facebook-likehamburgerlupeoverview_iconoverviewplusslider-arrow-downslider-arrow-leftslider-arrow-righttwitter

Bild: Anna Shvets

Mood Decoder erfunden – Messen wir Depressionen bald wie Fieber?

Niedergeschlagenheit, Erschöpfung, Hoffnungs- und Appetitlosigkeit – Depressionen kommen mit einer Bandbreite an Symptomen unterschiedlichen Ausmaßes. Forscher:innen aus den USA gehen der psychischen Erkrankung nun mit Elektroden auf die Spur. Was wollen sie damit bezwecken?

Das 21. Jahrhundert ist geprägt von schnellem Fortschritt, Innovation und Wissenschaft. Die Schnelligkeit, mit der Forscher:innen während der Covid 19-Pandemie Impfstoffe entwickelten und einsatzfähig machten, ist nur das prominenteste Beispiel dafür. Und auch unsere mentale Gesundheit könnte in Zukunft von dem Innovationsdrang profitieren. Schließlich beeinträchtigen psychische Erkrankungen nach wie vor das Leben vieler Menschen. Depressionen belegen dabei weltweit den dritten Platz im Mental Disorder Ranking.

Während das gesellschaftliche Schweigen über die Erkrankung zunehmend gebrochen wird und Stigmata und Tabuisierungen abnehmen, schreitet auch ihre Erforschung voran. Depressionen sind medizinisch mittlerweile längst anerkannt. Doch nichtsdestotrotz hat die Forschung keine klare Antwort auf die Fragen: Wie kommt es zu einer Depression? Und kann man ihre Stärke objektiv erfassen? Bisher stützt sich die Depressionsdiagnostik schließlich überwiegend auf Stimmungsfragebögen und die Dokumentation von Symptomen.

Depressionen gehen mit einer Vielzahl an Symptomen einher und stehen neben Angst- und bipolaren Störungen weit oben im Mental Disorder Ranking. Obwohl Depressionen medizinisch mittlerweile längst anerkannt sind, wissen wir noch sehr wenig über die Erkrankung. Bild: Gerd Altmann

Stimmungsaufheller der Zukunft: Deep Brain Stimulation

Die neuesten Antworten dazu kommen aus den USA: Ein amerikanisches Team von Neurowissenschaftler:innen griff dazu auf Erkenntnisse aus der Behandlung von zwei Krankheiten zurück, nämlich Parkinson und Epilepsie. Bei beiden Krankheiten geht man trotz ihrer ausgeprägten motorischen Symptome davon aus, dass sie neurologische Ursachen haben. Bereits seit geraumer Zeit setzt man elektronische Impulse im Gehirn, um sie zu behandeln. “Deep Brain Stimulation” (DBS), also tief ins Hirn eingesetzte, impulsgebende Elektroden, lautet das Keyword der Stunde. Auch bei Depressionen nehmen die Forscher:innen des Baylor College of Medicine in Houston, Texas einen Ursprung im Gehirn an. Die Depression sei “im Kopf” der Betroffenen – allerdings nicht im übertragenen Sinne, wie es Depressionserkrankte noch viel zu oft aus Unwissen, Unsensibilität oder Unhöflichkeit zu hören bekommen – sondern im wörtlichen Sinne.

Mithilfe der “Deep Brain Stimulations” sollen zukünftig die Stimmungen einer Person messbar werden. Dabei setzen die Wissenschaftler:innen darauf, durch die Beobachtung der Gehirnaktivitäten Aufschlüsse über eine potenzielle depressive Erkrankung zu erhalten, und zwar bezüglich ihrer Stärke. Oder anders gesagt: Sie messen die Depression, indem sie herausfinden, wie sich das aktuelle Stimmungsbild einer Person auf die Gehirnaktivität auswirkt. Das Verfahren bezeichnen die Forscher:innen als  “Mood Decoder”. 

Loading

Würdet ihr euch Elektroden ins Gehirn einsetzen lassen, wenn sie durch Impulse eure Stimmung verbessern könnten?

Thank you for voting
You have already voted on this poll!
Please select an option!

Neben der Messung der Schwere der Depression könnte die Auswertung der Hirnaktivitäten dann wiederum etwas anderes ermöglichen: Sie kann Anhaltspunkte dafür geben, wo die Elektroden platziert werden müssen, um die Wirkung auf die Stimmung der Patient:innen zu verbessern. Der Mood Decoder soll also nicht nur messen, sondern im besten Fall auch Teil der Therapie sein. Erste bescheidene Forschungsergebnisse der Neurowissenschaftler:innen aus Texas geben Hoffnung, dass dies tatsächlich auch gelingen kann. So habe sich die Stimmung der getesteten Personen schlagartig verschlechtert, nachdem die DBS ausgeschaltet wurde. Was im Umkehrschluss andeutet, dass sie durch die Stimulationen zumindest konstant blieb. Dass DBS eine positive Wirkung auf Depressionen haben können, ist dabei eine Erkenntnis, die in der Forschung bereits diskutiert wird. Wie effektiv eine solche Therapie sein kann, muss aber noch mehr erforscht werden. 

Mental Health Tech – das Geschäft mit der mentalen Gesundheit

Was in den USA zurzeit noch in den Kinderschuhen steckt, hat in jedem Fall – und das ist nicht ohne einen gewissen Zynismus gesagt – einen großen Markt vor sich. Immerhin schätzt die WHO, dass rund 350 Millionen Menschen weltweit an Depressionen leiden. Laut der Deutschen Depressionshilfe gehört die Depression zu einer der häufigsten Erkrankungen: Allein in Deutschland entwickeln etwa 20 von 100 Menschen früher oder später in ihrem Leben eine Depression. Kinder und Jugendliche sind in diesen Zahlen übrigens noch nicht einmal berücksichtigt. 

Anders als Mental Health Tech Produkte, handelt es sich beim “Mood Decoder” jedoch (noch) um einen invasiven medizinischen Eingriff: Die impulsgebenden Elektroden werden tief ins Hirn eingesetzt und durch einen kleinen, in der Brust implantierten Generator ausgelöst. Die Batterie des Generators muss regelmäßig aufgeladen werden. Zwar erhofft man sich, dass neue Technologien in absehbarer Zeit ein nicht-invasives Verfahren ermöglichen – etwa in Form eines Gerätes, das am Kopf der Patient:innen angebracht wird. Doch bis jetzt bleibt das Zukunftsmusik. Einer möglichen Massentauglichkeit des Verfahrens blicken wir daher wohl vorerst nicht entgegen, zumal die Forschenden bislang nur die Ergebnisse von drei Freiwilligen analysiert haben. Sieht man sich den Hang der Generation Y und Z an, sich selbst zu diagnostizieren und therapieren, statt Fachkräfte aufzusuchen, ist das wohl auch gut so. In Arztpraxen und Kliniken könnte eine handhabbare Version des Mood Decoders wiederum schnellere Hilfe für die Betroffenen versprechen. Immerhin ist es kein Geheimnis, dass Therapieplätze in Deutschland trotz steigender Nachfrage rar sind.

Die Forschung setzt auf “Deep Brain Stimulations”, um Depressionen in Zukunft zu therapieren: Dabei werden impulsgebende Elektroden tief ins Hirn eingesetzt und durch einen kleinen, in der Brust implantierten Generator ausgelöst. Bild: © Riya Sani

Ein objektives Messgerät für Depressionen

Sollte es der Forschung gelingen, den Mood Decoder für einen Einsatz im Bereich der Diagnostik und Therapie einsatzfähig zu machen, birgt das enormes Potenzial im Kampf gegen die Volkskrankheit Depression. Behandlungen mit Antidepressiva etwa könnten reduziert werden – in Anbetracht der starken Nebenwirkungen keine schlechte Sache. 

Loading

Glaubt ihr, dass Technologie die Lösung für die Therapie von Depressionen sein kann?

Thank you for voting
You have already voted on this poll!
Please select an option!

Was von den Forscher:innen des Baylor College of Medicine bislang erst in dieser ersten kleinen Teststudie erprobt wurde, zeigt aber vor allem auch das Bestreben, Erkrankungen wie der Depression einen objektiven Richtwert zu geben. Denn bisher sind Ärzt:innen hinsichtlich einer Diagnose und Behandlung auf die individuellen Beschreibungen der Betroffenen angewiesen. Viel zu oft werden diese Erfahrungen dabei noch verkannt, abgesprochen oder von den Ärzten fehlinterpretiert. Ein objektives Messgerät zur Hand zu haben, könnte dem ein Ende setzen und Depressionen früher erkennen. Nicht ohne Grund stellt das Bundesgesundheitsministerium die Frühdiagnose als wichtigste Maßnahme im Kampf gegen diese psychische Krankheit heraus.