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Foto: Allyssa Olaivar

Diet Culture: Die tägliche Arbeit für die Schönheit

Körper sind politisch – besonders ihre Form und Gewicht. Woher das strenge Schönheitsdiktat kommt und wie massiv es in unser Leben eingreift, ist vielen trotzdem nicht klar. Was können wir dagegen tun?

Monica Geller hat es weit gebracht. Die von Courteney Cox dargestellte Figur aus der Serie „Friends“, die im Nostalgie-Ranking momentan wieder ganz oben steht, hat eine Transformation durchlebt, die in wenigen Folgen zum Thema wird: Sie war dick und wurde dünn. Zum Glück, wenn man dem klischeebehafteten Screenwriting glaubt. Denn nur mit dünnem Körper konnte sie zur liebenswürdigen und begehrenswerten Frau werden. „Fat Monica“ dagegen ist laut Drehbuchautor*innen vor allem eins: bemitleidenswert. Ihr Charakter, ihre Eigenschaften, ihre Stärken verschwinden hinter dem nicht normschönen Körper.

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Was da schiefläuft, können selbst die generischen Sitcom-Lacher nicht mehr kaschieren. „Friends“ ist aber bei weitem nicht die einzige Blüte der Popkultur, die dafür sorgt, dass sich das Ideal der schlanken Frau weiter verfestigt und alle Abweichungen erbarmungslos abwertet und entmenschlicht. Gewicht und Form des Körpers sind zentrale Kriterien, die herangezogen werden, wenn es um westliche Schönheitsideale geht. Der vermeintlich ideale Körper muss mehrere Bedingungen erfüllen. Er muss dünn sein (gerne auch athletisch, aber bitte trotzdem dünn), muss als jung gelten und darf keine Behinderung aufweisen. Queere, nicht-weiße Körper sind vom westlichen Ideal ausgeschlossen. Die perfide Eingrenzung dieses Ideals, das uns in Filmen, Serien, Magazinen und Werbung begegnet, schadet denen, die ihm nicht entsprechen können.

Was bedeutet Diet Culture eigentlich?

Der Begriff Diet Culture ist ein Versuch, der strukturellen Dickenfeindlichkeit und -diskriminierung in unserer Gesellschaft einen Namen zu geben. Eine Studie der Universität Tübingen belegt etwa, dass erfahrene Personaler*innen dicken Menschen keine Führungsqualitäten zutrauen. Die britische Uni Exeter erforschte 2016 den Einfluss des BMI auf das Jahreshaushaltseinkommen, das bei Frauen mit jedem BMI-Punkt über dem Durchschnitt deutlich sinkt. In einer Studie der Krankenkasse DAK und Johnson & Johnson Medical stellte sich heraus, dass dicke Menschen zwar häufig als lustig charakterisiert werden, aber trotzdem als faul und bemitleidenswert gelten. Völlig egal, wie sie sich selbst in ihrer Haut fühlen. Das sind Formen der Ausgrenzung von Dicken, die früh erlernt werden und sich durch alle Bevölkerungsschichten ziehen.

Der Begriff Diet Culture ist ein Versuch, der strukturellen Dickenfeindlichkeit und -diskriminierung in unserer Gesellschaft einen Namen zu geben. Foto: Annie Sprat

Davon profitiert die Schönheits- und Diätindustrie. „Der Markt macht mit dem ausgewiesenen Kampf gegen unsere Kilos Milliardenprofite, auch wenn Diät heute öfter Wellness, Fitness, Detoxing oder Fasten heißt”, sagt Dr. Elisabeth Lechner, Kulturwissenschaftlerin und Autorin des Buchs „Riot, don’t Diet“. Die stetig wachsende Wirtschaftskraft der Kosmetikindustrie, zu der auch Cellulite-Cremes und Co. zählen, bestätigt das: 2018 lag das Gesamtvolumen des deutschen Kosmetikmarkts bei rund 17 Milliarden Euro. Laut Prognosen könnten es 2022 bereits 18,7 Milliarden sein. Der Markt an diätetischen Nahrungsmitteln umfasste in Deutschland 2020 etwa 2,5 Milliarden Euro.

Diätkultur und Schönheitsarbeit gehen Hand in Hand und beeinflussen unseren Alltag

Wer dem unerreichbaren Ziel näher kommen will, muss Schönheitsarbeit investieren – also Ressourcen wie Zeit und Geld. Außerdem müssen noch regelmäßige körperliche und geistige Schmerzen ertragen werden. Haarentfernung, Make-up, Maniküre, Hautpflege, Haarschnitte, Fitness-Routinen, Ernährungsgewohnheiten oder auch chirurgische Eingriffe fallen unter Schönheitsarbeit. Der Begriff meint nicht unbedingt Negatives, denn Schönheitsarbeit kann sich auch gut anfühlen und Selbstfürsorge beinhalten. Manchmal ist das aber bloß der Deckmantel, unter dem es sich unrealistische Schönheitsideale gemütlich machen können.

Diese Art der Arbeit wird besonders von weiblich gelesenen Körpern erwartet, auch wenn der Druck auf männlich gelesene Menschen mittlerweile wächst. „Wir leben in einer Gesellschaft, in der Frauen ohnehin weniger verdienen als Männer und den Großteil der unbezahlten Care-Arbeit erledigen. Trotzdem sind die Erwartungen an ihr Aussehen und die investierte Schönheitsarbeit deutlich höher, das bezeichnet die Grooming Gap zwischen Männern und Frauen.

„Wir leben in einer Gesellschaft, in der Frauen ohnehin weniger verdienen als Männer und den Großteil der unbezahlten Care-Arbeit erledigen. Trotzdem sind die Erwartungen an ihr Aussehen und die investierte Schönheitsarbeit deutlich höher”, sagt Dr. Elisabeth Lechner. Foto: Mercan Sümbültepe

Obendrauf fällt noch die sogenannte Pink Tax. Der Begriff benennt, dass zum Beispiel Haarschnitte für Frauen automatisch teurer sind als Männerhaarschnitte oder die unterschiedlichen Preise von Frauenshampoos, Rasierern und Co.”, sagt Lechner. Es geht also nicht bloß um das vermeintlich subjektive Wahrnehmen von Körpern, sondern um strukturelle Benachteiligung, die Einfluss auf Vermögen, Freizeit und Ansehen haben. Offensichtliches Bodyshaming ist bloß die Spitze des Eisbergs, die besonders Menschen mit großen Körpern erfahren und die nicht selten in Gewalt mündet, da dicke Menschen aufgrund ihres Körpers schnell vom Menschen zum Objekt werden. „Schönheit entscheidet über Lebenswege. Deshalb braucht es einen inklusiven Schönheitsbegriff, der Menschen vor Ausgrenzung und Gewalt schützt. Denn wer kein Ekelobjekt mehr ist, ist vielleicht wieder ein Mensch, dem auf Augenhöhe begegnet wird“, sagt die Kulturwissenschaftlerin.

Diet Culture und Kapitalismus: Ist Body Positivity bloß Trend?

Zumindest die gegenwärtige Diätkultur wird langsam differenzierter betrachtet. Wir sehen vermehrt Kampagnen großer Mode- oder Beauty-Brands, die mehrgewichtige Körper inkludieren. Trotzdem wird dabei oft eine scharfe Grenze gezogen: Die sogenannten „Plus Size Models“ entsprechen meistens den Idealen der Galionsfigur Ashley Graham – sprich sie sind bloß an den „richtigen“ Stellen kurvig, folgen immer noch dem Sanduhrideal und haben ein Gesicht, das auch zum Körper einer schlanken Person gehören könnte. Dadurch entsteht neues Optimierungspotenzial, aus dem Profit geschlagen wird. „Bewegungen wie Body Positivity werden von Unternehmen als Trends begriffen und kommerzialisiert. Von den radikalen Wurzeln dieser Bewegungen, etwa dem amerikanischen Fat Acceptance Movement, bleibt dabei oft nicht mehr viel übrig”, so Lechner. Umso wichtiger, dass sich Frauen wie Charlotte Kuhrt, Body Mary oder Elly Magpie auf Sozialen Medien äußern, Raum einnehmen und sich gegen platte Klischees und vermeintliche Trends auflehnen.

Frauen, die als „Plus Size Models” dargestellt werden, sind meistens an den „richtigen“ Stellen kurvig und folgen immer noch dem Sanduhrideal. Dadurch entsteht neues Optimierungspotenzial, aus dem Profit geschlagen wird. Foto: Kevin Turcios

Die Autorin und Aktivistin Melodie Michelberger teilt ihre bewegte Geschichte auf Instagram und versucht heute, nach Diäten, Essstörungen und einer Erschöpfungsdepression, ihren Körper so anzunehmen, wie er ist und erobert sich damit in der Gesellschaft negativ besetzte Begriffe wie „dick“ zurück. Mit ihrem Buch „Body Politics“ will sie Leser*innen dabei helfen, sich von gesellschaftlichen Stigmata und Scham zu lösen. Viele Aktivist*innen wie Michelberger sprechen durch die Kommerzialisierung der Body Positivity heute lieber von Body Acceptance oder Body Neutrality, die hervorhebt, was ein Körper täglich leistet und wie er sich anfühlt, anstatt sich auf sein Erscheinungsbild zu versteifen. Körper sollten weder unendlich glorifiziert, noch aufgrund unerreichbarer Ideale (egal in welche Richtung) erniedrigt werden. Das fängt schon damit an, deren Größe und Gewicht nicht dauernd mit versteckten (oder häufig auch sehr offensichtlichen) Wertungen zu kommentieren.

Mit ihrem Buch „Body Politics“ will die Autorin und Aktivistin Melodie Michelberger Leser*innen dabei helfen, sich von gesellschaftlichen Stigmata und Scham zu lösen. Foto: Julia Marie Werner

Wie Schönheitsstandards aufgelöst werden

Instagram-Vorbilder sind da tatsächlich eine wichtige Hilfe. Denn Lechner sieht die Beschäftigung und Kritik an Schönheitsidealen auch als Privileg: „Nicht jeder hat Zeit und Geld, die in Bildung und Bücher investiert werden kann. Den richtigen Menschen auf Social Media zu folgen ist aber zum Beispiel ein guter erster Schritt. Außerdem sollten wir mit den eigenen Unsicherheiten nicht alleine bleiben: Wenn es allen Frauen in einem Raum schlecht geht mit ihren Körpern haben wir ein systemisches Problem. Und erst, wenn wir verstehen, woher das kommt, können wir gemeinsam daran arbeiten, die täglichen Barrieren einzureißen.“ Das ist aber ausgesprochen unbequem – besonders für jene, die am wenigsten unter vorherrschenden Standards leiden oder gar von ihnen profitieren. Dass wir Ideale und Diskriminierung in höchstem Maß internalisiert haben und uns permanent gespiegelt wird, welchem Bild wir doch bitteschön hinterherrennen sollen, macht das umso schwieriger.

Für Lechner geht es vor allem darum, den Selbsthass, den Schönheitsideale verursachen, auf das System umzumünzen: „Im Buch spreche ich von fünf Schritten zur Schönheitsrevolution und versuche damit den Weg vom Bewusstwerden durch etwa lesen und zuhören bis zum kollektiven, widerständigen Handeln aufzuzeigen. Das heißt, wir sollten Verbündete suchen und den Grund für die eigenen Unsicherheiten und Zweifel kennen.“ Anstatt also den eigenen und fremde Körper permanent einer Wertung zu unterziehen, braucht es intersektionalen Feminismus, der alle mitdenkt, anstatt die große Mehrheit auszugrenzen. Denn aktuell liegt Schönheit gar nicht so sehr im Auge des Betrachters, sondern wurzelt in einem diskriminierenden System, das Schaden anrichtet, statt Schönes sichtbar zu machen.