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Wie die unsterblichen Zellen einer schwarzen Frau die Medizin veränderten

Das Leben nach dem Tod existiert in der Vorstellung der meisten Menschen nur im Himmel, in religiösen und spirituellen Büchern oder während psychedelischen Trips. Unsterblichkeit hat es aber tatsächlich schon mal gegeben, in den Zellen von Henrietta Lacks. 

Fast alle Zellen eines Menschen sterben im Laufe eines Menschenlebens. Pro Sekunde sterben zwischen einer und drei Millionen Zellen im Körper jedes Menschen, innerhalb von sieben Jahren werden fast alle Zellen mindestens einmal ausgetauscht. Ein Teil von uns stirbt also ständig. Unsere Existenz ist sozusagen ein konstanter Wandel, unser Körper nie derselbe, wie gerade eben noch. Auch wenn nicht alle Zellen in unserem Körper gleichzeitig sterben, wenn unser Organismus als Ganzes stirbt, sterben sie dennoch irgendwann alle.

Bis der Name Henrietta Lacks für immer in der Geschichte der Medizin einging. Die junge Afroamerikanerin starb bereits mit 31 Jahren, am 4. Oktober 1951, doch ihre Zellen leben bis heute weiter. Vor ihrem Tod entnahm ihr behandelnder Arzt Howard Jones der jungen Henrietta Krebszellen und schickte die Gewebeprobe ins Labor. Die Probe kam in den Kühlschrank, man erwartete das baldige Absterben der entnommenen Zellen. Doch die Zellen starben nicht – im Gegenteil – sie vermehrten sich. „Das war eine wissenschaftliche Sensation“, sagt Elisabeth Schwarz, Biologin am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg. 

Obwohl mit Henriettas Zellen weltbekannt wurden, geriet sie selbst fast in Vergessenheit. Bild: Oregon State University/Creative Commons

Unsere Existenz ist lediglich eine Momentaufnahme

Henriettas unsterbliche Zellen ermöglichten erstmals die Forschung an lebenden menschlichen Zellen. Sie wurden in unzählige Labore der Welt verschickt und sind bis heute der Standard in der Molekularbiologie. Sie verhalfen zu Durchbrüchen in der Gentechnik und der künstlichen Befruchtung und werden von Forschenden auf der ganzen Welt in der HIV-Forschung, der Virusforschung, der Krebsforschung und Genkartierung genutzt. 2006 entdeckte der damalige Vorsitzende des Deutschen Krebsforschungszentrums Harald zur Hausen in Henriettas Zellen die humanen Papillomviren HPV16 und HPV18 und entwickelte daraus einen Impfstoff. 2008 erhielt er dafür den Medizin-Nobelpreis.

Neuer Durchbruch: Die Wiederbelebung von bereits verstorbenen Zellen

Bis heute ist der Fall Henrietta eine wissenschaftliche Sensation. Dass Zellen ohne einen Organismus einfach weiterleben, gelang bis dahin noch nie. Einem Forscherteam aus der Schweiz ist allerdings kürzlich ein neuer Durchbruch gelungen: Sie konnten menschliche Augenzellen wieder zum Leben erwecken. Die Augen gehörten einem Organspender, der bereits mehrere Stunden tot war. Dieser neue wissenschaftliche Durchbruch könnte einige Formen der Blindheit heilen und unmittelbare Konsequenzen auf Organspenden haben. Denn wenn Zellen bis zu einem bestimmten Zeitpunkt nach dem Tod wiederbelebt werden können, können Spenderorgane möglicherweise länger haltbar sein als bisher.

Ist Unsterblichkeit erstrebenswert?

Wir befinden uns in einem transhumanistischen Zeitalter. Durch bionischen Prothesen, Organtransplantationen und Cyborgs ist die Unsterblichkeit nichts Unvorstellbares mehr. Denn der Kern des Transhumanismus ist der technologische Fortschritt zur Überwindung der Grenzen des menschlichen Körpers, also des Todes. Die Unsterblichkeit – für manche Moralisten eine Dystopie – ist die utopische Erfüllung des Transhumanismus.

Sei es Zellforschung, Bionik oder Organtransplantation – der Mensch versucht fieberhaft, die Momentaufnahme Leben zu verewigen. Aber ist die Unsterblichkeit überhaupt erstrebenswert? Könnte ein Leben, in dem wir unsterblich sind, nicht sogar sinnbefreit sein? „Erst die Tatsache, dass unser Leben endlich ist, verleiht den alltäglichen Gegebenheiten eine besondere Grundierung. Das eigene Leben aufgrund von Überzeugungen in die Waagschale zu werfen, das bekommt nur gerade deswegen absolutes Gewicht, weil damit eben die Endlichkeit, die Nichtunsterblichkeit verbunden ist“, argumentiert der Moralphilosoph Klaus Arntz. 

Unsere Existenz ist lediglich eine Momentaufnahme, denn unsere Zellen sterben ständig. Nicht so die hier abgebildete HeLa-Zellkultur – die Zellen von Henrietta Lacks. Bild: Doc. RNDr. Josef Reischig, CSc/Creative Commons

Arntz Argument ist eine weit verbreitete moralische Vorstellung, die aber mit unserem gegenwärtigen, transhumanistischen Kapitalismus gar nicht vereinbar ist. Denn solange im Zentrum unserer Gesellschaft der technologische Fortschritt, die Maximierung von Vermögen und die Optimierung des Menschen stehen, werden wir wohl vor nichts zurückschrecken, was unsere Existenz verewigen könnte. Die Überwindung von Grenzen – ob moralische, geographische, technologische oder finanzielle – ist dafür längst zur Nebensache geworden. Wäre da nicht der Klimawandel, könnte man fast meinen, wir schaffen es bis zur Unsterblichkeit.

Auch im Fall von Henrietta Lacks wurden nicht nur geographische und technologische, sondern auch moralische Grenzen zugunsten des Fortschritts überschritten. Henriettas Familie erfuhr erst 25 Jahre nach ihrem Tod von der Entnahme und Unsterblichkeit ihrer Zellen. Ihr Einverständnis zur Nutzung der Zellen wurde nie eingeholt. Bis heute existieren fast 11.000 Patente, die auf Forschung mit Henriettas Zellen basieren – trotzdem hat die Familie Lacks keinen Cent der Profite und Nobelpreise in Millionenhöhe gesehen, die mit Henriettas Zellen erwirtschaftet wurden.

Henrietta Lacks war Nachfahrin afroamerikanischer Sklaven, die auf einer Tabakplantage in Virginia Zwangsarbeit leisteten. Albert Lacks, Sklavenhalter und Henriettas weißer Urgroßvater, hatte mit einer seiner Versklavten, Maria, mehrere Kinder gezeugt und seinen Nachkommen Land vermacht, als er starb und die Sklaverei bereits abgeschafft worden war. Henriettas Mutter verstarb bei der Geburt ihres zehnten Kindes, als Henrietta selbst erst vier Jahre alt war. Da ihr Vater nicht für die Kinder sorgen konnte, wuchs Henrietta bei ihrem Großvater Thomas Lacks auf, der im ehemaligen Sklavenhaus auf der Plantage von Albert Lacks, Henriettas Urgroßvater wohnte. Dort arbeitete Henrietta seit ihrer Kindheit auf der Tabakplantage und ging nur bis zu sechsten Klasse zur Schule, um ihre Familie zu unterstützen. Nach ihrem Tod 1951 wurde sie dort in einem Familienbegräbnis beigesetzt. Trotz der Meilensteine, die mithilfe von Henriettas Zellen in der Medizin erreicht wurden, geriet Henriettas Lebensgeschichte und ihr Name im Gegensatz zu ihren unsterblichen Zellen fast in Vergessenheit – vermutlich auch, weil sie schwarz war.

Mehr zum Thema Unsterblichkeit findet ihr in unserem Kompendium über Longevity.