Ein Subreddit will die Arbeit abschaffen und wird zum Forum für die größte Kündigungswelle in den USA seit der Jahrtausendwende. Rollt die amerikanische Kündigungswelle auch zu uns nach Deutschland?
Chef: “Wo bist du? Du hast Mark gesagt, du würdest heute die Nachtschicht machen?”
Angestellter: “Nein, habe ich nicht. Ich habe Mark gesagt, dass ich am Montag nicht arbeiten kann.”
Chef: “Du hast ihm gesagt, dass du morgens nicht arbeiten kannst, aber zu den normalen Zeiten.”
Angestellter: “Wie du weißt, habe ich gestern erfahren, dass mein Vater verstorben ist. Ich werde mir mindestens den einen Tag freinehmen, der mir pro Woche zusteht, um zu trauern. Es tut mir sehr leid, falls dir das Unannehmlichkeiten bereiten sollte.”
Chef: “Mein Onkel ist vor ein paar Tagen gestorben, ich habe meine Großmutter verloren. Hör auf, ein Opfer zu sein.”
Angestellter: “Schick mir meine Abrechnung zu. Ich kündige. Und f*ck dich.”
So liest sich einer der vielen triumphierenden Posts von Kündigungen via SMS, die zurzeit im Subreddit r/antiwork viral gehen. Antiwork ist ein 8 Jahre alter Subreddit, also ein Forum auf der Plattform Reddit, “für diejenigen, die aufhören wollen zu arbeiten oder mit dem Gedanken spielen, zu kündigen.
Bei Antiwork liest man von schlechten Arbeitsbedingungen, undankbaren Chefs und kündigenden Angestellten, die zu triumphierenden Reddit-Helden werden. Der Subreddit ist auch zum Forum der größten Kündigungswelle in den USA seit der Jahrtausendwende geworden. Viereinhalb Millionen Amerikaner kündigten laut der amerikanischen Behörde für Arbeitsstatistik im vergangenen September ihren Job, das sind etwa 3% der gesamten Arbeitskraft. Die Kündigungswelle hat bereits einen Namen und einen Wikipedia-Eintrag: “The Great Resignation”, auch bekannt als “The Big Quit”.
In dem Forum werden die prekären amerikanischen Arbeitsverhältnisse auf einen digitalen Präsentierteller gestellt. Seit Beginn der Pandemie ist die r/antiwork Community von 100.000 Usern auf über 1,2 Millionen gewachsen, und es werden jeden Tag mehr.
Bye Bye, American Dream
Das r/Antiwork-Motto lautet: “Unemployment for all, not just the rich!” Passend dazu bezeichnete Ishmael N. Daro das Forum kürzlich im Slate Magazin als einen “Magneten für die überarbeiteten und nicht wertgeschätzten Angestellten Amerikas”. Das Spannungsverhältnis zwischen Arbeit und Wertschätzung, Arbeitslosigkeit und Reichtum deutet an, dass es in dem sarkastischen Motto nicht um Anarchie oder Faulheit, sondern viel mehr um den Kampf um bessere – oder eben gar keine – Arbeitsverhältnisse geht. Antiworkers wollen die Arbeit nicht reformieren, sie wollen sie abschaffen.
Der Blase, in der der American Dream sich befindet, entweicht langsam die Luft. Das macht der Subreddit, der seit der Coronapandemie immer mehr ins Rampenlicht gerückt ist, deutlich. Studien deuten darauf hin, dass die Kündigungswelle größtenteils von Millennials angetrieben wird, die genug vom Geist des Kapitalismus, der uns laut dem Soziologen Max Weber jeden Tag aufs neue dazu bringt, zur Arbeit zu gehen und Geld zu verdienen. 59% von ihnen sind unzufrieden mit ihren Jobs, 56% mit ihrer vor-live-pflanze.
Die USA sind für ihre prekären Arbeitsverhältnisse und Sozialleistungen im Gegensatz zu hohen Lebenskosten bekannt, lange Arbeitszeiten, wenig Urlaub und mangelnde soziale Absicherung sind in der amerikanischen Arbeitskultur üblich. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass die Globalisierung und der ständige Vergleich mit anderen Ländern diese Blase früher oder später zum Platzen bringt, wie man auch in China sieht, wo Millennials seit neustem auch lieber chillen, statt zu arbeiten.
Kommt die Kündigungswelle auch nach Deutschland?
Hierzulande sorgt man sich derweil, dass eine Corona-bedingte Kündigungswelle auch Deutschland betreffen könnte. 1,2 Millionen Arbeitskräfte werden derzeit in verschiedenen Branchen gesucht. In der Gastronomie klagen etwa 80 Prozent der Unternehmer*innen über Arbeitskräftemangel, berichtet die SZ.
In der Pflege sieht es nicht besser aus. Von rund 1,8 Millionen Menschen, die in Deutschland in Pflegeberufen arbeiten, überlegt mittlerweile etwa ein Drittel, den Beruf nach der Pandemie aufzugeben. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit hörten zwischen April und Juli 2020 rund 9000 Krankenpflegerinnen und -pfleger mit ihrem Job auf. Es werden aber bis zu 80.000 neue Stellen in der Pflege benötigt – ein Beruf, der wie viele andere soziale Berufe immer noch unterbezahlt ist. Das zeigt der bundesweite Warnstreik, zu dem die Gewerkschaft Verdi im November aufrief.
Doch von einer großen Kündigungswelle könne bei uns in Deutschland noch nicht die Rede sein, so ein Agentursprecher der Bundesagentur für Arbeit. Das haben wir wohl auch den besseren Arbeitsbedingungen in Deutschland zu verdanken – vor allem während der Coronapandemie.