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Anna ist Buchautorin und Kolumnistin – und Expertin in Sachen offene Beziehung. Foto: Anna Zimt / Schnapsidee.

Leben und lieben in einer offenen Ehe – Anna Zimt

Anna Zimt heißt in Wirklichkeit anders, schreibt aber unter diesem Namen als Kolumnistin und Buchautorin seit einiger Zeit über ihre offene Ehe. Mit uns hat sie über ihre Art zu lieben gesprochen. Darüber, warum eine offene Ehe eben kein Widerspruch in sich ist und warum sie denkt, dass in Zukunft einiges in Sachen alternative Beziehungen viel einfacher sein wird.

Liebe Anna, du beschäftigst dich als Buchautorin und als Kolumnistin mit Liebesbeziehungen aller Art – glaubst du an die Liebe auf den ersten Blick?

Ja, warum nicht? Die Liebe auf den ersten Blick ist doch eigentlich eine sehr schöne Vorstellung. Wobei ich wahrscheinlich eher sagen würde, dass ich vor allem an Interesse auf den ersten Blick glaube. Dass beide Menschen, die bei einem Date aufeinandertreffen, dasselbe starke Interesse aneinander haben können und sich sozusagen anziehen wie Magneten – daran glaube ich ganz fest. Die eigentliche Liebe, das wichtige Fundament einer Beziehung, kommt meist ja erst später. Aber ich merke zum Beispiel beim Dating sofort, ob mir mein Gegenüber sympathisch ist oder nicht. Ich bin da schon sehr intuitiv und ich denke, die meisten anderen Menschen sind das auch.

Du schreibst in deinen Büchern hauptsächlich über die Art und Weise, wie dein Mann und du eure Beziehung gestaltet. Wie habt ihr euch eigentlich kennengelernt?

Mein Mann und ich sind seit 16 Jahren ein Paar und davon schon sieben Jahre verheiratet. Wir kennen uns allerdings schon seit der 5. Klasse – wenn auch nur vom Sehen. Wirklich kennen- und vor allem lieben gelernt haben wir uns allerdings erst mit 18. Er hatte in der Zwischenzeit die Schule gewechselt und wir hatten uns länger nicht gesehen. Auf einem Spieleabend mit gemeinsamen Freunden habe ich mich dann in Max verliebt.

Anna und ihr Mann Max führen seit seit 8 Jahren eine offene Beziehung – seit sieben Jahren sind sie verheiratet. Foto: Anna Zimt.

Wenn ihr in einer offenen Beziehung lebt – warum habt ihr dann überhaupt geheiratet?

Diese Frage wird mir ganz oft gestellt und ich finde sie ein bisschen merkwürdig. Weil sie immer impliziert, dass Menschen, die in einer offenen Beziehung leben, sich eine Art Hintertürchen offenhalten würden. Und dass sie eigentlich heimlich auf der Suche nach einem anderen Partner sind, der besser passt. Das kann ich aber – zumindest in meiner Beziehung und bei den anderen Paaren, die ich persönlich kenne – ausschließen. Unsere Beziehung ist ebenso eine Liebesbeziehung mit einem tiefen Vertrauensverhältnis und der Idee sowie dem Vorhaben, das ganze Leben miteinander zu teilen und eine gemeinsame Geschichte zu schreiben wie bei anderen Paaren auch.

“Unsere Beziehung ist ebenso eine Liebesbeziehung mit der Absicht, eine gemeinsame Geschichte zu schreiben wie bei anderen Paaren auch.”

Nur mit dem einen Unterschied, dass wir auch mit anderen Menschen Sex haben dürfen. Aber das eine schließt das andere für uns nicht aus. Deswegen war für uns die Idee einer Ehe genauso romantisch und schön wie für viele andere in monogamen Beziehungen auch. Ich finde es etwa wundervoll, dass wir denselben Nachnamen tragen. Und vor allem auch, dass wir aufgrund unserer Ehe rechtlich die Möglichkeit haben, füreinander Verantwortung zu übernehmen.

Nun ist der Begriff der Ehe ja auch an sehr traditionelle Vorstellungen geknüpft: eine exklusive Zweierbeziehung, bei der nichts dazwischenkommt …

Aber das ist sie bei uns ja auch. Bei uns kommt auch nichts dazwischen, nur beziehen wir diese Exklusivität, die du angesprochen hast, nicht auf unsere Sexualität. Wenn zwei Menschen zusammengehören, dann wird sich das ja nicht durch ein „Label“ verändern. Beispielsweise ändert sich meine Beziehung zu meiner besten Freundin oder zu meinem besten Freund ja auch nicht, nur weil ich noch 15 weitere gute Freunde habe. Durch andere Freundschaften wird ja eine Freundschaft nicht weniger wert. Auch liebt man das erste Kind nicht weniger, nur weil man noch weitere geboren hat. Liebe kann man nicht quantifizieren.

“Wenn zwei Menschen zusammengehören, dann wird sich das ja nicht durch ein „Label“ verändern. Liebe kann man nicht quantifizieren.”

Ich finde es interessant, dass Exklusivität in monogamen Beziehungen so sehr an den Aspekt der Sexualität geknüpft wird. Ich verstehe das insofern, als dass viele Paare über diese Sexualität auch gleichzeitig eine tiefe Intimität und Liebe transportieren. Bei uns ist das anders: Wir schlafen natürlich miteinander, wir zeigen uns gegenseitig auf diesem Wege unsere Liebe und teilen Intimität – allerdings gibt es auch viele andere Momente und Aspekte in unserer Beziehung, in denen wir diese Intimität gemeinsam erleben.

Wie gestaltet sich das Zusammenwohnen in einer offenen Ehe? Was bedeutet der gemeinsame Wohnraum für euch als Paar?

Der gemeinsame Wohnraum bedeutet innerhalb unserer offenen Beziehung Privatsphäre für uns als Paar. Wir haben vereinbart, dass wir keine anderen Affären in ihn einbringen. Unsere Wohnung ist unser geschützter Raum, in dem wir zusammenleben. Genauso wie unser Freundeskreis, aus dem wir auch niemanden daten dürfen. Das ist uns sehr wichtig.

Wie unterscheidet sich eure offene Beziehung von dem auch immer bekannter werdenden Trend der Polyamorie? Ist es überhaupt (noch) wichtig, Unterschiede in Beziehungen zu machen? Oder wird in Zukunft einfach jedes Paar sein individuelles Beziehungskonzept ausleben können?

Ich finde, unsere Gesellschaft funktioniert schon sehr in Schubladen, nach denen sie sortiert. Möglicherweise sind diese Labels auch nötig, um überhaupt mit anderen Menschen ins Gespräch zu kommen. Aber im individuellen Kern gestaltet natürlich jedes Paar – auch eines mit dem Label „offene Beziehung“ – sein Zusammenleben grundverschieden. Bei uns zum Beispiel ist Verknalltheit und Verliebtheit gegenüber Dritten total okay, aber jemanden noch zusätzlich gleichwertig zu lieben, wie es bei der Polyamorie ja der Fall sein kann, war bei uns noch nie ein Thema. In meinen Affären kommt auch nie ein Beziehungsanspruch auf.

Im September 2018 erschien das erste Buch von Anna beim Knaur Verlag. Darin beschreibt sie, wie das Leben für sie und ihren Mann in einer offenen Beziehung funktioniert. Foto/ Buchcover: Knaur Verlag.

Erlebst du Anfeindungen oder negative Kommentare im Netz oder persönlich wegen deiner offenen Ehe?

Nein, in der Bubble, in der ich mich bewege, überhaupt nicht. Manchmal gibt es öffentliche Auseinandersetzungen mit anderen Leuten, die ebenfalls offene Beziehungen führen, mit unserem Modell. Sie stören sich etwa daran, dass wir „Regeln“ aufgestellt haben und diese auch als solche bezeichnen. Das sind die Momente, in denen ich merke, dass ich innerhalb dieser Szene eine Person bin, die präsent ist und auch öffentlich besprochen wird. Außerhalb dieser Bubble werde ich aber natürlich kritisiert. Das lese ich mir aber nicht durch. Es ändert ja nichts an meiner Lebensweise, dass „Gaby_52“ auf Facebook mein Beziehungsmodell kritisiert. Ich bin mir hinsichtlich meines Lebens und der Art, wie ich es führe, sehr sicher.

Wie kam es dazu, dass du und dein Mann euch dazu entschieden habt, die offene Ehe auch „öffentlich“ zu machen?

“Im Grunde habe ich das Buch geschrieben, das ich damals selbst gebraucht hätte, als Max und ich damit begonnen haben, unsere Beziehung zu öffnen.”

Warum es „Anna Zimt“ gibt, meinst du? Zunächst einmal hatte ich über den Kontakt einer Freundin eine Kolumne beim Onlinemagazin „im gegenteil“, in der ich von meinen Dating-Geschichten berichtete. Das habe ich vorher mit meinem Mann Max besprochen und wir waren uns schnell einig, dass das unter einem Pseudonym geschehen würde, um mein Umfeld und meine Familie zu schützen – und dass er da auch gar nicht unbedingt vorkommt. Damals war mein Pseudonym lediglich „Frau Zimt“ un des gab keine Bilder von mir. Erst später, als ich die Idee für das Buch hatte, sollte eine Person mit einem „richtigen“ Namen und einem Gesicht für diese Geschichten stehen. Der Buchdeal hat nicht lange auf sich warten lassen und es stand von Anfang an fest, dass das Thema meine offene Beziehung sein sollte. Mir ging es darum, die Materie zu enttabuisieren, weil diese bis dato gerade von Frauen sehr selten so offen und persönlich besprochen wurde. Im Grunde habe ich das Buch geschrieben, das ich damals selbst gebraucht hätte, als Max und ich damit begonnen haben, unsere Beziehung zu öffnen.

Wie hat deine Familie auf die offene Ehe reagiert?

Nun, wir haben die Beziehung ja schon ein Jahr vor unserer Hochzeit geöffnet. Unsere Familien wurden natürlich eingeweiht. Aber ein offizielles Outing, wie man sich das so vorstellt, gab es nicht. Auch gab es eigentlich keine komischen Momente, weil unsere Familien uns ja auch schon jahrelang als Paar kennen. Sie vertrauen uns, dass wir verantwortungsvoll mit unserer Beziehung umgehen.

Was würdest du einem Paar raten, das sich fragt, ob es bereit für die Öffnung seiner Beziehung ist?

“Absprachen oder Regeln können bei der Orientierung helfen und dem Selbstschutz dienen, vor allem bei der häufig auftretenden Angst, dass sich jemand fremdverliebt.”

Ich denke, es ist ungünstig, wenn einer von beiden schon jemanden hat, mit dem er gerne schlafen möchte und das nur schnell vorher abgesegnet haben will. Besser ist es, wenn man sich die Zeit nimmt, grundsätzlich über ein solches Vorhaben zu reden. Man sollte sich selbst erst einmal Gedanken zu den eigenen Erwartungen machen. Es empfiehlt sich, das vorher alles offen miteinander zu besprechen, schließlich muss man so etwas erst verdauen – und bis dahin ist ja noch gar nichts passiert. Gerade am Anfang ist es ratsam, sich nicht zu überfordern. Absprachen oder Regeln – wenn gewollt – können bei der Orientierung helfen und dem Selbstschutz dienen, vor allem bei der häufig auftretenden Angst, dass sich jemand fremdverliebt. So etwas kann durchaus passieren; man muss sich nur versprechen, in einem solchen Fall erst einmal einen kühlen Kopf zu bewahren, zusammenzubleiben und das gemeinsam durchzustehen. Denn viele vergessen, wie schnell so eine Verliebtheit auch wieder vorbei sein kann. Man neigt zu Übersprungshandlungen und begeht womöglich Fehler, die man später bereut.

Annas zweites Buch erschien im Herbst/Winter 2019 und behandelt die Frage, wie sie ihr sexuelles Selbstbewusstsein entwickelte. Foto /Buchcover: mvg Verlag.

Wie verändern Technologien und digitale Innovationen deiner Meinung nach die Beziehungsgestaltung?

Dating-Apps etwa haben Vor- und Nachteile. Einerseits bieten sie eine Art großen virtuellen Marktplatz, auf dem man viele Gleichgesinnte finden kann. Durch das Internet wird es leichter, diese Menschen aufzuspüren und sich mit ihnen zu vernetzen – auch über große Distanzen hinweg oder auf dem Land, wo man möglicherweise nicht so sehr hausieren geht mit „alternativen Beziehungsideen“ oder bestimmten Fetischen. Auf der anderen Seite laden aber die Vielfalt der Möglichkeiten, die Unverbindlichkeit und die Anonymität stark dazu ein, andere Menschen auszunutzen oder sich ausnutzen zu lassen. Die Hemmschwelle hinsichtlich schlechten Benehmens und Rücksichtslosigkeit sinkt, weil es einfacher wird, sich aus der Affäre zu ziehen.

Denkst du, dass deine Form der offenen Beziehung erst durch das Internet möglich wurde?

Nun, was es seit ein paar Jahren und auch zukünftig einfacher macht, sich für offene Beziehungen zu entscheiden, ist die Tatsache, dass man sich im Internet unkomplizierter und besser informieren kann, als das vorher der Fall war. Heute gibt es Podcasts, Bücher und dergleichen, die Paaren schon viele gute Ansätze liefern, welche man als Diskussionsgrundlage verwenden kann. Der Austausch ist einfacher und es gibt Rollenmodelle. Max und ich haben uns damals auf komplettes Neuland begeben und mussten viel für uns selbst herausfinden. Das dürfte in Zukunft für viele Menschen sehr viel leichter werden.

Danke für das Gespräch!

 Mehr über Beziehungen im digitalen Zeitalter findest du in unserem Kompendium „Digitale Partnerschaft“.