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Bild: Jakob Schwerdtfeger

Ist es Kunst oder kann es Comedy?

Die Kunstgeschichte hält viele absurde Situationen bereit, die der Comedian Jakob Schwerdtfeger mit Humor ausschlachtet. Mit seinem neuen Genre der Kunstcomedy öffnet er die Museumstüren für ein Publikum, dem die Kunst sonst zu elitär ist. Warum Yves Kleins‘ Publikum am Morgen nach seiner Ausstellung blau gepinkelt hat und Schwerdtfeger NFTs lieber den Krypto-Bros überlässt, lest ihr in unserem Interview.

Was ist so lustig an Kunstgeschichte?

Erst mal nichts. Man muss das Lustige erst entdecken. Zum Schrei von Edvard Munch wurde lange vermutet, dass auf dem Gemälde Vogelkot ist. So stand es in einem Ausstellungskatalog, blieb dort aber unkommentiert. Woanders las ich später, dass Munch seine Bilder immer nach draußen stellte. Er nannte das Rosskur. Das Wetter malte mit. So entspann sich die Vermutung, dass die Flecken auf dem Schrei Vogelscheiße sein könnten. Daraufhin sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ernsthaft nach Oslo gereist, haben Osloer Vogelscheiße eingesammelt und ihre chemische Zusammensetzung mit dem Bild verglichen. Nach solchen absurden Situationen muss man in der Kunstgeschichte suchen, dann wird es lustig.

Gab es einen Schlüsselmoment, in dem du gemerkt hast, Kunst und Komik funktionieren gut?

Als ich im Städel Museum in Frankfurt arbeitete, hatten wir eine Ausstellung über den Künstler Ernst Ludwig Kirchner. Sein Spätwerk wurde zunächst nicht richtig angenommen und so hat sich Kirchner einfach seinen eigenen Kritiker namens Louis de Marseille erfunden. Dieser hat in mehreren Aufsätzen Kirchners Arbeit sehr positiv bewertet. Teils sind die Leute erst nach Kirchners Tod dahinter gekommen, dass der Künstler selbst sein bester Kritiker war. Diese Geschichte war der Aufhänger für die Ausstellung im Städel. Für mich war es einer der frühen Momente, in denen ich merkte, dass in der Kunstgeschichte viel Material steckt, das sich mit Humor ausschlachten lässt.

Schaffst du mit der Verbindung von Kunstgeschichte und Comedy ein neues Genre?

Hannah Gadsby ist eine Comedian, die ich sehr mag, die Kunstgeschichte studiert hat und es am Rande auch auf der Bühne behandelt. Dass aber jemand in der Comedy den Fokus so auf Kunst setzt, wie ich es tue, wüsste ich bis jetzt nicht.

Wie bist du zur Kunstgeschichte gekommen?

Mit 16 stand ich vor einem Van Gogh Bild und plötzlich hat es Klick gemacht. Ab da bin ich durch die Museen getourt. Ich wollte damals alles über Kunst wissen. Das war plötzlich meine Leidenschaft und ich wusste, sie lässt mich nicht mehr los.

Was können wir von bildender Kunst oder von der Kunstgeschichte lernen?

Manche Kunstwerke stoßen dich mit der Nase so richtig tief in sehr unschöne Themen und schaffen es, sie auf eine gewisse Art auf den Punkt zu bringen, wie es ein Zeitungsartikel, ein Songtext oder ein Buch nicht können. Das ist die große Stärke von Kunst.

Neulich war ich im Albertinum in Dresden. Eine riesige Wand voll mit Gemälden, die alte weiße Männer in klassischen Herrscherposen abbilden. Mittendrin hängt ein Ölbild, das einen schwarzen Mann in gleicher Pose zeigt. Dieses Bild bricht plötzlich die ganze Hängung der übrigen Bilder, das fand ich ein großes Statement. Es ist vom Künstler Kehinde Wiley, der auch Barack und Michelle Obama porträtierte, und viele wichtige Figuren der Black Community. Kunst kann jedem gesellschaftlichen Thema eine neue Perspektive hinzufügen.

Glaubst du, dass die Comedy in Verbindung mit Kunst gerade auch so gut funktioniert, weil Kunst als elitär aufgefasst wird?

Auf jeden Fall, weil auch hier ein Bruch entsteht. Gleichzeitig ist es ganz simpel: Die Leute wollen lachen und verrückte Geschichten hinter den Bildern erfahren. Sie interessiert weniger, in welchen Jahren der Künstler Yves Klein seine berühmten blauen Bilder malte. Wenn ich dir aber erzähle: Yves Klein hat das Blau seiner Arbeiten ganzheitlich gedacht und daraufhin eine Ausstellung geschmissen, zu der es blaue Cocktails gab, ansonsten aber nur leere Wände. Am nächsten Tag haben die Leute blau gepisst. Das merkst du dir. Humor bricht trockenes Faktenwissen auf. Wahrscheinlich funktioniert Humor auch so gut in einer Welt wie der Kunst, wo sich die Leute viel zu ernst nehmen. Kunst ist nicht elitär, sie wird elitär gemacht und dagegen trete ich an. Hört auf, Kunst elitär zu machen! Hört auf, Sätze neben die Kunstwerke zu hängen, die kaum jemand versteht! Woher soll ein Laie wissen, was Suprematismus ist? Bei dem Begriff habe ich bereits Schwierigkeiten zu folgen.

Nimmst du gegenwärtige Entwicklungen aus dem Kunstdiskurs in dein Programm auf? Wie steht es um den Hype um NFT-Kunstwerke?

Wenn Kunst in den Mainstream schwappt, nicht nur im Feuilleton besprochen wird, wenn die Mona Lisa mit einer Torte beworfen wird, dann greife ich sie auf.

NFTs und die ganze Szene drumherum finde ich überbewertet. Das sind Krypto-Bros denen es nicht mehr um Kunst, sondern ums Geldverdienen geht. Das ist in Ordnung, aber mit Kunst in meinem Sinne hat es nicht mehr viel zu tun. NFT ist ein Spekulationsobjekt. Ab einem gewissen Niveau sind auch Bilder auf dem Kunstmarkt schöne Aktien, entkoppelt von nachvollziehbaren Kategorien.

Hast du dich mal auf den NFT-Trading-Plattformen umgeguckt? Da gibt es Leute, die machen 1000 Katzen in unterschiedlichen Farben, mit grünem oder rotem Haar. Was ist daran ästhetisch spannend? Für mich muss Kunst entweder ästhetisch relevant sein oder sie greift relevante Themen auf, bietet neue Blicke, bringt mich zum Nachdenken. Das sehe ich bei NFTs kaum. Das war in der Kunstszene schon immer so: Neben einigen großartigen Dingen gibt es viel Trash. NFT ist ein Hype-Thema, da sollte man den Ball flach halten.

Comedian Jakob Schwerdtfeger weiß, Humor bricht trockenes Faktenwissen auf: „Die Leute interessiert weniger, in welchen Jahren der Künstler Yves Klein seine berühmten blauen Bilder malte. Wenn ich dir aber erzähle: Yves Klein hat das Blau seiner Arbeiten ganzheitlich gedacht und daraufhin eine Ausstellung geschmissen, zu der es blaue Cocktails gab, ansonsten aber nur leere Wände. Am nächsten Tag haben die Leute blau gepisst. Das merkst du dir.” Bild: Jakob Schwerdtfeger

Was hat dich dazu veranlasst, deinen Job im Museum aufzugeben und auf die Bühne zu wechseln?

Sieben Jahre stand ich schon neben meinem Job im Museum mehrmals die Woche auf der Bühne. Als Kunsthistoriker eine feste Stelle in einem Museum wie dem Städel zu haben, ist wahnsinnig cool. Das aufzugeben fiel mir nicht leicht. Schließlich habe ich alles auf eine Karte gesetzt und es macht mir bis heute unfassbaren Spaß.

Welche Mittel fändest du neben der Comedy sinnvoll, um ein breiteres Publikum für die Kunst zu gewinnen?

In England kostet nur der Besuch einer Sonderausstellung Geld, das finde ich gut. Zwölf oder sechzehn Euro für ein Ticket können sich Menschen mit geringem Einkommen schlicht nicht leisten.

Was ich auch wichtig finde, sind gute Audioguides, einfache Texte in den Ausstellungen und gut konzipierte Führungen. In Potsdam, im Museum Barberini, läuft gerade eine Ausstellung zu abstrakter Kunst nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa und den USA. Die gefällt mir extrem gut. Leider stand ich auch dort vor einigen Wandtext und dachte: „Was zur Hölle?“.

Auch unterschätzen die meisten Museen in Deutschland noch Social Media als Kommunikationsmittel für sich. Am Wochenende war ich auf der Kunstmesse in Karlsruhe und ließ die Leute dort schätzen, was die Bilder, vor denen sie standen, kosten. Das hat sehr guten Anklang gefunden. Museen sollten mutiger werden, neue Wege zu finden und die Leute zu begeistern. Spätestens durch Corona haben viele Museen angefangen, mehr Arbeit in diese Vermittlungsmöglichkeiten zu stecken.

“Museen sollten mutiger werden, neue Wege zu finden und die Leute zu begeistern.”

Weil die Museen auch geschlossen waren…

Zu Beginn der Pandemie stellten zwei Amsterdamerinnen aus dem Homeoffice einen Instagram Account online, auf dem mittlerweile über 250.000 Follower berühmte Meisterwerke mit Alltagsgegenständen nachstellen. Auf die Initiative des Accounts „Tussen Kunst en Quaran­taine” (zwischen Kunst und Quaran­täne) sind weltweit viele Museen aufgesprungen und fordern ihre Follower dazu auf, Meisterwerke aus ihren Sammlungen nachzustellen, die sie dann mit ihren Accounts verlinken. Ein bisschen Humor und etwas weniger Ernsthaftigkeit bewirkt einiges.

Hast du den Eindruck, nach deiner Show gehen mehr Leute ins Museum?

Bei einem Auftritt habe ich mal über das Pissoir von Marcel Duchamp gesprochen. Der hat damals einfach ein umgedrehtes Pissoir mit dem Werktitel „Fountain“ versehen und bei einer großen Ausstellung als Kunstwerk eingereicht. Riesenskandal. Darüber habe ich auf der Bühne gesprochen und versucht die Standardaussage „das kann ich doch auch“ zu entkräften. Danach kam ein Fünzehnjähriger zu mir und sagte: „Ich bin genauso einer, der immer sagt, das kann ich auch und der Kunst so richtig scheiße findet. Du hast mir gezeigt, dass Kunst spannend sein kann und jetzt gehe ich ins Museum.“ Das ist es, was ich mir wünsche, dass Leute aus meinem Publikum am Ende sagen, cool, irgendwie hat er mir eine Tür geöffnet.

Seit 2012 steht der Comedian Jakob Schwerdtfeger auf Bühnen. Nach dem Studium der Kunstgeschichte arbeitete er im renommierten Städel Museum in Frankfurt am Main. Mittlerweile hat er sich mit Kunstcomedy sein eigenes Genre geschaffen. Mit seinem ersten Soloprogramm EIN BILD FÜR DIE GÖTTER tourt er gerade durch Deutschland. In seinem Podcast „Künstlerisch wertvoll“ blickt Schwerdtfeger regelmäßig hinter die Kulissen der Kunstwelt. Seine Kurzvideos über Kunst werden millionenfach geklickt.