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Kunstinstallation in Hongkong. Foto: Anne Roberts . (CC BY-NC-SA 2.0)

Wäre eine Welt “oben ohne” eine bessere Welt?

Die Geschichte der Bedeutung der weiblichen Brust geht von Ernährung bis Erotisierung, von Protest und Skandal bis Prüderie. Über ein halbes Jahrhundert nach dem Frankfurter Busenattentat auf Theodor Adorno hat sich in Sachen Brustfreiheit nicht viel für Frauen geändert. Dabei wäre eine Welt oben ohne eine bessere Welt.

Mina Berger ist der festen Überzeugung, dass nackte Brüste in der Öffentlichkeit unabhängig von Geschlecht, Alter oder Herkunft für alle Menschen etwas Normales sind. Das sah ein Göttinger Hallenbad allerdings anders, als Berger sich dort im August vergangenen Jahres kurzerhand das Bikini-Oberteil auszog. 

Das Schwimmbad erteilte Berger einen Verweis und Hausverbot. So kam es, dass Berger, welche*r sich als non-binär identifiziert, mit dem feministischen Bündnis „Gleiche Brust für alle“ die neue Göttinger oben ohne Regelung auf den Weg brachte. In der niedersächsischen Stadt dürfen seit dem ersten Mai alle Menschen oben ohne baden, nicht nur Männer – allerdings nur in vier städtischen Schwimmbädern und auch nur samstags und sonntags. 

Brüste haben im Laufe der Geschichte schon viele Rollen in den Augen der Öffentlichkeit zugeschrieben bekommen: Mal nährend, mal erotisch, mal skandalös, mal politisch. Bild: “Madonna and Child”,Barnaba da Modena, Sailko, Creative Commons.

Eine Welt oben ohne wäre eine bessere Welt

Wie wäre eine Welt, in der alle oben ohne rumlaufen dürften, nicht nur diejenigen, die von anderen als Männer identifiziert werden? Eine Welt, in der auch Frauen* beim Grillen im Sommer das Shirt nach Lust und Laune ausziehen könnten; eine Welt, in der Frauen* überall stillen könnten, weil das ganz normal ist? Eine Welt, in der sich auch Frauen* oberkörperfrei sonnen dürften und schwimmen gehen könnten, ohne belästigt zu werden? 

Eine Welt oben ohne wäre eine Welt, in der der weibliche Körper nicht für seine schiere Existenz sexualisiert würde; es wäre eine Welt, in der junge Mädchen nicht lernen müssten, dass sie sich bedecken müssen, sobald die Pubertät eintritt und in der Frauengesundheit sich verbessern würde, weil Frauen* weniger Scham hätten, zum Arzt zu gehen. Es wäre eine Welt, in der Mädchen die gleichen Freiheiten hätten wie Jungs; eine Welt, in der neue modische Konzepte entstehen würden, die nicht auf die Bedeckung der Brust, sondern auf die Bedürfnisse der Frau ausgerichtet sind, es wäre eine Welt, in der der Anblick nackter Brüste so normal wäre, dass sexualisierte Übergriffe seltener wären und Frauen* sich wohler in ihren Körpern und sicherer auf den Straßen fühlen würden. Es wäre eine bessere Welt, so viel ist sicher.

Bild: “Liberty Leading the People”, Eugène Delacroix 1830, Creative Commons.

Globale Doppelmoral: Nicht alle Brüste sind gleich

Leider ist die Tabuisierung des weiblichen Körpers keineswegs etwas Fernes, das nur in konservativen Ländern wie Saudi Arabien oder Brasilien stattfindet. Ganz im Gegenteil: Erst vergangenen Sommer lösten die nackten Brüste einer Französin im Plänterwald einen Polizeieinsatz aus – und die Rede ist hier nicht von der Scharia-Polizei, sondern von der Berliner Polizei. Nachdem die Frau sich weigerte, sich zu bedecken, alarmierte der Wachschutz die Polizei.

Laut Grundgesetz sind in Deutschland alle Menschen gleich. Das gilt aber scheinbar nicht, wenn es um Brüste geht. In Deutschland ist Barbusigkeit nicht explizit verboten, aber eben auch nicht explizit erlaubt. Deshalb gibt es immer wieder Beschwerden von Menschen, die sich belästigt fühlen und sich auf das Ordnungswidrigkeitengesetz beziehen, sowie Verweise von Einrichtungen wie Schwimmbädern oder Grünanlagen, die sich auf das Hausrecht berufen.

Vom Schmucktrieb zum Schamtrieb – Die Nacktheit als Sünde ist eine jüdisch-christliche Eigenart 

Dabei ist die Barbusigkeit als Sittenwidrigkeit eine relativ junge Erscheinung. Zumindest wenn man die Geschichte der Menschheit als Ganzes betrachtet. Immerhin gibt es Brüste um einiges länger, als es Kleidung gibt. Kleidung markierte in der Jungsteinzeit den Übergang von Jäger- und Sammlerkulturen zu Hirten- und Bauernkulturen und wurde in der westlichen Welt und im Nahen Osten zum Statussymbol. Wer keine Kleidung besaß und sich somit nicht vor Sand, Kälte oder Regen schützen konnte, befand sich ganz unten in der sozialen Pyramide. Nacktheit wurde zum Symbol für niedrigen Status, war jedoch in bestimmten Kontexten, so wie zum Beispiel beim Baden oder in erotischen Repräsentationen herkömmlich.

Die Assoziation von Nacktheit, Sexualität und Scham mit Sünde und Sittenwidrigkeit ist jedoch laut Julia Asher-Greve und Deborah Sweeney, die sich mit der Geschichte der Nacktheit beschäftigt haben, eine „jüdisch-christliche Eigenart“ (S.128). Mit der Ausbreitung des jüdisch-christlich-muslimischen Monotheismus und der muslimischen Expansion ab dem 7. Jahrhundert in der arabischen Welt, sowie ab dem 12. Jahrhundert im asiatischen Raum etabliert sich ein neuer Standard. Die Verhüllung der Frau ist ab diesem Zeitpunkt keineswegs mehr eine Freiwilligkeit, sondern ein Gebot.

Dieses Gebot breitet sich langsam auf der ganzen Welt aus und wird mit der Ankunft christlicher Missionare auch indigenen Völkern Amerikas, Afrikas, Australiens und der pazifischen Inseln aufgezwungen, unter denen Nacktheit und Barbusigkeit bis dahin die Norm waren. Der Körper, vor allem der weibliche Körper, verändert im Laufe der Geschichte geprägt vom Monotheismus gänzlich seine Bedeutung und wird zu einer Sittenfrage, wie man an folgendem Zitat von Walter Müller aus dem Jahr 1906 erkennt: „Unter Nacktheit verstehen wir das Fehlen der Bekleidung, die unsere Sitte fordert“. 

Bis zur Ankunft christlicher Missionare war Barbusigkeit unter vielen indigenen Völkern Amerikas, Afrikas, Australiens und der pazifischen Inseln die Norm. Bild: Autor/in unbekannt, Creative Commons, Tropenmuseum Amsterdam

„Schamvernichtungskampagne“ der 68er-Bewegung

In der Postmoderne verändert sich die Einstellung zu Nacktheit in Europa allmählich, immer mehr AktivistInnen kämpfen für die Enttabuisierung des Körpers. Spätestens seit der 68er-Bewegung, den ukrainischen Femen-Protesten und dem Frankfurter Busenattentat 1969, bei dem drei Studentinnen Theodor Adornos Vorlesung stürmten und ihre Brüste entblößten, sind oben-ohne-Proteste keine Skandale mehr, sondern rechtmäßiger Aufstand gegen die Unterdrückung und Einschränkung der Rechte der Frau. Immer mehr Frauen kritisieren die globale Doppelmoral und bestehen auf die Gleichberechtigung und Freiheit der Brust, die auch Männern selbstverständlich zugestanden wird.

Beim Busenattentat 1969 auf Adorno stürmten drei Studentinnen das Rednerpult während der Vorlesung, versuchten, Adorno zu küssen und entblößten ihre Brüste. Bild: Studentenbewegung Frankfurt

Und siehe da: Die Aufstände und Attentate zahlen sich aus. Mittlerweile ist zumindest das oben-ohne Baden in vielen Teilen der Welt erlaubt, wie zum Beispiel in einigen Staaten in den USA, an vereinzelten Orten in Deutschland, Italien, Dänemark, Schweden und Frankreich, sowie in Spanien, Island und Griechenland. Zwar sind Brüste nach wie vor in den meisten Teilen der Welt verboten und zensiert, inklusive in der virtuellen Welt, bei Instagram und Facebook, jedoch deutet sich seit dem 20. Jahrhundert ein klarer Trend an und der geht zurück in Richtung Brustfreiheit. Brüste haben im Laufe der Geschichte schon viele Rollen in den Augen der Öffentlichkeit zugeschrieben bekommen: Mal nährend, mal erotisch, mal skandalös, mal politisch. Es wird Zeit, dass Brüste einfach nur noch sein dürfen – nicht nur in vier Schwimmbädern und nicht nur am Wochenende. 

Foto im Header: Anne Roberts . (CC BY-NC-SA 2.0)

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