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Illustration: Viktoria Spokojna

Therapy Speak: Macht uns der Mental Health Trend egoistischer? 

Toxisch, narzisstisch, Daddy Issues, Grenzen setzen: Therapy Speak oder auch Therapie-Sprache beschreibt die Verbreitung des Therapie-Jargons in den sozialen Medien und in unserem Alltag. Aber hilft sie uns wirklich, Grenzen zu setzen und unseren Alltag mit Therapie-Jargon zu rationalisieren, oder macht sie uns egoistischer?

„Hey! Ich freue mich, dass du dich meldest. Ich habe eigentlich keine Kapazitäten mehr/helfe gerade jemand anderem, der in einer Krise steckt/habe gerade persönliches um die Ohren, und ich glaube nicht, dass ich dir den angemessenen Raum geben kann. Könnten wir stattdessen später [spätere Uhrzeit oder Datum] sprechen/gibt es jemand anderen, mit dem du sprechen kannst?“

So liest sich der Post eines Beziehungs-Coaches auf Twitter, der als Vorlage dienen soll, um einem Freund oder einer Freundin eine Absage zu erteilen. Der virale Tweet von 2019 wurde viel kritisiert, weil er sich wie eine vorgefertigte E-Mail aus einer Personalabteilung anhört. Die Sprache, die in diesem Tweet verwendet wird, hat bereits einen Namen und ist ein globaler Trend: Therapy Speak

Instagram- und Tiktok-Therapie

Die Autorin Rebecca Fishbein, die sich mit dem Trend auseinandersetzt, definiert Therapy Speak so: „Es ist eine gescriptete Sprache, die bestimmte psychologische Konzepte und Verhaltensweisen beschreibt. Sie klingt grundsätzlich förmlich. Das können Formulierungen sein, die man von einem oder einer Therapeut:in aufschnappt, in den sozialen Medien oder einfach in Gesprächen mit Freund:innen. Einmal wurde es als ‘HR-ification der Sprache’ bezeichnet, was ich ziemlich passend finde, weil diese Art der Drehbuch-Sprache einem die Schuld abnimmt.“  

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In den letzten Wochen erlebte das Thema vor allem in den US-Medien einen absoluten Boom. Denn in Zeiten von TikTok-Therapie und Internet-gestützten Selbstdiagnosen floriert die Therapie-Sprache. Aber auch hier in Deutschland ist sie in den sozialen Medien allgegenwärtig: Begriffe wie Coping-Mechanismen, toxische Männlichkeit, Attachment Styles, Selfcare, Daddy Issues oder Co-Abhängigkeit sind längst keine Nischenbegriffe mehr, sondern der Fachjargon einer digitalen Generation, die verzweifelt versucht, Sinn und Ordnung in ihre mentale Gesundheit zu bringen. 

Psychische Probleme: Ein Viertel der Deutschen ist betroffen

So kommt im Laufe seines Lebens jede:r mal direkt oder indirekt mit Therapie-Jargon in Berührung. Laut der Bundespsychotherapeutenkammer waren im Jahr 2015 fast zwei Millionen Menschen in Deutschland in ambulanter Psychotherapie. Wissenschaftler:innen schätzen, dass insgesamt gut ein Viertel der deutschen Bevölkerung einmal im Leben von einer psychischen Störung betroffen ist.

Laut der Bundespsychotherapeutenkammer waren im Jahr 2015 fast zwei Millionen Menschen in Deutschland in ambulanter Psychotherapie. Wissenschaftler:innen schätzen, dass insgesamt gut ein Viertel der deutschen Bevölkerung einmal im Leben von einer psychischen Störung betroffen ist. Bild: Mark Williams

Kein Wunder also, dass Therapie-Content und -Sprache besonders viele Menschen erreichen. Die Mental-Health-Sprache kann uns dabei helfen, Warnsignale zu erkennen, uns selbst zu schützen und besser kennenzulernen. Doch in ihrer Funktion als mentaler Beziehungs-Fahrplan kann sie uns auch egoistischer und weniger empathisch machen, meinen Spezialist:innen und Betroffene. Denn oft kann der Versuch, „Grenzen zu setzen“ oder „toxische“ und „narzisstische“ Tendenzen zu identifizieren, in einseitiger Kommunikation enden, die nicht selten das Gegenüber verletzt.

„Ich habe entschieden, Grenzen zu setzen und meine Bedürfnisse zu priorisieren.“ 

Wenn eine Freundin etwa mit einer anderen Freundin über WhatsApp Schluss macht, weil sie im Moment einfach keine Kapazitäten mehr für sie hat, kann das für das Gegenüber verletzend sein. Es ist easy, eine Nachricht auf Whatsapp zu schreiben, in der man im Therapie-Jargon seine Grenzen erklärt und die Person am anderen Ende anschließend „legitim“ ghostet. Schwieriger ist es, als Person am anderen Ende zu akzeptieren, dass eine Beziehung ohne ein klärendes Gespräch zu Ende geht. So können die negativen Konsequenzen des Therapy Speak-Trends schnell die positiven Effekte, die man durchs Grenzen setzen und sich-selbst-treu-bleiben für die eigene mentale Gesundheit schafft, überwiegen.

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„In den letzten zehn Jahren haben wir immer mehr über Mental Health geredet und gelernt, wie wir unsere Bedürfnisse priorisieren können. Diese Videos in den sozialen Medien sind momentan sehr beliebt, weil Menschen zum ersten Mal mehr über sich selbst lernen. Aber sie sind nur als Entwürfe gedacht, nicht als Skript, das man seinen Freund:innen schickt. Sie sind ein Hilfsmittel, damit Menschen bewusster ihre zwischenmenschlichen Beziehungen reflektieren“, so Fishbein

Gegenseitigkeit statt Einseitigkeit

Zu viel Self-Care oder Grenzen zu setzen, mit denen wir nur unsere eigenen Bedürfnisse berücksichtigen, kann uns schnell zu Egoist:innen machen, sagt auch die Psychologin und Autorin Marisa G. Franco. Ihr Vorschlag: Gegenseitigkeit statt Einseitigkeit zu praktizieren. Das bedeutet, bei einer Entscheidungsfindung die Bedürfnisse beider Menschen mitzuberücksichtigen.

Zu viel Mental-Health Jargon in Popkultur und Alltag trägt letztlich auch zu einer Banalisierung von psychischen Problemen bei und tut denen, die wirklich mit psychischen Problemen zu kämpfen haben, Unrecht. Deshalb sollten wir Therapy Speak doch lieber den Therapeut:innen überlassen. 

Was halten eigentlich professionelle Psychotherapeut:innen von der Pop-Psychologie auf Instagram. Das lest ihr in diesem Artikel.