Die Pornoplattform Pornhub sorgt mit ihrem neuen erotischen Museums-Guide „Classic Nudes“ für Furore und entfacht nebenbei eine alte Debatte um Kunst und Erotik.
„Ihr wisst es vielleicht nicht, aber da draußen gibt es eine Schatzkiste mit unbezahlbaren Pornos, die nur darauf warten, entdeckt zu werden“, haucht die Feministin, Politikerin und ehemalige Pornodarstellerin Cicciolina im unverkennbaren italienischen Akzent, während Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ im Hintergrund läuft. „Heute werde ich ein kleines Geheimnis für euch lüften“, führt sie fort. „Einige der besten Pornos aller Zeiten gibt es nicht auf Pornhub zu sehen, sondern nur im Museum.“ Dann streift sie im Gehen ihren Morgenmantel ab, um in Hommage an Botticelli als Göttin Venus in einer Muschelschale zu posieren.
Pornhub hat einen Museumsguide herausgebracht. Und der hat es in sich. Die Plattform, die mehr Aufrufe als zoom, ebay oder reddit hat, verleiht in ihrem „Classic Nudes“ Guide alten Museen neuen Sexappeal und begibt sich mit Cicciolina in der Hauptrolle in den Kampf gegen die Prüderie. Die raffinierte Marketing-Kampagne, die Pornhubs durch etliche Skandale beschädigtes Image aufpolieren soll, besticht mit einer kaum bestreitbaren Message: „Pornografie ist vielleicht keine Kunst, aber manche Kunst kann definitiv als Pornografie betrachtet werden.“
Classic Nudes besteht aus mehreren Video- und Audioguides und enthält Kunstwerke des Museo del Prado in Madrid, Musée d’Orsay in Paris, des MET in New York und der National Gallery in London. In den Videos werden pornografische Nachstellungen erotischer Szenen der Kunstwerke gezeigt. So werden Jan Gossaert’s „Adam und Eva”, Gustave Courbet’s „der Ursprung der Welt” oder Franscisco de Goyas „Nackte Maya“ von Pornhubs Marketing-Team zum Leben erweckt. In der Rubrik „Another Perspective“ werden außerdem diverse Kunstwerke aus aller Welt gezeigt, die über den eurozentrischen Tellerrand hinausgehen – so zeigt sich Pornhub deutlich progressiver als die meisten europäischen Museen selbst.
Europäische Museen sind empört
Auch Kunstwerke aus dem Pariser Louvre, sowie den Florenzer Uffizien waren bis vor kurzem noch im Museumsguide vertreten. Doch in Paris und Florenz war man von „Classic Nudes“ nicht besonders begeistert. Nun bahnt sich zwischen dem kanadischen Pornoportal und den beiden europäischen Kunstmuseen ein Rechtsstreit um Urheberrecht an.
Der deutsche Kunsthistoriker Eike Schmidt, der die Uffizien in Florenz leitet, wollte sich zu dem Fall nicht äußern, vermutlich, um gar nicht erst mit dem „Schmuddelportal“ in Verbindung gebracht zu werden. Man sehe eine schwerste Urheberrechtsverletzung in der nicht abgesprochenen Nutzung der Kunstwerke. Auch das Louvre kündigte rechtliche Schritte an: „Pornhub hat von unseren Anwälten gehört“, zitierte das Magazin Daily Beast einen Louvre-Sprecher. Aber geht es hier wirklich um Urheberrechte an Gemälden, deren Urheber*innen seit über siebzig Jahren verstorben sind? Dass Kunst und Erotik manchmal Hand in Hand gehen, dürfte auch für die Museen nichts Neues sein. Worum geht es in diesem kleinen Sommerskandal also wirklich?
Ein Kampf um Traditionen
„Classic Nudes“ scheint nicht nur einen Urheberrechtsstreit, sondern auch eine uralte Debatte um Obszönität, Erotik und Kunst neu entfacht zu haben. Man sollte meinen, dass europäische Museen im Jahr 2021 den erotischen Dimensionen der Kunst aufgeschlossener gegenüber wären und womöglich sogar Pornhubs Guide als Anreiz, Porno-Gucker in die erst kürzlich wiedereröffneten Museen zu locken, begrüßen würden. Stattdessen hagelt es Empörung.
Die Aktivistin Cicciolina kämpft schon seit den 1980ern gegen die Prüderie und das Patriarchat. 1978 war sie die erste Frau, die im italienischen Fernsehen ihre Brüste entblößte. Als Politikerin Italiens erster grüner Partei wurde das Blankziehen ihrer Oberweite zu ihrem Markenzeichen. 1987 wurde sie ins italienische Parlament gewählt, zu einer Zeit, in der in Italien nur knapp 6,5% der Sitze von Frauen besetzt waren. Als „Missionarin der Liebe“ und selbsternannte Sexualerzieherin hielt sie bei Radio Luna ihre eigene Erotiksprechstunde und erklärte jungen Mädchen, dass Masturbation Spaß macht und nichts Schlimmes ist. „Sie waren drauf und dran, den Sender zu schließen und sagten, es sei obszön. Über sowas könne man nicht sprechen“, sagt Cicciolina über den „Skandal“ in einer Arte Dokumentation.
Cicciolinas „Obszönitätsskandale“ aus dem letzten Jahrhundert scheinen durch den Pornhub-Skandal wiedererweckt. Erneut entfacht sie Empörung bei traditionellen Institutionen, die ihre Machtstellung nutzen, um vermeintliche Obszönitäten verschwinden zu lassen. Wenn es nach dem Louvre und den Uffizien geht, darf Kunst nicht als Pornografie betrachtet werden und die Venus nicht einfach anfangen, auf Pornhub zu masturbieren. Was würde Botticelli wohl dazu sagen?
Wo endet Kunst und wo beginnt Pornografie?
Ganz Unrecht hat Pornhub mit seinem provokanten Slogan allerdings nicht, denn die Grenzen zwischen erotischer Kunst und Pornografie sind mehr als schwammig. Schließlich war Erotik lange vor der Kommerzialisierung von Pornografie Bestandteil der Kunst und die Kunst selbst diente als Pornografie, lange bevor es Massenmedien gab. Zumindest in Deutschland wird seit 1990 keine strikte Trennung zwischen Kunst und Pornografie mehr vorgenommen. In den USA ist das anders: Dort wird mithilfe des sogenannten Miller-Tests der Grad der Obszönität eines Kunstwerks festgestellt, der dann darüber entscheidet, ob ein Text oder Kunstwerk erotisch oder pornografisch ist.
Für die schwammige Grenze zwischen erotischer Kunst und Pornografie gibt es mittlerweile sogar ein eigenes Forschungsfeld: die Erotografie. Laut Psychologieprofessor Herbert Selg wird als Pornografie jenes Material definiert, „das sexuell stimuliert oder stimulieren kann, dabei aber deutlich aggressive Anteile enthält, wobei Aggressivität bereits vorliegt, wenn Menschen abgewertet bzw. degradiert werden, ohne dass der Kontext zu einer Reflexion darüber anregt.“ Erotografisches Material hingegen stellt Sexualität ohne Degradierung dar.
Solange Pornografie mit Degradierung und Aggression assoziiert wird, ist es nicht verwunderlich, dass Museen pornografischen Plattformen nicht als Marketinginstrument dienen möchten. Andererseits könnten sie auch genau das nutzen, um erotische Kunst als progressive Pornografie zu fördern, die ohne Aggressionen und Degradierungen auskommt und sich für angemessene Arbeitsverhältnisse von Sexarbeiter*innen und Aufklärung über Sexarbeit, Erotik und Pornografie einsetzt. Stattdessen ziehen sich die beiden Museen lieber die Scheuklappen an, um mit Pornografie bloß nicht in Verbindung gebracht zu werden.
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Da stellt sich die Frage, ob die beiden genannten Museen vielleicht auch mal zur Erotiksprechstunde mit Cicciolina erscheinen sollten. Zweifelsfrei ist „Classic Nudes“ mehr als gutes Marketing für Pornhub. Nicht nur belebt die Kampagne die Debatte um Kunst und Erotik neu, sondern öffnet gleichzeitig erotische Kunst für ein neues Publikum, welches sonst vielleicht einen Besuch im Museum eher als langweilig abgestempelt hätte.