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Aya Jaff – Spagat zwischen Kapitalismuskritik und Finanztipps

Gründerin, Finanz-Autorin und Keynote Speakerin – Aya Jaff ist aus der Finanzwelt nicht mehr wegzudenken. Ihr Credo: Die Börse ist nicht nur für die Wölfe an der Wall Street da. Ihr Engagement für soziale Gerechtigkeit und finanzielle Bildung zeigt den gekonnten Stretch zwischen Finanzen und Aktivismus.

Egal ob man Aya Jaff auf Instagram folgt, sie auf einer Konferenz sprechen hört, oder mit ihr persönlich spricht, wie wir, eins wird sofort klar: Aya Jaff ist ein Phänomen. Ein Phänomen, das sich jedem Klischee entzieht. Techqueen, Börsenguru, Miss Code, egal in welche Schublade die Medien sie in den letzten Jahren stecken wollten, hat sie mit einer neuen Facette aufgetrumpft und ihre Spitznamen obsolet gemacht.

Im kurdischen Teil des Irak geboren, kam Aya Jaff im Alter von drei Jahren mit ihren Eltern nach Deutschland. Schon als junges Mädchen begann sie sich für‘s Programmieren und für die Börse zu interessieren. Aus dem Interesse wurde eine Karriere: Mit 19 Jahren ging Jaff mit einem Kurzstipendium ins Silicon Valley, gründete wenig später ihr erstes Start-Up und schrieb kurz darauf den Bestseller Moneymakers. 2019 nahm das Forbes Magazin sie in die „30 under 30” Liste auf.

Am 20. Juli war Jaff zu Gast beim Instagram-Live von Handelsblatt und Deutsche Bank auf dem Instagram-Account vom Handelsblatt. Im Interview mit Qiio spricht Jaff darüber, wie man das Investieren mit sozialer Gerechtigkeit verbinden kann und warum Karl Marx leider nicht mehr aus dem Grab auferstehen wird, um den Kapitalismus abzuschaffen.

Aya, wie wäre die Finanzwelt, wenn mehr Frauen beteiligt werden?

Ich glaube, für mich wäre die Frage eher, was würde sich durch die Einstellung von Frauen am Finanzmarkt verändern. Dazu muss man auch sagen: Frauen sind nicht immer Feministinnen und Männer tatsächlich öfter als gedacht feministisch eingestellt. Aber ich glaube, die Finanzwelt wäre durch die Beteiligung von mehr Frauen viel zugänglicher für beide Seiten. Als ich damals angefangen habe, gab es nur ein Buch, Madame Moneypenny, das den Durchbruch geschafft hat. Ansonsten war dieses female Business, vor allem female Aktienhandel oder Börse nicht existent. Ich wollte für mein Buch auf jeden Fall Frauen interviewen, aber ich wollte nicht, dass dieses Buch nur an Frauen gerichtet ist. Ich glaube, es wird allein schon durch die Existenz eines Covers, wo eine Frau drauf ist, eher von Frauen wahrgenommen – aber es extra für Frauen zu machen, das habe ich für mich nicht eingesehen.

Nur weil bei Money Makers eine Frau auf dem Cover ist, bedeutet es nicht das es nur Frauen lesen dürfen.

Was hat dich dazu bewegt, Moneymakers zu schreiben?

Die Message war, dass wirklich jede:r mit dem Investieren anfangen kann. Ich war häufig in Räumen, in denen ich entweder die einzige Frau oder die einzige Frau mit Migrationshintergrund war. Ich habe mich ziemlich früh – so mit 16, 17 in diesen WHU-Elite-Kreisen [Anm. der Red.: WHU ist eine private Eliteuniversität in Vallendar bei Koblenz] bewegt, in denen ich mich eigentlich nie gesehen hatte. Dort habe ich dann gehört, wie Onkel und Tanten ihre Kinder für dieses Börsenplanspiel angemeldet haben, was ich mit aufgebaut habe. Und ich war so, what? Du bist gar nicht aus freiem Willen da? Deine Eltern haben dich dafür angemeldet? Da habe ich bemerkt: Krass, dieses Privileg hatte ich gar nicht so.

Worauf legst du beim Investieren wert? Was sind deine persönlichen Strategiebausteine?

Meine Strategie war schon immer Langfristigkeit. Wenn ich in mein Portfolio schaue, dann sind über 90 % meiner Investments auf lange Sicht ausgerichtet, sprich mindestens fünf Jahre. Ich will nichts verkaufen, was ich nicht noch länger halten kann. Generell habe ich aber auch immer ein wenig Risiko, weil ich auch manchmal Einzelaktien kaufe und nicht nur in Fonds investiere. Das macht für mich Sinn, wenn ich das Gefühl habe, ein bestimmtes Unternehmen ist jetzt im Kommen. Da höre ich auf mein Bauchgefühl. Dann liest man sich rein und lernt den Markt besser kennen. Aber in meinem Portfolio befindet sich kein Unternehmen, mit dem ich mich nicht beschäftigt habe, worüber ich zum Beispiel nur in einem Tweet gelesen habe, dass es steigen wird. Das Risiko ist also in dem Fall sehr kalkuliert, weil ich mich da sehr rein lese. Aber für mich ist alles risikobehaftet, was mit einer Einzelaktie zu tun hat.

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In deinem Buch geht es auch viel darum, gesamtgesellschaftliche Trends zu beobachten und diese in die Investitionsstrategie miteinzubeziehen. Welche gesellschaftlichen Trends spielen für dich zurzeit eine wichtige Rolle beim Investieren?

Tatsächlich ist es immer noch sehr von den Trends getrieben, die ich aufgeschrieben hatte. KI zum Beispiel verändert ganze Branchen. Ich glaube nicht, dass die Mehrheit der Unternehmen das überhaupt für sich entdeckt hat. Es wird noch viel mehr Automatisierung auf uns zukommen. Dadurch, dass KI sehr datenhungrig ist, kann man auf Unternehmen schauen, die dann entweder Daten verarbeiten oder Daten sammeln. Wer die meisten Daten hat, wird das KI-Rennen gewinnen, so betrachte ich diese Trends. Für mich persönlich ist der Krypto-Trend am interessantesten, weil immer etwas Neues dazukommt. Auch das Thema NFT, das per se nicht viel mit Aktien zu tun hat, aber das System Aktie immer mehr simuliert. Hier haben Leute das Gefühl, sie können etwas kaufen und es könnte tatsächlich im Wert steigen. Ich sehe das nicht als Investment per se, denn ein NFT ist auch viel Risiko und Glückssache. Aber allein schon, dass wir sehen, dass auch in der Kryptowelt eine Börse entsteht, von der sich die Leute angesprochen fühlen und da rein investieren wollen, finde ich eine wichtige Entwicklung, die sehr unterschätzt wird. Ich habe Freunde, die ihr erstes Investment in NFTs statt in Aktien gemacht haben. Die neue Generation ist sehr an der Kryptowelt interessiert und deshalb fließt da auch sehr viel Geld rein.

Wobei der Krypto-Hype natürlich auch daran liegen kann, dass viele durch Krypto zu Millionär:innen geworden sind. Aber momentan befindet sich sowohl die Börse als auch der Kryptomarkt in einer Krise. Wie siehst du die aktuelle Lage? Wird sich der Markt dieses Jahr wieder erholen oder bleibt das jetzt erst einmal so?

Tatsächlich bin ich da sehr entspannt. Ja, Krypto hat viele Millionär:innen geboren. Aber wenn du die Zahl auf deiner Seite hast und noch bevor du 20 Jahre alt bist, in die Börse investierst, dann kannst du laut Statistiken so grüne Zahlen erwarten. Dann kannst du ein, zwei Krisen locker wegstecken, einfach nur, weil du langfristig investierst. Ich glaube auch, dass wir jetzt ein bisschen länger in diesem Bärenmarkt bleiben und dass es den Anleger:innen eigentlich schnurzpiepegal sein sollte. In meinem Buch habe ich geschrieben: Investiere Geld, was du auch verlieren könntest. Hab‘ da deinen Puffer, den du nutzt, wenn du deinen Job verlieren solltest, damit du drei bis sechs Monate überleben könntest. Und dann lass das Geld einfach liegen, dann hast du die besten Chancen, mit plus rauszukommen. Aber wenn du immer wieder bei einem Bärenmarkt Angst bekommst und deine Aktien schlecht verkaufst, dann wird daraus nichts. Ich habe gerade nichts verkauft, aber tatsächlich auch noch nichts eingekauft, weil ich noch nicht weiß, ob das jetzt wirklich der tiefste Punkt ist, an dem wir sind. Ich bin auch noch sehr unentschieden, wie lange das so weitergeht.

Du hast in deinem Buch auch empfohlen, dass man meditieren sollte, um besser zu investieren. Was steckt hinter diesem Tipp? Was meinst du damit?

Am Anfang habe ich damit gerungen, ständig auf mein Portfolio schauen zu wollen. Wenn ich Freund:innen das Investieren empfehle und die sich dann eine Trading-App herunterladen, schieben die dann schnell Panik: Oh mein Gott, ich habe gerade investiert und jetzt geht der Markt runter, Scheiße. Die Panik sitzt im Nacken. Alles, was ich eigentlich damit sagen möchte, ist: Hold up, dieses Gefühl, was du hast, ist nur ein Gefühl. Es basiert nicht auf Fakten. Du wirst nicht dein ganzes Geld auf einmal verlieren, wenn du es genauso investiert hast, wie es im Buch steht: Diversifiziert, in verschiedene Branchen, antizyklisch, vor allem aber auch so, dass es dir – solltest du tatsächlich dein ganzes Geld verlieren – immer noch gut geht. Diese Panik, die möchte ich den Leuten ein bisschen nehmen.

Du spricht auch vom Growth Mindset. Was müssen wir uns darunter vorstellen?“

Ich habe mal ein Interview mit Bill Gates gelesen, in dem das Ganze so erklärt wurde: Du hast ein Growth Mindset und ein Fixed Mindset und bist als Mensch eine Mischung aus beidem. Wenn du im Growth Mindset bist, bist du der Meinung, dass du alles erlernen kannst, dass deine Fehler nicht permanent sind, dass du an dir selber arbeiten darfst. Im Fixed Mindset denkst du: Meine Fähigkeiten sind angeboren, ich muss ein Talent dafür haben oder eben nicht. Ich bin so, wie ich bin, ich kann mich gar nicht verändern. Dann tendiert man eher dazu, die Umgebung um sich herum so zu akzeptieren, wie sie ist, weil man daran glaubt, dass man nicht die Kraft hat, Dinge zu verändern. Bei jedem kleinen Rückschlag wird man demotiviert und denkt, man könne Dinge nicht mehr beeinflussen. Mir war es wichtig, über diese zwei Mindsets zu sprechen, weil ich es sehr sympathisch fand, dass man beides besitzen kann und dass es nicht entweder oder ist; dass man wirklich daran arbeiten kann, ins Growth Mindset zu kommen. Wenn Leute mir klar machen wollen, dass ich irgendwas nicht kann, dann sage ich zu mir selbst: Ich kann das noch nicht. Oder: Ich kann mir das anlernen, aber vielleicht ist es gerade nicht meine Priorität. Oder: Ich bin zwar schlecht in Mathe, aber nicht, weil ich mit einer Matheschwäche geboren bin, sondern weil ich nicht so viel Zeit darein investiert habe, Mathe zu erlernen. Auch beim Investieren gehört das dazu: Es werden immer Investments dabei sein, die den Bach runtergehen. Und es muss auch okay sein, dass man Geld verliert, das gehört dazu.

Als Teil der Fridays für Bewegung, sprichst dich offen für Nachhaltigkeit, Vermögensumverteilung, bedingungsloses Grundeinkommen und soziale Gerechtigkeit aus. Wie vereinst du deine Kritik am Kapitalismus mit deinem Engagement an der Börse?

Meine Faszination für die Börse hat sehr früh angefangen, inspiriert von Filmen wie Wolf of Wall Street. Wenn man solche Filme schaut, dann versteht man relativ schnell, dass da sehr viel Macht dahinter steckt: Wer wie die Börsenkurse beeinflussen kann und warum bestimmte Entscheidungen gefällt werden, auf der allerhöchsten Ebene.

Dieses Versprechen von ewigem Wachstum herrscht an der Börse und das weiß ich auch zu kritisieren. Aber trotzdem herrscht heute ein großes Machtgefälle zwischen Menschen, die sehr viel Kapital haben und Menschen, die wenig Kapital haben. Was man auch weiß, ist, dass die meisten Menschen, die reich sind, entweder durch Erbschaft oder eben durch Investments reich geworden sind, wie an der Börse, wo du dein Geld anlegst und es für dich arbeitet. Ich hasse diesen Ausdruck eigentlich, aber es ist einfach so: Du machst eigentlich nichts, aber das Geld vermehrt sich dann durch die Weltwirtschaft.

Es gibt auf jeden Fall schwarze Schafe und ich würde auch sagen, an der Wall Street wahrscheinlich noch viel mehr als bei den Kleinanleger:innen. Und diesen Unterschied wollte ich klar machen. Es gibt einen Unterschied zwischen dem Wall Street-Banker, der shady Deals macht und dem Kleinanleger, der versucht, seine Rente aufzustocken. Ich finde, das ist die soziale Verantwortung, die wir haben: Dass wir nicht sagen, der Kapitalismus gehört abgeschafft. Auf jeden Fall hat er seine Fehler. Aber auch heute wird Karl Marx nicht aus seinem Grab aufsteigen, um den Kapitalismus abzuschaffen. Wir müssen mit dem arbeiten, was wir haben. Ich glaube, unsere größte Chance liegt darin, den Menschen zu zeigen, wie der Aktienmarkt funktioniert, damit sie nicht in Armut leben. Vor allem Frauen: 70 % der heute erwerbstätigen Frauen werden später in Armut leben. Für mich gehört auch das zu Nachhaltigkeit: nämlich soziale Nachhaltigkeit.

In deinem TED-Vortrag hast du gesagt, dass du, um eine Gründungsidee zu entwickeln, erst einmal wütend werden musst. Ist das heute immer noch so, arbeitest du immer noch mit dieser Wut, um neue Ideen zu entwickeln?

Es ist tatsächlich nicht immer nur Wut, aber ich arbeite noch mit anderen Energien. Wenn ich merke, ich bin von etwas überrascht und weiß nicht genug über diese Sache, dann lese ich mich ein. Bei mir war es auch mal Angst. Angst, als ich mich in das Thema Börse eingelesen habe und mir dachte: Alter, wie krass unmoralisch sind viele Broker eigentlich? Ich bin der Meinung, dass es Sinn macht, sich während des Tages ein bisschen selbst zu beobachten und zu schauen, wie sich die Laune entwickelt und wann sich die Laune ändert. Das kann ein Indikator für Dinge sein, mit denen man sich auch intuitiv länger beschäftigen möchte.

Findest du, dass Gamification für den Finanzmarkt immer wichtiger wird?

Ich bin nicht dafür, dass man jetzt per se alles „gamifien” muss. Das hat nämlich auch diesen Suchtfaktor – das sieht man in Amerika. Ich bin dafür, dass man Finanzbildung zugänglich erklärt, also mit einfachen Worten. Ob das jetzt durch ein Spiel passiert, durch ein Magazin, ein Buch oder eine gute Unterrichtseinheit in der Schule, das ist mir egal. Am Ende geht es darum, dass die Menschen verstehen, wie das funktioniert. Ich habe schnell gemerkt, dass gerade jüngere Leute denken, sie verstehen die Kryptowelt viel besser als die Börsenwelt. Dabei ist Krypto so viel undurchsichtiger und komplizierter als das, was an der Börse mit ETFs und Co. passiert. Da denke ich mir, wir haben irgendetwas falsch gemacht. Finanzbildung muss an Schulen erklärt werden. Ich habe damals versucht, dieses Problem mit dem Börsenplanspiel zu lösen. Wir sind da auch in ganz viele Schulen gegangen, haben das Buch weitervermittelt, coole Gewinnspiele gemacht und haben viele Student:innen gefunden, die sich das erste Mal damit auseinandergesetzt haben und ihre Anlagestrategien ihren Kommiliton:innen erklären mussten. Das ist das Beste: Wenn du jemanden hast, der selbst neu ist, sich selbst erklären muss und dann einfach nicht die Fachbegriffe benutzt, sondern einfach erklärt, wieso er etwas macht, was dahinter steckt.

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Was wünschst du dir von der Finanzbranche für die Zukunft? Was würdest du gerne ändern?

Was ich gerne sehen würde, wäre, dass sich die Finanzbildung auch mit Geringverdienern auseinandersetzt. Auch ich habe gerade gesagt, dass jede:r es schaffen kann. Aber die Realität schaut einfach anders aus. Ich habe viele Freundinnen, die zwei Jobs haben und das Geld niemals auf die Kante kriegen würden, um überhaupt diesen Puffer zu haben, 3 bis 6 Monate lang ihre Fixkosten zu decken. Das finde ich unglaublich. Ich unterstütze die Organisation Sanktionsfrei e.V., die einen sogenannten „Soli Topf” unterhält. Für diesen „Soli Topf” können Leute spenden und wenn dann zum Beispiel Hartz IV gekürzt wird, werden diese Menschen temporär aus diesem Topf bezahlt. Wie sehr manche Menschen um jeden Euro kämpfen mussten, wurde mir erst bewusst, als ich dieser Organisation gefolgt bin. Mich würde interessieren, wie man Finanzbildung nicht nur an die Mittelklasse richtet, sondern wirklich jede:n mitnimmt. Ich habe damals versucht, es damit wettzumachen, dass ich auf Apps aufmerksam gemacht habe, wo man Spielgeld investieren kann, um einfach ein Gefühl dafür zu bekommen, wenn man aktuell noch nicht das Geld dafür hat oder sich nicht traut. Dadurch kann man zumindest schon mal mit dem Thema warm werden und dann selbstbewusster da herangehen. Aber ich würde viel lieber Projekte sehen, die auch Geringverdienende auf diesem Weg unterstützen. Ich würde auch gerne an einer Lösung arbeiten, die dazu beiträgt und jede soziale Schicht mitnimmt.