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Nach dem Babyboom kommt der Death Boom: Grief Tech monetarisiert Trauer

Trauerarbeit, Trauerfeier, Trauertechnologie? Amerikanische StartUps haben Trauer als Marktlücke für sich entdeckt – und wollen ein Stück vom Kuchen abhaben. Werden wir in Zukunft mithilfe von digitalen Klonen mit unseren Hinterbliebenen ein Pläuschen halten – und sollten wir das überhaupt?

“Trauer kostete Arbeitgeber:innen letztes Jahr schätzungsweise 113,27 Milliarden Dollar in reduzierter Produktivität und Fehlern auf der Arbeit”, heißt es in einem Artikel des Chicago Tribune aus dem Jahr 2019, der sich für neue Innovationen und Technologien auf dem Trauer-Markt einsetzt. Der Kapitalismus hat – wie immer – für jedes Problem eine Lösung, die angeblich allen nur Gutes tut. Und damit wären wir beim Thema Grief-Tech. 

Trauer als Geschäftsmodell: Das ist, in aller Kürze, Grief-Tech. Die Rede ist hier von kostenpflichtigen Apps, Services, Chatbots, Voice Assistants und digitalen Klonen, die dabei helfen sollen, den Tod eines anderen Menschen emotional und organisatorisch zu verarbeiten. 

Der Tod bringt Geld

Ja, ihr habt richtig gehört, digitale Klone. Aber eins nach dem anderen. Wir befinden uns im Jahr 2022 und Start-Ups wie Empathy, Betterleave, HereAfterAI, You, Only Virtual oder StoryFile haben den Tod als Marktlücke entdeckt. Einige von ihnen, zum Beispiel Empathy, konnten kürzlich Investitionen in Millionenhöhe an Land ziehen. 

Und das scheint aus marktökonomischer Perspektive auch nicht weit hergeholt, denn der Tod kostet Arbeitgeber:innen Geld – wie die oben erwähnten 113,27 Milliarden Dollar verdeutlichen. Deshalb sollen Arbeitgeber:innen durch optimierte Trauerbegleitung für ihre Angestellten finanziellen Verlusten vorbeugen. 

Doch während einige Start-Ups wie Empathy oder Betterleave sich darauf beschränken, automatisierte Trauerbegleitung oder Unterstützung beim Papierkram nach dem Tod einer Person per App anzubieten, haben andere ein viel ambitionierteres Ziel. Sie wollen den Tod selbst durch KI überwinden und die verstorbene Person digital unsterblich machen. Und damit wären wir bei digitalen Klonen und Voice Assistants.

Durch Daten entstehen digitale Klone von lebenden und verstorbenen Personen, damit die Hinterbliebenen möglichst lebendige Erinnerungen an den oder die Verstorbene:n haben. Foto: Cottonbro

Für immer leben – dank Daten

Die technische Grundlage für das Black Mirror-Szenario, in dem eine Frau ihren Partner verliert und eine digitale Version von ihm nachbildet, existiert bereits. Das Start Up HereAfter erstellt anhand von Daten digitale Klone von lebenden und verstorbenen Personen, damit die Hinterbliebenen möglichst lebendige Erinnerungen an den oder die Verstorbene:n haben. 

Fotos, Videos, Nachrichten, Sprachnachrichten, Anekdoten – die App wird zum digitalen Biographen, der die verstorbene Person neu zum Leben erweckt und so das Trauern erleichtern soll. Ein App-interner Bot fragt die betroffene Person nach ihrer Lieblingsfarbe, dem ersten Kuss oder dem Glauben an das Leben nach dem Tod. Im Idealfall lebt die Person, deren digitaler Klon erstellt werden soll, noch, sodass sie die App selbst mit Daten füttern kann. Wenn die Person dann verstorben ist, hat man zumindest sämtliche Erinnerungen digital festgehalten. In einer Welt, in der Daten zur unsichtbaren Währung geworden sind, ist das schon eine unheimliche Vorstellung.

Wenn der digitale Klon fertig ist, bekommt man ihn direkt in der App oder einfach als E-Mail-Anhang. Dann kann man mit ihm per App oder über Alexa kommunizieren. “Zuerst hörten sie sich blechern und distanziert an, als wären sie im Gefängnis um ein Handy herum zusammengedrängt”, erzählt Charlotte Lee, die digitale Klone ihrer Eltern anfertigen ließ und über ihre Erfahrungen für das MIT berichtete. 

“Aber im Laufe unserer Unterhaltung hörten sie sich dann mehr wie sie selbst an. Sie haben mir persönliche Geschichten erzählt, die ich noch nie gehört habe. Ich habe vom ersten Mal erfahren, als mein Vater betrunken war. Meine Mutter hat erzählt, wie sie Ärger bekam, weil sie als Kind zu lange draußen unterwegs war. Sie gaben mir Lebensweisheiten und erzählten mir Sachen aus ihrer Kindheit, als wäre es meine eigene. Es war faszinierend”, so Lee.

Doch die Faszination hielt nicht lange an. Ein paar spezifischere Fragen, und der digitale Voice Assistant ist überfragt: “Entschuldige, das habe ich nicht verstanden. Du kannst versuchen, die Frage anders zu stellen oder wir reden über ein anderes Thema”, sagt “Mama” aka. der digitale Klon von Lees Mutter, wenn er Lee nicht versteht.

“Authentische” menschliche KI

Das sechs Jahre alte Start Up StoryFile geht noch einen Schritt weiter und möchte, dass digitale Klone sichtbar sind und authentischer kommunizieren können. StoryFiles digitaler Klon beantwortet Fragen per Video. Auch dafür muss die Person, die antworten soll, zunächst natürlich am Leben sein – denn die KI kann nur die Fragen beantworten, für die sie programmiert wurde. Kund:innen suchen sich Fragen aus einem Fragenkatalog aus und filmen die zu sterbende Person bei der Beantwortung dieser Fragen. StoryFile verwandelt diese Videos dann in eine Art Hologramm, mit dem man interagieren kann.

StoryFiles CEO Stephen Smith demonstrierte die Technologie anhand seiner verstorbenen Mutter, die in einem Videocall in ihrem Wohnzimmersessel zu sehen war und Lebensweisheiten teilte. Smiths Mutter nahm auf diese Weise auch an ihrer eigenen Beerdigung teil und sagte am Ende: “Ich denke, das war’s jetzt von mir…Tschüss!”. Smith war sehr glücklich, vor dem Tod seiner Mutter noch ihre Daten aufgenommen zu haben. Doch zugegebenermaßen würden wahrscheinlich nur die wenigsten Angehörigen vor dem Tod einer Person dazu kommen, ihr gesamtes Leben zu digitalisieren. 

Grief-Tech: Fluch oder Segen?

In Charlotte Lees Fall war das auch nicht notwendig – ihre Eltern leben nämlich noch. Vielleicht fiel es ihr auch deshalb so leicht, mal eben digitale Klone ihrer Eltern zu erstellen und mit diesen zu kommunizieren. Denn obwohl Grief-Tech-Apps bei der Trauer eigentlich unterstützend wirken sollen, können sie auch genau das Gegenteil bewirken und dafür sorgen, dass Hinterbliebenen der Verlust und das Loslassen noch schwerer fällt. 

Trauer ist ein persönlicher Prozess, der von betroffenen Personen unterschiedlich viel Zeit und Ressourcen fordert. Uralte Trauertechniken und Rituale, so wie das Gedenken durch Blumen oder Kerzen oder auch Traditionen wie der Día de los Muertos, an dem in Mexiko den Verstorbenen gedacht wird, haben sich dazu im Gegensatz zu unerforschten Grief-Technologien bewährt. Wie man mit dem Tod umgeht, ist letztlich eine persönliche Entscheidung, denn jede:r trauert anders. Das sollten auch Unternehmen respektieren, die aus der Trauer Kapital schlagen wollen. Für diese Unternehmen habe ich eine Message: Ihr habt bereits das Leben monetarisiert, haltet euch aus dem Tod raus.