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Bild: Screenshot Law & Crime Network

Die Johnny Depp Show ist endlich vorbei. Ist jetzt Gerechtigkeit erreicht? 

Johnny Depp hat bekommen, was er wollte: Das Gericht in Fairfax gab ihm in allen Anklagepunkten im Prozess gegen seine Exfrau Amber Heard Recht. Neben den Abgründen von Depps und Heards toxischer Beziehung offenbart der Prozess aber auch die Abgründe der amerikanischen Gesellschaft.

Es ist vorbei: Nach sechs Wochen Telenovela vor Gericht, in denen Amber Heard und Johnny Depp die schlimmsten Abgründe ihrer toxischen Beziehung offenbart haben, hat Johnny Depp bekommen, was er wollte. Er hat nicht nur den Prozess „gewonnen“ – Amber Heard muss insgesamt 15 Millionen Dollar zahlen, bekommt aber nur 2 Millionen von Johnny Depp – er und seine Anwälte haben Heard auch vor der ganzen Welt bloßgestellt und ihre Missbrauchsanschuldigungen als potenzielles Opfer häuslicher Gewalt effektiv annulliert.

All Eyes on Johnny

Und was haben wir nun davon? Neben der sozialen Wiedergeburt von Johnny Depp und seinem Aufstieg zu einer Kultfigur offenbart sich durch den öffentlichen Prozess auch ein absurdes Bild der USA. Ein Land, in dem der Prozess zweier Hollywoodstars wichtiger ist, als die brennenden sozialen Probleme, die sich dort zutragen. Was, wenn die amerikanische Gesellschaft genauso viele Ressourcen, Geld, Presse und hochkarätige Anwaltsteams in die Verbesserung des Schulsystems, des Gesundheitssystems oder etwa in die Bekämpfung von Rassismus und Waffengewalt stecken würde, wie sie in die Produktion der Johnny Show gesteckt hat? 

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Was, wenn diese Gesellschaft sich genauso für eine Reform der Waffengesetze einsetzen würde, wie sie sich für #justiceforjohnny eingesetzt haben? Seit ein 18-Jähriger vor knapp einer Woche in einer Schule in Uvalde Amok gelaufen ist, fanden in den USA acht weitere Massenerschießungen statt. Diese gingen in dem Trubel um die Johnny Show unbeachtet an den meisten vorbei. Man muss eben Prioritäten setzen. This is America: Ein Land, in dem die „Gerechtigkeit“ eines Hollywoodstars der Gesellschaft wichtiger ist, als die Gerechtigkeit innerhalb der Gesellschaft selbst. Ein Land, in dem die Fiktion von Entertainment einen höheren Stellenwert hat, als die Realität. 

Everybody’s Darling

Während Johnny Depp vor Gericht schmunzelnd seine „Drogenbox“ präsentieren kann, weil er ein Rockstar ist, sitzt einer vor fünf inhaftierten Amerikaner:innen wegen Drogenstraftaten im Gefängnis. Täglich werden 347.000 Menschen in den USA im Zusammenhang mit Drogenstraftaten in die ohnehin schon überfüllten Gefängnisse gesteckt. Dabei machen schwarze Amerikaner:innen 62% der Inhaftierten in Zusammenhang mit Drogenstraftaten aus und 38% aller Inhaftierten, obwohl sie nur 12% der amerikanischen Bevölkerung sind. In den USA kommen mehr Menschen für gewaltlose Drogenstraftaten ins Gefängnis, als für Straftaten die Gewalt involvieren. 

Stellt euch vor, dieses Statement würde nicht aus Johnny Depps Mund, sondern aus dem Mund eines nicht berühmten Afroamerikaners kommen: „Wir haben ein paar mal zusammen gekokst. Einmal habe ich Marilyn Manson eine Pille gegeben, damit er aufhört, so viel zu reden.“ Abgesehen davon, dass nicht jeder mit Marilyn Manson abhängt, ist in diesem Prozess mehr als deutlich geworden, dass Johnny Depp eine Sonderbehandlung bekommt. 

Während Johnny Depp vor Gericht schmunzelnd seine „Drogenbox“ präsentieren kann, weil er ein Rockstar ist, sitzt einer vor fünf inhaftierten Amerikaner:innen wegen Drogenstraftaten im Gefängnis. Grafik: Prison Policy Initiative

Aus #metoo wird #mentoo? 

Während Johnny Depp wie ein Rockstar gefeiert wird, wird Amber Heard vom ersten Tag an öffentlich niedergemacht. Und während Amber Heard im Gerichtssaal mit geneigtem Kopf das Urteil über sich ergehen lässt und die Scham erträgt, vor laufender Kamera ihre Missbrauchserfahrungen innerhalb von Sekunden entwertet zu bekommen, schafft Johnny Depp es leider nicht zu seiner eigenen Urteilsverkündung, weil er siegessicher auf Tournée in England ist. Obwohl der Prozess deutlich gemacht hat, dass Depp und Heard sich gegenseitig erniedrigt haben, war für die Öffentlichkeit von Anfang an klar, wer Täter und wer Opfer ist. 

Ob sich nach diesem Zirkus mehr Missbrauchsopfer trauen, sich zu äußern, wie Johnnys Fans argumentieren? Wohl kaum. „Wenn du keine Fotos hast, ist es nicht passiert. Wenn du Fotos hast, sind sie manipuliert. Wenn sie nicht manipuliert sind, hast du dir die Verletzungen selbst zugefügt. Wenn du zu viel weinst, schauspielerst du, wenn du zu wenig weinst, bist du unglaubwürdig“, bemerkt Maja Beckers in der ZEIT. Das Ergebnis: Das Thema häusliche Gewalt wird zur Nebensache, jegliche Beweise Teil einer bösartig raffinierten Verschwörungstheorie. 

Virginia: Die perfekte Bühne für Johnny’s Mobbing-Show

Johnny Depps Ziel erscheint mir nach 6 Wochen Prozess deutlich: Amber Heard öffentlich bloßzustellen. Über eine Millionen Menschen schauten täglich live dabei zu, ganz zu schweigen von den Abertausenden, die an Heards Diffamierung in den sozialen Medien teilnahmen. In ihrer letzten Aussage vor Gericht sagte Heard, es sei „beschämend”, diese Erinnerungen vor  der Öffentlichkeit erneut zu durchleben. 

Heards Team hatte zuvor versucht zu verhindern, dass der Prozess live übertragen wird. In Virginia sind Kameras im Gerichtssaal im Gegensatz zu vielen anderen US-Bundesstaaten erlaubt. Ausgenommen von der Regelung sind Prozesse mit Opfern sexueller Gewalt. Richterin Penney Azcarate erlaubte die Live-Übertragung dennoch, mit dem Argument, sie sehe keinen Grund, dies nicht zu tun. Eine Entscheidung, die Depps Team willkommen hieß.

Ein Prozess eskaliert in einen Revenge-Porn

In diesem Prozess gibt es keinen Gewinner und keinen Verlierer. Beide Parteien haben offenbart, wie sehr sie einander gedemütigt haben. Trotzdem wird Depp wie die Unschuld vom Lande gefeiert. Derselbe Depp, der in einer SMS an seinen Schauspielerkollegen Paul Bettany schrieb: „Lass uns Amber verbrennen!!! Lass uns sie ertränken, bevor wir sie verbrennen!!! Ich werde ihren verbrannten Körper danach f*cken um sicherzugehen, dass sie tot ist.” 

Die Glorifizierung von Depp, die einem Personenkult gleich kommt, offenbart sich schließlich als ein Symptom amerikanischer Entertainment-Kultur. Eine Kultur, in der es normal ist, dass ein republikanisches Komitee nach Depps Sieg “Fluch der Karibik” GIFs tweetet. Unabhängig davon, wer in dieser Beziehung wen wie schlimm missbraucht hat, wurde Heard als potenzielles Missbrauchsopfer in diesem 6-wöchigen Revenge-Porn so sehr gepeinigt, dass sie diese Erniedrigung wahrscheinlich noch lange begleiten wird. This is America.