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Foto: Jonas Verstuyft

Zurück in die Zukunft – Zukunftsforschung erhellt die Gegenwart

War gestern eigentlich wirklich alles besser oder empfinden wir das nur so, weil das Morgen dem Untergang geweiht scheint? Die Zukunftsforschung entwirft Modelle, die keineswegs nur apokalyptisch sind – und spendet vielleicht ein bisschen Trost für die düsteren Ausblicke der Gegenwart.

Die Zukunft ist nicht mehr das, was sie mal war. Vor allem für Millennials ist ein Blick in die Zukunft oft mit Ängsten und Unsicherheit verbunden. Die Werte unserer Eltern – Wachstum und Wohlstand für alle – scheinen in Zeiten von Trump, Brexit, Ungleichheit, Terroranschlägen und Klimawandel für die Zukunft unserer Gegenwart nicht mehr gültig zu sein.

Ist der Gedanke an eine bessere Zukunft eine Haltung der Vergangenheit?

Zukunftswissenschaften stützen auf unterschiedliche methodische Ansätze, etwa die Delphi Technik. Das soll weit mehr sein, als ein Blick in die Kristallkugel. Foto: Michal Lomza

Retrotopia

Kein Wunder, dass sich in Anbetracht dieser pessimistischen Zukunftskultur viele stattdessen nach einer besseren und einfacheren Vergangenheit zurücksehnen. „Zurück zum Stammesfeuer“ oder Retrotopia nennt der vor kurzem verstorbene Soziologe und Philosoph Zygmunt Bauman diese gesellschaftliche Nostalgie, die sich auch am globalen politischen Rechtsruck ablesen lässt. „Make America Great Again“ – Trumps Slogan symbolisiert diese Rückwärtsgewandtheit präzise. Zurück zu den alten Errungenschaften statt auf zu neuen Welten, denn die Menschen fühlen sich wie Bauern in einer Schachpartie, „die jemand spielt, die wir nicht kennen und niemals kennen werden“, analysiert Bauman. Die Reaktion auf das Ungewisse unserer Gegenwart und Zukunft ist eine Flucht in die Vergangenheit, die in Nostalgie getränkt wird.

Dabei kann unsere Zukunft durchaus vielversprechend – und vor allem: gestaltbar – sein, wenn man sie nicht nur den Dystopen überlässt.

Future Sciences oder die Kunst, Zukunft zu machen

An der renommierten Freien Universität in Berlin hat es sich das Institut Futur zur Aufgabe gemacht, etwas Licht ins Dunkel der Zukunft zu bringen.

Beim Studium der Zukunftsforschung – übrigens ein einzigartiger Masterstudiengang in Deutschland, den Studenten privat mitfinanzieren müssen – geht es aber weder darum, die Welt von Morgen schön zu malen, noch um eine Beschwörung der Apokalypse.

Vielmehr wird systematisch erforscht, was in Zukunft möglich ist, welche Zukunft unsere Gesellschaft überhaupt will (oder wollen sollte) und wohin sie, basierend auf unserer Gegenwart, eventuell hinsteuert.

Nicht nur die Methodik ist wichtig, auch der Miteinbezug von gegenwärtig bestimmenden Paradigmen lässt einen Blick ins Morgen zu. Foto: Oleksii Khodakivskiy

Der Studiengang stützt sich dabei auf unterschiedliche methodische Ansätze. Interessant ist etwa die Delphi-Technik, benannt nach dem berühmten Orakel: Experten werden in mehreren Durchgängen zu einer komplexen Problemstellung einzeln schriftlich befragt. Unterschiedliche Beurteilungen von Eintrittswahrscheinlichkeiten möglicher Ereignisse in der Zukunft werden miteinander konfrontiert. Irgendwann konvergieren die Schätzungen der Werte, da die „überzeugendsten“ Argumente sich langfristig wahrscheinlich eher halten. Die Annahme ist, dass Experten die Zukunft besser kennen als andere.

Stefanie Ollenburg, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut, hält Methodik zwar für wichtig, aber vor allem gehe es um „eine gewisse Haltung gegenüber der Fragestellung“ – wie kann man Zukunft erforschen? Statistiken und ihre heuristischen Auswertungen sind sicherlich interessant, aber auch politische, gesellschaftliche und technische Paradigmen werden in Theorie und These einbezogen. Methoden aus Kunst- und Sozialwissenschaften öffnen das Fach in viele Richtungen.

„Jede Person, jede Branche und jedes Feld hat eine Zukunft. Man muss kein Science-Fiction Fan sein, um Zukunftswissenschaftler*in zu werden“, sagt Futorologie-Student Diego Dametto.

Deshalb wird auch nicht nur die Möglichkeit einer Zukunft am Institut erforscht, sondern verschiedene Zukünfte; Versionen, Modelle und Szenarien, die auf Fakten und Thesen von Gegenwart und Vergangenheit basieren. Und diese, so der derzeitige Futurologie-Student Diego Dametto, basieren eben auch auf persönliche Annahmen. „Jede Person, jede Branche und jedes Feld hat eine Zukunft. Man muss kein Science-Fiction Fan sein, um Zukunftswissenschaftler*in zu werden“, so Dametto. Er untersucht derzeit, wie technische Algorithmen in den sozialen Medien die öffentliche Meinung beeinflussen können. Andere erforschen, ob die Demokratie in 20 oder 30 Jahren noch Bestand hat, oder welcher Einfluss der demografische Wandel auf unseren Alltag haben wird.

So bunt, wie die Szenarien am Ende sind, sind auch die Lebensläufe der Studenten. Diego hat in Italien Philosophie studiert und war als Digital Analyst in einer Berliner Agentur beschäftigt; Stefanie war Kreativdirektorin in internationalen Agenturen und suchte eine neue Aufgabe, die sie auch persönlich weiterbringen würde (und die Welt nebenbei auch). Es ginge eben nicht nur um kurzfristige Trends, wie sie von fast allen großen Unternehmen sowieso schon für den Markt berechnet (und manchmal auch erschaffen) werden – „so eine Kampagne dauert ein Jahr und ist dann vergessen“ – sondern um langfristige Veränderungen. Was kommt, was bleibt und was geht?

Obwohl das Institut Futur zum Lehrstuhl der Erziehungswissenschaften gehört, werden die meisten Studenten später als Berater in der Wirtschaft arbeiten. Foto: Tom Parkes

Heute ist schon Morgen

Das Institut Futur in Berlin ist dem Lehrstuhl Erziehungswissenschaften zugeordnet, was auf den ersten Blick etwas paradox erscheint. Die meisten Dozenten sind aus der Privatwirtschaft; die meisten Studenten werden zu Beratern. Die Nachfrage ist groß, denn vor allem in der Wirtschaft ist eine Karte der Zukunft sehr nützlich, um eigene ökonomische Interessen zu navigieren.

Doch der didaktische Überbau ist durchaus sinnvoll. Stefanie betreut zum Beispiel das Projekt beFORE, welches zukunftsorientiertes Handeln und Denken an Studenten und junge Gründer vermittelt, um eben jenes Bewusstsein für das, was uns eines Tages erwarten wird, zu schulen.

Zukunft wird auf diese Weise wieder greifbarer: sie passiert nicht nur, sondern lässt sich erschaffen. Dieses Selbstbewusstsein über das eigene Handeln könnte auch hilfreich dabei sein, endlich den Blick von der Vergangenheit zu lösen und der Gegenwart die Deutungshoheit zurückzugeben.

Die Zukunftsforschung kann zwar keine verlässlichen Prognosen über die Welt von Morgen liefern, aber sie erschafft einen vorwärtsgewandteren Umgang mit der Gegenwart. Eine Gegenwart aus Hier und Jetzt statt Ewig-Gestrigem.