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Illustration: Viktoria Spokojna (IG oh_ey_sis)

Korruption und Sportswashing? Hauptsache, der Ball rollt!

Sportswashing ist zwar ein relativ neuer Begriff, aber die Praxis, Sportereignisse als Imagekampagnen zu nutzen, lässt sich bis ins antike Griechenland zurückverfolgen. Die Fußball-WM in Katar gilt gemeinhin als „gekauft”. Das überrascht die beiden Sportwissenschaftler Lutz Thieme und Prof. Jürgen Mittag allerdings kaum. Denn Korruption, so die Experten, ist ein struktureller Bestandteil in Organisationen wie der FIFA, der sich Staaten unterwerfen, um Sportereignisse als Weltbühne zu nutzen.

Wie schmeckt eigentlich Korruption? Auf der Speisekarte der renommierten Küche im Pariser Élysée-Palast, dem französischen Präsidialamt, stehen Gänseleber nach Périgord-Art, Ente in Brombeersauce und bretonischer Hummer in gesalzener Butter. Was es wohl am 23. November 2010 gab? Für den ehemaligen französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy und seine Gäste Ex-UEFA-Präsidenten Michel Platini und Kronprinzen von Katar Tamim Bin Hamad al-Thani sicherlich nur das Beste.

Ein Schmaus mit Folgen

Vielleicht hat die Ente in Brombeersauce bei der Entscheidung geholfen. Jedenfalls überzeugte Präsident Sarkozy den ehemaligen UEFA-Präsidenten Michel Platini davon, bei der WM-Vergabe für Katar zu stimmen. Noch kurz zuvor hatte Platini eine WM-Vergabe an Katar als „verrückt” bezeichnet. Offiziell fiel die Entscheidung zugunsten Katars am 2. Dezember 2010. Aber mittlerweile deutet alles darauf hin, dass sie eigentlich bereits zehn Tage zuvor gefallen war. Eben bei jenem folgenreichen Schmaus, bei dem Platini seine „Meinung“ änderte.

Das geht zumindest aus den Notizen von Sarkozys Sportberaterin Sophie Dion hervor, die im Nachhinein bei einer Hausdurchsuchung gefunden wurden. „Zufällig” war Dion nach ihrer Tätigkeit für Sarkozy unter anderem auch Lehrbeauftragte für Sicherheit und Ethik im Sport an der Pariser Sorbonne Université, ein Lehrstuhl, der laut Presseberichten von Katar mit jährlich 150.000 Euro kofinanziert wurde.

Zürich, 2010: Der damalige FIFA-Präsident Joseph Blatter verkündet am 2. Dezember die WM-Vergabe an Katar. Offiziell fällt die Entscheidung mit 14 zu 8 Stimmen zugunsten Katars. Aber mittlerweile deutet alles darauf hin, dass sie eigentlich bereits zehn Tage zuvor bei einem privaten Essen gefallen war. Bild: Screenshot Youtube: Katar – WM der Schande (Episode 1), Sportschau

Seit 2016 ermittelt die Pariser Staatsanwaltschaft wegen Korruptionsverdachts bei der WM-Vergabe. 2019 eröffnete sie das Ermittlungsverfahren, bei dem Michel Platini und der erst kürzlich in einem anderen Korruptionsfall verurteilte Ex-Präsident Sarkozy im Mittelpunkt stehen. Dabei sei das Essen im Élysée-Palast „ein entscheidender Wendepunkt bei der Zuteilung der WM an Katar“ gewesen, so die Pariser Sonderstaatsanwaltschaft.

Und Frankreich ging dabei alles andere als leer aus. In den Folgejahren kam es zu einer Reihe lukrativer Geschäfte zwischen Frankreich und Katar: Katar kaufte 24 französische Kampfflugzeuge, rettete den von Sarkozy geliebten, angeschlagenen Fußballclub Paris Saint-Germain und kaufte für Rekordbeträge dann noch Superstars wie Neymar und Messi ein. Außerdem begann der Golfstaat eine Partnerschaft mit der renommierten Sorbonne Université und kaufte sich in französische Unternehmen wie Suez, Vinci, Airbus, Vivendi, Lagardère, Orange und Areva ein.

Sportswashing: Korruption an der Tagesordnung

Dass Katar bei der WM-Vergabe sehr gezielt Einfluss genommen hat, davon ist auch Prof. Jürgen Mittag der Sporthochschule Köln überzeugt. Eine Überraschung ist das für Mittag dennoch nicht, denn der Vergabeprozess sei „nach den Regeln der FIFA” verlaufen, so Mittag. Demnach seien in den letzten zwei Jahrzehnten alle Fußball-Weltmeisterschaften unter vergleichbarer Einflussnahme vergeben worden, erklärte er in einem Podcast.

Das gelte auch für Deutschland, wo ebenfalls gezielt Einfluss genommen wurde. Zum Beispiel, indem Großaufträge aus Wirtschaft und Industrie an die Länder der Delegierten gingen, die über den Vergabeprozess entschieden. Dass Katar den Vergabeprozess für sich entscheiden konnte, sei lediglich der unrühmliche Höhepunkt dieser Entwicklung, erklärt Mittag.

Aber warum ist die Austragung der WM für einen kleinen Wüstenstaat wie Katar so wichtig, dass er sogar ganze Universitäten, Unternehmen und Länder finanziell pempert, um so den Zuschlag zu erhalten? Die Antwort darauf lautet Sportswashing. Unter Sportswashing versteht man den Versuch einer Regierung, das eigene Image durch die Investition in Sportveranstaltungen aufzupolieren und gegebenenfalls autoritäre Tendenzen zu beschönigen. Neu ist nur der Begriff, denn die Strategie, Sport als Propaganda-Tool zu nutzen, lässt sich bis ins antike Griechenland zurückverfolgen.

Die Praxis, Sportereignisse als Imagekampagnen zu nutzen, lässt sich bis ins antike Griechenland zurückverfolgen. Auch die Olympiade 1936 im nationalsozialistischen Deutschland ist ein Beispiel für einen autoritären Staat, der ein Sportereignis als Propaganda-Tool nutzt. Heute haben wir einen Begriff dafür: Sportswashing. Bild: Poster der Olympischen Spiele 1936 (Public Domain)

So weit muss man aber gar nicht in die Geschichte zurückgehen. Schon die Fußball-WM 1934 im faschistischen Italien, die Olympiade 1936 im nationalsozialistischen Deutschland oder die WM 1978 im damals diktatorischen Argentinien sind Beispiele für autoritäre Staaten, die Sportereignisse als Propaganda-Tool nutzen. Diese Tradition scheint im Profisport mittlerweile so eingeschweißt zu sein, dass man sich eher fragen könnte, welche Sportgroßereignisse keine Fälle von Sportswashing sind. Denn egal ob bei den Olympischen Spielen in Peking 2008, der WM in Deutschland 2006, in Brasilien 2014 oder in Russland 2018 ­– immer wurden Sportveranstaltungen gezielt genutzt, um ein bestimmtes Bild des Landes zu erzeugen.

Vom Nazi-Deutschland zum Sommermärchen

Bei der WM in Deutschland hat das ganz besonders gut funktioniert. Deutschland ist das beliebteste Land der Welt ­ bereits zum achten Mal. Das sagt zumindest der Nation Branding Index, ein jährliches Ranking, das anhand von verschiedenen Faktoren das Image eines Landes misst. Deutschlands Image-Wandel vom Nazi-Deutschland zum beliebtesten Land der Welt lässt sich natürlich nicht nur mit Fußball erklären. Aber die Rolle des Sommermärchens in Deutschlands Rebranding als aufgeschlossenes, gastfreundliches, progressives Land ist nicht zu unterschätzen.

„Fußball spielt eine ganz entscheidende Rolle dabei, wie Deutschland von anderen Ländern, besonders seinen europäischen Nachbarn, wahrgenommen wird”, sagt der Philosoph und Fußballexperte Wolfram Eilenberger im Interview mit dem Goethe Institut. Bei der Fußball-WM 2006 habe es etwas gegeben, was man mit Deutschland sonst nicht so verbunden habe: „Eine klar kommunizierte Herzlichkeit gegenüber den Besuchern aus der ganzen Welt. Insofern hat sich bei vielen Menschen in Europa und der ganzen Welt doch einiges verändert. Sie haben ein Deutschland erlebt, das mit Klischees, die noch aus der Nazi-Zeit stammen, nicht viel zu tun hatte. Das war ein positiver Riss im Deutschlandbild weltweit.”

Dieser positive Riss ist durchaus als politisch orchestriertes Vorhaben zu bewerten. Als „Küraufgabe” definierte die Bundesregierung, „das Gastgeberland im In- und Ausland bereits im Vorfeld als weltoffen, tolerant, modern sowie innovativ und leistungsstark darzustellen und somit dazu beizutragen, dass das offizielle WM-Motto ,Die Welt zu Gast bei Freunden’ mit Leben erfüllt wird”, heißt es im Abschlussbericht der WM.

Dass das funktioniert hat, untermauern auch die Ergebnisse der Studie Imageänderung Deutschlands durch die FIFA WM 2006 der Sozialwissenschaftlerin Franziska von Stetten. Für die Studie befragte von Stetten über 2000 ausländische WM-Besucher:innen aus 31 Nationen und stellte fest, „dass die Einstellung der ausländischen Gäste sich gegenüber Deutschland und den Deutschen positiv veränderte und einige negative Stereotypen revidiert und positive Stereotypen bestätigt wurden.” 84 % der Besucher:innen gaben zudem an, in ihrem Heimatland positiv über ihre Erlebnisse und über Deutschland berichten zu wollen. Zusammengefasst hat es damals in ihren Worten auch die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel: „Die Ausländer haben uns nicht zugetraut, dass wir länger als eine Stunde fröhlich sein können.”

„Fußball spielt eine ganz entscheidende Rolle dabei, wie Deutschland von anderen Ländern, besonders seinen europäischen Nachbarn, wahrgenommen wird”, sagt der Philosoph und Fußballexperte Wolfram Eilenberger. Bei der Fußball-WM 2006 habe es etwas gegeben, was man mit Deutschland sonst nicht so verbunden habe: „Eine klar kommunizierte Herzlichkeit gegenüber den Besuchern aus der ganzen Welt.” Bild: Dario Sarmadi (CC BY 2.0)

Geldmaschine Sport

So gut wie bei Deutschland funktioniert es aber nicht immer. Man denke an Russland, Südafrika oder China: Ihre Images wurden durch die von ihnen ausgetragenen Sportereignisse nicht unbedingt dauerhaft aufgewertet. Insofern gehen private Organisationen wie die FIFA oder das IOC als die eigentlichen Gewinner von Sportereignissen hervor.

Das liegt daran, dass so ein Sportgroßereignis ein ziemlich geniales Produkt ist, erklärt Lutz Thieme, Sportwissenschaftler an der Hochschule Koblenz. „Vergleichen Sie das mal mit einem normalen Unternehmen”, sagt Thieme am Telefon. „Ein normales Unternehmen muss Maschinen, Menschen und den ganzen Produktionsprozess bezahlen. Die FIFA hingegen lagert den Produktionsprozess an die Länder aus. Die Stadien, in denen die Athlet:innen dann ihre Leistung zeigen, baut auch nicht die FIFA, sondern der jeweilige Austragungsort. Das heißt, man hat als FIFA oder IOC überhaupt keine Produktionskosten und ein Produkt, das konkurrenzlos ist.”

Und konkurrenzlose Produkte bedeuten für Unternehmen Rekordgewinne. Dabei zahlen Organisationen wie die FIFA oder das IOC als nichtstaatliche Vereine kaum Steuern. Nicht zufällig sind diese im Steuerparadies Schweiz registriert. Die FIFA WM in Russland 2018 war mit einem Gewinn von 5,357 Milliarden Dollar die ertragreichste WM aller Zeiten, das geht aus dem Jahresbericht der FIFA hervor. Für das Finanzjahr 2022 prognostiziert FIFA-Präsident Gianni Infantino sogar einen noch höheren Umsatz von 7,5 Milliarden Dollar, berichtet Sport1.

Ein Teil dieser Einnahmen werde dann auf nationale olympische Komitees oder nationale Vereine verteilt, wodurch wiederum eine gewisse Abhängigkeit entsteht, erklärt Thieme. „Viele internationale Verbände könnten ohne das IOC gar nicht existieren”, sagt er. So wäscht beim Sportswashing eine Hand die andere: Die Austragungsorte polieren ihr Image und die Veranstalter machen sehr viel Geld. Aber was passiert danach?

Das Headquarter der FIFA in Zürich: Geht die private Organisation als der eigentliche Gewinner von Sportereignissen hervor? Als nichtstaatlicher Verein zahlt die FIFA ebenso wie das IOC kaum Steuern. Nicht zufällig sind diese im Steuerparadies Schweiz registriert. Bild: Bic (Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0)

Was passiert nach dem Sportswashing?

Trotz Menschenrechtsverletzungen und Korruption ist Prof. Jürgen Mittag sich sicher, dass Katar mit der WM bereits das erreicht, was der Golfstaat erreichen wollte. „Wenn es einem Land gelungen ist, sich auf der Weltkarte zu platzieren, dann sicherlich Katar. Ein Land mit einer so begrenzten Fläche und 2,7 Millionen Einwohnern wäre gemeinhin nicht in aller Munde”, so Mittag.

Auch Lutz Thieme ist überzeugt, dass Katars Erwartungen an die WM bereits jetzt erfüllt seien. Denn während hierzulande der Boykott der diesjährigen Fußball-WM in aller Munde ist, vermutet Thieme, dass das Katar wenig kümmern dürfte. In der westlichen Berichterstattung kritisiert er vor allem den eurozentrischen Blick: „Ich bin mir nicht sicher, ob Katar mit der Austragung der Fußball-WM tatsächlich das eigene Image in den Augen Europas aufpolieren will. Vielleicht geht es eher darum, Katar als regionale Macht zu platzieren und sich auch gegenüber anderen arabischen Staaten zu beweisen”, sagt Thieme.

Dass Sport grundsätzlich politisch ist, darin sind sich Mittag und Thieme einig. Trotzdem entscheide über das Image eines Landes letztlich nicht ein einzelnes Sportereignis, sondern die Ereignisse im Land nach dem Event. Wie ein Land auf der politischen Weltbühne auftritt, ist eben nicht von einem einzelnen Event abhängig. Eine Imagekorrektur ist somit immer nur temporär. So ist die Korrektur von Deutschlands Image in den Augen der demokratischen Staaten des globalen Nordens dauerhaft gelungen, da Deutschland sich auch in den Folgejahren überwiegend den Erwartungen entsprechend verhalten hat – anders als China, Brasilien oder Russland.

Sportwissenschaftler Lutz Thieme ist überzeugt, dass Katars Erwartungen an die WM bereits jetzt erfüllt seien: „Ich bin mir nicht sicher, ob Katar mit der Austragung der Fußball-WM tatsächlich das eigene Image in den Augen Europas aufpolieren will. Vielleicht geht es auch eher darum, Katar als regionale Macht zu platzieren und sich auch gegenüber anderen arabischen Staaten zu beweisen.” Bild: Eröffnungsfeier der WM in Katar (Public Domain)

Eine ziemlich teure Imagekampagne

Für demokratische Staaten ist es übrigens schwieriger, die Bürger:innen von einer Austragung zu überzeugen. Denn meistens gehen die Gastgeberländer der Sportereignisse wirtschaftlich leer oder sogar mit Minus raus. „Gerade deshalb ist es auch so schwierig, große Sportereignisse in demokratische Länder zu holen, wo die Bürger:innen protestieren, wenn sie den Wert für ihre eigene Gesellschaft und für sich selbst nicht erkennen“, sagt Thieme. Für demokratische Staaten ist Sportswashing also vor allem eins: eine ziemlich teure Imagekampagne, die sich nur dann lohnt, wenn sie im Nachhinein auch die gewünschten wirtschaftlichen Effekte hat.

Mit einem konkurrenzlosen Geschäftsmodell und Bestechung als Einlassvoraussetzung haben Organisationen wie die FIFA mittlerweile ein Monopol geschaffen, in dem wirtschaftliche und politische Interessen eng miteinander verwoben sind. Und jeder Staat, der Großereignisse austrägt und sich den Regeln der Organisationen unterwirft, erhält dieses Geschäftsmodell aufrecht. Sie alle hoffen auf eine bewährte Formel: Beim Anpfiff ist alles andere vergessen. Hauptsache, der Ball rollt.