den Weg zu uns selbst zu finden, lassen uns auf mehr als nur ein Workout ein, dann eröffnet Yoga ganz neue Perspektiven. Für Yoga brauchen wir keine teuren Leggings, keine fancy Matte oder andere Gadgets. Ein:e gute:r, vertrauenswürdige:r Lehrer:in und eine regelmäßige Praxis reichen vollkommen aus. Wenn wir heute, in diesem Moment, von seinem Potenzial profitieren wollen, dann sollten wir uns von der Idee verabschieden, dass es nur um ein Workout oder fixe Entspannung geht. Yoga wird die Ursachen von Stress nicht lösen, aber kann dabei helfen, neue Perspektiven auf das Leben zu gewinnen. Lassen wir uns auf den philosophischen und ethischen Aspekt von Yoga ein, eröffnet sich eine ganz neue Welt. Öffnen wir uns für die Tiefen unseres Bewusstseins, kann das Leben eine ganz neue Fülle bekommen. Für diese Erfahrungen gibt Yoga uns neue Techniken an die Hand, die wir erlernen können. Sie fangen mit körperlichen Übungen an und gehen bis hin zur Meditation. Es liegt also an unserer Einstellung: Wollen wir als Kund:innen ins Studio gehen oder wollen wir uns auch außerhalb der 90-minütigen Kurse mit Yoga beschäftigen? Dann kann aus der kulturellen Aneignung ein kultureller Austausch werden. Und genau das ist, was Yoga seit Jahrtausenden lebendig hält.

Yoga kann helfen, das eigene Leben zu entschleunigen. Warum wir heute gestresster sind als je zuvor, obwohl neue Technologien ständig versprechen, uns Zeit zu sparen – darum geht es u.a. im Kompendium Entschleunigung.