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Foto: Roberto Delgado

Snapchat-Dismorphose – mit dem Skalpell gefiltert

Es gibt kaum noch eine Foto-App die ohne Beautifying-Feature auskommt. Mit Snapchat, Facetune und weiteren Apps dieser Art haben wir unser Aussehen im Prinzip selbst im Griff. Was passiert, wenn Menschen mit der Kluft zwischen ungefilterter Realität und Selfie nicht mehr umgehen können, zeigt ein Phänomen aus den USA.

Im Jahr 1996 beschrieb David Foster Wallace in Infinite Jest einen Apparat namens Teleputer, der die Überlagerung von Videotelefonie und Augmented Reality ermöglicht. Über zwei Jahrzehnte nach Veröffentlichung des Buches ist seine Vision ein kleines, aber mächtiges Stück Realität geworden. Als im Jahr 2014 die App SkinneePix das Versprechen gab, jeden Nutzer auf Selfies schlanker erscheinen zu lassen, war die Aufregung noch groß. Zu offensichtlich, zu unverfroren das Versprechen, das eigene Äußere so unverfroren zu manipulieren. Während man in den frühen 2000ern noch über Hipster lachte, die ihre Latte-art mit Sepia-Filtern verschlimmschönerten, sind Filter heutzutage aus dem Selfie-Mainstream nicht mehr wegzudenken.

Durch die Filter-Schablone sind immer weniger Menschen mit ihrem Spiegelbild zufrieden. Foto: Mikail Duran

„Beauty Is Justice!” so die Tagline der besonders in China beliebten BeautyCam-App. Was für eine betörende Idee, diese Gerechtigkeit in den eigenen Händen zu halten. Mit Facetune noch schnell die unperfekte Haut glätten, die Taille schmaler und die Hüfte kurviger wischen. Schönheit ist Macht und Geschäft zugleich. Den visuellen Ton geben die Influencer an. Ihre Streams dienen als (Filter-)Schablone. Der eigene Körper wird zur virtuell optimierbaren Ware, wer nicht mitmacht, den sortiert der Algorithmus schnell aus.

Selfie-Awareness

Wo Hundeschnauzen und Blumenkränze am Anfang noch lustig waren, veränderte sich das Angebot langsam aber sicher dahin, dem User ein neues, ideales Bild seines Äußeren mithilfe von Filtern zu ermöglichen. Große Augen, dichte, lange Wimpern, ein schmales Kinn und eine kleine Stupsnase. Kindchenschema-Deckschicht für das nächste Selfie. Als Mittel der Selbstdokumentation sind Selfies als narzisstische Praxis verschrien. Was geschieht allerdings, wenn man trotz perfekter Pose und schmeichelndem Licht mit dem Ergebnis des eigenen Abbilds unzufrieden ist?

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Mehreren Studien zufolge breitet sich besonders in den USA der Trend der sogenannten Snapchat-Dismorphose aus. Das Phänomen, bei dem gut informierte Konsumenten beim Gang zum Schönheitschirurgen ein Ziel haben: So auszusehen wie auf ihrem gefilterten Selfie. Vorbei sind die Zeiten, in denen es Angelina Jolies Nase sein musste. Jetzt möchte man seiner eigenen digitalen Perfektion entsprechen. Besonders die Nachfrage nach Nasenkorrekturen, Haartransplantationen im Stirnbereich (bei Männern) und Augenlid-Korrekturen steigt in den USA stetig. Bereits im Jahr 2014 gaben 13 % der befragten Gesichtschirurgen an, dass Patienten als Grund für den Eingriff explizit ihre Unzufriedenheit mit den eigenen Selfies nannten. Aber auch minimal-invasive Prozeduren wie die Unterspritzung mit Botox oder Filler werden verstärkt nachgefragt. So ist die Zahl der Eingriffe in den USA in nur fünf Jahren um 33 % gestiegen.

Von Filter zum Filler

Doch warum missfallen wir uns so sehr auf Bildern, die wir im Prinzip selbst in der Hand haben? Unterschiedliche Faktoren spielen dabei eine Rolle: Zum einen, eine Verzerrung, die durch die Smartphone-Kamera und deren Abstand zum Gesicht entsteht, die letztendlich dafür sorgt, dass die eigene Nase auf Bildern 30 % größer wirkt. Eigentlich ist alles eine Frage der Perspektive: Wird ein Foto mit der gleichen Kamera mit normaler Distanz aufgenommen, kommt es zu keiner Verzerrung. Zum anderen, normalisieren gefilterte Selfies ein verfälschtes und beschränktes (konkret: ein mitteleuropäisch-weißes) Schönheitsideal, das durch seine ständige Reproduktion zum Maßstab wird. Die Haut wird blasser und glatter, wie kaltes Porzellan.

Foto: Erik Lucatero

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Bei Eingriffen im Gesichtsbereich fällt auf, dass die Mehrzahl der Kunden Frauen um die 30 sind. Kein Wunder: Aufgespritzte Lippen und eine glatte, faltenfreie Stirn sind fast schon universelle Marker für erfolgreiche Instagram-Influencer. Zwischen die Blumenbilder aus Mamas Garten und die Reisefotos von Freunden mischen sich die vermeintlich natürlich Schönen. „Alles ganz normal” wird suggeriert, „ich mach das für mich”. Dahinter steht ein steigender Druck relevant zu sein der durch Marken aber auch Konsumenten ausgeübt wird, die von Influencern zum einen den sogenannten Next-Door-Look abbilden wollen, dies aber eben doch unter dem Hashtag #inspirational verpackt. Durch die ständige Reproduktion des vermeintlich perfekten Influencer-Gesichts, wird die empfundene Unzulänglichkeit beim Betrachter verstärkt und ein entsprechendes Begehren geweckt. Schönheitschirurgen haben Influencer bereits als wandelnde Galerien ihrer Arbeit und somit für sich als Marketing-Tool entdeckt. Und natürlich verdienen sie kräftig am kollektiv-visuellen Unbehagen mit.

Auf die direkte Nachfrage, ob der Trend bereits in Deutschland angekommen sei, halten sich die Interessenverbände der plastischen Chirurgen bedeckt. In der aktuellen Umfrage der deutschen Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie zeigt sich jedoch ein stetiger und unaufhörlicher Anstieg, was die Nachfrage nach minimal-invasiven kosmetischen aber auch operativen Eingriffen auch in Deutschland betrifft. Hierzulande ist die Nachfrage nach Filler und Botox groß, aber auch Korrekturen im Augenbereich sind beliebt. Generell steigt die Nachfrage nach Eingriffen auch in Deutschland von Jahr zu Jahr, übrigens geschlechtsunabhängig.

Sollte sich die Kluft zwischen der Realität und Erfahrung des eigenen Äußeren weiter ausweiten, so bietet die Technologie des Deepfake möglicherweise eine Lösung für all unsere allzu menschlichen Nöte: Wenn sich der Trend fortsetzt, wird es bald jedem möglich sein, sein eigenes gefiltertes Gesicht mit der Hilfe eines künstlichen neuronalen Netzes auf einen noch perfekter gefilterten Körper zu montieren. Was für ein erlösender Gedanke, ein neues Ich, gefiltert aus den real als unzulänglich befundenen Teilen des eigenen Körpers – natürlich makellos. Um diesen dystopischen Trend abzuwenden, kann man nur dringend hoffen, dass sich die #self-acceptance doch noch zu einer #selfie-acceptance wandelt.