facebook-likehamburgerlupeoverview_iconoverviewplusslider-arrow-downslider-arrow-leftslider-arrow-righttwitter

Es braucht eine neue Männlichkeit im Sport – Interview mit Profi-Sportler Ben Patch

Kann die Hypermaskuline-Kultur im Sport neu gedacht werden? Der amerikanische Profi-Volleyballer und Nationalspieler Ben Patch vereint Interessen und Eigenschaften in sich, die so manche als gegensätzlich sehen würde. Zwischen Tournieren der Weltklasse verbringt der 27-Jährige, der für seine agilen Sprünge auf dem Feld bekannt ist, gerne seine Zeit an der Töpfer-Scheibe. Qiio-Chefredakteur Claudio Rimmele hat mit dem Athleten und Keramik-Künstler über neue Männlichkeit und sein Leben in seiner Wahlheimat Berlin gesprochen.

Lass uns direkt mit der Frage starten, weshalb ich mich mit dir treffen wollte: Was bedeutet Männlichkeit für dich?

Wow, das ist ein guter Start (lacht)! Mein Empfinden für Männlichkeit ist ständig im Wandel. Was ich vor fünf Jahren als männlich empfunden habe und was ich heute als männlich empfinde, ist nicht mehr dasselbe. Heute bedeutet Männlichkeit für mich, dass ich mir der Rolle, die ich für andere Menschen um mich herum spiele, bewusst bin. Männer haben sich so lange ihren Weg zur Macht erzwungen, dass wir jetzt die Verantwortung haben, das anzuerkennen. Wir müssen die Rolle, die wir uns selbst als Männer auferlegen, überdenken. Meine Männlichkeit ist stark durch meine Weiblichkeit geprägt und wie wohl ich mich mit ihr fühle. Das ist etwas, dass ich sehr wertschätze, dass meine Männlichkeit eigentlich ein Abbild meiner Weiblichkeit ist.

Nimmst du dich selber als männlich wahr?

Ja, und ich nehme mich gleichzeitig als weiblich wahr. Ich bin beides.

Die Welt des Profisports ist stark auf die Idee der Männlichkeit und des männlichen Körpers fixiert. Denkst du, dass sich das gerade ändert? Ist der Profisport bereit für queere Körper?

Es wäre auf jeden Fall längst an der Zeit, die Männlichkeit im Sport neu zu erfinden. Wir waren lange nicht dazu in der Lage, herauszufinden, was Männlichkeit für uns bedeutet. Unser Empfinden für Männlichkeit wurde uns schon im jungen Alter genommen. Im Sport ist es ähnlich wie in der Politik: Stereotypen von Männlichkeit werden in der Öffentlichkeit präsentiert. Aber anders als in der Politik wird im Sport auch der Körper selbst zur Schau gestellt. Und damit wird ein einheitliches Bild von Männlichkeit erschaffen. Das hat Männer in eine Kategorie gesteckt, in der kein Platz für individuelle Männlichkeit ist. Entweder bist du soundso männlich, oder du bist es nicht. Der Profisport schuldet es Männern, ihnen die Chance zu geben, herauszufinden, was Männlichkeit für sie wirklich bedeutet.

Volleyballer und Keramikkünstler Ben Patch (27) ist sich sicher: Es ist längst an der Zeit, Männlichkeit im Sport neu zu erfinden. “Der Profisport schuldet es Männern, ihnen die Chance zu geben, herauszufinden, was Männlichkeit für sie wirklich bedeutet.” Bild: Frank Schröder

Vor kurzem hast du bei einem Interview mit dem Berliner Tagesspiegel öffentlich gemacht, dass du auch auf Männer stehst. Hat dein Coming-out deine Karriere beeinflusst, und falls ja, wie?

 Es hat definitiv meine Karriere beeinflusst. Es gab aber nie einen Moment des Coming-out, ich habe das eher beiläufig in einem Interview erwähnt. Alle waren schockiert und ich dachte mir: Wirklich, Leute? Ihr wusstet nicht, dass ich queer bin? Mein Coming-out hat mir tatsächlich nur mehr Türen geöffnet. Es hätte mir natürlich auch Türen verschließen können, wenn ich nicht in einer so privilegierten Position wäre. Ich habe nicht darüber nachgedacht, als ich es gesagt habe und das war vielleicht das Schlauste, was ich hätte tun können. Einfach ehrlich zu mir selbst zu sein. Das Schönste waren die positiven Reaktionen und die Bestärkung, die ich erfahren habe. Dafür bin ich sehr dankbar.

Dieses Jahr traten 160 queere Athleten erstmals öffentlich bei der Olympiade an. Wie hat sich das für dich als queerer Sportler angefühlt?

Natürlich hat es sich wunderschön angefühlt, diese Sichtbarkeit für queere Sportler zu erleben. Andererseits ist ‚queer sein‘ nicht meine Identität und das ist etwas, womit ich immer ein wenig zu kämpfen habe. Obwohl ich das Gefühl habe, dass das nicht meine Identität ist, verspüre ich gleichzeitig die Verantwortung, für andere queere Menschen zu sprechen, die vielleicht nicht für sich selbst sprechen können, weil ich mich in einem Safe Space befinde. Viele andere queere Menschen befinden sich an Orten, wo sie aufgrund ihrer sexuellen Orientierung gefährdet sind. Obwohl es nicht meine Identität ist, ist es trotzdem mein Privileg, andere Menschen für dieses Thema zu sensibilisieren.

Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an

Ein Beitrag geteilt von BR Volleys (@brvolleys)

Was meinst du damit, wenn du sagst, dass queer sein nicht deine Identität ist?

Heute hat die sexuelle Orientierung dieses Wort für sich beansprucht. Für mich heißt queer sein, von der Norm abzuweichen, gegen die Norm zu sein. Es verletzt mich nicht, wenn jemand mich queer, schwul oder bisexuell nennt, aber ich möchte nicht darauf reduziert werden, weil es meine eigene Wahrnehmung von mir selbst nicht beeinflusst. Ich mag Männer, manchmal auch Frauen, aber queer sein ist für mich etwas Radikaleres. Ich fühle mich in ausschließlich schwulen Gruppen nicht unbedingt immer wohl. Manchmal habe ich das Gefühl, wir verfehlen unser Ziel. Ähnlich ist es mit dem Black Lives Matter Movement: Inwieweit hilft uns das bei der Integration und Inklusion, wenn wir uns in diesen Gruppen isolieren?

Wenn wir uns die Welt des Profisports generell anschauen, wird deutlich, dass nicht in allen Sportarten queere Athlet*innen repräsentiert sind. Gibt es dafür einen Grund?

Ich glaube, das hat viel mit Geld zu tun. In den populären Sportarten in den USA gibt es nicht viele queere Athlet*innen. In Europa sieht es ähnlich aus: Im Fußball oder Handball ist Homophobie immer noch ein großes Problem. Es sind eher die kleineren, weniger beliebten Sportarten, in denen queere Athlet*innen geoutet sind. Ich kann natürlich nur für Volleyball sprechen, aber ich glaube, in Sportarten, die in einem kleineren Maßstab stattfinden, ist weniger Zeit, darüber nachzudenken, wer schwul ist und wer nicht. Das können sich diese Sportarten nicht leisten, da sie weniger Fördermittel haben. Im Juni hat sich Carl Nassib, ein NFL Football Spieler, geoutet. Er ist der erste aktive NFL Spieler, der öffentlich queer ist. Da habe ich gedacht: Okay, es ändert sich gerade etwas. Gerade weil im Profisport so viel Geld fließt, vor allem im Fußball, ist die Angst, sich zu outen, größer. Manager und Sponsoren könnten diese Art von Aufmerksamkeit vielleicht nicht mögen. Hier in Berlin ist es aber genau andersrum.

Sollte die Finanzierung im Sport anders verteilt werden? Brauchen wir auch hier eine Veränderung?

Ja, es sollte anders verteilt werden. Ich möchte nicht gierig klingen, aber das, was Athlet*innen körperlich leisten, ist ziemlich außergewöhnlich. Und dafür sollten sie auch angemessen entschädigt werden. Ich hatte Sponsoren in der Vergangenheit, die meine Queerness und die Tatsache, dass ich schwarz bin, ausgenutzt haben. Diese Ex-Sponsoren engagieren sich nicht wirklich für meine Community. Aber wenn es gerade vorteilhaft für sie ist, unterstützen sie plötzlich BLM oder die LGBTQ Community. Das ist scheinheilig und eigentlich nur ein Weg, noch mehr Geld zu verdienen.

Lass uns ein wenig mehr über dein Leben vor Berlin sprechen. Wie war dein Leben in den USA?  

Schon als Kind hatte ich das Gefühl, nicht zur Community zu gehören, in der ich aufgewachsen bin. Afroamerikaner zu sein, der mit einer weißen, kaukasischen, obere Mittelklasse Familie in Utah aufgewachsen ist, war ich Dingen ausgesetzt, denen ich sonst nicht ausgesetzt worden wäre. Ich wuchs in dem Glauben auf, dass ich weiß bin. Ich bin als Mormone aufgewachsen, eine religiöse Gemeinschaft, die für mich auch eine Form der Einengung war. Das schränkt einen auch in der Selbstfindung, Persönlichkeit und Unabhängigkeit ein. Heute bin ich alles andere als eingeschränkt.

“Ich wuchs in dem Glauben auf, dass ich weiß bin”, erzählt Patch, der als Mormone aufgewachsen aufgewachse ist. “Das war für mich auch eine Form der Einengung ud schränkt einen in der Selbstfindung, Persönlichkeit und Unabhängigkeit ein. Heute bin ich alles andere als eingeschränkt.” Bild: Frank Schröder

Wie hast du dich von diesen Einschränkungen befreit?

Ich bin immer noch dabei. Das sind Formen des Traumas, Jahre der (sexuellen) Unterdrückung und des Shamings. Ich bin immer noch dabei, das zu verarbeiten und in Berlin zu wohnen, ist Teil davon. Wenn man von so vielen verschiedenen Menschen umgeben ist wie hier in Berlin, hat man weniger Zeit, über sich selbst nachzudenken.

Hat Berlin dir also dabei geholfen, diese Traumata zu verarbeiten?

Auf jeden Fall. Berlin steht für mich für Inklusion.

Erinnerst du dich an deinen ersten Tag in Berlin? 

Das werde ich niemals vergessen. Das war vor dreieinhalb Jahren, am 12. Oktober, die Blätter fingen gerade an, sich gelb zu verfärben. Ich ging direkt vom Flugzeug in das Volleyball-Büro des Olympia-Stadions. Ich erinnere mich, die kopfsteingepflasterten Straßen entlangzufahren. Ich wollte schon immer an einem Ort leben, wo man den Herbst spürt und die Straßen aus Kopfsteinpflaster sind, wie in diesem europäischen Traum. Ich wusste nichts über Berlin, aber ich spürte, dass ich hier hingehöre. Es war das erste Mal, dass ich vom ersten Tag an das Gefühl hatte, nach Hause zu kommen. Das war überwältigend.

Hast du Teile deiner Karriere aufgeopfert, um in Berlin bleiben zu können?

Ja, ich denke schon. Natürlich gibt es Teams in der Welt, für die ich spielen könnte und wo ich mehr Geld verdienen könnte. Für mich ist es aber viel mehr wert, hier zu sein und glücklich zu sein. Viele Leute geben sich selbst für die Karriere auf, um mehr Geld zu verdienen oder mehr Erfolg zu haben, das ist aber nichts für mich.

Glaubst du, dass Sportler, die ihre Karriere an erster Stelle setzen, weniger glücklich sind?

Es kommt darauf an. Ignorance is bliss. Viele sind sich gar nicht der Tatsache bewusst, dass sie glücklicher sein könnten. Heutzutage tragen die sozialen Medien ihren Teil dazu bei, dass junge Menschen unabhängiger werden und für ihre Rechte und Wünsche eintreten. Das finde ich wirklich toll. Junge Sportler*innen sind heute viel selbstbewusster und haben viel mehr den Drang, sich auszudrücken, sei es in Wort und Schrift, in Mode oder Kunst…

Erst als er nach Berlin zog, begann Patch nach jahrelanger Pause, wieder zu töpfern. Bild: Frank Schröder

Apropos Kunst: Du hast in der Keramik-Kunst einen Weg gefunden, dich auszudrücken – deshalb sitzen wir gerade nicht zufällig in deinem Keramik-Studio. Erzähl mir mehr darüber, was Keramik-Kunst für dich bedeutet.

Ich habe früher schon Berührungspunkte mit Kunst gehabt. Als ich zum ersten Mal getöpfert habe, war ich 13 Jahre alt. In der Uni habe ich Design und Kunst mit Schwerpunkt Keramik studiert. Als ich nach Italien gezogen bin, habe ich das Töpfern aufgegeben, weil ich dachte, ich müsse mich voll und ganz auf Volleyball konzentrieren. Erst hier in Berlin habe ich begonnen, mir wieder Zeit für das Töpfern zu nehmen. Mein erstes Jahr in Berlin war wirklich schwierig. Ich kam aus Italien und hatte eine schlechte Saison hinter mir, ich fühlte mich eingeschränkt, unglücklich und depressiv. Das Töpfern hat mir dabei geholfen, mein Selbstbewusstsein zu stärken. Vielleicht durch die Community, von der ich hier Teil bin, die sehr anders ist als die von anderen Athleten. Das hat mich wirklich bestärkt. Ein Athlet muss nicht nur Athlet sein. Heute bin ich sehr froh darüber, mein eigenes Studio zu haben, mit einem Bein im Sport und mit dem anderen Bein in der Kunstwelt zu sein.

Als Abschluss würde mich noch Folgendes interessieren. Du meintest ja, dass Berlin für dich ein Safe Space ist – auch im Vergleich zu deinem Heimatort Utah. Was können andere Orte von Berlin lernen? 

Als ich letztes Jahr während des Lockdowns wieder zu Hause war, wurde mir klar, wie sehr ich nicht mehr in diese sehr weiße, sehr religiöse, sehr konservative Community reinpasse. Ich habe wieder dieses Gefühl gehabt, nicht dazuzugehören – und das ist auch in Ordnung so. Wir können so froh sein, in Berlin zu leben, wo wir jeden Tag neue Kulturen und andere Lebensstile kennenlernen. Meine Familie und meine Community in Utah sind nicht so einer Diversität ausgesetzt. Die Menschen dort streben nicht nach Veränderung oder Bildung, es sei denn, sie werden gezwungen. Das kann man ihnen nicht vorwerfen – ich kann es meinen Eltern nicht vorwerfen, dass sie keine Aktivisten sind, weil sie in Utah keinen Grund dazu haben. Ein bisschen Berlin würde Utah sicher guttun.

Bild: Frank Schröder

Wen ihr auch von Ben Patch so fasziniert seid wie wir, dann könnt ihr seine Arbeit auf Instagram verfolgen.