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Foto: Jeremy Holden

Blockchain: Ein Wald, der sich selbst besitzt

Blockchain verbinden viele noch mit Kryptowährung und Fintech. Dabei hat die Blockchain-Technologie weitaus mehr Anwendungsmöglichkeiten: Ein virtueller Wald zeigt, wie facettenreich die Blockchain ist.

Die Dezentralisierung ist die Zukunft

Wer über keine mathematischen Grundlagen oder Programmierwiessen verfügt, dem fällt es oft schwer die Technologie hinter dem Verfahren des Blockchain zu verstehen. Unmöglich ist es aber nicht. Fest steht allerdings, dass wir die Technologie verstehen müssen, um ein Mitsprachrecht zu haben, wenn es um die Zukunft geht. Bitcoin und andere Kryptowährungen sind erst der Anfang einer Welle von Technologien, die ohne zentralisierte Server auskommen. Was dezentralisierte Anwendungen so spannend macht, ist ihre Resilienz: Daten werden nicht an einem Ort, sondern im gesamten Netzwerk abgespeichert und kryptografisch verschlüsselt. Aus diesem Grund, sind diese Technologien sicherer und widerstandsfähiger als jegliche bisher genutzten digitalen Technologien. Einfacher gesagt: Die Menschen können einer dezentralisierten Technologie mehr vertrauen. Und das öffnet neuen Spielraum für Handlungen.

Ethereum: mehr als eine Währung

Das auffällig große Vertrauen in diese Technologie zeigt sich allein an der Geldmenge, die Menschen jeglicher sozialer Schichten mittlerweile in Bitcoins und andere Kryptowährungen investieren. Was wäre allerdings, wenn das digitale Zahlungsmittel wertlos wäre? Investoren und Hobby-Broker würden ihr Kapital dann sicherlich nicht in Kryptowährungen stecken und so den Marktpreis der Währungen nach oben treiben. Nicht jeder Coin glänzt: Nicht umsonst haben fehlgeschlagene Coins inzwischen den Begriff Shitcoin maßgeblich geprägt. Dabei können die digitalen, dezentralen Währungen oft noch mehr als Geldwerte bewahren. Das Ethereum-Netzwerk bietet durch sogenannte Smart Contracts eine neue Funktion: Maschinen können ohne Menschen voll-automatisch autorisierte Aktionen ausführen, solange diese unter bestimmten Bedingungen ablaufen. Einfacher gesagt: Mithilfe von Ethereum könnte eine Topfpflanze sich selbst düngen und mit ihrem eigenen zugewiesenen Taschengeld auch noch für den Dünger bezahlen. Die Smart Contracts lösen Aktionen oder Programmabläufe aus, sobald der Geldeingang verzeichnet wird. Was so simpel klingt, ist revolutionär: Maschinen könnten so zu wirtschaftlich autonomen Subjekten werden, die in der Lage sind eigenmächtig zu handeln. Diese Maschinen stünden dann im Dialog mit der Natur, wie die als Beispiel genannte Topfpflanze. Technisch erweiterte Ökosysteme bildeten neue Einheiten, die ökonomische Teilhabe ohne menschliches Zutun ermöglichen.

Utopien an der Schnittstelle von Kunst und Code

Das Projekt terra0 zeigt bereits heute auf, wie wir uns autonome Systeme in Symbiose mit Ökosystemen und Netzwerken vorstellen können. Die Gründer des Projekts stammen aus dem Umfeld der Berliner Universität der Künste: dort entwickelten die drei Kunststudenten Paul Seidler, Paul Kolling und Max Hampshire die Idee zu einem Grundstück, das sich selbst besitzt. Dieses Ziel kann unser Denken zunächst sprengen. Richtig gelesen: Es geht um ein Grundstück, das sich selbst besitzt – also keinen menschlichen Besitzer hat. Wie kann das funktionieren? Und da kommen die Smart Contracts des Ethereum-Netzwerks ins Spiel. Sie lösen eine Reaktion des Systems in Form von Transaktionen aus. So kann sich das Grundstück, oder konkreter ein Wald, sich selbst verwalten. Diese Idee ist weniger abstrakt, wenn wir uns ins Gedächtnis rufen, dass ein Unternehmen rein rechtlich gesehen auch eine Person ist und Eigenkapital besitzt. So wird der Wald zum Unternehmer. Doch was passiert mit dem Förster, d. h. demjenigen, der das Grundstück bzw. den Wald verwaltet?

Dieser wird zwar nicht gleich abgeschafft, aber viele seiner Funktionen werden digitalisiert. Durch Sensoren sammelt das System Daten von Bäumen: Wachstumsrate, Gesundheit und Lichteinfall. All das wird überwacht und durch die Smart Contracts werden Entscheidungen darüber getroffen, was in Zukunft mit den einzelnen Bäumen im Wald passiert. Die Installation des Netzwerks kostet zwar Geld, aber über einen bestimmten Zeitraum hinweg kann der Wald Wert (in Form von verkauftem Holz) schaffen und sich selbst zurückkaufen. Und zwar so weit, dass er sich selbst besitzt – und von dort aus sogar expandieren kann. Laut den Berechnungen von terra0, dauert es 33 Jahre bis der Wald sich selbst abbezahlt hat. Doch noch ist das alles nur Theorie. Solange wir uns keine Roboter dazu denken, brauchen wir den Förster weiterhin für die Pflege und Abholzung des Waldes. Die Schnittstelle zwischen Wald und Blockchain ist also eher eine ökonomische – der Wald besitzt sich dann zwar irgendwann selbst, aber die Menschen helfen ihm dabei. Bisher existiert dieser Wald nur als Whitepaper, an der Umsetzung wird jedoch bereits gearbeitet.

Die Schnittstelle zwischen Blockchain und Wald ist ökonomisch – zur Pflege und Abholzung braucht es Menschen. Vorerst. Foto: Sam Cumming

Unser Verständnis von Besitz wird sich ändern müssen

Die Köpfe hinter terra0 zeigen uns auf, dass es hier nicht nur um ein Projekt geht, das wirtschaftlichen Ertrag abwerfen soll: Ihr Kunstprojekt möchte auf ganz neue Formen der Interaktion und gesellschaftlicher Gestaltung hinweisen. „Blockchain technology and smart contracts enable nonhuman actors to administer capital and therefore to claim the right to property for the first time”, heißt es in ihrem Whitepaper. Was bedeutet es, wenn nicht mehr nur der Wald sich selbst besitzt? Werden wir dann überflüssig? Im Gegenteil: Wir können uns neuen Aufgaben zuwenden. Der Förster in besagtem Wald wird dann zum digitalen Verwalter einer autonomen Einheit. Das Geld, dass der Wald nach der ersten Investition abwirft, kann er weiter nutzen. Spinnen wir diese Idee weiter, können wir uns Netzwerke von autonomen Landschaften vorstellen. Und wie gehen wir mit diesen Ressourcen um? Sobald der Besitzer nicht mehr menschlich ist, schalten wir auch die Gier ab. Ein Wald wird sich, sofern die Smart Contracts entsprechend gestaltet sind, nicht selbst abholzen. Die oben genannten 33 Jahre, die der Wald voraussichtlich bräuchte, um sich selbst abzubezahlen, sind ein langfristiges Investment.

Doch das radikale Empowerment des Waldes geht weiter: So kann das Grundstück, wenn es sich selbst abbezahlt hat, einen Teil seines Einkommens in einen übergeordneten Fonds einzahlen. Dieser wiederum könnte dafür sorgen, dass wir Menschen ein bedingungsloses Grundeinkommen erhalten. Die Integration von natürlichen Ökosystemen als Akteure in unsere gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Systeme wird ein neues Denken anregen. Die Konsequenz daraus können wir heute noch nicht abschätzen.

Mehr dazu in unserem Kompendium Universelle Währung.