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Bild: Clara (@35.mmbyclara)

Das Patriarchat und den Kolonialismus mit Humor entwaffnen – Comedian Gauri B im Interview

Sie nimmt kein Blatt vor den Mund: Die Stand Up Comedian Gauri B spricht auf den Bühnen dieser Welt unerschrocken über das, was in unserer Welt falsch läuft – und zwar getränkt in einer gewaltigen Portion dunklem Humor. Im Interview mit Qiio verrät Gauri, warum das Glas bei ihr grundsätzlich immer halb leer ist und welche Chancen sie in der Kraft von Humor sieht.

*Im folgenden Artikel wird der englische Begriff “race” statt “Rasse” benutzt. Der englische Begriff „race“ gilt als zentraler Analysebegriff in den Rechtswissenschaften und Sozialwissenschaften in den USA. Der deutsche Diskurs um das Wort „Rasse“ gilt als noch nicht beendet und es gibt noch keinen Konsens über die Benutzung des Wortes. Auch sind Bedeutungsebenen und der Anwendungskontext in Deutschland anders als in Nordamerika.

Gauri, wenn man bei Google nach den “Besten Comedians aller Zeit” sucht, erhält man eine sehr lange Liste von…

Lass mich raten: Männern?

Ja, genau. Glaubt die Gesellschaft also, dass Männer witziger sind als Frauen?

Du wirst in jedem Kommentarbereich einer beliebigen weiblichen Stand Up Comedian ein paar Trolle finden, die den gleichen alten Kommentar “Frauen sind nicht lustig” hinterlassen. Dabei sehe ich die Gesichter der Männer, die zu meinen Shows kommen: Sie sind rot vor Lachen und schnappen nach Luft, also weiß ich mit Sicherheit, dass Frauen lustig sind und Männer Frauen lustig finden. Gibt es trotzdem ein Vorurteil in unserer Gesellschaft? Ja. Die Comedy-Branche wurde lange Zeit von Männern dominiert, sie hatten gewissermaßen einen Vorsprung. Aber das ändert sich langsam, da immer mehr unterschiedliche Stimmen auftauchen. In 50 Jahren wird diese Liste also ganz anders aussehen. Sie verändert sich schon jetzt, weil wir – Frauen und LQBTQ+-Comedians – hart daran arbeiten, integrative Räume zu schaffen, die Frauen und queeren Künstler:innen eine Plattform bieten. Ich kenne viele männliche Comedy-Produzenten, die nicht mehr als eine weibliche Stand-up-Comedian in ihr Programm aufnehmen, und ich kenne auch einige männliche Produzenten, die aktiv Comedy-Abende für Frauen produzieren. Ich glaube auch, dass Frauen seit ihrem Eintritt in die Arbeitswelt ihr Geld für Kunst ausgeben wollen, die sie anspricht, und die Produzent:innen erkennen das, was automatisch zu mehr Möglichkeiten für Frauen führt. Erst heute erhielt ich eine Nachricht von einem Produzenten, der sagte: “Hey, ich habe heute 20 Frauen in der ersten Reihe bei der Show, ich brauche mehr weibliche Comedians im Programm. Kannst du mitmachen?”.

Glaubst du, dass das Patriarchat jemals aufhören wird zu nerven, oder müssen wir es für immer ertragen?

Ich glaube nicht, dass wir es für immer ertragen müssen – einfach, weil ich mir nicht mal sicher bin, ob der Planet so lange bestehen wird (lacht). Die Dinge verändern sich. Allein in den letzten 50 Jahren gab es so viele Veränderungen. Und es wird sich in den nächsten Jahren weiter wandeln. Wobei es seltsam ist, darüber nachzudenken. Mich macht das nervös.

“Die Comedy-Branche wurde lange Zeit von Männern dominiert, sie hatten gewissermaßen einen Vorsprung. Aber das ändert sich langsam, da immer mehr unterschiedliche Stimmen auftauchen. Wir – Frauen und LQBTQ+-Comedians – arbeiten hart daran, integrative Räume zu schaffen, die Frauen und queeren Künstler:innen eine Plattform bieten.” Bild: Clara (@35.mmbyclara)

Im positiven oder negativen Sinne? 

Im negativen (lacht). Vielleicht bin ich einfach ein negativer Mensch. Ich sehe das Glas immer halb leer. Aber ich habe auch Hoffnung. Wenn ich mir anschaue, was vor allem Frauen schon alles erreicht haben, dann denke ich oft, wenn wir mit so viel Kraft weitermachen, können wir die Waage zu unseren Gunsten ausschlagen. Aber da ist auch immer diese kleine Unsicherheit: Man weiß nicht, wie das politische Umfeld sein wird, wer als nächstes wo an die Macht kommt, was passieren wird. Wenn solche Dinge passieren, ist es beängstigend, an die Zukunft zu denken, einfach weil man weiß nicht, was alles passieren könnte.

Als Reaktion auf deine Arbeit schrieb dir einmal jemand, dass “du das Patriarchat untergräbst, ein Witz nach dem anderen”. Inwiefern gibt dir Humor die Möglichkeit, das zu tun? 

Humor ist ein großartiges Mittel, um etwas zu vermitteln, denn oberflächlich ist ja alles nur Spaß, richtig? Man entwaffnet das Publikum ein bisschen, indem man es zum Lachen bringt. Das finde ich sehr schön. Mit Humor ist es nicht so, dass man sich auf ein Podest stellt und die Leute belehrt oder ihnen sagt, dass sie im Unrecht sind und dass sie schlecht sind – das macht die Leute nur noch defensiver. Stattdessen bringt man sie mit einem Lächeln zu einer Erkenntnis. Das ist sehr wirkungsvoll. 

Wenn du nicht gerade auf Tournee bist, bist du normalerweise in Berlin zu Hause. Mal ehrlich: Was ist schlimmer, eine Zombie-Apokalypse oder ein Date mit Deutschen?

(lacht) Was ist schlimmer für mich? Ich denke die Zombie-Apokalypse. Obwohl, wenn ich auf der Bühne stünde, würde ich definitiv sagen, mit einem Deutschen auszugehen. 

Hätte es einen Unterschied gemacht, wenn ich Zombie-Apokalypse oder ein Date mit einem deutschen Mann gefragt hätte? 

Ein Date mit einem deutschen Mann… Ja, ich meine, ein Date mit einem deutschen Mann ist wahrscheinlich selbst eine Apokalypse: keine Gefühle, nicht viel Wärme in der Beziehung. Es wäre sehr kalt, aber wenigstens würde er mich nicht umbringen (lacht).

Eine deiner Shows heißt “Hoes of Berlin”. Was bedeutet es für dich, eine Hoe zu sein?

Ich will mir dieses Wort wieder aneignen, weil ich nicht verstehe, warum die Leute das Wort “Hoe” oder “Slut” benutzen, um Frauen zu beleidigen. Als ob man so tief sinken und mich mit dem Wort beleidigen könnte, mit dem ich früher meine WhatsApp-Gruppenchats betitelt habe (lacht). Das Wort zurückzufordern, ist wie ein Fuck You an die Gesellschaft. 

In einer Aufzeichnung deiner Show sagst du, dass die klassische Barbie für dich nie ein Vorbild war und dass die indische Barbie sogar noch schlechter wegkommt, weil sie ein stereotypes Bild von indischen Frauen zeichnet. Wenn Mattel dich bitten würde, die Inspiration für eine neue indische Barbie zu sein, würdest du Ja sagen? 

Ja, das fände ich sehr schön.

Wie würde dein Barbie-Alter-Ego sein?

Ich denke, sie wäre wie ich selbst: unabhängig, jemand, der sich nicht scheut, seine Meinung zu sagen. Wie jede moderne indische Frau – sie ist da draußen, sie macht ihr Ding, sie verfolgt ihren Traum. Und sie passt nicht in die Schublade, die diktiert, wie eine indische Frau angeblich ist – denn diese Schublade wurde von den westlichen Medien vor 70 Jahren erfunden, und ich glaube, viele Leute wissen gar nicht, wie weit wir uns davon entfernt haben. Viele denken immer noch, dass Indien ein rückständiges Land ist, in dem es keinen Kühlschrank und keine Klimaanlage gibt und in dem die Frauen die ganze Zeit nur zu Hause den Abwasch machen. Den Leuten ist nicht klar, wie weit wir gekommen sind, wie weit Indien als Land gekommen ist. Die indische Barbie, mein Modell, würde die Frauen von heute repräsentieren. Wir sind stark. Wir sind mutig. Wir gehen raus in die Welt und verwirklichen unsere Träume. Und wir passen definitiv nicht mehr in eine Schublade. 

Gibt es irgendetwas, das sich deiner Meinung nach im Feminismus ändern muss?

Ich denke, der Feminismus muss viel inklusiver werden. Wenn wir Feminismus sagen, reden wir über Gleichheit und Geschlecht, aber wir reden nicht über Gleichheit und Geschlecht in Bezug auf race. Wir müssen wirklich alle gleich behandeln und unsere eigenen Privilegien anerkennen. Und wir sind alle auf irgendeine Weise privilegiert. Im Westen bin ich eine farbige Frau, also könnte ich hier aufgrund meiner race diskriminiert werden. Aber wenn ich in mein Heimatland zurückkehre, komme ich aus einer Familie der oberen Kaste und genieße dort viele Privilegien. Letztendlich kommt es also darauf an, wie man sein Privileg und damit seine Macht nutzt, um andere zu unterstützen. Anstatt in den Opfermodus zu verfallen, müssen wir in einen Aktionsmodus wechseln. Wir müssen aufhören, Männer für alles verantwortlich zu machen und zusammenhalten. Und unser Privileg nutzen, um unterprivilegierten Gruppen zu helfen. 

Du sprichst in deinen Shows auch regelmäßig über Kolonialismus. Ein Thema, vor dem viele Europäer:innen zurückschrecken. 

Das ist total seltsam, oder?! Ich verstehe diesen Reflex nicht. Ich schätze, genau deshalb spreche ich darüber – weil es sonst niemand tut.

Ich habe mich gefragt, wie dein Publikum auf das Thema reagiert? Trauen sie sich, zu lachen, wenn du darüber sprichst? 

Es kommt wirklich auf das Publikum an. Ich hatte schon Publikum, das es liebte – sogar britisches. Sie haben es geschätzt, dass ich auf eine raffinierte und lustige Weise darüber gesprochen habe. Ich hatte aber auch schon eine Show in London, bei der ein Teil des Publikums – die älteren Brit:innen – sehr, sehr angespannt war, als das Thema Kolonialismus aufkam. Die jüngeren Zuschauer:innen waren begeistert, einige der älteren Zuschauer:innen waren beleidigt. Ein Mann sagte: “Wir sind stolz auf den Kolonialismus” und verließ mit seiner Frau die Show. Alle anderen schüttelten mir die Hand, bevor sie gingen, und sagten, es sei ein großartiger Auftritt gewesen, der dadurch verstärkt wurde, dass er die richtigen Leute in Verlegenheit brachte. 

Gibt es bei dir persönliche Tabuthemen in Sachen Showprogramm?

Ja. Ich habe einen dunkleren Sinn für Humor, aber es ist schwer, die Leute bei dunkleren Themen zum Lachen zu bringen. Im Laufe der Jahre habe ich mir die Fähigkeiten dazu angeeignet, aber letztendlich hängt es wirklich vom Raum ab. Wenn ich Showcases mache oder für andere Comedians eröffne, passe ich mein Material je nach Raum an.

Zu deinen Shows gehört, dass deine Gäste anonym etwas von sich preisgeben, das sie normalerweise nicht mit anderen teilen würden. Reden wir Menschen zu wenig über die dunklen und verborgenen Seiten unseres Selbst?

Ja, ich denke schon. Dabei tut es so gut, darüber zu reden! Man fühlt sich einfach viel leichter. Manchmal kommen die Leute nach meiner Show zu mir und sagen mir, dass es sehr kathartisch war. Es ist auch für mich kathartisch – und es zeigt mir, dass das, was ich mache, wenn ich in einen Comedy-Club gehe, genau das Richtige ist.

Welche Kraft steckt deiner Meinung nach in dunkler Humor? Kann er letztlich die Welt retten?

Dunkler Humor ist eine Reaktion auf Tragödien. Er ist ein Bewältigungsmechanismus und hilft bei der Heilung, wenn er richtig eingesetzt wird. Nicht jede:r kann ihn anwenden und nicht jede:r kann ihn zu schätzen wissen. Meine Absicht ist es nicht, jemanden zu beleidigen oder zu schockieren. Ich nutze dunklen Humor, weil die Welt ein dunkler Ort ist, an dem schlimme Dinge passieren und man entweder weinen oder lachen kann. Wenn mir persönlich etwas Schlimmes passiert und ich sehr traurig bin, kommt mir plötzlich ein Witz in den Sinn, ich lache ein wenig und fühle mich besser… Ich habe festgestellt, dass ich leider nicht zu den Comedians gehöre, die sich über ganz normale Dinge einen Witz ausdenken können. Jeder meiner Witze wird irgendwann dunkel. Ich glaube, das ist einfach Teil meiner Psyche. Ich weiß nicht, ob dunkler Humor die Welt retten wird, aber hoffentlich hinterlässt er bei einigen Leuten einen Eindruck, löst ein Trauma oder bringt die Leute einfach zum Lachen.

Wovon träumst du, wenn du von der Zukunft träumst? 

Ich hoffe einfach, dass die Menschheit sich mehr umeinander kümmert. Alle sind nur noch davon besessen, zur Arbeit zu gehen, Geld zu verdienen, Rechnungen zu bezahlen, am Wochenende etwas trinken gehen und das war’s. Das ist das Leben. Wir stecken alle in diesen mechanischen Abläufen fest, und das macht mich manchmal richtig traurig. Wir rackern uns einfach ab, besonders in Amerika. Alle arbeiten so hart, sind gestresst und rennen dem Geld hinterher. Ich hoffe, dass wir uns alle umeinander sorgen werden und dass es keinen Hass, keinen Sexismus, keinen Rassismus gibt. Ich hoffe, dass der Feminismus ein Wort der Vergangenheit sein wird, weil wir ihn dann nicht mehr brauchen werden… Weißt du, ich war letztes Jahr in Griechenland und– Hast du dieses Jahr Urlaub gemacht?

“Dunkler Humor ist eine Reaktion auf Tragödien. Er ist ein Bewältigungsmechanismus und hilft bei der Heilung, wenn er richtig eingesetzt wird. Ich weiß nicht, ob er die Welt retten wird, aber hoffentlich hinterlässt er bei einigen Leuten einen Eindruck, löst ein Trauma oder bringt die Leute einfach zum Lachen.” Bild: Clara (@35.mmbyclara)

Nein, habe ich nicht. Ich musste arbeiten, um meine Rechnungen zu bezahlen.

(lacht) Siehst du? Davon rede ich. Ich war also letztes Jahr in Griechenland und lag an diesem Strand, der unfassbar ruhig war. Das Wasser war blau, die Sonne schien und ich lag einfach am Meer und trank meinen Kaffee und fragte mich, was brauche ich eigentlich wirklich? Dieser Planet ist so schön. Wir haben doch schon alles. Als ich in Griechenland war, fand ich heraus, dass auf der anderen Seite der Insel, auf der ich wohnte, ein Flüchtlingslager war, und das ist so morbide. Ich genieße dort das Wasser und auf der anderen Seite sind Menschen, die vermutlich ihre Familie und ihr Zuhause verloren haben. Das ist leider auch die Welt, in der wir leben. 

Wenn ich deine Zukunftsträume höre, verstehe ich auf jeden Fall, warum du über dich selbst sagst, dass du das Glas immer halb leer siehst (lacht).

(lacht) Ich denke, es ist gut für mich, das Glas halb leer zu sehen. Nur deshalb kann ich über Dinge reden, über die wir reden müssen, wie zum Beispiel über den leeren Teil. Ich glaube prinzipiell nicht, dass Comedians sehr positive Menschen sind. Ich glaube, wir sind alle etwas traurig – und genau deshalb können wir andere Menschen zum Lachen bringen.

Gauri B ist eine Stand-up-Comedian, Schauspielerin und Modeliebhaberin, die das Internet im Sturm erobert hat. Mit über 50 Millionen Views und 200.000 Followern auf Instagram und TikTok, stellt die Provokateurin in ihren Shows regelmäßig Stereotypen und gesellschaftliche Normen in Frage. Wenn Gauri B nicht gerade in Berlin auftritt, findet man sie in London, New York oder anderen Metropolen dieser Welt.