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Die Popkultur des Minimalismus: Vom sparsamen Leben

In einer Welt, in der die Ressourcen verknappen, werden Stimmen nach Sparsamkeit und Minimalismus lauter. Wer seinen Lebensstil verändern möchte, findet in der Popkultur neue innovative Ansätze. Blogs, Bücher und Shows propagieren den minimalistischen Lebenswandel. Während Marie Kondo auf Netflix entrümpelt, gehen die Frugalisten schon mit 40 Jahren in Rente. 

Wie gehen wir mit verknappenden Ressourcen um?

Am 01. August 2018 war der Earth Overshoot Day, zu Deutsch: der Welterschöpfungstag. An diesem Tag waren alle Ressourcen aufgebraucht, die der Menschheit in diesem Jahr zur Verfügung standen. Jeder weitere Tag war ein Tag auf Pump. Alarmierend: Der Welterschöpfungstag findet jedes Jahr immer früher statt, das heißt, wir verbrauchen die uns zur Verfügung stehenden Ressourcen immer schneller. Die Dringlichkeit eines globalen Umdenkens steigt mit jedem Tag, an dem der Planet durch unsere Art zu wirtschaften weiter leidet. In einem solchen politischen Klima kann man sich schnell ohnmächtig fühlen. „Was tun?”, fragen sich immer mehr Menschen. Einige haben die Antwort im Minimalismus gefunden. Doch es muss nicht gleich der cleane Verzicht auf alles vermeintlich Unnötige sein. Ansätze für ein leichteres, bescheideneres Leben gibt es viele. Sie sind Teil eines neuen kulturellen Paradigmas, das nicht den Konsum, sondern den Verzicht und die Sparsamkeit in den Vordergrund stellen. Dass diese die Popkultur und Gegenwartssprache durchdringen, zeigt ihre Relevanz auf. Schauen wir nach Japan, finden wir viele global wirksame Vorbilder für den Trend zur Ordnung.

Foto: Victor Garcia

Japan, die Insel der Ordnung

Ein auf den ersten Blick seltsames Berufsbild wurde in den letzten zehn Jahren medial immer präsenter: Sogenannte Aufräum-Consultants verkaufen millionenfach ihre Bücher und werden zu Stars von TV-Shows. Allen voran ist Marie Kondo, die Königin der Ordnungsberater. Ihre Methode scheint einleuchtend. Simpel, einfach und unterhaltsam passt sie gut in den überfüllten Alltag. Marie Kondo rät, was keine mehr Freude bereitet, soll einfach weg. Alles was bleibt, muss seinen festen Platz haben.

Die Umsetzung wirkt zunächst radikal: In einem ersten Schritt werden alle Objekte aus einem Bereich des Haushalts zusammengetragen und demonstrativ aufgebaut. Für eine TV-Show gibt das ein bildstarkes Motiv. Jedes der Objekte wird betrachtet und abgeklopft: Ist es noch nützlich? Brauche ich diesen Pullover noch? Macht er mich glücklich? Wenn ja, dann bekommt er einen festen Platz im Kleiderschrank zugewiesen. Wenn nicht, wird er persönlich verabschiedet, so auch der Rest der Dinge, die keinen festen Platz im Haushalt genießen. Dabei ist es wichtig, die Dinge nicht einfach wegzuwerfen: Das Loslassen soll bewusst geschehen, denn der Gegenstand hatte bis dato seinen Zweck und seine Zeit. Tschüss Pullover, war schön mit Dir!

In jeder Folge von Aufräumen mit Marie Kondo erklärt Marie Kondo ihr System aufs Neue. Ihr empathischer Umgang mit den Familien, die sie in ihr Haus einladen, nimmt jeder Person die Scham, die ein paar Ecken im eigenen Haushalt zu entrümpeln hat. Ihre Methode hat es im Japanischen sogar zu einem Verb geschafft: コンマリする (konmari suru) steht für „entrümpeln nach der Marie-Kondo-Methode“.

Marie Kondo auf dem Web Summit 2015 in Dublin, Ireland. Foto: Diarmuid Greene

Der Begriff 断捨離 (danshari) beschreibt ein weiteres Aufräumsystem aus Japan, das die Autorin Hideko Yamashita zu ihrer Marke gemacht hat. Die drei Schriftzeichen stehen für entschlossene Durchführung (断, dan), Wegwerfen (捨, sha) und Trennung (離, ri). Übersetzen lässt sich der Begriff also mit: das entschlossene Wegwerfen von nicht mehr benötigten Gegenständen. Oder einfacher gesagt: bewusster Minimalismus. Yamashita hat zwar keine eigene Netflix-Serie, ist aber in Minimalismus-Blogs ebenso populär wie Marie Kondo. Im Gegensatz zur Marie-Kondo-Methode hat danshari eine andere Fragestellung als Prämisse. Wer sich verkleinern möchte, soll sich ebenfalls mit allen Objekten in der eigenen Umgebung befassen und sich selbst dabei fragen: Stehe ich in einer aktiven Beziehung zu diesen Objekten? Oder ist unsere Beziehung inaktiv?

Stehen bei Marie Kondo Ordnung und Freude im Fokus, geht es bei danshari um die pragmatische Beziehung zwischen Person und Objekt. Die Bücher von Marie Kondo und Hideko Yamashita sind Bestseller mit globalem Einfluss geworden. Sie liegen in einer Vielzahl von Sprachen vor und prägen die Denkweise der Menschen weit über Japan hinaus. Mehr noch als Revolutionäre im Kleiderschrank lassen sie sich als Ausdruck eines neuen kulturellen Paradigmas der Sparsamkeit lesen. Eine international erfolgreiche Netflix-Produktion, die Aufräum-Tipps gibt, muss global einen Nerv treffen. YouTube und Instagram sind voll von Beiträgen. Viele Blogger*innen greifen die Methoden auf, reproduzieren sie und testen sie auf ihre Alltagstauglichkeit. Mit mehr als 250.000 Mentions ist #konmari ein Fundus der Aufräumaktionen und -methoden auf Instagram. Doch weder eine Marie Kondo noch eine Hideko Yamashita entstanden aus dem Nichts: Sie haben eine ganze Kulturtradition der Sauberkeit hinter sich.

Foto: Agathe Marty

Die Liebe zur Ordnung im japanischen Zen-Buddhismus 

Der Zen-Buddhismus pflegt einen minimalistischen Umgang mit Eigentum. Betrachten wir das Leben in den Klöstern: Mönche haben wenig, reparieren eher statt wegzuwerfen und essen bescheiden anstat sich den Bauch vollzuschlagen.. Sie reinigen die Räumlichkeiten des Klosters jeden Tag, noch vor der ersten Meditation. Dabei ist die Reinigung nicht nur eine materielle Notwendigkeit, sondern auch eine spirituelle Praxis. So heißt ein Band zu buddhistischen Aufräummethoden auch folgerichtig: A Monk’s Guide to a Clean House and Mind. Shoukei Matusmoto, ein Zen-Mönch aus Tokyo, signalisiert hier bereits im Titel seines Buches, wie bedeutsam der Prozess des Reinigens ist. Wer eine saubere Umgebung hat, so der Mönch, hat auch ein leichteres Herz. Wer hingegen alles verstauben lässt, hat ein verstaubtes Herz. Wer möchte schon ein verstaubtes Herz haben?

Die Ratschläge, die der Mönch Shoukei Matusmoto erteilt, erscheinen oft simpel, dafür aber einleuchtend. So empfiehlt er den Tag damit zu beginnen, sich das Gesicht zu waschen. Als erste Handlung wecke man so den Körper auf und reinige sich zugleich mental. Wird der Körper nur unachtsam gereinigt, kann das Herz nicht rein werden. Seine einfache, fast naive Sprache erzielt einen großen Effekt: Reinheit und Sauberkeit werden nicht zum Gebot, sondern zur pragmatischen Lebenseinstellung.

Was Kleidung angeht, leben die Mönche ebenfalls sehr bescheiden. Sie besitzen einen Satz Kleidung für den Sommer und einen Satz für den Winter. Geschirr brauchen Mönche auch nicht viel: Jeder Mönch hat seine eigenen Schalen. Ähnlich sieht es auch Hideko Yamashita, wenn es um die Menge des Besitzes jedes Individuums geht: Sie geht davon aus, dass wir lediglich 20 % unserer Dinge wirklich benötigen. Die anderen 80 % belasten uns lediglich, sind indikativ und stehen in keinem Verhältnis zu uns.

Foto: Onur Bahcivancilar

Frugalisten wollen so früh wie möglich in Rente gehen

Sparsam leben auch die Frugalisten: Die Bewegung hat ihren Ursprung in den USA aus den Zeiten der 00er-Jahre der Finanzkrise. Ihren Namen entlehnt sie dem Englischen frugal (sparsam). Frugalisten machen es sich zum Ziel ein möglichst ressourcenschonendes Leben zu führen, um damit einen möglichst großen Teil ihres Einkommens anzusparen. Dabei gehen eine ökologische und eine ökonomische Zielsetzung Hand in Hand. Mit einer Kombination aus nachhaltigem Konsum und hoher Sparrate streben sie an, weit vor der Rente finanziell unabhängig zu werden und nur noch von Rendite zu leben. Blogs und Magazine, die praktische Tipps für das sparsame Leben geben, berichten von Sparraten von 70 %. Man liest von Software-Entwicklern, die mit dem Rad zur Arbeit fahren und auf dem Campingplatz Urlaub machen. Das sei kein Verzicht, heißt es, nur der radikale Umgang mit den eigenen Bedürfnissen. Auch die Frugalisten stellen sich die Frage: Was brauchen wir wirklich? Durch ihren System-Hack erwirtschaften sie sich ein eigens generiertes Bedingungsloses Grundeinkommen.

Ihr sozialer Status scheint hier durch: Wer ein geringes Einkommen hat, wird es trotz sparsamer Lebensführung nicht schaffen, so viel zurückzulegen. Zudem gehen die Frugalisten davon aus, dass die Finanzmärkte bis ins hohe Alter funktionieren werden. Ein Crash ist nicht eingeplant. Dafür stellen sie sich auf ein Leben in bewusster Armut ein: Der sparsame Lebensstil soll ein Leben lang aufrechterhalten werden. Primär für das eigene Wohlbefinden und sekundär für den Planeten.

Ähnlich wie buddhistische Mönche wollen Frugalisten reparieren, statt neu zu konsumieren. Sie wollen gebraucht kaufen, was nicht neu angeschafft werden muss. Und ganz im Sinne der Konmari-Methode und den Prinzipien von Danshari soll alles einen Sinn und Platz haben. Weniger Konsum, dafür mehr Unabhängigkeit. Oberflächlich gibt es viele Ähnlichkeiten, allerdings ist die Zielsetzung eine andere. Streben die japanischen Methoden das persönliche Glück an und wollen das Leben des Einzelnen erleichtern, sind die Frugalisten hingegen eine Bewegung von oft privilegierten Menschen, die einen Weg für sich gefunden haben, mit dem wirtschaftlichen System umzugehen. Während alle diskutierten Ansätze weniger Konsum und mehr Bewusstsein vorschlagen, sind die Ziele der Frugalisten in voller Konsequenz nur für Menschen mit einem hohen Einkommen möglich. Dennoch können sie Menschen mit einem geringen Einkommen inspirieren. De Medien stürzen sich jedenfalls darauf und schlachten das Thema aus. (Wem der Frugalismus schwäbisch vorkommt: Die Stuttgarter Zeitung hat einen Selbsttest auf YouTube dokumentiert.)

Gemälde von dem sparsam in einem Tonkrug lebenden Diogenes von Jean-Léon Gérôme.

Viele Methoden für weniger Konsum

Wer also etwas ändern möchte, findet viele Ansätze. Wäre die ganze Welt ein Zen-Kloster, gäbe es mit Sicherheit keinen Welterschöpfungstag. Lebten alle Menschen als Frugalisten, könnten wir nicht mehr so wirtschaften, wie wir es gerade tun. Eine radikale Lösung für die aus der Balance geratene Wirtschaft gibt es nicht. Vielleicht wird die nächste Revolution des Konsums damit angestoßen, erst einmal den eigenen Kleiderschrank auszumisten und nur noch 30 Teile im Kleiderschrank zur Verfügung zu haben, wie bei der Capsule Wardrobe.

Erinnern wir uns noch einmal daran: Im Jahr 2018 verbrauchte die Welt bis zum 01. August alle zur Verfügung stehenden Ressourcen. Aus der Perspektive der Frugalisten ist dies eine Katastrophe, von Sparsamkeit kann hier nicht die Rede sein! Wie hätten wir etwas für später zurücklegen sollen? So heruntergebrochen, ergibt die Vielzahl der Sparsamkeits- und Minimalismus-Bewegungen Sinn. Wir leben über unsere Verhältnisse hinaus und müssen etwas daran ändern. Das warum ist klar, für das wie gibt es in der Popkultur viele Antworten.

Mehr Informationen über das Thema Frugalismus erhaltet ihr in unserem gleichnamigen Kompendium.