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Kristina Lunz ist Gründerin und Direktorin des Centre for Feminist Foreign Policy in Deutschland und setzt sich für mehr Gender Equality in Machtpositionen ein. Foto: Foto: Munich-Security-Conference.

„Wir brauchen eine kritische Masse an Frauen in Führungspositionen in Politik und Wirtschaft“

Kristina Lunz ist Gründerin und Direktorin des Centre for Feminist Foreign Policy in Deutschland und stand 2019 auf der Forbes-Liste der 30 unter 30. Mit ihrer Organisation engagiert sie sich für mehr intersektionale Gender-Gerechtigkeit (nicht nur) in politischen Positionen.

Kristina, du bist als „Arbeiterkind“, wie Du es selbst mal auf ze.tt beschrieben hast, ins Leben gestartet und hast danach eine beeindruckende Karriere hingelegt. Hattest du oder hast du Vorbilder, die dich bei deiner Arbeit inspirieren?

Ja, ich habe tatsächlich sehr viele Vorbilder! In der Retrospektive hatte ich sowohl Negativ- als auch Positiv-Vorbilder. Beide haben meinen Weg mitgeformt. Ich bin, wie gesagt, in einem kleinen Dorf aufgewachsen mitten in der fränkischen Schweiz, eigentlich hat es mir persönlich nie an irgendwas gefehlt. Irgendwann habe ich allerdings angefangen, mich zu wundern, warum eigentlich sämtliche machtvolle Positionen, zu denen Menschen aufschauen, ausnahmslos von Männern besetzt sind. Und das, obwohl viele von diesen Männern recht unangenehme Personen waren – aus der Sicht von Teenage-Mädchen wie mir damals. Ich hatte zu dem Zeitpunkt noch nicht unbedingt Worte dafür und auch nicht wirklich eine Vorstellung von Machtverhältnissen. Aber mir kam das alles sehr seltsam vor, dass Männer, die sich Mädchen wie mir gegenüber unangenehm oder unangebracht verhielten, so viel Respekt bekamen. Auf der Seite der Positiv-Beispiele war auf jeden Fall meine sieben Jahre ältere Schwester und dann kamen in den unterschiedlichen Etappen meines Lebens neue beeindruckende Menschen hinzu: Eins meiner großen Vorbilder während des Studiums in Oxford und noch heute ist Scilla Elworthy, die ich mit Mitte 20 kennenlernen durfte. Sie ist dreimal für den Friedensnobelpreis nominiert worden, hat mehrere Organisationen gegründet, beschäftigt sich mit Peace-Building, nuklearer Abrüstung und Frauenrechten. Unser erstes Aufeinandertreffen hat mein Leben nachhaltig verändert. Sie hat mir gezeigt, dass man mit Beharrlichkeit und Idealen ziemlich weit kommen kann. Egal wie viele Menschen einem einreden möchten, man sei naiv.

Du bist ja auch Mitgründerin und Deutschlanddirektorin des Centre for Feminist Foreign Policy und dazu noch Beraterin für das Auswärtige Amt. Glaubst du, dass Frauen für diplomatische Positionen geeigneter sind oder geht es dir hier grundsätzlich um mehr Gender Equality?

Mir geht es definitiv um mehr Gender Equality. Ich glaube nicht daran, dass ein Mensch qua seines Geschlechtes mehr oder weniger für etwas geeignet ist, das wichtig für unsere Gesellschaft ist. Es geht mir darum, dass Männer – obwohl sie nicht geeigneter sind für Diplomatie und dergleichen – trotzdem die meisten Machtpositionen innehaben. Und das ist schlichtweg ungerecht. Wenn die Hälfte der Gesellschaft von einer kleinen Gruppe von Menschen repräsentiert wird, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben oder machen, sollte es auf der Hand liegen, dass dies zu unzulänglicher Politik, unausgewogenen Entscheidungen, Diskriminierung sowie zu Unterdrückungsverhältnissen führt. Meine Organisation ist daher sehr um eine gendergerechte Machtverteilung bemüht.

“Wir können davon ausgehen, dass bei einer kritischen Masse an Frauen in machtvollen Positionen, Frauenrechte oder soziale Themen, von denen Frauen betroffen sind, mehr Beachtung finden.” Foto: Paul Ripke.

Wie gestaltet Gender Equality die Außenpolitik mit? Bedeuten mehr Frauen in politischen Positionen auch gleichzeitig mehr Frauenrechte?

 Ich denke, wenn wir das auf das Individuum herunterbrechen, können wir nicht davon ausgehen, dass eine Frau in einer Spitzenposition automatisch feministisch ist. Das hat die Geschichte leider viel zu oft gezeigt. Aber wir können davon ausgehen, dass bei einer kritischen Masse an Frauen in machtvollen Positionen, Frauenrechte oder soziale Themen, von denen Frauen betroffen sind, mehr Beachtung finden.

Wie engagiert sind deutsche Politikerinnen hinsichtlich feministischer Themen? Wenn wir uns zum Beispiel auf Angela Merkel konzentrieren, die selbst vor geraumer Zeit behauptet hat, sie sei keine Feministin, sich nun aber doch auch feministischen Themen stärker zuwendet als es vorher der Fall war.

Ich selbst bin die meiste Zeit großer Fan unserer Kanzlerin. Natürlich gibt es auch viele Kritikpunkte. Aber was man ihr hoch anrechnen muss, und das tun viele Feminist*innen auch, ist, dass sie, obwohl sie wirklich keine Historie an feministischer Politik hat, dazu beiträgt, dass andere Frauen in machtvolle Positionen kommen. Denn auch, wenn eine Annegret Kramp-Karrenbauer* auf gar keinen Fall Feministin ist, so ist das Nachziehen anderer Frauen in machtvollen Positionen ein feministischer Akt.

(*Annegret Kramp-Karrenbauer befand sich zum Zeitpunkt des Interviews noch im Amt als Vorsitzende der CDU. Anm. d. Red.) 

Wo siehst du die deutsche Politik im internationalen Vergleich, wenn es um Gender- und Feminismus-Themen geht? Gibt es für dich ein Vorreiterland?

 Es gibt natürlich einige und mehr Länder, in denen es deutlich schlechter läuft als hier. Aber wenn wir uns mit anderen Ländern in Mittel- und Westeuropa vergleichen, wird klar, dass es zum Beispiel in den skandinavischen Ländern deutlich gerechter zugeht. Werfen wir zum Beispiel einen Blick auf Schweden, wo bereits in den 70er Jahren Gleichberechtigung gesetzlich verankert wurde. Damals wurde schon das Ehegattensplitting abgeschafft und damit die unfaire Besteuerung zugunsten des meist männlichen Hauptverdieners in einer Ehe. Dieses Problem trägt auch heute noch in Deutschland dazu bei, dass wir Frauen oft in diesen finanziellen Abhängigkeiten gefangen sind. Außerdem wurden dort schon viel früher deutlich gerechtere Elternzeitmodelle eingeführt und es gibt in jedem Ministerium immer eine Person, die sich um das sogenannte Gender-Mainstreaming kümmert, sprich: eine Soziale-Gerechtigkeits-Analyse hinter jeder politischen Entscheidung. Deutschland hinkt Schweden etwa 40 Jahre hinterher. Aber Veränderungen lassen sich nur durch politischen Willen herbeiführen; und wenn eine Regierung sich dieser Defizite bewusst wird und sich entscheidet, entsprechend zu handeln, kann man politisch marginalisierte Gruppen und Personen aus ihren Abhängigkeiten befreien. In Deutschland zählt z. B. eine durchgehende Gender Equality bis heute nicht als Priorität und das ist ein Problem.

“Veränderungen lassen sich nur durch politischen Willen herbeiführen; und wenn eine Regierung sich dieser Defizite bewusst wird und sich entscheidet, entsprechend zu handeln, kann man politisch marginalisierte Gruppen und Personen aus ihren Abhängigkeiten befreien.” Foto: Rafa Ayoub.

Bilden Frauen genügend Netzwerke und wie können sie sich gegenseitig empowern?

Ich persönlich mache in unserer Berliner Bubble ganz tolle Erfahrungen mit anderen Gründer*innen und Frauen in Führungspositionen. Da ist sehr viel Solidarität und es gibt quasi ein genuines Interesse daran, dass andere Frauen Erfolg haben. Aber das findet man immer nur dann, wenn Menschen ein Verständnis für Ungerechtigkeiten und einen kritischen Blick auf gesellschaftliche Strukturen haben. Denn erst, wenn man weiß, dass weibliche Gründer*innen viel weniger Geld verdienen, dass Frauen ein massiv höheres Risiko haben, später mal an Altersarmut zu leiden, dass Frauen wesentlich öfter angefragt werden, um unbezahlte Arbeit zu erledigen, und man sich darüber im Klaren ist, dass dies keine persönlichen, sondern politische Probleme sind, kann eine solche Solidarität entstehen. Und dann möchte man gemeinsam dagegen vorgehen. Fehlende Solidarität unter Frauen scheint mir meist ein Ergebnis patriarchaler Strukturen zu sein. Ich bin auch der einen oder anderen Person oder Frau begegnet, die mit dem Erfolg anderer Frauen ein Problem hatte. Das ist persönlich natürlich schmerzlich, andererseits aber auch verständlich, weil es im Patriarchat schon seit jeher nur begrenzt Platz für Frauen in machtvollen Positionen gibt. Und wenn dann noch eine andere Frau erfolgreicher ist, sorgt das bei der einen oder anderen für Frust. Weil eben nicht klar ist, dass es sich um ein strukturelles Problem handelt.

Female Empowerment ist ja schön und sehr wichtig, allerdings wird dem weißen Feminismus ja häufig vorgeworfen, dass er eine Art Elite-Feminismus sei und auch nur von weißen Frauen für weiße Frauen gemacht werde. Wie förderst du als weiße und mittlerweile sehr privilegierte Deutsche Themen wie Diversity und Intersektionalität?

Das ist eine gute und wichtige Anmerkung. Wir wissen von vielen historischen Ereignissen – ob es um den Kampf der Suffragetten um das Wahlrecht ging oder dergleichen – , dass dort nicht-weiße Frauen leider aktiv auch ausgeschlossen wurden. Und ich als Weiße habe bestimmte Erfahrungen in meinem Leben nicht gemacht und kann dementsprechend nicht darüber reden. Für mich und meine Organisation hat das die Konsequenz, dass wir uns dieser blinden Flecken bewusst werden müssen. Und um das zu erreichen, haben wir uns drei Grundsätze gegeben: Integrität, Kollaboration und Intersektionalität. Das bedeutet nicht, dass wir immer alles richtig machen, aber wir geben uns bei allem, was wir tun, Mühe, eine intersektionale Perspektive mit hereinzuholen. Das heißt, man wird bei uns kein rein weißes Panel finden und man wird bei uns immer fast genauso viele Artikel und Interviews von nicht-weißen wie von weißen Menschen lesen. Und wenn es um intersektionale Themen gehen soll, holen wir uns natürlich die Expertise der Menschen hinzu, die das betrifft. In solchen Fällen lassen wir natürlich keine weiße Person über Regierungsänderungen in Äthiopien oder in Myanmar schreiben, sondern Frauen vor Ort. Am Ende bedeutet das vor allem auch, Personen, die bestimmte Erfahrungen machen, anzufragen, ob sie bereit wären, darüber zu sprechen oder zu schreiben und das dann natürlich auch angemessen zu bezahlen.

Danke für das Gespräch!

Hier geht es zum Instagram-Profil von Kristina Lunz.

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