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Manager-Elite: viel Profitgier, wenig Empathie

Vor zehn Jahren brachte Stephan Balzer die TED-Konferenz nach Deutschland. Nun will er die Unternehmenskultur umgestalten. Denn neben der Politik macht er vor allem unternehmerische Grundsätze für drängende Probleme der globalisierten Welt verantwortlich.

Ende Juni habt ihr zehnjähriges Jubiläum von TEDxBerlin gefeiert. Warum hast du TED damals nach Deutschland geholt?

Ich kannte TED seit Ende der 90er Jahre und wollte da immer hin, aber damals gab es nur die normale, jährliche Konferenz. In dieser Zeit war Lara Stein dort Direktorin. Ich kannte sie, da ich damals meine Agentur an ein US-Unternehmen verkauft hatte, für das sie arbeitete. Später, im Herbst 2009, rief mich Lara an und sagte: „Du, ich bin jetzt bei der TED-Konferenz. Kennst du das? Pass auf, ich baue gerade ein neues Modell.“ Das war dann TEDx. Natürlich wollte ich dabei sein. Ich wollte der erste sein, der das in Deutschland macht. Mittlerweile gibt es pro Jahr fast 4.000 Events, weltweit.

Ich wollte der erste sein, der das [TEDx] in Deutschland macht.

Was alle TED-Talks vereint, ist die Kürze. Auch die Speaker haben eine ähnliche Art zu sprechen. Wie bereitet ihr sie vor?

Wir haben Coaches, die wir über Jahre ausgebildet haben, die das TED-Format verinnerlicht haben. Dazu gehört, nicht zu viele Ideen zu präsentieren. So ist es als Zuschauer leichter, zu folgen. Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass wir Menschen uns nur etwa 20 Minuten lang konzentrieren können. Und zwar ohne ADHS, also ohne krankhaftes Aufmerksamkeitsdefizit. Das Zweite ist: verständlich formulieren. Nicht in deinem lingo bleiben. Das ist manchmal das Problem auf Konferenzen. Dann hast du jemanden, der in seinem Fach sensationell ist. Nur versteht man es leider nicht. Drittens sollten diese Talks idealerweise auch eine persönliche Note haben. Wir versuchen aus einer menschlichen Sicht zu erzählen, warum einem das Thema wichtig ist.

TEDx Hamburg, Hamburg, 27.09.2018, Foto: Sebastian Gabsch

Vor 11 Jahren ist das erste iPhone erschienen. Nun gibt es seit August einen Digitalrat in der Bundesregierung. Auch viele mittelständische Unternehmen wollen sich inzwischen technologisch transformieren.

Das eigentliche Problem ist, dass ein Großteil der Digitalisierungsprojekte an der Kultur scheitert. Grundlegend soll sich nichts ändern. Da stell ich mich als Vorstand mit Turnschuhen vor die Kameras, mache Interviews mit ein paar Leitmedien und kündige an, dass mit dem neuen Lab jetzt die Innovationsoffensive startet. Ich weiß aber auch, dass das Lab immer Lab bleiben wird. Nach außen sagt man dann: „Schaut, das sind unsere bunten Hunde, toll, die müsst ihr mal besuchen.“ Wenn ich aber Digitalisierung ernst nehme, dann muss sich ein Unternehmen als Ganzes verändern: Hierarchien, Policies, Prozesse verkürzen, mehr Offenheit, Kollaboration, kein Silodenken. Das sind alles Kulturthemen, denn Digitalisierung ist ein Querschnittsthema.

Da stell ich mich als Vorstand mit Turnschuhen vor die Kameras, mache Interviews mit ein paar Leitmedien und kündige an, dass mit dem neuen Lab jetzt die Innovationsoffensive startet. [Digitalisierung als Inszenierung]

Viele der Probleme heute erfordern globale Zusammenarbeit, etwa der anthropogene Klimawandel. Jedoch erlebt der Autoritarismus in Demokratien überall auf der Welt Aufwind. Viele Beobachter führen dies auf die ganzen Veränderungen zurück, die sich zurzeit in gefühlt steigender Geschwindigkeit ereignen.

Es ist auch Angst. Ich glaube, das ist ein Phänomen, dass du dich in Zeiten der Veränderung und der Unsicherheit an dem festhältst, was du kennst. Und das unterstützt nationalistische Tendenzen. Mit Sprüchen wie „Es war früher alles schöner!“ und „Diese ganzen Ausländer sollen alle wieder abhauen!“ oder was auch immer, damit fängt man diese Leute extrem gut ein. Und die können dir oftmals gar nicht genau sagen, was sie stört. Das ist ja ganz interessant, nicht wahr?

Foto: Sergey Kuznetsov

Trotzdem wird allerorts gepredigt: „Wir müssen die digitale Transformation schneller voranschreiten lassen!“

Ich glaube, das ist nicht immer die richtige Antwort. Auch Digitalisierung macht einigen Leuten Angst. Oft denken sie: „Jetzt kommt eventuell ein Jobkiller. Irgendeine AI übernimmt meinen Job.“ Das wird auch in den Medien manchmal falsch gezeichnet. Da sagt der WEF, das Wirtschaftsforum in Davos, in einer Studie, dass 50 Prozent der Jobs wegfallen werden. Das wird natürlich thematisiert, aber dann so hoch gebauscht, dass der einfache Arbeiter, der so etwas liest, am Ende verunsichert ist. Menschen suchen einfach nach Halt in solchen Situationen. Und ich glaube, was es hier braucht, ist ein öffentlicher Dialog und Zuversicht.

Überspitzt gesagt lehren wir noch immer Curricula, die vor 30 Jahren entstanden sind.

Dennoch werden viele Jobs wegfallen. Zwar kommen zwar auch Neue hinzu, aber ein Fabrikarbeiter wird sich wohl kaum zum IT-Spezialisten umschulen können.

Aber es wird andere Jobs geben, die wir machen. Ich glaube, dass wir es als Menschheit immer geschafft haben, mit solchen Herausforderungen einigermaßen umzugehen. Politik kann das in Teilen nicht mehr. Da fehlen einfach die Ideen. Das Gefühl ist nicht nur in Deutschland so, sondern auch woanders. Vor allem in Sachen Bildung: Überspitzt gesagt lehren wir noch immer Curricula, die vor 30 Jahren entstanden sind.

Bei deinem neuen Projekt geht es auch im weitesten Sinne um Bildung.

Genau, unser Projekt heißt Boma. So nannte man in Rural Africa früher den Punkt, wo sich die Weisen und die Alten am Lagerfeuer versammelten und Entscheidungen darüber trafen, wie es weitergeht. Es gab dort einen Austausch, es wurde beraten, aber dann wurden die Dinge auch in Angriff genommen.

Jeder Drogenhändler, der geschnappt wird, landet im Gefängnis. Aber diejenigen, die für Milliardenverluste zuständig sind, die werden nicht verhaftet.

Ihr richtet euch also an Führungskräfte.

Ich glaube, dass ein Großteil der Probleme heute – Ungleichheit, Klimawandel, Umweltverschmutzung etc. – auch deshalb existiert, weil die Führungskräfte nur darauf geschult worden sind, möglichst viel Profit zu machen. Die nächste Generation von Managern muss aber verantwortungsvoller sein, über den Tellerrand schauen können. Bisher fehlt es da oftmals an jeglicher Empathie, am Gefühl für das große Ganze. Der Extremfall ist die Finanzbranche. Die schlimmsten Verwerfungen in dem Corporate Culture-Umfeld gab es dort. Ignoranter, brutaler, Ego-getriebener und gieriger kann man eine Manager-Elite gar nicht beschreiben! Trotzdem ist kein einziger dieser Elite für den Schaden, der dort angerichtet wurde, in den Knast gegangen. Niemand. Jeder Drogenhändler, der geschnappt wird, landet im Gefängnis. Aber diejenigen, die für Milliardenverluste zuständig sind, die werden nicht verhaftet. Da muss man sich schon fragen: Funktioniert unser Rechtssystem da richtig? Ist das echt fair? Müssen die denn gar nicht zur Rechenschaft gezogen werden?

Foto: Anthony Delanoix

Viele Unternehmen setzen vermehrt auf Dienstleistungen. Facebook, Google und Alibaba haben keine Waren, sondern bieten einen Service an.

Airbnb ist ein gutes Beispiel. Airbnb hat kein Hotel und ist der größte Anbieter. Verkauft mehr Nächte als der größte Hotelanbieter.

Einige Vorsitzende solcher Unternehmen fordern ein Grundeinkommen. Hältst du das für eine Lösung zunehmender Ungleichheit?

Ich fände es schön, wenn wir die Offenheit hätten und das einfach mal testen würden. Wir sind aber ein Land, in dem man immer von der Rente redet, und behauptet, sie sei sicher. Wir kommen da wieder zum Dilemma von Politik an sich. Politiker wollen sich mit Themen, die unangenehm und unpopulär sind, nicht beschäftigen. Wir finanzieren schon heute die Rente aus ganz anderen Töpfen, als wir damals per Grundgesetz festgelegt haben. Es waren auch Politiker, die sich, um ihre Haushaltslöcher zu stopfen, an der Rentenkasse vergriffen haben. Übrigens: Es gab nie Konsequenzen. Man hat das einfach gemacht.

Politiker wollen sich mit Themen, die unangenehm und unpopulär sind, nicht beschäftigen.

Es gibt aber auch ein strukturelles Problem, das der demografischen Entwicklung.

Ja klar, das stimmt. Aber auch das weiß man seit Jahrzehnten. Ich frage mich, wer das bezahlen soll! Wenn die Baby-Boomer-Jahrgänge in den nächsten 15 Jahren in Rente gehen… Das ist brutal für den Staat. Absolut brutal.

Infografik: Wie sich die Bevölkerung entwickelt | Statista

Wenn sich die Managergehälter so eklatant von den Arbeitnehmergehältern unterscheiden, wäre dann nicht ein Grundeinkommen eher ein Weg, mit dem man versucht, anderen notwendigen Veränderungen aus dem Weg zu gehen?

Also das wäre schlecht! Es müsste ein Teil der Veränderung sein, nicht wahr?

Ist das auch Teil eures neuen Curriculums, Arbeitnehmer von den Unternehmensgewinnen profitieren zu lassen?

Das ist wahnsinnig innovativ. Ich glaube aber, da würde man einige Manager etwas überfordern. Sie würden wahrscheinlich denken: „Was ist denn jetzt los? Ist jetzt wieder Sozialismus angesagt?“ Sie würden das für das Ende des Kapitalismus halten, wie wir ihn kennen. Vielleicht ist es aber genau das, was die Zukunft braucht. Ich bin noch mit der Konkurrenz um die großen Modelle aufgewachsen, mit dem Ostblock und dem Westen. Das ist in den letzten 20 Jahren alles abhandengekommen. Jetzt haben wir eigentlich keine Wahl mehr. Daher sollten wir unser System vielleicht von innen heraus neu bauen. Es gibt ja auch einige Gedanken, die ganz gut sind.

Ludwig Erhard gilt als Vollstrecker der Sozialen Marktwirtschaft. Er war aber auch der Ansicht, dass Wirtschaft umso sozialer wird, je freier sie ist. Foto: Bundesarchiv, B 145 Bild-F004204-0003 / Adrian, Doris / CC-BY-SA 3.0

Die soziale Marktwirtschaft konnte man als Versuch verstehen, zumindest als Abgrenzung. Kapitalismus in sozialem Antlitz.

Ein großer Teil des deutschen Erfolgs kommt genau da her, dass Deutschland es geschafft hat, in der Zeit nach dem Krieg über soziale Marktwirtschaft eine sehr breite Basis in der Bevölkerung teilhaben zu lassen. Was auch dazu geführt hat, dass wir Kaufkraft hatten und das System insgesamt funktionierte.

Das kann in Deutschland eigentlich nicht sein: Leute, die zwei Jobs brauchen, um ganz normal leben zu können.

Aber der Sozialstaat wurde über Jahre sukzessiv abgebaut, insbesondere mit der Agenda 2010.

Dass der soziale Aspekt abgebaut wurde, würde ich jetzt nicht unbedingt sagen … Ich finde, der Sozialetat der Bundesrepublik ist einer der größten, den wir haben. Das heißt, da fließt eine Menge Geld hinein. Aber irgendwas scheint nicht richtig zu funktionieren, wenn wir trotzdem Leute haben, die zwei Jobs brauchen, um ganz normal leben zu können. Das kann in Deutschland eigentlich nicht sein.