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Foto: Anna Shvets

Alltags-Chemikalien als Auslöser für Übergewicht entdeckt

Neue Forschung legt nahe, dass Übergewicht auch durch Chemikalien in unseren Alltagsprodukten und der Umwelt ausgelöst werden kann. Wenn die Wissenschaftler:innen Recht haben, wäre der Schutz vor diesen Chemikalien extrem wichtig für die Prävention von Übergewicht.

Zu wenig Schlaf, ungesunde Ernährung oder zu wenig Bewegung: So lauten einige der geläufigsten Ursachen für Übergewicht – die Pandemie, über die keiner spricht. In Deutschland sind laut Daten des Robert Koch Institutes rund zwei Drittel (67 %) der Männer und über die Hälfte (53 %) der Frauen übergewichtig, Tendenz steigend. Bis 2030 sollen eine Milliarde Menschen auf der Welt übergewichtig sein – damit hat sich der Anteil an übergewichtigen Menschen weltweit seit den 1970er Jahren verdreifacht. Oft wird Adipositas, also das krankhafte Übergewicht als die stille oder wohl treffender die ignorierte Pandemie bezeichnet. Über 50 Folgeerkrankungen werden mit Adipositas in Verbindung gebracht. Die gesundheitlichen Auswirkungen dieser Entwicklung sind nicht nur belastend für das Individuum, sondern auch für die gesamtgesellschaftliche medizinische Versorgung. Trotz der hohen Anzahl an Betroffenen fehlen ganzheitliche Behandlungsansätze im Gesundheitssystem weiterhin.

Studie bringt Chemikalien mit Übergewicht in Verbindung

Neue Forschung warnt nun vor unsichtbaren in unserer Umwelt, die bisher größtenteils übersehen wurden. Die Forscher:innen der kroatischen Universität Rijeka argumentieren, dass bestimmte Chemikalien in unserer Umwelt Übergewicht begünstigen – und das bereits in niedrigen Konzentrationen. Die Präsenz von industriellen Chemikalien in unserer Umwelt bringt unzählige Gesundheitsrisiken mit sich, chemisch-induziertes Übergewicht war bislang jedoch eine vage Hypothese.

Mit ihrer These ist das Team der Universität Rijeka nicht alleine. Eine weitere Studie, die kürzlich in der Fachzeitschrift Biochemical Pharmacology erschien, berichtet von einer Korrelation zwischen bestimmten Chemikalien und Übergewicht. Konkret geht es um sogenannte Obesogene, einer Untergruppe von Chemikalien, die in vielen Alltagsprodukten wie Tupperboxen, Küchengeräten, Spielzeug, Kosmetik, Plastik, Pestiziden oder auch Putzmitteln vorkommen und längst die Luft und das Wasser kontaminiert haben.

Manipulative Chemikalien

Die Obesogene wirken als sogenannte endokrine Disruptoren. Das bedeutet, dass sie die natürliche biochemische Wirkweise der Hormone stören und dadurch schädliche Effekte wie Gewichtszunahme fördern können. Die Wissenschaftler:innen gehen davon aus, dass diese endokrinen Disruptoren den Stoffwechsel manipulieren, indem sie die Funktionsweise des Fettgewebes, der Leber, der Bauchspeicheldrüse, des Magen-Darm-Traktes und sogar des Gehirns ändern.

So können sie beispielsweise die Anzahl der Fettzellen erhöhen, mehr Fett in bestehenden Fettzellen lagern, dafür sorgen, dass mehr Fettzellen produziert als zerstört werden oder Appetit und Völlegefühl modifizieren. Das Verzwickte an dem Befund: Die verwundbarste Phase für die Aktivität von Obesogenen ist bereits im Uterus und in der frühen Kindheit. Epigenetische Vererbung und Veranlagung haben also eine Auswirkung darauf, wie anfällig wir für diese Chemikalien und somit auch für Übergewicht sind. 

Je größer die Ungleichheit in einem Land, desto mehr Adipositas ist dort vorhanden. Bild: The Spirit Level, Wilkinson & Pickett, Penguin 2009.

Der Adipositas-Experte Bruce Blumberg der University of California ist sich sicher: “Obesogene tragen zur Adipositas-Epidemie bei. Die Schwierigkeit besteht aber darin, zu determinieren, welcher Aspekt von Übergewicht mit den Chemikalien verbunden ist”, so Blumberg. Denn bisher existieren noch keine Tests, die nachweisen können, wie genau Obesogene menschliche Organe manipulieren können.

Wenn die Forscher:innen Recht haben, ist der Schutz vor den Chemikalien Schlüssel zur Prävention von genetisch begünstigtem Übergewicht. Deshalb ist es für die Zukunft wichtig, die Adipositas-Epidemie genauso ernst zu nehmen wie andere Epidemien. Denn eine chronisch fettleibige Gesellschaft hat enorme soziale und wirtschaftliche Auswirkungen, wie Erkrankungen, krankheitsbedingte Produktivitätsverluste und vorzeitiger Tod – ganz zu schweigen von der geringeren Lebensqualität. 

Fraglich ist aber, wie eine Prävention aussehen soll – sind die Chemikalien doch längst in der Luft, die wir atmen und den Gewässern, die wir trinken. Ob es überhaupt möglich ist, die Umwelt von den Chemikalien zu befreien, die womöglich für immer dort bleiben sollte unbedingt erforscht werden.