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Nach Co-working & Co-living – In Berlin entsteht der erste Co-praying Space für drei Weltreligionen

In Berlin entsteht ein Gotteshaus für Juden, Christen und Muslime. House of One soll drei Religionen vereinen, die mehr gemeinsam haben, als sie trennt. Könnte das Modell eine Lösung für internationale Konflikte und religiöse Diskriminierung sein?

Nein, hier geht es nicht darum, sich Räumlichkeiten zu teilen, um der prekären Wohnraumsituation auf dem Berliner Immobilienmarkt entgegenzuwirken. In Berlin-Mitte entsteht ein Gotteshaus, das ein Modellprojekt für ein friedliches Miteinander werden soll. Juden und Jüdinnen, Muslim:innen und Christ:innen teilen sich hier nicht die Miete, sondern ein Gotteshaus. Im House of One werden alle drei abrahamitischen Religionen gemeinsam unter einem Dach beten und ihre Feste feiern.

Im House of One werden alle drei abrahamitischen Religionen gemeinsam unter einem Dach beten und ihre Feste feiern. Bild: Kuehn Malvezzi

Das Judentum, das Christentum und den Islam vereint eigentlich mehr, als sie trennt. Sie alle sind sogenannte „Leute des Buches“, die die heilige Schrift des jeweils anderen anerkennen und glauben, dass es nur einen Gott gibt. Sie alle beziehen sich auf dieselbe Region und dieselben Propheten und glauben an ein und denselben Gott. 

Interreligiöse Kommunikation noch nicht besonders alt

Doch das war lange umstritten. Christ:innen argumentierten lange, Juden und Jüdinnen in ihrem Bund mit Gott als das heilige Volk ersetzt zu haben. Diese Sichtweise wurde nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem Begriff Substitutionstheologie erfasst und gilt als Keim von antisemitischen Denkweisen. Im Zweiten Weltkrieg kulminierten Perspektiven christlicher Überlegenheit in der Shoah, dem Holocaust. Erst nach dem Holocaust fand ein Umdenken jüdisch-christlicher Beziehungen statt und der Begriff der Substitutionstheologie entstand als eine Methode der christlichen Selbstkritik und Reflektion. 

Nach langen Jahren der „christlichen Stille“, äußerte sich die katholische Kirche im Jahr 1965 erstmals zum Verhältnis der Kirche zu nicht-christlichen Religionen. Foto: Carl Weinrother/bpk

Nach langen Jahren der „christlichen Stille“, wie Edward Kessler, Gründer des Woolf-Institutes für interreligiöse Beziehungen 2010 schrieb, äußerte sich die katholische Kirche im Jahr 1965 erstmals zum Verhältnis der Kirche zu nicht-christlichen Religionen, rief zu „universaler Brüderlichkeit“ auf und verurteilte „jede Diskriminierung eines Menschen oder jeden Gewaltakt gegen ihn um seiner Rasse oder Farbe, seines Standes oder seiner Religion willen, weil dies dem Geist Christi widerspricht.“ Die Erklärung wird bis heute als ein Meilenstein angesehen, der eine neue Ära in der interreligiösen Kommunikation markiert. Vor diesem Dokument, also noch vor knapp 50 Jahren, wäre ein gemeinsames Gotteshaus undenkbar gewesen.

Während Deutschland vom Glauben abfällt, wird die Welt immer religiöser

In Deutschland findet derweil eine zunehmende Säkularisierung der Gesellschaft statt. Zwar sind die Hälfte der deutschen Bevölkerung heute immer noch entweder Katholiken oder Protestanten, doch die Zahl der Kirchenaustritte steigt kontinuierlich an. Im Vergleich dazu waren laut der Bundeszentrale für politische Bildung im Jahr 1960 noch über 93% der Deutschen entweder katholisch oder evangelisch. Doch ein Blick nach rechts und links zeigt: Was in Deutschland vor allem seit Mauerfall ein eindeutiger Trend ist, trifft nicht unbedingt auf den Rest der Welt zu.

In Deutschland findet eine zunehmende Säkularisierung der Gesellschaft statt. Bild: Bundeszentrale für politische Bildung, 2020. 

In den nächsten Jahrzehnten wird das Christentum laut einer Studie des Pew Research Centers zwar die größte Religion bleiben, doch der Islam wird schneller als jede andere Religion wachsen, mitunter da Muslime die weltweit höchste Geburtenrate haben. Eine muslimische Frau bekommt im Schnitt 3,1 Kinder, was weit über der Rate von 2,1 Kindern liegt, die benötigt wird, um eine Bevölkerung stabil zu halten. Im Jahr 2050, schätzt das Institut, wird die Anzahl der Muslime und Christen auf der Welt ungefähr gleich sein, während die Zahl der Atheisten und Agnostiker im Vergleich zur Weltbevölkerung immer mehr abnehmen wird. Führt eine zunehmende Globalisierung und der interkulturelle Austausch auch zu einer konfliktfreien Koexistenz?

Ein gemeinsames Gotteshaus – in vielen Orten auf der Welt noch undenkbar 

Konzepte wie House of One könnten relevanter denn je werden. Da die Zahl der rassistisch motivierten Hass-Verbrechen gegen Muslime und Islamophobie rasch zunimmt, ist ein konstanter Dialog zwischen den Religionen zur Friedensbildung immer unausweichlicher. Und wo könnte dieser besser stattfinden, als in einem Gotteshaus für alle? 

Am 27. Mai 2021 wurde am Standort der alten Petri-Kirche mit symbolträchtiger musikalischer Untermalung des Berliner Staats- und Domchors in deutscher, arabischer und hebräischer Version der erste Grundstein für das House of One gelegt. „Shalom Alechem“, „Friede mit Euch“.  Was in Jerusalem noch undenkbar ist, soll hier umgesetzt werden. Wenn das Modellprojekt für besseren interreligiösen Austausch sorgt, könnte Berlin in Zukunft ein Beispiel für die Welt werden.

„Am Urort Berlins“, sagt Pfarrer Gregor Hohberg, „dort, wo die Stadt geboren ist und ihre erste Kirche stand, dort soll Zukunftsmusik erklingen.“ Foto: René Arnold.

„Am Urort Berlins“, sagt Pfarrer Gregor Hohberg, „dort, wo die Stadt geboren ist und ihre erste Kirche stand, dort soll Zukunftsmusik erklingen.“ Es ist auch kein Zufall, dass gerade in Berlin das erste Gotteshaus dieser Art entstanden ist. Die in der Stadt gelebte Offenheit, Vielfalt und Dialogbereitschaft sind die eigentlichen Modellwerte, die internationalen Export verdienen würden. Egal, ob als Coworking-Space oder als gemeinsames Gotteshaus.