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Ist die Übersetzungslinse wirklich möglich? Foto: Karl Fredrickson

Kontaktlinsen, die Fremdsprachen übersetzen – sieht so die Zukunft der Sprache aus?

Geoff Stead ist CPO bei Babbel – einer Sprachlern-App mit rund 600 Mitarbeitern aus 50 verschiedenen Nationen, Sprachkursen für 14 Sprachen und einer Million aktiver Kunden. So schlecht kann es um die Zukunft der Sprachenvielfalt doch gar nicht stehen – oder?

Eigentlich stehen die Zeichen ganz klar auf: Sprachen sterben immer mehr aus, das Erlernen einer Fremdsprache verliert an Bedeutung. Diesen Eindruck könnte man zumindest gewinnen, wenn man von den Anthropologen liest, die davon ausgehen, dass im Jahr 2200 nur noch einhundert Sprachen gesprochen werden. Oder wenn man die technologischen Möglichkeiten wie digitale Übersetzungs- oder Spracherkennungs-Tools betrachtet, die allein in den vergangenen fünf Jahren im Bereich der Kommunikation auf den Markt gekommen sind und seitdem ständig weiterentwickelt wurden.

Und dann gibt es aber die Macher von Babbel, die genau diesen Trend frühzeitig erkannt und sich zu eigen gemacht haben – und mit einer Million aktiver Nutzer, 14 verschiedenen Lernsprachen und 600 Mitarbeitern einen ganz anderen Eindruck vermitteln: Sprachenlernen ist In! Sofern man den richtigen Kanal gefunden hat, um seine zukünftigen Nutzer zu erreichen.

Babbel CPO Geoff Stead. © Babbel

Geoff Stead ist seit Juni dieses Jahres CPO von Babbel und beschäftigt sich in seinem Team mit der ständigen Weiterentwicklung des Produkts. Vor seiner Arbeit bei Babbel war unter anderem für Cambridge English Language Assessment sowie Qualcomm tätig und hat sich dort verstärkt mit Innovation und mobiler Nutzung im Fremdsprachenerwerb beschäftigt. Wir haben uns mit ihm darüber unterhalten, wie die beiden oben genannten Tendenzen miteinander vereinbar sind, wie die nächste technologische Innovation in der Kommunikationsbranche aussehen könnte und welche Aufgaben eine Sprache in Zukunft übernehmen wird.

Was für die früheren Generationen noch Wörterbücher, Unterricht in der Klasse und Vokabelkarten waren, ist heute die Sprachen-Smartphone-App, die all diese Komponenten vereint. Statt zu einem Wörterbuch greift man zum Smartphone. Man lernt nicht in der Gruppe, sondern allein. In erster Linie geht es nicht um das Sprechen, sondern um das Verstehen. Wie würden Sie diese Beobachtung bewerten?

Zunächst einmal bin ich davon überzeugt, dass sich das klassische und das digitale Lernen nicht gegenseitig ausschließen, sondern im Idealfall einander bereichern und ergänzen. Sprachlern-Apps eröffnen vielen Menschen erst den Zugang zum Sprachenlernen: Sie kosten wenig, die Lektionen sind kurz und jederzeit verfügbar und man kann in Ruhe und im eigenen Tempo üben, zum Beispiel auch die Aussprache. Bestenfalls wird das Interesse an der Sprache geweckt, sodass man auch Spaß am Lernen hat, etwa durch Bücher, Filme, Musik oder eben durch einen klassischen Sprachkurs. Für alle Lernmethoden gilt dennoch: Neben dem Lernen von Vokabeln und Grammatikregeln – das lässt sich leider auch bei einer App nicht vermeiden – ist es vor allem wichtig, das Gelernte schnellstmöglich in realen Gesprächen praktisch anzuwenden. Nichts ist motivierender, als in der neu gelernten Sprache eine erste Unterhaltung zu führen. Dieser Sprung vom puren Auswendiglernen hin zum Selbstproduzieren ist ein Schlüsselelement – er ist essenziell für den Erwerb einer neuen Sprache.

Und wie kann man Smartphone fixierte Nutzer dazu animieren, diesen Sprung zu wagen?

Wir sind davon überzeugt, dass das aktive Sprechen erstmal wichtiger und vor allem motivierender ist, als die Grammatik zu 100 % zu beherrschen. Wir geben den Lernenden natürlich auch die nötige Struktur und Grammatik mit an die Hand, damit sie mit dem Sprechen direkt anfangen können. Vor allem aber lassen wir in den ganz frühen Lernphasen manche Dinge auch aus. Man muss nicht das gesamte Regelwerk einer Sprache verinnerlicht haben, um etwas sagen und verstehen zu können, auch nicht, um verstanden zu werden. Zu viele Informationen auf einmal können anfangs stark verwirren und abschrecken. Wir konzentrieren uns darauf, das zu vermitteln, was für das tägliche Leben nützlich und wichtig ist, etwa eine Bestellung in einem Restaurant aufzugeben oder sich jemandem vorzustellen.

Um einen Kaffee zu bestellen braucht es keine perfekte Grammatik. Foto: Joshua Rodriguez

Der Austausch mit Menschen wie er im Klassenraum möglich ist, ist bei Babbel allerdings nicht so einfach…

Das stimmt, zumindest auf den ersten Blick. In einer Klasse wird man schneller zum Sprechen animiert, da man mit anderen Menschen in einem Raum sitzt. Gerade am Anfang fällt es vielen jedoch oft leichter allein für sich mit einer App zu üben, zum Beispiel die Aussprache. Unsere Idealvorstellung ist allerdings, wie gesagt, dass unsere Nutzer vom Lernen in der App direkt in reale Unterhaltungen übergehen und aktiv mit anderen Menschen sprechen. Ohne ein aktive Anwenden der Sprache, lernt man sie nicht. Aktuell arbeiten wir am Ausbau eines Live-Tutoring-Programms, um echte Gespräche mit Muttersprachlern auch in der App anzubieten. Eine Unterhaltung im realen Leben, kann auch das allerdings nicht ersetzen.

Was würden Sie sagen: Welche Rolle spielt Intuition beim digitalen Lernen?

Die Intuition hat beim Sprachenlernen positive und negative Seiten. Bei der Konzeption von Sprachkursen liegt die Kunst zum einen darin, die Schwierigkeiten zu erkennen und ihnen entgegenzuwirken, und zum anderen auch darin, eine richtig geleitete Intuition so einzusetzen, dass sie den Lernprozess unterstützt. Die Schwierigkeit ist, dass unsere Intuition uns oftmals in die Irre führt. Stößt man zum Beispiel auf ein deutsches Wort, das ähnlich klingt wie ein englisches Wort, jedoch eine ganz andere Bedeutung hat, verleitet uns unsere Intuition dazu, das englische Wort in einem falschen Kontext zu verwenden. Wir sind uns bei Babbel dieser Stolperfalle bewusst erstellen dafür von vornherein individuell angepasste Kurse für jede Kombination aus Lern- und Ausgangssprache. Der Grund ist, dass zum Beispiel Spanier Italienisch unter ganz anderen sprachlichen Voraussetzungen lernen, als Deutsche. Was logisch klingt, ist auf dem Online-Sprachlernmarkt aber immer noch einzigartig. Auf der anderen Seite kann unsere Intuition auch richtig sein und uns den Start in eine neue Sprache erleichtern. Unsere Aufgabe ist es, die Intuition zu nutzen und in Bezug auf die Schwierigkeiten, die sich beim Erlernen einer neuen Sprache ergeben können, anzupassen und in die richtige Richtung zu lenken. Wir sprechen daher auch gerne von „guided intuition“.

Und welche Rolle spielen Motivation und Feedback?

Eine sehr große: Betrachtet man das Ganze aus der lerntheoretischen Perspektive, gelingt das Lernen am besten, wenn man auch regelmäßig Feedback bekommt. Aber Feedback allein reicht nicht aus – es ist eine Kombination aus Feedback und der eigenen, persönlichen Motivation, die man hat, um diese eine Sprache zu lernen. Wenn ich mich zum Beispiel in eine deutsche Frau verlieben würde – ehrlicherweise ist das wirklich passiert (lacht) – und ich ihre Familie kennenlernen und mich mit ihr auf Deutsch unterhalten möchte, habe ich ein klares Ziel vor Augen. Und wenn man diese eine bestimmte Motivation hat und zusätzlich noch regelmäßig Feedback bekommt, ist das die beste Voraussetzung, um beim Erlernen einer Sprache schnell Fortschritte zu machen. Die Erkenntnis ist nicht neu. Nach diesen Prämissen arbeiten wir schon seit Jahren – aber Motivation ist ja etwas ganz Persönliches für den Lernenden. Und genau das ist mit Blick auf die Zukunft die Krux: Wie können Lernende bestmöglich darin unterstützt werden motiviert zu bleiben?

Und wie können digitale Lern-Tools bei diesem Prozess behilflich sein?

Wir experimentieren ständig mit neuen Lerntechnologien, die unter anderem auch für verbessertes Feedback sorgen, etwa der Korrektur der Textgrammatik. Ein großes Thema ist auch die Ein- und Ausgabe von gesprochenen Wörtern, ein Algorithmus zum Beispiel, der die Aussprache des Nutzers analysieren und Verbesserungstipps geben kann. Der Vorteil an digitalen Lern-Tools ist, dass sie relativ schnell optimiert und an die Lernprozesse der Nutzer angepasst werden können. Bei Babbel kommt unterstützend hinzu, dass bereits sehr viele Menschen mit uns lernen – weit über eine Million weltweit. Aus deren tatsächlichem Nutzerverhalten können wir zum Beispiel sehen, welche Kurse und Lektionen gut funktionieren und wo es Verbesserungsmöglichkeiten gibt.

Wenn man den Trend vom analogen zum digitalen Lernen betrachtet, hat sich in den vergangenen zehn Jahren bereits ziemlich viel verändert. Uns würde interessieren: Wie könnte die Entwicklung in den kommenden zehn Jahren noch weiter voranschreiten? Dafür haben Sie drei Optionen zur Auswahl:

A) Ein Chip, der uns alle Sprachen dieser Welt verstehen und sprechen lassen würde.

B) Eine spezielle Linse für das Auge, die in Echtzeit alle geschriebenen Wörter in unsere Muttersprache übersetzen kann.

C) Ein kleines Gerät, das in unser Gehirn eingepflanzt wird und unsere gesprochenen Wörter in eine Unicode-Sprache übersetzt. Diese Unicode-Sprache wird an das Gerät unseres Gesprächspartners gesendet, welches diese wiederum in seine Muttersprache dekodiert.

Ich denke, dass Option B, die Linse, am wahrscheinlichsten ist. In gewisser Weise gibt es diese Funktion schon beim Smartphone. Die Methode ist noch nicht perfekt, aber sie ist gut genug, um beispielsweise Speisekarten zu scannen und zu übersetzen. Bei Babbel arbeiten wir aktuell intensiv an Audio-Übersetzungen, allerdings merken wir dabei immer wieder, dass die auditive Übersetzung weit hinter dem Standard der visuellen Übersetzung liegt. Man kann die besten Audio-Übersetzer nehmen – sobald man sie an einer Kinderstimme ausprobiert, funktionieren sie nicht. Das liegt daran, dass sie auf Stimmen von Erwachsenen trainiert sind. Darüber hinaus darf man nicht vergessen, dass die Übersetzungs-Tools nicht nur mit verschiedenen Stimmfarben arbeiten, sondern auch Dialekte und Akzente verstehen müssen. Daher wird das noch eine ganze Weile dauern, bis man damit wirklich arbeiten kann.

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Fremde Sprachen sind für viele wie ein undurchdringliches Geheimnis Foto: Liam Burnett

Und die anderen Optionen sind für Sie nicht realistisch?

Das Tolle an transplantierbaren Geräten ist ihre Barrierefreiheit. Selbst Menschen, die nicht in der Lage sind zu sprechen, hätten so die Möglichkeit, verbal zu kommunizieren. In dem Bereich macht die Forschung auch schon große Fortschritte, allerdings liegt da noch ein weiter Weg vor uns. Bei all dem darf man auch nicht vergessen, dass Sprache nicht nur funktional ist und Wörter vermitteln soll, sondern genauso einen kulturellen Wert hat. Technischer Ersatz ist sicherlich praktisch, das ersetzt nicht, was man erfährt, wenn man tatsächlich ein Gespräch in einer neuen Sprache führen kann.

Anthropologen gehen davon aus, dass im Jahr 2200 weltweit nur noch 100 Sprachen gesprochen werden. Würden Sie diese Prognose als realistisch einschätzen?

Ja, leider gehe ich davon aus, dass das zum Teil so eintreffen wird. Vor allem viele Regional- und Minderheitensprachen sterben aus, etwa weil die jüngeren Generationen keinen Mehrwert mehr darin sehen oder sie von größeren Sprachen verdrängt werden. Gleichzeitig bin ich aber davon überzeugt, dass neue „Untergenres“ der bestehenden Sprachen entstehen werden.

Wie würde die Informationsgesellschaft aussehen wenn alle auf News in allen Sprachen zugreifen könnten? Foto: Giulia Bertelli

Was könnte so ein „Untergenre“ sein? Haben Sie da ein Beispiel?

Ich komme ursprünglich aus Südafrika und meine Eltern waren gerade zu Besuch bei mir in England. Mein Sohn ist 16 Jahre alt und wächst in England auf. Und auch wenn mein Sohn und meine Eltern eigentlich die gleiche Sprache, also Englisch, sprechen, verstehen sie sich nicht immer. Sie haben unterschiedliche kulturelle Bezugspunkte. Das liegt zum einen an den unterschiedlichen Ländern, in denen sie wohnen, zum anderen an ihrem Altersunterschied. Eine Sprache ist nie „fertig”, sie verändert und entwickelt sich mit ihren Sprechern, mit jeder neuen Generation. Wir bei Babbel können leider nicht verhindern, dass Sprachen aussterben, aber wir können die Freude am Sprachenlernen aufrechterhalten.

Das heißt: Welche Rolle werden Sprachen in Zukunft einnehmen?

Ich werde oft gefragt, wo uns all die technischen Neuerungen und Übersetzungstools hinführen werden und ob es in Zukunft überhaupt noch notwendig sein wird, Sprachen zu lernen. Ich kann dazu mit großer Sicherheit sagen, dass das Sprachenlernen nicht aussterben wird. Sprache ist in vielerlei Hinsicht unerlässlich: Sie hilft uns dabei zu kommunizieren, uns mit Menschen auf der ganzen Welt zu verbinden, Barrieren ab- und Brücken aufzubauen. Sprache ist ein Schlüsselbaustein für ein besseres gegenseitiges Verständnis. Und selbst das beste Übersetzungstool wird keinen Smalltalk in der Sprache des Gegenübers ersetzen können. Sprache befindet sich in einem ständigen Prozess des Wandels. Und das Schöne an der Digitalisierung ist, dass sie die Weiterentwicklung noch einfacher macht, dass man Veränderungen, Trends und Tendenzen schnell erkennen und dieser Spur folgen kann.