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Photo: Radek Grzybowski

Mit dem Taktstock in die Chefetage

“Ein Orchester dirigieren” als Metapher für Teamführung? Die traditionelle Unternehmenslandschaft fühlt sich von hierarchiefreien Start-Ups bedroht und sucht nach neuen Leadership-Konzepten. Hanno Hauenstein hat sich einen Dirigenten-Workshop für Siemens-Führungskräfte angesehen. Ein Bericht.

Ein Dirigent ohne Orchester ist nur ein Mann und ein Stab. Das ist eine der möglichen Lektionen, die sich aus dem SCENE-Workshop für das Dirigieren ableiten lässt. Aber eben nur eine. Heutzutage liegt der Taktstock glücklicherweise nicht mehr nur in den Händen von Männern.

Das SCENE (Siemens Cultural Empowerment for New Executives) Programm bietet Beschäftigten Workshops für Musik, bildende Kunst und kulturelle Bildung. Die Idee dahinter ist einfach: Mit dem digitalen Wandel stehen Unternehmen heute vor Herausforderungen, die Innovationsfähigkeit erfordern, da ist kreatives Denken unverzichtbar. Die Auseinandersetzung mit Kunst und Kultur soll die Wahrnehmung schärfen und die Fähigkeit zur Selbstreflexion und Kommunikation fördern. In den Worten der Einladungsbroschüre: Teilnehmer lernen die Perspektive zu wechseln, aus etablierten Denkschemata auszubrechen und Grenzen zu überschreiten”. Horizonterweiterung “to go”, wenn man so will. Ich nehme die Einladung an, wenn auch mit Skepsis.

Ist Haltung sichtbar?

Siemens – Dirigieren Workshop Foto: Kolarik Andreas

Der Workshop selbst findet in der Berliner Staatsoper auf einer unscheinbaren Probebühne statt. Unter der Leitung von Prof. Dr. Stephan Frucht werden zu Beginn der Veranstaltung 13 Din-A-4-Fotografien leitender Dirigentinnen und Dirigenten auf einem majestätischen Flügel ausgebreitet. Wir, die Teilnehmer, versammeln uns um den Flügel und sollen die Bilder nun ordnen, von links nach rechts, absteigend nach Können und Niveau der darauf abgebildeten Personen. Dass Daniel Barenboim und Simon Rattle gleich nach ganz links und somit ganz vorne eingeordnet werden, ist keine Überraschung. Die Personen auf den anderen Bildern habe ich bis dato nie gesehen. Und den angestrengten Gesichtsausdrücken der anderen Teilnehmer nach zu urteilen, bin ich damit nicht allein.

Ebenfalls links platzieren wir die australische Dirigentin Simone Young. Auf dem Bild steht leicht nach vorne gebeugt und wirkt gedankenversunken. Die ausgestreckten Arme scheinen eine Pause anzudeuten, das Bild suggeriert Kontrolle und Intellekt. Nikolaus Harnoncourt dagegen erinnert mit seinen aufgerissenen Augen, der angespannten Haltung und geröteten Gesichtsfarbe eher an den Typus herrischer Choleriker als an ein musikalisches Genie. Der inzwischen verstorbene österreichische Dirigent wird rechts eingeordnet, ungeachtet seiner Bedeutung. Die in dieser Aufgabe verschachtelte Botschaft ist klar: Der Eindruck, den ein Dirigent macht, hängt von seiner Haltung vor den Musikern und dem Publikum ab.

Simone Young wirkt selbstsicher und konzentriert. Foto: Reto Klar, Pressestelle der Hamburgischen Staatsoper, CC BY-SA 3.0,

Dass der Dirigent und seine Haltung zur Empfindung eines Stücks beitragen, demonstriert der Workshop-Leiter mit dem knapp 20-köpfigen Orchester kurz darauf selbst. Es werden prägnante Ausschnitte aus Beethovens Neunter und Mozarts Nachtmusik vorgetragen. Doch dann passiert etwas Unerwartetes: Der Dirigent Frucht vertauscht demonstrativ die gebotene Körpersprache und den resultierenden Tenor des jeweiligen Stücks, er dirigiert Beethovens Neunte in schwelgerischer Sanftheit und Mozarts Nachtmusik in elektrischer Härte. Was das Orchester da plötzlich musikalisch umsetzt, wirkt merkwürdig verzerrt und kaum wiedererkennbar. Der Stellenwert des Dirigenten – und die übertragene Relevanz der situationsbedingt richtigen oder falschen Haltung einer Führungsperson – scheint damit bewiesen zu sein.    

Zeit für den Selbstversuch

Siemens – Dirigieren Workshop Foto: Kolarik Andreas

Nach einem kurzem Warm-Up mit Armkreisen und Kniebeugen wird nacheinander jeder einzelne Workshop-Teilnehmer auf die Bühne gebeten. Der Einfachheit halber dirigieren wir hier keine Meisterwerke der Klassik, sondern lediglich die Tonleiter in C-Dur: C-D-E-F-G-A-H-C, ein Kinderspiel, könnte man meinen. Frucht lehrt uns die Grundbewegung. Wir zeichnen mit dem Taktstock ein auf dem Kopf stehendes T” in die Luft: Arme symmetrisch nach oben, Arme runter, Arme nach außen, wieder rein, hoch, und so weiter. Das Orchester achtet dabei aufmerksam auf jede Bewegung, die Musik atmet im Takt der Gestik, die wir vollführen – ganz so als stünden hier gestandene Profis und keine ahnungslose Dilettanten. Entsprechend klingt manch eine Tonleiter schief oder langsam, manch eine stimmig und schnell.

Meine Tonleiter sticht nicht unbedingt als musikalisches Glanzstück hervor. Das Wort Katastrophe” trifft es besser. Anfangs variiere ich aus Neugier noch die Schnelligkeit der Bewegungsabläufe, versuche, was ich als Takt ausmache, in Einklang mit meinen Armbewegungen zu bringen, doch schnell merke ich, dass etwas hinkt, ich verliere das Orchester und selbst der Luftkringel, mit dem wir das Ende der Tonleiter anzeigen sollten, scheint unbemerkt unterzugehen. So verbleibt das Orchester letztlich, wo ich meinte, schon fertig zu sein, weiter in gespannter Warteposition. Nach ein paar zähen Sekunden schmeiße ich den Taktstock hin. Frucht zufolge ein klarer Fall von fehlender Führungsstärke. Der Fairness halber sei gesagt: Ich bin Linkshänder und mein Luftkringel entging womöglich den Augen der (wie immer auf rechts fixierten) Betrachtung. Wie dem auch sei: Frucht’s Kritik an meinem Führungsstil zielt darauf ab, dass ich nicht dirigierte, sondern den Stab sensibel dem Orchester hinterher führte – touché.

Auf die Atmung achten!”, rät er, bevor ich es nochmal versuche. Und tatsächlich: Der zweite Versuch fühlt sich ein wenig besser an. Die in der Übung aufgezeigten Stärken und Schwächen mit der eigenen Persönlichkeit abzugleichen, kann eine stichhaltige, ja fast therapeutische Übung sein. Wer bereit ist, sich auf das Orchester einzulassen und Fruchts Kritik anzunehmen, kann aus diesem Workshop etwas mitnehmen und womöglich sogar in die eigene Arbeit übertragen.  

Die Fähigkeit zuzuhören

In der Bewertung der diversen Tonleiter-Versuche greift Frucht wiederholt auf Konzepte zurück, die gleichsam einem Psychologie- und Rhetorik-Seminar entstammen könnten. Da fallen Stichwörter wie Interaktion”, Ownership” und das gebotene Ausbrechen aus der Komfortzone”. Doch Frucht gibt auch ganz praktische Tipps zu Atmung, Haltung, Gang und Stimme sowie zum Umgang mit Schwächen – nicht vertuschen, zelebrieren!”. Von 2006 bis 2014 war er selbst Geschäftsführer des Kulturkreises der Deutschen Wirtschaft im Bundesverband der Deutschen Industrie. Den Hintergrund merkt man ihm an. Zahllose Beispiele für mehr oder weniger gelingende Führungsqualitäten einstiger und aktueller politischer Ämter unterstreichen immer wieder Fruchts Grundthese, dass es, so sehr die Musik dank der Musiker erklingt, letztlich am Dirigenten liegt, Harmonie zu erzeugen. Erst die Einheit, die genau aufeinander abgestimmten Prozesse und das Gefühl des gemeinsamen Schaffens führt zum Erfolg” – sei’s im Konzertsaal wie im Unternehmen.

Am Ende des Workshops steht aber noch eine andere Einsicht. Nämlich darüber, was einen guten Dirigenten von einem schlechten unterscheidet: “die Fähigkeit zuzuhören”. Nur wer auf Zwischentöne hört, kann den Ton angeben. Eine Lektion, die manch einer Führungskraft – in Politik, Wirtschaft oder anderswo – sicher nicht schaden würde.