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Lena Marbacher ist Mitgründerin des Neue Narrative Magazins, einem Verlag in Verantwortungseigentum. Foto: Claudio Rimmele.

Lena Marbacher: Wie kommen wir zu einer egofreien Arbeitswelt?

Lena Marbacher ist Mitgründerin von „Neue Narrative”, einem Magazin für neues Arbeiten, das sich für Gleichberechtigung und verantwortungsvolles Unternehmertum stark macht und auf Selbstorganisation setzt. Uns erzählt sie unter anderem vom idealen Arbeitsplatz, einer egofreien Wirtschaft und der Zukunft in der Arbeitswelt.

Cover von Neue Narrative. Foto: 

Wie bist du dazu gekommen, dich mit der Zukunft von Arbeit und Wirtschaft zu beschäftigen?

Ich bin ursprünglich Produktdesignerin und bin darüber zum Innovationsansatz Design Thinking gelangt, der ja das iterative Vorgehen von Designer*innen in einen für alle nachvollziehbaren Prozess übersetzt. Beruflich bin ich also nicht den klassischen Weg einer Designerin gegangen, sondern habe in der Organisationsentwicklung gearbeitet und Unternehmen in Transformationsprozessen begleitet. Um diese Arbeit gut zu erledigen, musste ich mir eine Vorstellung davon machen, wie die Zukunft von Arbeit und Wirtschaft aussehen könnte. Auf methodischer Ebene habe ich mit Innovationstechniken Teams darin befähigt, iterative, agile Prozesse in ihrer täglichen Arbeit anzuwenden. Aber diese Teams und ihre Individuen sind immer eingebunden in ein System: die Organisation selbst. Mich hat interessiert, wie durch Führung und das tägliche Miteinander der Menschen in Unternehmen eine jeweils ganz eigene Unternehmenskultur geprägt wird. Weil ich daran glaube, dass Organisationen dann besonders innovativ und zukunftsfähig sind, wenn sie möglichst vielen Menschen möglichst viel Gestaltungsfreiraum geben, habe ich mich letztendlich sehr stark mit dem Thema Selbstorganisation auseinandergesetzt – auch am eigenen Leib in der eigenen Firma.

Das ist die selbstorganisierte Redaktion der Neuen Narrative, bestehend aus Sebastian, Louka, Ronja, Dominik, Lena und Martin. Illustration: Neue Narrative.

Wie bist du auf die Idee gekommen, ein Printmagazin für Neue Arbeit zu gründen?

Was mir in der Beratung fehlte, war die Möglichkeit, intensiver über die drängenden Themen der Zukunft zu sprechen. Beispielsweise darüber, dass Organisationen nicht nur als einziges Ziel Gewinnmaximierung anstreben sollten, sondern dass sie Verantwortung für ihr Handeln tragen und diese auch für Mensch und Planet übernehmen müssen. Wie kann ein Systemwandel der Wirtschaft gelingen? Das sind die großen Fragen, die mich brennend interessiert haben und die zu wenig Platz in meinen Projekten mit Kund*innen hatten. 

Aus diesem Grund kam ich auf die Idee, eine wiederkehrende Publikation zu diesem Thema zu machen. Im Team haben wir dann beschlossen ein Magazin zu entwickeln, das sich wie ein richtig guter Workshop anfühlt. In unserem Heft finden sich deshalb nicht nur Artikel, sondern auch jede Menge Tools zum Nachmachen, Reflektionsfragen, Posterbeilagen und Platz für Notizen. Die Nutzer*innen sollen mit dem Magazin arbeiten können, deshalb haben wir uns für Print entschieden. Wir mochten auch die Vorstellung, dass jemand das Magazin in die Hand nimmt, sich hinsetzt, darin herum kritzelt und sich eine Pause vom digitalen Alltag nimmt.

Euer Magazin heißt „Neue Narrative” und beschäftigt sich mit neuen Formen von Arbeit. Was macht ihr anders als bereits bestehende Magazine zum Thema Arbeit wie z.b. „Business Punk“?

Wir erzählen Geschichten zum Nachmachen, von einer Wirtschaftwelt, in der es nicht um Managerschicksale und maximale Rendite geht. Wir möchten ganz bewusst von Organisationen, Individuen und Protagonist*innen erzählen, die uns zeigen, wie eine neue Arbeit und Wirtschaft funktionieren kann. Wir schreiben konstruktiv, aber der Erzählstil ist nicht anders als in anderen Magazinen. Außer vielleicht, dass wir uns vornehmen, keine heroischen Held*innen Geschichten zu erzählen, sondern auf gesellschaftliche und wirtschaftliche Probleme eingehen.

Ihr sagt auch, dass ihr auf der Suche nach einer egofreien Wirtschaft und Arbeitswelt seid. Hast du sie gefunden? Und wenn ja, wie sieht sie aus?

In gewissem Maße ist das eine Utopie, so wie komplette Gleichberechtigung vermutlich auch eine Art von Utopie ist. Dennoch ist dieses Ziel absolut wünschenswert. Mir ist in meiner eigenen Arbeit aufgefallen, dass es Egos in kompetenzbasierten Hierarchien deutlich schwerer haben, Raum zu beanspruchen, da die Strukturen und Prozesse das nicht zulassen. Dennoch geht es immer noch deutlich egofreier. Auch ich muss ab und zu mal ein Zwiegespräch mit meinem Ego halten und habe noch keine egofreie Arbeitswelt gefunden, aber ich kann sie erahnen und sie sieht ziemlich gut aus.

Handwerkszeug für die Arbeitswelt, die das Magazin seinen Lesern bei jeder Ausgabe mitgibt. Illustration: Neue Narrative.

Wo seht ihr das Problem mit dem Ego?

Wenn wir das Ego jetzt erst einmal als Begriff betrachten, ist es weder etwas Schlechtes noch etwas Gutes, sondern etwas Neutrales. Jeder von uns hat und braucht ein Ego. Was wir damit überspitzt meinen ist, dass wir die eigene Macht vor allem dafür einzusetzen, um uns persönlich zu bereichern. Das sieht man beispielsweise in klassisch hierarchisch organisierten Unternehmen, in denen egoistisches Verhalten mit Bonis incentiviert wird. Oder wenn Investor*innen in Start-ups investieren und dabei auf einen gewinnbringenden Exit spekulieren, ohne an die Menschen zu denken, die die Organisationen eigentlich ausmachen: ihre Mitarbeitenden. Viele solcher Entscheidungen sind sehr vom Ego getrieben und langfristig weder für das Unternehmen, noch für unsere Wirtschaft gut. Ich bin davon überzeugt, dass es unserer Arbeitswelt, unserem Planeten und uns als Gesellschaft besser gehen würde, wenn wir unsere Egos besser im Griff hätten.

Um auf eure tägliche Arbeit zu kommen. Wie kommt ihr auf neue Themen und Interviewpartner*innen?

Wir sind alle gut in der Szene Neue Arbeit und Wirtschaft vernetzt und immer mit Expert*innen im Gespräch, um herauszufinden, welche aktuellen Themen für uns gerade wichtig sein könnten. Unser aktuelles Heft behandelt das Thema „Mut”. Ursprünglich wollten wir über Angst schreiben, aber unser konstruktiver Ansatz hat uns dann dazu gebracht, uns zu fragen, was es eigentlich braucht, um Angst zu überwinden. So kamen wir auf Mut.

Was sind für dich die Elemente eines idealen Arbeitsplatzes?

Für mich persönlich habe ich relativ früh festgestellt, dass ich am besten in selbstorganisierten Strukturen funktioniere, weil ich viel Autonomie brauche, neue Aufgaben selbstbestimmt annehmen und alte Rollen abstreifen kann. Dabei möchte ich beispielsweise gar keine klassische Führungsrolle einnehmen. Ich kann eher von der Seite arbeiten und mir ein selbstverantwortliches Team mit starken Beziehungen aufbauen, um Aufgaben kompetenzbasiert aufzuteilen. Der ideale Arbeitsplatz ist für mich also selbstorganisiert, hat eine kompetenzbasierte Hierarchie, bietet Selbstbestimmung und legt die Verantwortung in Rollen, die man nicht zwingend tragen muss, sondern kann. 

Neben dem Magazin gebt ihr Trainings und Workshops. Was wollt ihr damit anstoßen?

Wir glauben daran, dass es für eine Organisation der Zukunft relativ klar definierbare Fähigkeiten gibt, die man in Trainings lernen kann. Gute Selbstführung ist eine davon oder auch eine hohe Kompetenz im Umgang mit Konflikten. Gute Selbstorganisation basiert auf der Annahme, dass Spannungen ein Hebel zur Veränderung sind. In unseren Trainings können Menschen deshalb lernen, sie so einzusetzen, dass sie selbst jederzeit die Organisation verändern können, um sie den Herausforderungen ihrer Umgebung anzupassen. 

Ein Ausschnitt aus dem Angebot an Trainings und Workshops, welche die Neue Narrative in ihren Heften anleitet. Illustration: Neue Narrative.

Du hast im Bereich Design promoviert und in der Zukunftsforschung gearbeitet. Welche Designtrends sind für dich gerade angesagt und wie, glaubst du, verändern sie unsere Arbeitswelt?

Was sich in der Arbeitswelt im klassischen Sinne von Design abbildet, sind Räume. In was für Räumen arbeiten wir heute und in was für Räumen wollen wir in Zukunft arbeiten? Durch Corona beschleunigt sich der Prozess gerade besonders. Es stellt sich nicht nur die Frage nach der Größe der Büroflächen, sondern auch, wie sich die Öffnung des Arbeitsraumes nach Hause gestalten lässt. Ich glaube, dass der Einblick in private Wohnzimmer Kolleg*innen näher zueinander bringt. Es verändert die Unternehmenskultur, wenn Menschen, die sonst nur im Anzug im Büro waren, nun in Alltagskleidung vor dem Rechner sitzen und die Katze im Hintergrund vorbeigeht. Es ist auch auffallend, dass der Dresscode zwischen Arbeit und Zuhause verschmilzt. Bedeutet das, dass man demnächst in Jogginghose zur Arbeit geht und man sich die teuren Bürostühle nach Hause liefern lässt?

In welche Trends würdest du investieren, wenn du könntest?

Ich würde in Gleichberechtigung investieren. Organisationen, die innovativ sein wollen, müssen die Perspektiven der Gesellschaft einnehmen können, in der sie wirtschaften. Da wäre es doch mal ein Anfang, genau diese Gesellschaft in Organisationen abzubilden. Also gleich viele Frauen wie Männer, außerdem Menschen mit Zuwanderungshintergrund, Menschen mit Schwerbehinderung, Menschen der LGBTQI-Plus- Community. Das bedeutet Machtverteilung. Viele Menschen, die heute die Macht in Organisationen haben, wollen ihre Macht aber nicht abgeben und versuchen deshalb, den Status Quo aufrechtzuerhalten; womit wir wieder beim Thema Ego wären. Ich bin aber davon überzeugt, dass die Organisationen, die in Zukunft erfolgreich sein werden, diejenigen sind, die wirklich auf Augenhöhe arbeiten und von den vielfältigen Perspektiven ihrer Mitarbeitenden lernen.

Woran arbeitest du gerade noch? Wovon möchtest du uns noch erzählen?

Ich arbeite gerade an unserem zweiten Audio-Training, ein neues auditives Lernformat das wir auf Englisch und Deutsch produziert haben. Bei unserem ersten Training dieser Art, das wir diesen Sommer veröffentlicht haben, geht es um Selbstführung. Ein Sprecher begleitet mich als Nutzer*in dabei, in zwanzig Sessions eine eigene Selbstführungsroutine zu etablieren und ein funktionierendes System von Aufgaben und Projekten anzulegen. Im neuen Audiotraining geht es darum, meine persönlichen Stärken zu erkennen und sie in meinen Rollen im Job und im Leben möglichst gut einzusetzen.    

„Neue Narrative“ könnt ihr online im Abo nach Hause bestellen. Einige der Artikel und Methoden findet ihr auch auf der Website von Neue Narrative und auf Instagram.