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Bild: Engin Akyurt

20 Jahre Botox – Altern ohne Falten und ohne Mitleid

Dass die Nullerjahre wieder die Modewelt erobern, ist nichts Neues. Aber das Revival der Jahrtausendwende macht auch vor anderen Branchen nicht halt. So erlebt die Beauty-Industrie gerade den Wiederaufschwung der Botoxinjektionen. Anlass genug, um sich das Wundermittel und eines der gefährlichsten Nervengifte genauer anzusehen.

Neben Hüfthosen sind jetzt auch High Heels wieder en vogue. Das ist für viele, zumindest jene, die auch diesem Trend nicht entsagen wollen, eine Herausforderung. Nach drei Jahren Pandemie und einem modischen Aufschwung der fußbettfreundlichen Birkenstocks sich wieder in halsbrecherische Höhen zu quetschen, bedarf nicht nur viel Mut, sondern bei manchen auch den Griff zur Botoxspritze.

Moment, ist Botox nicht eigentlich das Wundermittel gegen Zornesfalten und Krähenfüßchen? Ja, richtig. Aber seit neuestem wird das Muskelrelaxans auch für ein schmerzbefreites Revival der Stilettos und Plateaus eingesetzt. Dermatolog:innen und andere Expert:innen für ästhetische Medizin verzeichneten postpandemisch einen Anstieg an Patient:innen, die sich Botox in die Füße spritzen lassen, um die Fashion-Entscheidung für High Heels mit weniger Schmerzen zu (er)tragen.

Was die Nullerjahre für das weibliche Schönheitsideal bedeuten könnten

Hüfthosen und Stilettos also wieder? Das Paradebeispiel für einen 2000er-Style hat schon sehr viel mehr schlauen Sex-Appeal zu bieten. Neben einer berechtigten Kritik an der Nullerjahremode, die vor allem weibliche Körper in genormten Formen halten will, schwingt aber auch das ein oder andere Schmankerl aus dieser Zeit mit. Die Styles von Lorelai und Rory aus der Kultserie Gilmore Girls feiern nicht umsonst im Web ihr Comeback. Zudem, sagt Influencerin Cloudy Zakrocki, stehe die Mode der Nullerjahre mit „Whale Tails” (Tangas, die aus den Hüfthosen hervorblitzen) und „Baby Tee” (über dem Bauchnabel endende Tops) für ein neues digitales Zeitalter und den technologischen Fortschritt, der mit der Jahrtausendwende über uns hereinbrach. Nostalgie mischt sich mit Optimismus in diesem wiederkehrenden Modetrend.

Der neueste Botox-Trend: Dermatolog:innen und andere Expert:innen für ästhetische Medizin verzeichneten postpandemisch einen Anstieg an Patient:innen, die sich Botox in die Füße spritzen lassen, um die Fashion-Entscheidung für High Heels mit weniger Schmerzen zu (er)tragen. Bild: cottonbro studio

Mit dieser modisch umstrittenen Jahrtausendwende trat auch eine neue Zeitrechnung in der Hautpflege auf den Plan. Im Jahr 2002 ließ die US-amerikanische Behörde FDA (Food and Drug Administration) das Wundermittel Botulinumtoxin für die kosmetische Behandlung von Falten im Gesicht zu; in Deutschland musste man sich noch bis 2006 gedulden. Das Frauenmagazin Allure schlug 2007 vor, die Geschichte der Hautpflege in Epochen zu unterteilen: B.B. (Before Botox) und A.B. (After Botox). Seit der Zulassung als Kosmetikum 2002 sind die Behandlung mit Botoxinjektionen um mehr als 800 Prozent gestiegen. Wer damals die erste Show der Real Housewives gesehen hat, erinnert sich vielleicht an Vicki und Lauri, die sich die Neuerscheinung damals „on air” spritzen ließen. Für die Jüngeren sind die Kardashians ein prominentes Beispiel – eines unter vielen. Anlass genug, um zu fragen: Woher kommt das Wundermittel und wie fand es den Weg in das „Triangel of Sadness“ (die berüchtigte Sorgenfalte zwischen den Augenbrauen)? Fest steht, es ist weitaus mehr als eine reine kosmetische Instandhaltung.

Botulinumtoxin – mehr als kosmetische Instandhaltung

„Botulinumtoxin ist für Lebewesen wie den Menschen das mit Abstand tödlichste bekannte Gift“, weiß Wikipedia. Wer um Himmels Willen kam auf die Idee, das Nervengift in die ästhetische Medizin einzuführen? Ende des 19. Jahrhunderts isolierte der belgische Bakteriologe Emile van Ermengem das Vergiftungen verursachende Bakterium Clostridium botulinum bei der Untersuchung eines Schinkens. Der verursachte nämlich während eines Leichenschmauses drei Todesfälle unter den Trauergästen. Der Name des Gifts und Bakteriums leitet sich von dem Wort botulus, lateinisch für Wurst, ab. Der Verzehr von schlecht konservierten Lebensmitteln wie Schinken, kann die schwere Nahrungsmittelvergiftung Botulismus verursachen.

Seit 2006 nimmt die kosmetische Behandlung von Falten im Gesicht auch in Deutschland zu. Insbesondere das „Triangel of Sadness“ (die berüchtigte Sorgenfalte zwischen den Augenbrauen) wird bevorzugt mit dem Wundermittel Botulinumtoxin “weggespritzt”. Bild: Taras Chernus

Es dauerte noch fast weitere 100 Jahre, bis das Nervengift zum ersten Mal als Arzneistoff zur Behandlung von stark schielenden Menschen eingesetzt wurde. Ende der 1980er, damals noch unter dem Namen Oculinum, kam die Zulassung des Stoffes für weitere Behandlungen rund um das Auge (oculus, lateinisch für Auge) wie Lidkrämpfe und Augenzittern. Hierbei glättete sich als erstaunlicher Nebeneffekt die ein oder andere Stirnfalte und voilà, der Wandel vom Arzneimittel zum kosmetischen Wundermittel ging von statten. Das faltenblockierende Nervengift ist heute allseits bekannt als Botox, dabei handelt es sich eigentlich um einen Markennamen (wie Tempo, Uhu oder Frisbee), der mit dem Wechsel des Herstellers zustande kam.

Heute findet das Nervengift in verschiedenen Einsatzbereichen Anwendung, wie beispielsweise in der Schmerztherapie zur lokalen Muskelentspannung beim Schiefhals. Es löst die übermäßigen Muskelanspannungen durch eine zeitweilige Blockierung des Nervenimpulses. Auch bei Spastik nach Schlaganfällen findet das gering dosierte Nervengift Anwendung. Und durchschnittlich sechs Monate, belegen Studien, hält eine medikamentöse Therapie mit Botulinumtoxin gegen übermäßiges Schwitzen an. Das Leben von Frauen, die unter einer überaktiven Blase oder Inkontinenz leiden, hat sich dramatisch mit einer Behandlung von Botox verbessert, wie das Center for Women’s Pelvic Health an der UCLA nachweist.

Ein Nervengift für die ästhetische Medizin? Der belgische Bakteriologe Emile van Ermengem dachte sich wohl nichts dabei. Ende des 19. Jahrhunderts isolierte er das Vergiftungen verursachende Bakterium Clostridium botulinum bei der Untersuchung eines Schinkens. Der verursachte nämlich während eines Leichenschmauses drei Todesfälle unter den Trauergästen. Bild: Karolina Grabowska

Seit etwas über zehn Jahren ist Botox auch in der Behandlung von chronischer Migräne zugelassen. Allerdings nur, wenn die Schmerzpatient:innen auf andere Medikamente nicht anspringen oder sie schlecht vertragen. Wer Pech hat, kann mit einem hängenden Augenlid aus der Behandlung herausgehen, eine temporäre Nebenwirkung, die auftritt, wenn der Muskel des Lids betroffen ist. Andere Glücklichere hätten wiederum in Folge der Migränebekämpfung eine glattere Stirn als Nebenwirkung.

Botox und Beileid

Letzteres ist die bekannteste Anwendung des Nervengifts. Denn Schmolllippen und ständig glatte Augenbrauen machen sich besonders gut auf Selfies. Aber die Forschung zu Botox in der ästhetischen Medizin verweist auch darauf, dass die Behandlung mit Botox sogar Emotionen abflachen kann. Das hat ein Für und Wider.

Dass in die Stirn gespritzt Botox Depressionen lindern soll, darauf wurde in Fachkreisen schon vor Jahren hingewiesen. Wie kommt es dazu? Gesichtsmimik und das psychische Befinden sind eng miteinander verbunden. Eine Botoxspritze in die mittlere Stirnregion, dort, wo sich die Zornes- oder Sorgenfalte bildet, reduziere daher auch die Intensität der damit verbundenen Emotionen, sagt Professor Krüger von der Medizinischen Fachhochschule Hannover.

Diese Rückkopplung von Emotionen und Mimik, Facial-Feedback-Theorie genannt, wird in der Wissenschaft vielfach diskutiert. Wenn das Nervengift negative Emotionen abschwächt, was bedeutet dann ein Stich in die Lachmuskeln? Wir können die Emotionen unserer Mitmenschen unter anderem deshalb nachvollziehen, weil wir ihren Gesichtsausdruck unbewusst mit unserer eigenen Mimik nachahmen, begründet David Neal, Psychologieprofessor und führender Autor in seiner 2011 erschienenen Studie.

Was passiert, wenn das Gesicht die Gefühle nicht mehr abbildet? Bild: cottonbro studio

Wenn ich durch Botox meine Gesichtsmimik einschränke, verdunkle sich dadurch nicht nur mein eigenes Empfinden, sondern möglicherweise auch meine Empathiefähigkeit. Die Studie von Neal und seinen Kolleg:innen fand heraus, dass Menschen nach einer Botoxbehandlung die Mimik ihres Gegenübers schlechter deuten können. Solche Befunde werfen kritische Fragen auf, wie zum Beispiel: Könnte eine abgeschwächte Empathiefähigkeit Konsequenzen für ein Verhältnis zwischen Mutter und Kleinkind oder auf eine Liebesbeziehung haben? Was bedeutet es für unsere Gesellschaft, wenn immer mehr Menschen Botox nutzen? Werden wir in Zukunft in den Spiegel schauen und in glatte, aber empathielose Fratzen blicken?

Diese Gedankenimpulse aus dieser schon fast zehn Jahre alten Studie sollten mit dem nicht enden wollenden Aufschwung der Botoxspritze nochmal genauer unter die Lupe genommen werden. Auch wenn vielleicht eine schmerzlindernde Spritze in den Fuß, die Stöckelschuhträger:innen den Wiedereinstieg erleichtert, nicht direkt Konsequenzen für ihre Empathiefähigkeit vermuten lässt. Außer vielleicht beim Füßeln.