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Foto: Sonny Ravensteijn

Fell gefällig? Von der Sehnsucht die Gestalt eines Tieres anzunehmen

Sich in ein Tier verwandeln zu können, begeistert den Menschen seit jeher über Kulturen und Zeitalter hinweg. Was machst das Tier zum Tier und den Menschen zum Menschen? Stellen wir beide Konzepte einander gegenüber, fällt auf, dass sie in einem komplexen Spannungsfeld zueinanderstehen. Mensch, Tier und Kultur: Ohne einander sind sie nicht denkbar.

Im Roman Die Abschaffung der Arten von Denker und Autor Dietmar Dathe gibt es, wie der Titel bereits verrät, keine Arten mehr. Die Menschen sind abgeschafft, stattdessen regiert eine neue Spezies die Erde. Die „Gente“ sind Superwesen mit Quantencomputern als Gehirn, voll realisierte Cyborgs, die Jahrhunderte leben und sowohl Geschlecht als auch Tierform wechseln können. Die Utopie von Dath erzählt auch von Modetrends, die eine extreme Modifizierung des Körpers erfordern. Die Tatze eines Bären und die Schnauze einer Katze im Sommer, dann die Krallen eines Tigers im nächsten Herbst. Es ist chic unter den „Gente“ neue Formen auszutesten. Die fiktiven Über-Tiere spielen mit der Abgrenzung voneinander, aber auch mit den Menschen und ihrer primitiven und beschränkten Lebensweise. Schöne neue Welt voller Fell. Menschen gibt es zwar auch noch, aber nur in einer Mischung aus Labor und Zoo – für den Spaß und die Beobachtung. Sie gehören einem vergangenen Zeitalter an.

Fabelwesen in Tiergestalt: Mythologische Figuren spielen bis heute in vielen Kulturkreisen ein große Rolle. Foto: Uwjal Hollica

Mythologie: Verzauberte Füchse, eroberungswütige Stiere

Die Mythologien und Sagen der Welt sind reich an Tiergestalten, die dem Menschen nahestehen. Europa wurde von einem Stier entführt, der sich als Göttervater Zeus entpuppt. Die Sphinx hat zwar ein menschliches Gesicht, ruht aber seit Äonen auf ihren Tatzen in der Wüste. Der Minotaurus haust in einem Labyrinth, zugleich Mensch und Bulle. Und was ist mit den Meerjungfrauen? Menschlicher Oberkörper, aber die Flosse eines Fisches. Arielle sehnt sich im Disney-Film danach ein Mensch zu sein, aber der Preis dafür ist groß: ihre Stimme. Apropos Fische: Ist es nicht auch seltsam, dass wir in der Astrologie von Tierkreiszeichen sprechen? „Ich bin ein Fisch”, bedeutet dann nicht, dass jemand eine Flosse hat, sondern im Februar oder März geboren wurde und bestimmte charakterliche Eigenschaften hat (und wahrscheinlich an Horoskope glaubt). Gleiches gilt für Stiere, Steinböcke und Skorpione. Sie sind Charaktermodelle in Tierform.

Halb Mensch, halb Tier: Schon lange nutzen Menschen Masken um sich in die Halbwesen aus ihren Sagen zu verwandeln. Foto: Finan Akbar

Auch Japans Mythologie kennt Tierwesen, die sich zum Menschen verhalten. Der Fuchs, im Japanischen kitsune, ist Gegenstand einer ganzen Sagenwelt. Als anthropomorphes, d. h. dem Menschen ähnliches Wesen, hat er Gefühle, einen komplexen Geist und Absichten. Ihm wird nachgesagt, dass er sich in einem bestimmten Alter in andere Wesen verwandeln kann. Beliebt sind Geschichten von Füchsen, die sich in schöne Frauen, ältere Menschen oder Jünglinge verwandeln. Der Fuchsgeist hat dabei keine eindeutig negative oder positive Absicht. Kitsune sind den Menschen wohl gesonnen. Es gibt Fabeln, in denen Füchse sich in Männer verlieben und die Gestalt  einer Frau annehmen, um zu heiraten. Findet der Mann heraus, dass er mit einer Füchsin zusammen ist, verschwindet sie wieder. Aus Scham? Aus Angst? Das Spannungsfeld zwischen Tier und Mensch trennt eindeutig zwischen dem was Mensch und Tier ist, das gilt auch für Halbwesen und Geister.

Furries: Menschen, die Tiergestalt annehmen

Bleiben wir auf der Inselkette: Im heutigen Japan ist ein Trend zu erkennen, er ist Teil der globalen Nerdkultur: Cosplay, zusammengesetzt aus costume und play, bezeichnet das Verkleiden im Kostüm einer Heldenfigur. So vielfältig wie die Figuren aus den fiktiven Welten sind auch die Kostüme. Tiergestalten kommen hier genauso vor wie Prinzessinen und Ninjas. Die Gesamtheit der Fans einer bestimmten fiktiven Welt wird als Fandom bezeichnet. Dieser Begriff hat sich bei einem Phänomen komplett von der Notwendigkeit einer übergeordneten Erzählung gelöst. Die Rede ist ist vom Furry Fandom, der Gesamehti der Furry Fans.Und das Furry Fandom ist ein ganz besonderes Reich. 

Ursprung der Furry-Subkultur liegt in den 1980ern im Dunstkreis von Science-Fiction-Conventions. Doch egal von wo man die Geschichte aufrollt und das Cosplay mit hinzuzieht: Furry sein hat auch immer etwas mit Nerd sein zu tun. Mit einer bestimmten Sensibilität und dem Wunsch anders zu sein.

„Furries are anthropomorphized animal characters—animals with human qualities or characteristics. A typical furry is mammalian, bipedal, humanoid with animal features.“

So beschreibt die Seite furryfandom.info die Eigenschaften von Furries. Wichtig ist, dass es nicht darum geht, ein Tier zu werden, sondern ein Tier, das noch immer menschliche Eigenschaften hat. Abzugrenzen davon ist wiederum die Fursona. Dieser Begriff bezeichnet die Persönlichkeit eines Furries: entsprechend der Tiergestalt werden ganz neue Verhaltensweisen und eine ganz andere Gestik gefordert.

Ein Bär, der auf einer Parkbank sitzt? In der Welt der Furries ist alles möglich. Foto: Ferdinand Stohr

Als Subkultur sind die Furries auf der ganzen Welt zu Hause, treffen sich auf Events und verbinden sich über das Internet. Eine Studie aus dem Jahr 2008 untersuchte die psychologische Konstitution und gesellschaftliche Verortung von jungen Furries im Studentenalter. Dabei fällt auf, dass Furries sich überdurchschnittlich oft nicht heterosexuell identifizieren und vor allem männlich sind. Die Studie macht zudem den Vorschlag von einer „Species Identity Disorder“ auszugehen, die dazu führt, dass Menschen sich wünschen, einer anderen Spezies anzugehören. Dabei ist der Begriff „Disorder“, also Störung, eher klinisch und nicht pathologisch zu verstehen. Furrys sind nicht krank. Vielmehr zeigen uns Furries die Fragilität der Konstruktion Menschlichkeit. Sie stehen am Rande der Gesellschaft, Winken uns mit großen Tatzen zu und sagen: Nehmt euch nicht so ernst. Am Ende ist alles nur eine soziale Konstruktion. Menschsein als Fantasiespiel der Kultur.

“Die Sehnsucht des Menschen sich in ein Tier zu verwandeln ist aber, das zeigt der Blick in die Geschichte, immer eine Mischung aus Selbstvergewisserung und Neugierde.” Foto: Pietro Tebaldi

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Werden wir in Zukunft überhaupt noch Menschen sein?

Wenn Kostüme nicht mehr nur äußerlich sind, sondern zu echten Veränderungen im Körper führen, kann aus dem Menschen ein neues Wesen werden. Denken wir nochmals an Die Abschaffung der Arten von Dietmar Dath. In seiner Zukunftsvision sind Spezies und Geschlecht nur noch eine Variable, die wir nach Belieben verändern können. Mit Methodiken wie CRISPR/CAS9, die Gene direkt beeinflussen und ihren Ausdruck und ihre Aktivität verändern können, scheint der nächste Schritt zur Katzentatze nicht mehr weit. Noch steht diese Methode ganz am Anfang. Auch wenn wir zu ca. 25 % unseres Erbguts mit einem Pudel übereinstimmen, können wir uns mit einer Injektion noch nicht in einen Pudel verwandeln, oder zumindest sein krauses Fell auf dem Kopf tragen. Dass wir uns als Menschen in neue Formen morphen werden scheint unausweichlich. Cyborgs, Bio-Hacking und andere Trends weisen in ein und dieselbe Richtung: Die Zukunft der Evolution liegt immer mehr auf der gleichen Koordinate wie die Zukunft der Technologie. Ob daraus eine Dystopie oder eine Utopie wird, können wir noch nicht absehen. Die Sehnsucht des Menschen sich in ein Tier zu verwandeln ist aber, das zeigt der Blick in die Geschichte, immer eine Mischung aus Selbstvergewisserung und Neugierde. Dabei sind wir als Menschen streng genommen Affen – und nur weil wir uns selbst in den Mittelpunkt des Universums stellen, haben wir noch lange nicht damit recht. Der Anthropozentrismus kritisiert eben diese Haltung, Furries leben sie direkt aus. Sie sind die radikale Kritik an unserer menschlichen Überheblichkeit. Welche Konsequenzen hat dies für unser Selbstbild und unsere Gesellschaften? Hören wir den Furries und der Literatur zu – sie erzählen die Geschichten von morgen bereits heute. Sie laden uns dazu ein, im Spiel zu erkunden, was bald Realität werden kann.

Mehr über die Fusion von Mensch und Tier in unserem Bionik-Kompendium.