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Designstudentin erfindet Ultraschallverhütung für Männer

Die Designstudentin Rebecca Weiss hat eine ultraschallbasierte, hormonfreie Verhütungsmethode für Männer entwickelt. Bisher ist die Methode nur ein hypothetisches Designprojekt. Um sie auf den Markt zu bringen, benötigt Weiss vor allem Forschungsgelder. Doch in einer männerdominierten Forschungswelt ist das gar nicht so einfach. Warum es Rebecca Weiss so schwer hat, CoSo auf den Markt zu bringen, und wieso es immer noch kaum Alternativen zur männlichen Verhütung gibt.

Verhütung ist Frauensache. Das ist nun mal so. Dieser Grundsatz scheint als ungeschriebenes Gesetz zu gelten, seit die Antibabypille in den sechziger Jahren die Verhütung revolutionierte. Wie für so viele andere Frauen war für Rebecca Weiss früher einfach klar, “dass ich als Frau für die Verhütung verantwortlich bin. Ich habe die Pille einfach genommen. Ich hatte immer wieder depressive Phasen und habe erst im Nachhinein gemerkt, dass das mit der Pille zusammenhängt”, erzählt die 28-jährige Designstudentin im Interview mit ze.tt.

Stimmungsschwankungen, Hautprobleme, Depressionen, Gewichtsschwankungen – in einem Alter, in dem Frauen ihre Sexualität gerade erst entdecken. Ist die Pille das wert? Immer mehr Frauen sind sich da nicht mehr sicher. Der Anteil an Frauen, die mit der Pille verhüten, geht laut einer Auswertung der Techniker Krankenkasse stetig zurück. Während 2015 noch 67 % der 18-Jährigen mit der Pille verhüteten, waren es 2020 nur noch 50 %. Gleichzeitig könnten sich zumindest knapp die Hälfte der Männer vorstellen, die “Pille für den Mann” zu nehmen, und die Bereitschaft von Männern, sich mehr an der Verhütung zu beteiligen, steigt. Doch es fehlt an Produkten. 

Hoden rein, Ultraschall an

Das möchte Rebecca Weiß mit CoSo ändern. CoSo (Contraception, Sonography) ist ein hypothetisches, ultraschallbasiertes, hormonfreies Verhütungskonzept für den Mann, das Rebecca im Rahmen ihres Masterstudiums an der TU München entwickelt hat. Das Konzept ist ein app-gesteuertes Gerät, das die Hoden mit Ultraschall beschallt. Die Tiefenwärme, die durch den Ultraschall erzeugt wird, unterbindet die Mobilität und Neubildung der Spermien und verhindert die Befruchtung der Eizelle.

Die Benutzung ist simpel, erklärt die Designstudentin im Interview mit ze.tt: “Es ist ein schalenartiges Gerät, in das Wasser eingefüllt wird. Das dient als Medium, durch das die Schallwellen in das Hodengewebe eindringen können. Wenn das Wasser die richtige Temperatur erreicht hat, setzt man sich auf eine ebene Oberfläche, stellt das Gerät zwischen die Beine und legt die Hoden von oben hinein. Via Knopfdruck werden die Hoden mit Ultraschall behandelt. Nach dem Treatment geht das Gerät automatisch aus, sodass die Behandlungszeit nicht versehentlich zu lang ist. Die erste Anwendung sollte laut der Erfinderin unter ärztlicher Anleitung stattfinden , damit sie korrekt und wirksam durchgeführt wird. Die weiteren Anwendungen kann man dann zu Hause machen. Wie oft dieser Vorgang durchgeführt werden muss und wie lange die Wirkung anhält, muss noch in Studien herausgefunden werden.”

Trotz der Skepsis, die der Begriff Ultraschall im Zusammenhang mit Hoden erweckt, sei die Nachfrage von Männern hoch, so Weiss: “Ich bekomme Hunderte Mails von Männern, die fragen: Wo kann ich das kaufen?” Dass das hypothetische Konzept funktionieren kann, macht Weiss an einer Tierstudie aus dem Jahr 2012 fest, deren Daten sie auf den Menschen übertragen hat. Bei Ratten, Affen und Hunden hat die Verhütung per Ultraschall schon mal geklappt. Um nachzuweisen, dass das auch beim Menschen funktionieren kann – und um das hypothetische Produkt auf den Markt zu bringen – benötigt Weiss Forschungspartner*innen und Investor*innen. Die sind nämlich der wahre Grund, wieso es immer noch kaum Verhütungs-Alternativen für Männer gibt.

Die Designstudentin Rebecca Weiss hat de ultraschallbasierte Verhütungsmethode CoSo entwickelt. Bild: Rebecca Weiss

Gender-Contraception-Gap

Denn obgleich Männer Interesse an Verhütungsalternativen haben –  die Pharmaindustrie hat das nicht. Zu lukrativ ist der Vertrieb der täglich eingenommenen Anti-Baby-Pille. 2010 schätzte das Marktforschungsinstitut IMS Health den weltweiten Umsatz der Pille auf 9,3 Mrd Dollar. Zum Vergleich: 2015 betrug der Umsatz von Kondomen weltweit ca. 6 Mrd. Dollar. “Jede Medikation beim Mann würde zu lasten des Absatzes der Pille für die Frau gehen – es ist also kaum Gewinn möglich“, erklärt der Arzt Michael Zitzmann der Tageszeitung Neues Deutschland. Gender-Pay-Gap, Gender-Orgasm-Gap, Gender-Data-Gap – eine von vielen, reiht sich die Gender-Contraception-Gap in ein altbekanntes Muster ein.

Eine Pille für den Mann hätte also schon längst auf den Markt kommen können – wären da nicht die Interessen der Pharmaindustrie und die fehlenden Forschungsgelder. Verhütungsalternativen hat es in den letzten Jahren kaum gegeben: “Es gab nur eine ernstzunehmende Studie, die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und einer Non-Profit-Organisation (NGO) finanziert wurde“, sagte die Ärztin Helga Schwarz dem AOK-Gesundheitsmagazin. Und das war die Hormon-Spritze für den Mann, die mit einer Wirksamkeit von über 90% Hoffnungen erweckte. So vielversprechend die Hormonspritze zu sein schien, sie wurde trotzdem eingestellt, da die Studienteilnehmer unter Nebenwirkungen wie Stimmungsschwankungen, Hautproblemen, Depressionen oder Gewichtsschwankungen klagten – also genau die Nebenwirkungen, die auch die Pille bei Frauen hervorruft. 

This is a Man’s World

Was Frauen seit Jahrzehnten in Kauf nehmen, um nicht ungewollt schwanger zu werden, ist Männern scheinbar einfach nicht zuzumuten. Während die Pharmaindustrie und die Forschungsgemeinschaft innerhalb eines Jahres einen Impfstoff gegen das Coronavirus auf den Markt bringen, herrscht sechzig Jahre nach der Kommerzialisierung der Anti-Baby Pille immer noch Stille, wenn es um Verhütung für den Mann geht. Ein Zeichen für die patriarchalische Gesellschaft, in der wir leben? 

Laut einer Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung aus dem Jahr 2018 ist die Frau immer noch zu 67 % die Managerin der Verhütung. Männer übernehmen zwar tendenziell mehr Verantwortung als früher – im Vergleich zum Jahr 2011 ist die Kondomnutzung um 9% gestiegen – trotzdem bleiben Forschungsgelder für Verhütungsalternativen nach wie vor aus. Kein Wunder, denn Wissenschaftler*innen sind sich einig, dass die Forschung von Männern dominiert wird.

2021 gewann Rebecca Weiss mit CoSo den renommierten James-Dyson-Designpreis. Bild: Rebecca Weiss

Insofern liefert Rebecca Weiss mit CoSo den lang ersehnten Startschuss für die Wiederbelebung der Diskussion um geschlechtergerechte Verhütung. Ob es ihr tatsächlich gelingen wird, CoSo auf den Markt zu bringen, hängt maßgeblich von von Forschungsgeldern ab, die sie und ihr Team brauchen, um klinische Studien zu finanzieren. 

“Wir sprechen da von Jahren. Was die Probanden angeht, könnten wir alle drei Phasen problemlos sofort durchführen, weil die Nachfrage so groß ist. Aber wir brauchen klinische Partner*innen mit Expertise, um die Studien durchzuführen. Außerdem brauchen wir Gelder – für die Studien müssen wir wohl mit Beträgen im ein- bis zweistelligen Millionenbereich rechnen”, sagt Weiss. Wenn ausreichend Forschungsgelder gesammelt werden können, könnte CoSo in ein paar Jahren auf den Markt kommen. Aber selbst wenn CoSo nie auf den Markt kommen wird – Weiss’ Ziel war, eine Diskussion um Verhütung anzustoßen – und das ist ihr gelungen. 2021 gewann sie mit CoSo den renommierten James-Dyson-Designpreis.