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Bild: Annie Spratt

Reiches Land, unglückliche Jugend: Industriejugend im Krisenmodus 

Glück kann man zwar nicht kaufen, doch Erwachsene aus reichen Ländern sind grundsätzlich glücklicher – das konnten mehrere Studien nachweisen. Paradoxerweise gilt für Jugendliche aber genau das Gegenteil: Je reicher ein Land, desto unglücklicher seine Jugend. Zu diesem Schluss kamen die deutschen Ökonomen Robert Rudolf und Dirk Bethmann von der Korea University.

In ihrer Studie, die sie kürzlich im Journal of Happiness Studies vorstellten, verglichen sie Daten von fast einer halben Million 15-Jähriger aus 72 verschiedenen Ländern. Die Daten stammen aus Schülerbefragungen, die 2018 im Rahmen der Pisa-Studie erhoben wurden – also noch vor der Pandemie. Sie zeigen, dass die subjektive Lebenszufriedenheit der Jugendlichen mit steigendem Pro-Kopf-Einkommen sinkt. Bisher ging die Wissenschaft immer vom Gegenteil aus. Aber wie kommt es zu diesem Paradox?

Der Preis für den Erfolg

Laut den Forschern sind die Gründe für die Unzufriedenheit der Jugendlichen Leistungsdruck, Stress, Konkurrenz und Erwartungen durch Eltern, Schule und Gesellschaft. Denn mit den höheren Investitionen in die Bildung der Kinder, die Eltern in reichen Länder tätigen, gehen auch höhere Erwartungen einher. 

Demnach hat der hohe Workload, den Schüler:innen und Studierende in reichen Ländern leisten müssen, um die dortigen Erwartungen zu erfüllen, einen “mentalen Preis”, wie die Wissenschaftler es beschreiben – und zwar den des subjektiven Wohlbefindens.

“Solche mentalen Kosten, die sich aus dem erhöhten kognitiven Aufwand ergeben, können als versteckter Preis der Ausbildung angesehen werden, der bis dato größtenteils von Ökonom:innen und politischen Entscheidungsträger:innen ignoriert wurde”, so die Wissenschaftler. 

Ein ähnliches Phänomen habe sich bereits während der sogenannten G8-Reform in Deutschland zugetragen, als die gymnasiale Schullaufbahn um ein Jahr verkürzt wurde, schreiben die Forscher. Eine großangelegte Studie aus dem Jahr 2018 konnte feststellen, dass die G8-Reform sich bei den Schüler:innen negativ auf die mentale Gesundheit ausgewirkt hat.

Paradoxerweise gilt für Jugendliche genau der gegenteilige Trend, der für Erwachsene gilt: Je reicher ein Land, desto glücklicher sind seine Erwachsenen, aber desto unglücklicher ist seine Jugend. Bild: Rudolf & Bethmann, “The Paradox of Wealthy Nations’ Low Adolescent Life Satisfaction”, Springer.

Unglückliche Jugend, glückliches Erwachsensein?

Bei einer von Konkurrenzdruck und Stress geprägten Jugend drängt sich die Frage auf: Kommt nach der stressigen Jugend dann das erfüllte Erwachsenendasein? War es das wert? Darauf haben die Forscher leider keine Antwort, doch sie weisen darauf hin, dass das subjektive Wohlbefinden von Erwachsenen mit steigendem BIP eines Landes ebenfalls wächst. Ob das Glück im Erwachsenenalter dann nur relativ zur stressigen Jugend ist, bleibt ebenfalls unklar – denn was Glück eigentlich bedeutet und wie relativ es ist, darüber ist sich die Wissenschaft noch uneinig. 

Was die Studie jedoch zeigt, ist, dass Glück nicht nur durch die Wirtschaft eines Landes, sondern auch durch seine politischen Entwicklungen geprägt ist. Laut der Studie ist die Jugend in der Türkei sowie in Großbritannien besonders unglücklich. Das begründen die Studienautoren mit den politischen Geschehnissen während des Untersuchungszeitraums, wie den sich intensivierenden Autoritarismus in der Türkei sowie den Brexit in Großbritannien. 

Mädchen stärker betroffen als Jungen

Zudem seien Mädchen stärker von den Auswirkungen des Bildungswettbewerbs betroffen als Jungen. Vermutlich weil Mädchen eher im Haushalt und in der Pflege Angehöriger mithelfen, während Jungen mehr Zeit mit Computern und Sport verbringen, erklären die Forscher. “Unsere Ergebnisse legen nahe, dass die mentale Gesundheit von jugendlichen Mädchen in einem kompetitiven Lernumfeld besondere Aufmerksamkeit der Politik erfordert”, heißt es in der Studie.

Mädchen sind stärker von den Auswirkungen des Bildungswettbewerbs betroffen als Jungen. Vermutlich weil Mädchen eher im Haushalt und in der Pflege Angehöriger mithelfen, während Jungen mehr Zeit mit Computern und Sport verbringen, erklären die Forscher. Bild: Nicholas Bui

Mit Blick auf die Zukunft macht die Studie deutlich, dass der Handlungsbedarf in Bezug auf die mentale Gesundheit von Jugendlichen in Industrienationen hoch ist. Denn das Leben zwischen Leistungsdruck, Schnelllebigkeit und digitaler Sucht hat seine Spuren in der Jugend hinterlassen. Und vermutlich hat sich die Situation für Jugendliche innerhalb der letzten fünf Jahre, die seit den Pisa-Befragungen vergangen sind, in Anbetracht von Krieg, Inflation und Pandemie nicht sonderlich verbessert. 

Ebenfalls lassen sich durch die Studie keine Erkenntnisse über die zukünftige Zufriedenheit der Jugend gewinnen: Wird die unglückliche Jugend von heute später ein glückliches Erwachsenenleben führen, oder werden sie die erste Generation sein, die den Trend der glücklichen Erwachsenen in reichen Nationen widerlegt?

Neben Leistungsdruck kann sich übrigens auch die Abwesenheit von Religion negativ auf die mentale Gesundheit von Menschen auswirken, das zeigt eine Studie der Universität Mannheim. Woran das liegt und wie Abhilfe geschaffen werden kann, lest ihr hier