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Bild: New British Views #12, England, 2021. Aus der Serie "New British Views" (seit 2021) © Marwan Bassiouni

Bilder von Europa aus dem Inneren von Moscheen – Fotograf Marwan Bassiouni im Interview

Marwan Bassiouni zeigt in seinem Foto-Großprojekt “New Western Views” den Blick auf europäische Städte und Landschaften aus dem Inneren von Moscheen – und lädt dazu ein, die Dinge anders zu sehen. Im Gespräch mit Qiio erklärt er, warum er die finale Deutung seiner Bilder lieber den Betrachter:innen überlässt.

Wie bist du auf die Idee zu New Dutch Views und New British Views gekommen?

Die Idee entstand vor ein paar Jahren, als ich an der Kunsthochschule studierte. Ich habe versucht, eine Arbeit zu schaffen, die einen anderen Blick auf die muslimische Religion in unserer westlichen Gesellschaft wirft. Ein Teil der Motivation dafür kam daher, dass ich in einer Art multikultureller westlicher und ägyptischer Kultur aufgewachsen bin. Ich hatte das Gefühl, dass es in unserer Gesellschaft und unserer Kultur notwendig ist, die Dinge etwas anders zu betrachten. Es gibt viele Vorurteile und wir hören die Dinge oft nicht wirklich aus der muslimischen Perspektive. Während meines letzten Studienjahres fragte mich ein Kollege eher zufällig, ob ich jemals daran gedacht hätte, Moscheen in den Niederlanden zu fotografieren, und ich fand, dass das eine wirklich gute Idee ist. Ich wusste erst nicht wirklich, wonach ich suchte und arbeite generell eher intuitiv. Wenn ich ein Projekt mache, muss es aus dem Akt des Machens entstehen, also habe ich zuerst nur fotografiert und mit der Kamera auf den Raum reagiert, während ich dort war. Dann habe ich irgendwann ein Fenster fotografiert, das mich irgendwie fasziniert hat. Und schließlich fing ich an, auf dem aufzubauen, was hinter dem Fenster ist.

Bild: New British Views #6, England, 2021. Aus der Serie “New British Views” (seit 2021) © Marwan Bassiouni

Was hat dich an dem Blick aus dem Inneren von Moscheen gereizt?

Muslim:innen gibt es eigentlich schon seit Hunderten von Jahren in Europa, aber wir denken nicht wirklich oft darüber nach. Zumindest denken die meisten Europäer:innen nicht wirklich darüber nach. Tatsache ist jedoch, dass der Islam schon seit langer Zeit in Europa ist, sei es in Spanien, in Osteuropa oder in anderen Teilen. Ich denke also, dass die Blicke aus dem Inneren der Moscheen eine Möglichkeit bieten, sich mit Begriffen auseinanderzusetzen, die mit dem Heimatland und der Geschichte der Fotografie bzw. der Landschaftsfotografie und der Kultur zu tun haben. 

Was repräsentieren die Ausblicke in deinen Bildern?

Alle Bilder wurden nicht nur in Moscheen gemacht, sondern speziell in den Gebetsräumen von Moscheen. Und fast jede Moschee hat einen anderen Gebetsraum. Das ist vielleicht nur ein kleines Detail, aber es ist ein interessantes. Wenn ich diese Fotos ausdrucke, sind sie großformatig. Es ist also fast so, als würde man versuchen, in diese Räume einzutauchen. Die Bilder implizieren die Perspektive einer Person, die nach draußen schaut. Es ist also auch ein Blick, und manchmal geht es eben darum, den Blick zu drehen und eine alternative Position einzunehmen. Ich versuche aber im Allgemeinen, nicht zu viel darüber zu sagen, was die Fotos bedeuten können. Ich überlasse es lieber den Betrachter:innen, ihre eigenen Interpretationen und Erfahrungen zu machen.

Bild: New British Views #21, England, 2021. Aus der Serie “New British Views” (seit 2021) © Marwan Bassiouni

In den Bildern gibt es ein sehr klares Innen und Außen – Inwiefern spiegeln sich darin auch gesellschaftliche Ansichten wider?

Es liegt an den Betrachter:innen, darüber nachzudenken, auch wenn ich Hinweise in den Bildern hinterlasse. Letzten Endes bringen diese Fotografien eine:n an einen neuen Ort, konfrontieren oder laden ein. Aber einen Hinweis habe ich:  Die Titel New Dutch Views und New British Views zielen nicht auf den Islam oder die Türkei ab. Eher wollte ich mit dem Thema an der Wahrnehmung des Islam arbeiten. Und die Darstellung der westlichen muslimischen Identität. Ich bin Schweizer und ich bin Muslim, ich bin weder das eine noch das andere. Und ich denke, es gibt mehr darüber zu sagen, wie wir den Islam sehen und verstehen, als über die muslimische Religion selbst.

Ich habe gelesen, dass du vorhast, das Projekt in anderen Ländern fortzusetzen, unter anderem in den USA und in Deutschland. Was treibt dich an? 

Das Gesamtprojekt – New Western Views – ist noch nicht abgeschlossen. Also ist meine Hauptmotivation, dieses abzuschließen, dabei viele verschiedene Länder zu besuchen und eine Serie von Bildern der westlichen Landschaft aus dem Inneren von Moscheen in verschiedenen Teilen der Welt zu erstellen. Ich hoffe, dass diese Arbeit etwas Positives in unseren manchmal dunklen Zeiten bewirken kann.

Bild: New Dutch Views #52, Niederlande, 2021. Aus der Serie “New Dutch Views 2” (seit 2022) © Marwan Bassiouni

Welche Reaktionen hast du bisher auf die New Swiss, Dutch und British View-Serien bekommen?

Einige Leute waren wirklich berührt und bewegt. Eine muslimische Person sagte mir, dass sie, nachdem sie meine Arbeit gesehen hatte, wieder anfing, ihre Religion zu praktizieren. Eine andere Person war entsetzt über die Arbeit und wurde wütend, als sie merkte, dass sie eine Moschee sah, und reagierte aggressiv. Eine weitere Person sagte, die Fotos machten sie traurig. Ich bekomme also unterschiedliche Reaktionen, manche stärker als andere. Wir haben die Arbeit in Deutschland gezeigt, und auch hier gab es sehr unterschiedliche Reaktionen. Aber die Menschen in Deutschland scheinen dem Projekt gegenüber generell sehr offen zu sein und schätzen die Arbeit.

Anhand welcher Kriterien entscheidest du, welche Orte und Moscheen infrage kommen?

Ich sehe diese Orte und Räume wie Seelen, und alle sind einzigartig. Manche Moscheen waren früher alle möglichen Gebäude. Vielleicht war es eine Schule, ein Kino oder ein Wohnhaus. Vielleicht war es eine Kneipe oder ein Nachtclub oder eine Kirche. Vielleicht wurde sie auch als Moschee gebaut. All diese Details prägen den Raum selbst: die Form der Fenster, ob die Gemeinde türkischer, albanischer oder marokkanischer Herkunft ist. Viele Dinge auf der Welt sind einzigartig, aber wir sehen nicht alles als einzigartig an. Man muss genau hinsehen und einen Bezug dazu herstellen. Wenn ich vergesse, dass ich ein Foto anschaue, dann ist das für mich ein gelungenes Bild.

“Ich bin Schweizer und ich bin Muslim, ich bin weder das eine noch das andere. Und ich denke, es gibt mehr darüber zu sagen, wie wir den Islam sehen und verstehen, als über die muslimische Religion selbst”, erzählt Marwan Bassiouni im Gespräch. Bild: Yusuf Zucchero

Wie kam es dazu, dass du Fotograf geworden bist? 

Naja, ich habe es mir nicht wirklich ausgesucht (lacht). Als Muslim glaube ich an das Schicksal. Eigentlich hatte ich nicht vor, Fotograf zu werden. Ich war der Schlechteste in meiner Klasse auf dem Gymnasium, was das Zeichnen angeht, ich hatte keine Geduld dafür. Ich war mehr daran interessiert, Gedichte zu schreiben und Musik in einer Metal-Band zu machen. Mit 23 Jahren entdeckte ich die Fotografie ganz zufällig, als ich mit einem Drei-Megapixel-Handy fotografierte. Und ich fühlte mich davon wirklich gefesselt. Ich hatte das Gefühl, dass es so etwas wie eine Berufung war. Das führte dazu, dass ich mir eine Kamera kaufte, und dann war ich einfach fasziniert davon, wie diese alltäglichen Dinge aussehen können, wenn wir sie fotografieren. Ich wurde richtig süchtig danach. Ich denke, dass mein Hintergrund, in der Schweiz aufzuwachsen, wo es nur sehr wenige Menschen mit muslimischen oder arabischen Wurzeln gab, mich ebenfalls motiviert hat. Und auch all die Ereignisse seit 9/11 und die verschiedenen Kriege im Nahen Osten haben mich angetrieben, mit einer bestimmten Motivation und einem bestimmten Fokus zu arbeiten. Sie haben dazu beigetragen, dass ich das drängende Gefühl hatte, Fotos machen zu müssen – einfach weil ich keine Fotos von der muslimischen Religion oder von bestimmten Konflikten in weiten Teilen der Welt gesehen hatte. Ich hatte also das Gefühl, dass eine ganze Seite der Geschichte fehlte.

Marwan Bassiouni (*1985, Morges, Schweiz) ist Fotograf und Künstler und lebt in Amsterdam, Niederlande. Er hat Fotografie an der Königlichen Akademie der Künste (KABK) und an der Fotoschule von Vevey (CEPV) studiert. Als ägyptisch-amerikanisch-schweizerischer Muslim hat er seine Religion in der ganzen Welt gelebt und praktiziert. In Fotografieserien wie “New Western Views” und “Prayer Rug Selfies” lädt er dazu ein, einen Blick auf die muslimische Erfahrung durch das fotografische Bild zu werfen. Seine Arbeiten wurden bereits in zahlreichen Ländern ausgestellt.