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Bild: Micha Fritz via Instagram

Der späte Feminist – Interview mit Micha Fritz

Es ist 10 Uhr morgens. Micha Fritz sitzt zwischen zwei Terminen in einem Café in Hamburg und hat gerade seine Kinder in die Kita gebracht. Das Leben des Aktivisten und Mitbegründers der Hamburger Initiative Viva Con Agua hat sich verändert, seit seine Frau Agnes, genannt Agi, ihn zum Feministen machte. Heute dankt er ihr dafür. Wie und warum erzählt Fritz im Gespräch mit Qiio. 

Bringst du immer die Kinder zur Kita?

Ja, das ist mein daily Ding. Die Kita ist nur fünf Minuten von zu Hause entfernt, manchmal zehn, wenn der Kleine selbst läuft. Das sind jeden Tag zehn schöne Minuten. Meine Frau und ich haben zusammen einen Workshop gemacht, in dem wir alle Jobs aufgeteilt haben. 

Was war das für ein Workshop?

Vor vier Jahren ungefähr, anderthalb Jahre nachdem meine Tochter Freeda zur Welt gekommen ist, hat meine Frau Agi alle Jobs, die jährlich, halbjährlich, monatlich, wöchentlich, täglich usw. anfallen, aufgelistet, mit Post-its an die Wand geklebt und mit Stunden versehen. Die Steuererklärung ist zum Beispiel eine jährliche Aufgabe, die vielleicht 10 bis 15 Stunden Arbeit bedeutet. Im ersten Schritt haben wir die Aufgaben analysiert und geschaut, wer was macht. Und das Ergebnis hat gezeigt, dass die Aufgabenteilung definitiv nicht fair war. 

Wie fair bzw. unfair war sie denn?

Ich glaube, Agi hatte um die 700 Stunden und ich so 200. Ich habe dann zum Beispiel die Steuererklärung übernommen, aber im Jahr darauf hatten wir immense Steuerschulden. Also haben wir die Verteilung noch einmal neu festgelegt, anhand von Skillsets. Mir ist Geld eher egal, das ist keine gute intrinsische Motivation, um Steuern zu machen. Außerdem bin ich nicht besonders sorgsam mit meinen Dokumenten. Aber dafür bin ich gelernter Sanitäter, deshalb fällt mir alles, was das Gesundheitssystem betrifft, leicht. Wenn die Kinder krank sind oder zum Arzt müssen, dann kümmere ich mich darum. Ich habe auch einen flexibleren Job als Agi, die Geschäftsführerin ist. Neben der Aufgabenverteilung haben wir kürzlich noch einen Mental Load Test gemacht. Der ging für mich auch schlecht aus. Ich bringe zum Beispiel den Müll raus, aber ich denke nicht dran. Agi bringt den Müll nicht raus, aber sie denkt dran. Der Mental Load Test funktioniert so: Denke dran und mach es. Da habe ich also wieder komplett verkackt und wieder die doppelte Zeit gehabt. Deshalb habe ich jetzt noch die Wäsche übernommen. Leider ist die Wäsche einmal eingelaufen, aber ich hoffe, ich kriege noch eine zweite Chance. Wir haben die Aufgaben jetzt ziemlich fair aufgeteilt, 50/50, weil Agi das auch maximal einfordert. 

Es dauerte sechs Jahre, bis Agnes und Micha Fritz es schafften, die Care-Arbeit fair aufzuteilen. Bild: Micha Fritz via Instagram

Bist du stolz darauf?

Natürlich werde ich dafür auch gefeiert, vor allem von Frauen, die mehr Care Arbeit übernehmen als ihre Partner. Aber im besten Fall hätte Agi das ja nicht die letzten sechs Jahre von mir einfordern müssen. 

Wie war dieser sechsjährige Prozess? Wie konnte sie dich davon überzeugen, dass du etwas änderst?

Man muss schon ehrlich sagen, dieser Prozess war unangenehm. Aus meiner Perspektive, und aus ihrer wahrscheinlich auch. Weil man immer wieder diesen Gedanken hat: ‘Jetzt nörgelt sie wieder rum, jetzt kommt sie wieder mit ihren Frauenthemen.’ Man kommt ganz schnell in dieses Schubladendenken. Ich hatte eine grundlegende Bereitschaft, mich zu ändern, einfach weil ich diese Frau liebe, weil ich meine Kinder liebe und weil ich an Gerechtigkeit glaube. Und weil ich daran glaube, dass man sich auch mal den Arsch aufreißen muss, damit das Konzept Familie funktioniert.

Wenn du an Gerechtigkeit glaubst, wieso hat es dann sechs Jahre gedauert, bist du sie auch umsetzen konntest?

Weil ich krass dumm bin (lacht)! Ich habe nicht so eine schnelle Lernkurve. Es gab in diesem Prozess unterschiedliche Phasen, es waren ja nicht sechs Jahre lang Mental Load. Es hat ein wenig gedauert, bis wir die Aufgabenverteilung organisiert haben. Und auch Agi hat sich in diesem Prozess ‘emanzipiert’, sowohl in ihrer Rolle als Frau, als auch in ihrer Rolle als Mutter, Geschäftsführerin, Arbeitskollegin und so weiter.  Das heißt, sie hat mir nicht sechs Jahre lang das Gleiche gesagt – es waren schon sechs Jahre voller unterschiedlicher Inputs und Weiterentwicklungen. Und trotzdem hat es zu lange gedauert. Im Nachhinein habe ich diesen Prozess reflektiert und gemerkt, dass ich im besten Fall diese Arbeit hätte selbst leisten müssen, statt meiner Frau. Heute weiß ich, dass es eine nie endende Aufgabe ist, denn die Rollenbilder werden sich immer weiter verändern. Wir reden hier von über 2000 Jahren Patriarchat, und viele patriarchale Strukturen werden auch heute noch wiederbelebt und untermauert. Es wird also noch dauern, bis wir das überwunden haben, und deshalb brauchen wir auch radikale feministische Stimmen, damit überhaupt Veränderung passiert. Es braucht auch Männer, die das kommunizieren, damit andere Männer das von ihrer Peergroup hören. Männer müssen dann aber wiederum aufpassen, dass sie nicht zu viel Raum in dem Diskurs einnehmen und die Credits immer den Leuten geben, die die eigentliche Arbeit geleistet haben – zum Beispiel in meinem Fall meiner Frau, oder eben den Menschen, die sich seit Jahren für Feminismus und Gleichberechtigung einsetzen. 

“Es wird noch dauern, bis wir das Patriarchat überwunden haben – wir reden hier von über 2000 Jahren Patriarchat, und viele patriarchale Strukturen werden auch heute noch wiederbelebt und untermauert, und deshalb brauchen wir auch radikale feministische Stimmen, damit überhaupt Veränderung passiert.” Bild: Micha Fritz

Sollten sich Männer also feministische Männer zum Vorbild nehmen, oder Frauen?

Gute Frage. Ich glaube eher an Perspektivenvielfalt. Wenn ich nur mit Hans, Christian und Joachim rumhänge, dann habe ich das nicht. Vorbilder sollten divers sein.

Du und Agi postet viel zu feministischen Themen, Vaterschaft und Emanzipation. Wer ist euer Publikum? Bekommt ihr eher Rückmeldungen von Frauen oder von Männern?

Erstmal muss ich sagen, dass Agi eigentlich gar nicht postet, sondern nur ich, und sie nimmt es an, wenn wir daraus ein Cross-Posting machen. Agi hätte wahrscheinlich noch mehr zu sagen als ich, aber sie kommt gar nicht dazu. Ich habe diese Posts jetzt eine Weile analysiert und beobachtet, dass ich als Mann eher abgefeiert werde. Wenn beispielsweise Louisa Dellert – ebenfalls als Person des öffentlichen Lebens – ähnliche Themen aufgreift, bekommt sie viel Hate ab. Auch ich bekomme manchmal Kritik ab, aber ich werde nicht in diesem Ausmaß beleidigt oder wegen meines Geschlechts angegriffen. Negative Kommentare zu meinen Postings sind, würde ich sagen, zu 90 % von Männern. Frauen reagieren eher positiv

Würdest du sagen, deine Frau hat dich zum Feministen gemacht?

Meine Frau plus der Freundeskreis. Darin gibt es noch einige andere Frauen, denen man Credits geben sollte. 

Micha Fritz ist Aktivist, Unternehmer und Influencer. Mit Anfang 20 gründete er mit Freund:innen gemeinsam einen Verein für mehr sauberes Trinkwasser, Viva Con Agua. Seitdem dreht sich sein Leben um Wasser – und um Gleichberechtigung.