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Foto: © Pegah

Negroni statt Erdbeersekt – die stille Alkoholsucht der Frau

Verborgener Alkoholismus steckt nicht mehr nur in schwitzigen Kneipenabenden von Männer-Stammtischen. Das neue Trinken ist weiblich, sagt die Journalistin und Autorin Eva Biringer. Und während Serien wie Sex and the City mit dem Genuss von Cosmopolitans das Gefühl von Selbstbestimmung zelebrieren, steigt die Zahl der alkoholsüchtigen Frauen. Über diese Phänomene schreibt Biringer in ihrem autobiographischen Buch „Unabhängig. Vom Trinken und Loslassen”. Qiio hat mit ihr über Sucht, Verdrängung und Wege aus der Krise gesprochen.

 

In Deinem Buch schreibst Du, die Zukunft des Trinkens ist weiblich. Was meinst Du damit?

Tatsache ist, dass die Zahlen für Alkoholabhängigkeit bei Männern zurückgehen und die bei Frauen nicht. Vor etwa zehn Jahren kam auf 3,5 alkoholkranke Männer eine Frau, heute kommt eine Frau auf 2,4 Männer. Mit dem Rauchen war es ähnlich. Am Anfang haben nur Männer geraucht, bis sich die Industrie gedacht hat: Ach, wir könnten ja die andere Hälfte der Bevölkerung auch noch mit ins Boot holen und so wurden Frauen gezielt zum Rauchen gebracht. Es ist zu beobachten, dass Frauen ebenso gezielt durch Werbung zum Trinken animiert werden. Heute sind wir an dem Punkt, an dem uns Frauen das Trinken als emanzipatorisch verkauft wird. Nicht trinken geht nicht, zu viel trinken geht aber auch nicht. Das ist ein sehr, sehr schmaler Grat. Serien wie Sex and the City oder Cougar Town folgen der Idee: Die Frau von Welt, die emanzipierte Karrierefrau trinkt Alkohol. Nicht den Schnaps aus der Flasche, aber den 15 € Martini.

Verborgener Alkoholismus steckt nicht mehr nur in schwitzigen Kneipenabenden von Männer-Stammtischen. Das neue Trinken ist weiblich, sagt die Journalistin und Autorin Eva Biringer.
Eva Biringer, © FlorianReimann

Serien wie Sex and the City und Cougar Town nimmst Du als Beispiele popkultureller Bezüge Deiner Generation, sie verherrlichen die trinkende Frau als emanzipatorisch. Nimmt die Tendenz zu trinken in der neuen Generation heranwachsender Frauen nicht eher ab?

 Es gibt heute eine Minderheit unter Jugendlichen, die sehr viel trinkt. Innerhalb dieser Gruppe gibt es immer mehr Einlieferungen ins Krankenhaus wegen Alkoholvergiftungen. Die gesamte Entwicklung geht dahin, dass junge Menschen weniger trinken oder gar nicht. Das ergibt auch Sinn, Trinken ist nicht vereinbar mit dem vorherrschenden gesunden Lifestyle. Umso erstaunlicher ist es, dass für Frauen das Trinken so problematisch geworden ist. Besonders gefährdet sind die emanzipierten Frauen, solche mit höherem Haushaltseinkommen, ebenso Mütter. Es besteht ein nachweisbarer Zusammenhang zwischen der Emanzipation eines Landes und dem Anteil dessen problematisch trinkender Frauen. 

Was ist beim Alkoholkonsum der große Unterschied zwischen Männern und Frauen?

Männer trinken immer noch mehr als Frauen. Es gibt mehr Alkoholiker oder problematisch trinkende Männer als Frauen.

Aber wie gesagt, Frauen holen auf. Zum Beispiel beim Binge-Drinking, da sind deutsche Frauen nach Däninnen auf Platz zwei in Europa. Es würde auch kaum jemand komisch schauen, wenn am Nebentisch schon ab zwölf eine Frauenrunde Prosecco trinkt. Was ist hingegen mit dem Prosecco beim Spielplatz-Date? Einerseits ist Alkoholkonsum im öffentlichen Leben sehr präsent, andererseits bleibt das problematische Trinken schambehaftet. Eine besoffene Frau hat gleich etwas Anrüchiges an sich oder ist vermeintlich „leicht zu haben”. Gerade für Frauen ist ein hoher Alkoholkonsum in vielerlei Hinsicht schädlicher als für Männer. Sie sind eher von körperlichen Schäden betroffen und werden schneller abhängig. Auch das Risiko für Depressionen und Angststörungen steigt stärker an als bei Männern. Umso schlimmer ist es, dass Frauen jetzt aufholen und genauso viel trinken wie Männer oder ein ähnliches Trinkverhalten an den Tag legen.

 

Wo liegt im Trinken die Selbstermächtigung, die Du in deinem Buch als emanzipatorisches Trinken beschreibst?

Ein schönes Beispiel ist „Die trinkende Frau”, eine alte Kolumne von Elisabeth Raether im ZEITmagazin – die habe ich geliebt. Sie transportierte das Bild einer Frau, die im Leben steht, einen coolen Job hat und trinkt. Dabei kokettiert sie mit der Abhängigkeit. Als Autorin finde ich sie wirklich toll, aber ich sehe das auch kritisch. Sie fragt zum Beispiel, wenn ich etwas sehr gerne mag, bin ich dann wirklich abhängig oder mag ich es einfach sehr gerne? Dabei wird deutlich, dass der Weg zur Abhängigkeit kurz ist und eine Gefahr darstellt. Sie zeichnet dieses Bild einer Frau, die sich allein in eine Bar setzt und einen Negroni trinkt oder einen Whiskey on the rocks und nicht den pinken Erdbeersekt, sondern einen starken Drink, der genauso gut zu einem Mann passen würde. Nach dem Motto: Ich verdiene mein eigenes Geld und kann es auch für einen starken Drink ausgeben. Das ist ein Stück Emanzipation geworden – vermeintlich.

 

Du verweist darauf, dass mit dem Grad der Emanzipation in einem Land proportional der Anteil der trinkenden Frauen steigt.

Es trifft ja wirklich überall auf der Welt zu, ob in Südkorea oder Skandinavien. Die Frage ist, was soll das für eine Art von Emanzipation sein? Uns Frauen wird gesagt, wir können alles haben. Aber in der Praxis gibt es den Gender Pay Gap. Gleichzeitig gibt es einen enormen Druck nicht mehr nur Mutter zu sein, sondern auch den Job erfolgreich zu meistern. Heute nach beidem streben zu können, ist toll, aber gleichzeitig geht die Rechnung nicht auf, alle Anforderungen gleichzeitig zu erfüllen. Der Alkohol ist ein sehr dankbares Mittel, um Druck abzubauen. Weil er so allgegenwärtig ist und es normaler ist zu trinken, als nicht zu trinken.

Während Serien wie Sex and the City mit dem Genuss von Cosmopolitans das Gefühl von Selbstbestimmung zelebrieren, steigt die Zahl der alkoholsüchtigen Frauen. Bild: Screenshot Sex and the City / HBO

Dein Buch erweckt den Eindruck, als gäbe es kein Mittelmaß im Alkoholkonsum. Siehst Du das so?

Nicht alle, die trinken, werden abhängig. Gleichzeitig gibt es aber sehr viele Menschen, die sich zumindest im Graubereich bewegen. Alkohol macht nun mal stark abhängig. Eine Studie untersuchte verschiedene Drogen auf ihren Schaden hin. Da floss alles ein von körperlichem Schaden für den Konsumierenden bis zu den Auswirkungen auf das Umfeld und wie der gesellschaftliche Schaden aussieht. Alkohol war dabei aufs Ganze gerechnet die absolute Nummer eins. Die enorme Gefahr der Abhängigkeit vom Alkohol ist eine tödliche Kombination mit der Tatsache, dass er so einfach verfügbar ist. Du kannst rund um die Uhr Alkohol kaufen. Überall wird dafür geworben. Zu jedem sozialen Anlass gibt es Alkohol, ob Feier, Beerdigung oder Firmentreffen. Es gibt sicher Leute, die das Mittelmaß dabei halten können, aber es gibt sehr viele, die es nicht schaffen.

 

Tendiert der Großteil zu einem der beiden Extreme, entweder zu viel zu trinken oder gar nicht?

Ich sage nicht, dass jede und jeder die Flasche gleich austrinkt. Nur meine ich, dass es viel mehr Leute gibt, die zwar selten trinken, dann aber auch mehr als die empfohlene Menge oder diejenigen, die von vorneherein zu viel trinken.

In deinem Buch beschreibst du das Phänomen der Drunkorexia. Wie erklärst du dir diesen Trend?

In der Drunkorexia steckt leider eine sehr gängige Kombination. Essstörung, sowohl Bulimie als auch Magersucht und Alkoholabhängigkeit. Das erscheint erstmal widersprüchlich, denn mit Alkohol nimmt man wieder viele Kalorien auf. Leider ergänzen sich jedoch Essstörung und Alkoholabhängigkeit gut. Es geht um Kontrolle und gleichzeitig totalen Kontrollverlust. Auch ich hatte eine Essstörung, war den ganzen Tag mit Kalorienzählen beschäftigt. Abends bricht sich das dann Bahn im Alkoholexzess. Selbst Frauen, die keine direkte Essstörung haben, aber eine Art von Esskontrolle betreiben, sagen: Ich esse lieber weniger und spar mir meine Kalorien für den Drink auf.

Du führst in Deinem Buch Statistiken auf, wie beispielsweise: 40 % derer, die vor ihrem 13. Lebensjahr mit dem Trinken beginnen, werden alkoholabhängig. Frauen mit Universitätsabschluss trinken mit doppelter Wahrscheinlichkeit täglich Alkohol als solche ohne. Gleichzeitig führst Du an, dass es schwierig ist, wirklich zu bestimmen, ab wann jemand in der Abhängigkeit ist. Wie geht das miteinander einher?

Das kann ich nicht komplett beantworten. Fest steht, es gibt keine eindeutige Klassifikationen. Kein seriöser Arzt oder Ärztin sagt, Sie sind abhängig, wenn es keine Anzeichen für eine körperliche Abhängigkeit gibt. Klar, es gibt die körperliche Abhängigkeit, da muss man unterscheiden. Es gibt beispielsweise das Korsakow Syndrom, wo man zittert und weiße Mäuse sieht. Das ist ganz eindeutig. Die psychische Abhängigkeit hingegen ist vielschichtiger. Das kann bedeuten, dass jemand 30 Jahre lang jeden Tag eine Flasche Bier trinkt. Wenn ich nur viermal im Jahr einen völligen Absturz habe, mit Black Out und nicht mehr aufhören kann, ist das nicht auch eine Art von Abhängigkeit? Trotz dieser Unklarheiten ist messbar, wie viel jemand trinkt, es gibt unter anderem von der WHO den sogenannten Goldstandard: ein Achtel Wein für Frauen, zwei für Männer, mit zwei alkoholfreien Tagen die Woche, das ist ein angemessenes Trinken. Wenn es das über einen längeren Zeitraum auffällig übersteigt, dann spricht man zumindest von einem problematischen Konsum.

Eva Biringers Buch „Unabhängig. Vom Trinken und Loslassen“ ist dieses Jahr bei Harper Collins erschienen.

Hat diese Schwierigkeit, eine Abhängigkeit zu definieren, auch mit einer Unwilligkeit zu tun?

Ja, auf jeden Fall ist es eine kollektive Verdrängung, weil es eben viele Leute nicht im Griff haben. Es sind viele betroffen und wenige wollen es sich eingestehen. Ich dachte immer, alle anderen kriegen es auch irgendwie hin. Das hat viel mit Scham zu tun und mit Verdrängung. Man sieht es viel in Runden, in denen eine Person nicht trinkt und von den Übrigen zum Trinken aufgefordert wird. Warum kann das nicht jede und jeder für sich entscheiden? Weil es in dem Moment ein indirekter Kommentar zum Trinken der anderen ist.

Wovon fühlst Du dich noch unabhängig durch Deine Abstinenz, außer vom Alkohol?

Von Erwartungen anderer. Von problematischen Männerbeziehungen oder überhaupt dem Wert den Männern mir beimessen. Mein Selbstwert ist nicht mehr abhängig von anderen. Ich bin jetzt viel näher an meinen Gefühlen dran und weiß, was ich will und kann meinem Urteil trauen, auch in Bezug auf potenzielle Partner. Männer und Alkohol-Dramen gehen bei jeder Frau, die ich kenne, Hand in Hand. Und es ist wirklich oft so, dass Frauen in toxischen Beziehungen sind, weil sie nicht gut zu sich selbst sind. Ihren Selbstwert und ihre Bedürfnisse nicht achten, wie die Journalistin Susanne Kaloff in ihrem Buch „Nüchtern betrachtet war’s betrunken nicht so berauschend” feststellt.

Eva Biringer schreibt für Die Zeit und Zeit Online – dort unter anderem die Serie Sonntagsessen. Im Frühjahr 2022 erschien „Unabhängig. Vom Trinken und Loslassen” bei Harper Collins. Sie lebt in Wien und Berlin, isst gut und reist viel.