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Soundkünstler Jacob Kirkegaard dokumentiert den Klang des Todes

Was für Klänge entgehen uns, nachdem wir sterben? Der Klangkünstler Jacob Kirkegaard wagte sich dokumentarisch an das emotionale Thema Tod und zeichnete in seinem Werk Opus Mors den Klang der vier Stadien unseres irdischen Ablebens auf. 

Intensiv, bewegend und aufklärerisch nähert sich der Künstler Jacob Kirkegaard für uns den Klängen, denen viele mit Angst und vielleicht sogar Ekel begegnen. Der dänische Künstler ist bereits um die halbe Welt gereist, um für seine einzigartigen Projekte Klänge aufzunehmen. Für sein Werk Opus Mors, das er in Berlin beim CTM Festival präsentierte, wurden vier Zustände des menschlichen Körpers nach dem Tod in einer Soundgeschichte dokumentiert. Im ersten Teil hört man das Summen der Lüftungsanlage eines Leichenschauhauses, im zweiten die Geräusche einer Obduktion und im dritten Teil wird der Klang eines Verbrennungsofens bei der Einäscherung festgehalten. Für den letzten Abschnitt, die Verwesung, ist Jacob Kirkegaard nach Texas ans Forensic Anthropology Center gefahren, wo menschliche Leichen beim Verwesungsprozess studiert werden. Im Gespräch erfahren wir, wie ihn die Konfrontation mit dem Tod verändert hat.

Der Soundkünstler Jacob Kirkegaard eröffnet durch seine Klangkunst Möglichkeiten über komplexe, unbemerkte oder unzugängliche Themen nachzudenken. Foto: Katinka Fogh Vindelev.

Jacob, vielen Dank für deine Zeit. Wie immer frage ich am Anfang eines Gespräches, ob ich eine Soundaufnahme starten kann. Zum ersten Mal muss ich über diese Frage innerlich schmunzeln, weil sie bei einem Klangkünstler wie dir sicherlich eine andere Bedeutung hat. Was bedeutet es für dich, Stimmen aufzunehmen? 

Etwas aufzunehmen war schon immer ein besonderes Erlebnis und wurde irgendwann zu meiner eigenen Art, meine Umwelt besser zu verstehen. Mit sechs Jahren begann ich spielerisch meine eigene Stimme und die meiner Freunde aufzunehmen. Heute ist es nicht nur etwas, das ich gerne mache,  sondern auch die Tätigkeit, von der ich lebe. 

Ich begann erst damit, Menschen zu interviewen. Am liebsten Freunde und Kollegen, die etwas erreicht haben, da ich mich sehr für engagierte Menschen interessiere. Dabei wollte ich einen Raum schaffen, in dem ich ungewöhnliche Fragen stellen konnte, die ich normalerweise nicht stellen würde. 

Glaubst du, dass du in diesen Interviews Klangschichten rausgehört hast, die anderen eventuell verborgen bleiben? 

Natürlich kann ich nicht für andere sprechen. Wenn ich etwas aufnehme, gibt es mir das Gefühl, zu dieser Welt dazuzugehören und sie besser verstehen zu lernen. Wie bei meinem Projekt Opus Mors. Wenn ich die Prozesse aufzeichne, was mit uns geschieht, wenn wir sterben, hilft mir das, mit dem Tod umzugehen. 

Bei deinem Konzert Opus Mors hast du Aufnahmen von vier Stadien des Körpers nach dem Tod präsentiert. Besonders der letzte Teil, in dem du die Geräusche des Verwesungsprozesses aufgenommen hast, hat sich nachhaltig bei mir eingeprägt. Warst du auch daran interessiert jemanden aufzunehmen, der den Sterbeprozess durchlebt? Also genau jetzt am Sterben liegt? 

Ich habe darüber nachgedacht, aber wollte zuerst mit Opus Mors beginnen, um mich mit den Umständen vertraut zu machen. Der Umgang mit Menschen, die im Begriff sind zu sterben, ist weitaus schwieriger zu händeln, doch genau damit möchte ich mich befassen. Ich würde beispielsweise gerne das schlagende Herz und die Atmung eines sterbenden Menschen aufnehmen und dann letztlich den Moment festhalten, in dem alles aufhört. Dafür stehe ich in Kontakt mit einem Hospiz, das meinem Projekt sehr aufgeschlossen gegenübersteht. 

Was mich an deinem Album fasziniert, ist der neutrale, dokumentarische Ton. Du färbst die Aufnahmen nicht mit deinen eigenen Emotionen ein, sondern lässt sie für sich selbst sprechen. All die Emotionen, die dadurch hervorgerufen werden, gehören jedem einzelnen Hörer selbst. Was hat dich letztendlich bei deiner Arbeit am meisten überrascht? 

Das Überraschendste war die positive Reaktion der Hörer. Es gab überhaupt keine empörten oder wütenden Rückmeldungen, obwohl ich es zunächst befürchtet hatte. Es hat bei den Zuhörern vor allem Interesse geweckt und im Nachgang viele tolle Gespräche hervorgebracht. Die Leute wollen über das gerade Erlebte sprechen und das gibt meiner Arbeit mehr Sinn. 

Etwas aufzunehmen war schon immer ein besonderes Erlebnis und wurde irgendwann zu meiner eigenen Art, meine Umwelt besser zu verstehen.” Foto: Jacob Kirkegaard.

Hat dieses Projekt die Art und Weise verändert, wie du das Leben im Allgemeinen siehst? 

Es hat mich verstehen lassen, dass wir alle eine Sache sicher gemeinsam haben: den Tod. Und die meisten von uns teilen auch die Angst davor. Letztendlich vergegenwärtigt er uns unsere Verletzlichkeit gegenüber der Natur. Meine Arbeit macht mir die Tatsache, dass ich sterben muss, nicht weniger unangenehm, aber sie macht sie erträglicher. 

Ich erinnere mich besonders an diese eine Leiche im Forensic Anthropology Center in Texas. Sie hatte ein drei Zentimeter breites Loch im Hals und in der Lücke unter der Haut konnte man sehen, wie dutzende Maden an ihrem Fleisch nagten. Mein Stativ funktionierte nicht, also musste ich mich direkt neben den Körper hocken, mein Mikrofon nur einen halben Zentimeter von den fressenden Maden entfernt halten und so die Geräuschkulisse aufzeichnen. 

Zu sehen, wie dieser Körper von der Natur gefressen wurde, war eine besondere Erfahrung. Ich lernte dabei, diesen Moment einfach rein unvoreingenommen zu erleben und mich nicht von oberflächlichem Ekel und Angst abschrecken zu lassen. Als ich dieses Projekt ins Leben rief und dabei die Autopsie von zwei Menschen miterlebte, wurde ich mit der Angst vor meinem eigenen Tod konfrontiert und musste mich mit ihr auseinandersetzen. 

Das erinnert mich an diese eine Methode aus der Konfrontationstherapie, bei der der Patient das Objekt, vor dem er Angst hat, berühren muss, um diese Angst zu besiegen. 

Auf jeden Fall. Es geht darum, sich seiner Angst zu stellen und zu spüren, dass man keine Angst vor ihr haben muss. 

Als du während deiner Vorstellung über Körperfarmen sprachst, war das stärkste Bild, das ich dabei mitgenommen habe, diese schwarze Flüssigkeit, die aus den Körpern austritt. Erst zerstört sie alles und wird anschließend zu Dünger, der neues Leben schafft. Das Geräusch der Verwesung ebbt ab, aber das Geräusch neuen Lebens hört nicht auf. 

Das ist wahr, es dreht sich alles um den Kreislauf des Lebens. 

Kirkegaard dokumentiert auf diesem Bild den Klang der Eismasse der Arktis in Grönland. Sein Werk nannte er “Isfald”, was einer von vielen Namen für die Arktis ist. Foto: Jacob Kirkegaard.

Wie politisch können Klänge sein? Ich beziehe mich dabei auf dein Projekt an einer israelischen Mauer in Palästina. 

Bevor wir politisch sind, sind wir in erster Linie menschlich. In meiner Arbeit thematisiere ich nicht die politische Ader eines Menschen, sondern fokussiere mich auf seine Menschlichkeit. Ich versuche generell keine Meinung in meine Arbeit einfließen zu lassen. Anstatt meine Meinung zu äußern, möchte ich lieber zuhören, so wie ich es in Palästina mit der Mauer getan habe. Dabei möchte ich für den Zuhörer Raum zum Hören und Reflektieren schaffen. 

Jetzt, da wir in Zeiten von Corona mehr zu Hause bleiben müssen, wird die Welt ruhiger. Man spürt diese gewisse sanfte Stille, die sich in der Stadt verbreitet. Berlin ist viel ruhiger als früher. In Italien zum Beispiel sind die Autogeräusche weniger geworden und stattdessen machen die Menschen Musik auf ihren Balkonen. Die Geräuschkulisse der Welt hat sich insgesamt verändert. Inspiriert dich das? 

Allerdings! Morgens stecke ich als erstes meinen Kopf aus dem Fenster, um mich in diese neue Klanglandschaft einzuhören. Ich habe auch bemerkt, dass meine Sinne durch diese Zeit geschärft wurden. Wenn Menschen auf der Straße an mir vorbei gehen und wir den jetzt üblichen Bogen umeinander machen, kann ich sie witzigerweise sehr gut riechen. Auch mein Gehör ist viel besser geworden. Ich höre die Vögel und Stadtgeräusche viel klarer und lauter, als ich es gewohnt bin. Ich weiß nicht, ob es an dem Rückgang der Luftverschmutzung liegt, doch das war sehr auffällig. 

Du hast gerade ein neues Gemeinschaftsprojekt namens Topos veröffentlicht? Worum geht es dabei?

Topos wurde vor einem Jahr von mir und zwei Freunden, Tobias Kirstein und Niels Lyhne Løkkegaard, ins Leben gerufen. Insgesamt haben wir damit eine Plattform geschaffen, auf der wir unsere Arbeiten präsentieren und Konzerte kuratieren. Wir arbeiten dabei mit der Direktorin von E.A.T. (Experiments in Art and Technology), Julie Martin, die inzwischen 81 Jahre alt ist, zusammen. Mit ihr recherchieren und veröffentlichen wir ausgewähltes Material aus dem umfangreichen Tonträgerarchiv der Organisation.