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Bild: João Carlos Martins/Instagram

Bionische Handschuhe schenken einem Pianisten seine Hände wieder

Jahrelang konnte der brasilianische Pianist und Dirigent João Carlos Martins aufgrund einer neurologischen Erkrankung nicht mehr Klavier spielen. Die bionischen Handschuhe des Designers Ubiratan Bizarro Costa gaben ihm seine Fähigkeiten zurück. Und die Welt hört zu.  

João Carlos Martins war erst acht Jahre alt, als sein Vater ihn für einen Klavierwettbewerb zu den Werken Bachs einschrieb. Die Werke Bachs sollten sein ganzes Leben prägen. Wunderkind Martins gewann den Wettbewerb und spielte von nun an täglich sechs Stunden lang Klavier. Schon bald war seine Karriere nicht mehr aufzuhalten: Er gewann unzählige Wettbewerbe, nahm das gesamte Werk Bachs auf und spielte mit den renommiertesten Orchestern Nordamerikas. 

Eine Karriere mit Schicksalsschlägen

Doch Martins Höhenflug sollte bald durch mehrere Schicksalsschläge auf die Probe gestellt werden. 1965 stürzte er im New Yorker Central Park und beschädigte dabei seinen Ulnarisnerv. Der Ulnarisnerv liegt ungefähr dort im Arm, wo man den sogenannten “Musikantenknochen” vorfindet. Der Sturz bewirkte eine Einklemmung des Nervs, wodurch Martins drei seiner Finger an der rechten Hand nur noch sehr schlecht bewegen konnte. Auf der Höhe seiner Karriere, mit 26 Jahren, musste der Pianist pausieren und konnte erst nach mehreren Operationen und zäher Physiotherapie auf die Bühne zurückkehren. 

Doch das war nicht genug. 1995 wurde Martins erneut vom Schicksal getroffen: Während eines Aufenthalts in Bulgarien wurde er von Kriminellen mit einer Eisenstange angegriffen und erlitt neurologische Folgen. In Folge des Angriffs erkrankte Martins an Morbus Dupuytren, einer Erkrankung des Bindegewebes der Handinnenfläche, und konnte nun auch seine bis dahin gesunde, linke Hand nicht mehr strecken. Martins wollte trotzdem nicht aufgeben: Er spielte einhändig, lernte alle Partituren auswendig, da er die Seiten nicht mehr umdrehen konnte und unterzog sich hartnäckigen Therapien, um nicht ganz aufhören zu müssen. 

Trotzdem war Martins nach 24 Operationen und jahrelanger Therapie praktisch kaum noch in der Lage, Klavier zu spielen und kündigte seinen Ruhestand an. Er beendete seine Karriere als Pianist endgültig und wechselte im Alter von 63 Jahren zum Dirigieren. 

Nach 24 Operationen und jahrelanger Therapie war Martins kaum noch in der Lage, Klavier zu spielen und kündigte seinen Ruhestand an. Bild: Marcio De Assis

Pianist und Designer kommen zusammen

Dann kam Ubiratan Bizarro Costa. Der Designer fand, es sei noch nicht an der Zeit für Martins, seine Karriere an den Nagel zu hängen. In mehreren Anläufen designte Costa bionische Handschuhe für Martins, die ihm das Klavierspielen wieder ermöglichten. Das Video, in dem Martins zum ersten Mal wieder unter Tränen Bach spielt, ging international viral. 

“Ich habe die ersten Modelle basierend auf Bildern seiner Hände gemacht, aber diese Modelle waren noch alles andere als ideal”, so Costa. Costa und Martins trafen sich viermal, bis sie das perfekte Modell entwickelt hatten. Beim dritten Modell klappte es dann: Die bionischen Handschuhe waren in der Lage, Martins Finger so zu spreizen, dass er sie weitestgehend geöffnet halten und kontrollieren konnte. Nach dem Drücken der Klaviertaste werden seine Finger durch die Handschuhe wieder nach oben gedrückt. Costa übergab Martins das letzte Modell 2020 als Weihnachtsgeschenk. “Ich fange von vorne an, als wäre ich ein achtjähriger Klavierschüler”, sagte der Pianist begeistert.

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Kein Luxusprodukt, sondern eine clevere Imitation der Natur

Wer jetzt denkt, es handele sich bei den bionischen Handschuhen um einmalige High-Tech- Luxusprodukt, der irrt sich. Die 3D-gedruckten Handschuhe bestehen aus Neopren, einer Carbonfaserplatte und Stahlbügeln, die sozusagen als Federn für die Finger fungieren und diese spreizen. Auf der Website des Designers sind die bionischen Handschuhe für umgerechnet knapp 222 € pro Paar verfügbar. Hilfreich sind sie für jede Person, die aufgrund von neurologischen oder motorischen Erkrankungen die Finger nicht mehr kontrollieren, zittert oder diese nicht mehr strecken kann. Und davon sind vor allem Männer über 50 besonders betroffen. Viele von ihnen entwickeln im Alter Atrophien oder Krankheiten wie Morbus Dupuytren, in Folge derer sie ihre Finger nicht mehr richtig bewegen können. In den USA erkranken 5 % der Menschen im Laufe ihres Lebens an Dupuytren, in Norwegen sind es ganze 30% der über sechzig-Jährigen. 

In der Bionik werden Funktionsweisen aus der Natur auf menschliche Technik übertragen. Das bekannteste Beispiel ist der Klettverschluss, bei dem sich die Bioniker von der Klette inspirieren lassen. Die Früchte dieser Pflanze haken sich mit ihren Widerhaken im Fell vorbeikommender Tiere ein – ein Verfahren, was beim Klettverschluss imitiert wurde. 

Zudem geht es bei der Bionik auch darum, möglichst wenig Energie aufzuwenden. So sind auch Costas bionische Handschuhe gänzlich mechanisch und haben keinen Motor, Mikrochip oder Batterie. Sie machen sich lediglich die körpereigene Energie zunutze, in dem sie mit den Stahlbügeln die Finger spreizen, sodass die Person ihre Finger wieder geöffnet halten kann. 

Zurzeit braucht Costa, der jeden Handschuh selber anfertigt, bis zur Fertigstellung eines Paares noch bis zu 45 Tage. In Zukunft könnten aber individualisierte bionische Handschuhe günstig und global verfügbar sein. Eine Inspiration sind die bionischen Handschuhe auf alle Fälle – denn sie erinnern uns daran, dass Mechanik, die dem Vorbild der Natur folgt, eine nachhaltige Alternative zu High-Tech ist. Bionische Handschuhe, die gezielt die Folgen von Erkrankungen und Atrophien lindern, könnten somit auch das Leiden von unzähligen betroffenen Menschen lindern. Wenn ihr mehr über Innovationen in der Bionik wissen wollt, schaut in unserem gleichnamigen Kompendium dazu rein.