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Kompendium: Longevity – ewiges Leben?

Heute werden die Weichen gestellt, wie morgen mit Langlebigkeit umgegangen wird. Wem gelingt der Durchbruch: der klassischen, öffentlichen Forschung oder der Industrie? Unabhängig davon, wie das Rennen ausgeht, die Menschheit steht vor turbulenten Zeiten.

Kompendium: Longevity – ewiges Leben?

Die Menschheit gelangt an den Scheideweg ewigen Lebens. Wohlstand entscheidet darüber, wer sich ein langes und gesundes Leben leisten kann. Statt einer progressiven Entwicklung droht lähmende Stagnation.

Kompendium: Longevity – ewiges Leben?

Der Jungbrunnen ist Realität geworden. Doch für die meisten ist er so unerreichbar, wie zu Zeiten des Mittelalters. Den Privilegierten dürstet es derweil nach mehr.

Kompendium

Die Sehnsucht nach dem ewigen Leben manifestiert sich im Laufe der Zeit auf unterschiedliche Art und Weise: mal als Mythos, mal als grenzwissenschaftliche Bemühung. In ferner Zukunft wird ewiges Leben möglich. Doch bringt uns das wirklich weiter?

Kompendium: Longevity – ewiges Leben?

Im Mittelalter war ein langes Leben den Reichen vorbehalten. Es war eine finstere Zeit – vor allem für die einfache Bevölkerung. Dennoch träumte man vom ewigen Leben. Das zeigt die Legende des Jungbrunnens.

Kompendium: Longevity – ewiges Leben?

Die Lebenserwartung steigt kontinuierlich und lässt die Menschen hoffen: auf ein Morgen, in dem das Leben ewig, sorgenfrei und glücklich ist. Die Kryonik verspricht die Zeit bis zum Morgen zu überbrücken. Kann das gut gehen?

Kompendium: Longevity – ewiges Leben?

Der Traum vom Brunnen, der den Greis zum Jungen macht

Kompendium: Longevity – ewiges Leben?

Der Traum vom Brunnen, der den Greis zum Jungen macht

Was fasziniert den Menschen so sehr an der Legende des Jungbrunnen, dass er sie sich über Jahrhunderte hinweg immer wieder neu erzählt und erschafft? Bild: Lucas Cranach der Ältere

Im Mittelalter war ein langes Leben den Reichen vorbehalten. Es war eine finstere Zeit – vor allem für die einfache Bevölkerung. Dennoch träumte man vom ewigen Leben. Das zeigt die Legende des Jungbrunnens.

Durchschnittliche Lebenserwartung im Jahre 1500: 27 (Europa)

Im sagenhaften Nebel mittelalterlicher Märchen und Legenden sprudelte auch der Jungbrunnen. Er war aber, ganz im Gegensatz zu vielen Schauergeschichten, phantastischer Hoffnungsträger eines düsteren Jahrtausends voller Entbehrungen, vergleichbar mit der Suche nach dem Stein der Weisen, dem heiligen Gral und Fabelwesen wie Einhörnern. Diese Erzählungen erlauben einen Blick in die mittelalterliche Seele, deren Alltag nicht viel Anlass zur Hoffnung gab: Im europäischen Mittelalter lag die mittlere Lebenserwartung bei nur 27 Jahren. Sogar diejenigen, die das Kleinkindalter überlebten, wurden in der Regel nicht älter als 40.

Verantwortlich für den frühen Tod vieler waren außerordentlich schlechte Lebensbedingungen: eine mangelhafte Ernährung, katastrophale hygienische Bedingungen, eine fehlende institutionalisierte Gesundheitsversorgung. Dabei bargen die menschlichen Gene schon damals das Potenzial zu einem langen, gesunden Leben. Mit dem nötigen Kleingeld konnte man dieses Potenzial ausschöpfen. Michelangelo (*1475) wurde zum Beispiel 88 Jahre alt, obwohl die Lebensbedingungen der einfachen Bürger sich während seiner Lebenszeit kaum verbesserten.

Die Legende des Jungbrunnens: Sehnsucht nach Unsterblichkeit

Im Normalfall war mittelalterliches Leben also kurz und bitter – und trotzdem fanden Menschen Gefallen beim Gedanken an ewiges Leben. Das zeigt sich an der Legende des Jungbrunnens. Sie besagt, dass jeder, der von besagtem Brunnen trinkt oder gar in ihm badet, augenblicklich wieder in der Blüte seines Lebens steht.

Michelangelos Pieta im Petersdom verdeutlicht das irdische Leiden Christi, Bild: Stanislav Traykov

Insbesondere die zeitliche und räumliche Verbreitung der Legende ist erstaunlich. Zuverlässig taucht der Mythos in verschiedenen Kulturen immer wieder auf. Die ersten Andeutungen finden sich bereits in den Schriften des Herodotus (5. Jahrhundert v. Chr.), und ebenso im Alexanderroman (3. Jahrhundert v. Chr.) wird von ihm berichtet. Das Mittelalter dominierte insbesondere die Interpretation des Priesterkönig Johannes. Doch auch die Menschen der beginnenden – und vergleichsweise rational geprägten – Neuzeit erlebten eine Renaissance des Jungbrunnens: Als die kolonialen Eroberer im frühen 16. Jahrhundert erwartungsvoll die Meere durchquerten, sprach man in Europa bald schon wieder von einem Wasser mit zauberhaft regenerativen Kräften. Denn die Eingeborenen der Karibikinseln hatten erstaunlicherweise eine ganz ähnliche Sage eines jugend-spendenden Brunnens.

An Sogkraft scheint der Mythos auch gut 500 Jahre später nicht eingebüßt zu haben: Der Jungbrunnen ist immer noch ein beliebtes Motiv der Populärkultur und kommt etwa in Hollywoodstreifen wie Fluch der Karibik oder Star Trek vor.

Ewiges Leben? Ewige Jugend!

Was aber ist das Besondere dieser Legende? Wieso erfreute sie sich solch großer Beliebtheit, selbst in einem so dunklen Kapitel der Menschheitsgeschichte, wie dem Mittelalter? Wenn das Leben nicht lebenswert erschien, warum sollte man es verlängern wollen?

Die genaue Ausgestaltung der Legende liefert Hinweise: Nachdem ein Greis aus dem Jungbrunnen stieg und an sich herunterblickte, erschrak er. Seine Falten, Gebrechen, sein Buckel, die grauen Haaren – sie waren verschwunden. Stattdessen war die Zeit wie zurückgedreht, und er befand sich wieder in fast knabenhafter Jugend. Und es war nicht bloß ein vorübergehender Zauber, er sollte eine neue junge Frau haben und viele Kinder.

Juan Ponce de Léon auf der Suche nach dem Jungbrunnen in der Karibik. Bild: Unknown engraver – Poems for Christmas, Easter, and New Year’s, 1885

Dieses entscheidende Element der Legende zeigt, dass ewiges Leben allein kaum verlockend schien. Dafür waren die Lasten und Schmerzen des Alters viel zu präsent. Wonach sich die Menschen wirklich sehnten, war die ewige Jugend.

Expedition in mythische Länder

Und diese Sehnsucht war groß. So groß, dass einige um die ganze Welt reisten, in der Hoffnung, den Schlüssel ewiger Jugend zu finden. Zeit schien dabei keine Rolle zu spielen. Denn auch wer jahrzehntelang über Kontinente irrte, konnte sich doch mit der Aussicht ewiger Jugend vertrösten, welche den hohen Zeitaufwand nichtig machen würde.

Anfang des 16. Jahrhunderts soll sich etwa ein kolonialer Eroberer, Juan Ponce de Léon, auf die Suche begeben haben. Er folgte den Sagen der karibischen Eingeborenen, der Brunnen ewiger Jugend sei im mythischen Land Bimini (den heutigen Bahamas) zu finden. Léon reiste ins heutige Florida, um von dort aus die Inselgruppe nach verjüngenden Wasserstellen abzusuchen. Im Nachhinein bestritt er, dem Mythos je gefolgt zu sein.

Seele als Versprechen des ewigen Lebens

Er negierte seine Expedition wohl, da er sich des Spottes seiner Mitmenschen in Spanien sicher sein konnte. Dort hielten die meisten die Legende des Jungbrunnens für eine Fantasterei. Ihr Umgang mit dem unumgänglichen Älterwerden – der schrittweisen Annäherung zum Tod – war der Glaube. Im Christentum birgt die Seele das Versprechen ewigen Lebens, im Guten wie im Schlechten: als ewige Bestrafung in der Hölle oder herrliche Erlösung im Himmel.

“Der Garten der Lüste” (entstanden um 1500) ist ein Triptychon des niederländischen Malers Hieronymus Bosch. Links wird der Garten Eden dargestellt, mittig das Paradies und rechts die Hölle. Bild: Hieronymus Bosch – Galería online, Museo del Prado

Diese Hoffnung auf ein Nachleben war aber nicht nur dem Christentum vorbehalten. In den meisten Religionen ist der körperliche Tod nicht der tatsächliche. Alle Lebewesen sind als göttliche Geschöpfe Teil von ihm (oder ihr) – und damit unsterblich. Doch mit der beginnenden Aufklärung im späten 17. Jahrhundert brachen zwei Entwicklungen Bahn: Die Wirkmacht und Deutungshoheit der Kirche schwanden (so auch ihre Botschaft des ewigen Seelenheils) und die empirische Wissenschaft feierte ihren Siegeszug. Die Menschen suchten fortan neue Wege, das Leben zu verlängern oder sogar den Tod zu überlisten. Statt den Jungbrunnen zu suchen, gingen sie dazu über, ihren eigenen zu schaffen.

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Kompendium: Longevity – ewiges Leben?

Kryonik: Einfrieren und auf bessere Zeiten warten

Kompendium: Longevity – ewiges Leben?

Kryonik: Einfrieren und auf bessere Zeiten warten

Im Eis vor Zerfall geschützt. Die Kryonisten erhoffen sich dadurch eine zweite Chance, ein zweites Leben. Foto: Zoltan Tasi

Die Lebenserwartung steigt kontinuierlich und lässt die Menschen hoffen: auf ein Morgen, in dem das Leben ewig, sorgenfrei und glücklich ist. Die Kryonik verspricht die Zeit bis zum Morgen zu überbrücken. Kann das gut gehen?

Durchschnittliche Lebenserwartung im Jahr 1920: 60 (Europa)

Bevor Menschen überhaupt auf die Idee kamen, sich nach dem Tod einfrieren zu lassen, damit zukünftige Zivilisationen sie wieder auftauen und heilen können, mussten einige grundlegende Veränderungen stattfinden.

Zum einen fand im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit ein Paradigmenwechsel statt. Die Fürsorgepflicht eines Staates (S. 11) gegenüber seiner Bürger wurde zum Prinzip. Das heißt, Armut war nicht länger ein rein persönliches Problem, sondern auch staatliches. Zum anderen setzte, neben der staatlichen Transformation, auch eine geistige ein. Die Aufklärung forderte die Menschen auf, sich ihrer “selbstverschuldeten Unmündigkeit“ zu entledigen und ihres “eigenen Verstandes zu bedienen!” (Immanuel Kant, Was ist Aufklärung?, Berlinische Monatsschrift 4 (1784)).

Das Fürsorgeprinzip und die Aufklärung legten damit den Grundstein für all die Entwicklungen, die die Lebenserwartungen über die nächsten Jahrhunderte kontinuierlich steigern sollte. Es entstand eine institutionalisierte Gesundheitsversorgung, später wurden Sozialversicherungen eingerichtet, die Hygiene verbesserte sich, etwa mit der Schaffung der Kanalisation, und auch in Hospitälern begangen Ärzte anzuerkennen, dass sie Krankheiten nicht nur heilen, sondern auch verbreiteten, wenn sie ihre Hände nicht gründlich reinigten.

Dieser Wandel schlägt sich unmittelbar in den Zahlen nieder. Während die Lebenserwartung im Mittelalter (ca. 1.000 Jahre lang) bei unter 30 Jahren stagnierte, verdoppelte sie sich innerhalb weniger Jahrhunderte auf 60.

Sowas hat’s früher nicht gegeben: der Glaube an eine bessere Zukunft

Die Neuzeit war allerdings nicht nur die Zeit der Aufklärung, sondern auch der industriellen Revolution. Das Maschinenzeitalter setzte ein, die Eisenbahn erschloss neue Dimensionen des Transports, der Kapitalismus entwickelte sich, gegen ihn entstanden proletarische Bewegungen, und erstmals wurde auch der Einfluss des Menschen auf die Natur spürbar. Veränderungen über Veränderungen, die in bisher ungekannter Geschwindigkeit auf die Menschen hereinbrachen. Die Oberschicht profitierte von diesen Entwicklungen am meisten, und unter ihnen entwickelt sich zuerst eine neue Form des Glaubens, die die nächsten Jahrhunderte bestimmen sollte: der Glaube an den Fortschritt, das Vertrauen in eine bessere Zukunft.

Mit Aufklärern wie Kant sank der Einfluss der Kirche. Menschen begannen fortan irdische Lösungen für ihre Sterblichkeit zu suchen. Fotoquelle

Aus diesem Grund dachte man erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts darüber nach, menschliche Körper kurz nach dem Ableben einzufrieren. Zuvor war der Gedanke schlichtweg unmöglich. Wer nicht an eine bessere Zukunft glaubte, an fortlaufenden technologischen, ethischen und gesellschaftlichen Fortschritt – weshalb sollte er oder sie sich einfrieren lassen?

Aus diesem Fortschrittsglauben heraus wurde die Kryokonservierung (Kryo, griechisch krýos, bedeutet Kälte) erst denkbar. Das Prinzip ist im Grunde recht einfach: Kurz nach dem Tod wird der Leichnam bei -196°C in einen Tank flüssigen Stickstoffs gelegt, um den (zellulären) Zerfall zu stoppen. Sobald die medizinische Technik dann weit genug fortgeschritten ist, soll die Person aufgetaut, wiederbelebt und geheilt werden.

Kryonik: den Tod aufschieben?

Damit sind Kryonisten, so nennen sich einige der Verfechter dieser Strömung, optimistisch. Vielleicht sind sie sogar die Optimistischsten unter den Sterbenden. Denn sie haben gleich mehrere hoffnungsvolle Annahmen über den weiteren Verlauf der Weltgeschichte und ihr eigenes Schicksal getroffen. Sie bauen darauf, dass die Menschheit sich kulturell und technisch fortentwickelt, dass ihr Körper durch die Kryokonservierung nicht irreparabel beschädigt wird, dass ihre Todesursache umgekehrt werden kann und dass spätere Generationen bzw. Zivilisationen überhaupt ein Interesse an ihrer Wiederbelebung haben. Ziemlich zuversichtlich.

Aber, was haben sie schon zu verlieren?

Im Jahr 1966 wird die erste offizielle Kryokonservierung an einer Frau mittleren Alters aus Los Angeles, USA durchgeführt. Der Versuch hält allerdings nur für zwei Monate an. In der Zwischenzeit hatte die Verwandtschaft der Frau rechtliche Schritte eingeleitet, um ihren Leichnam aus dem Kältesilo zu bergen und schließlich zu beerdigen. Hier prallten konkurrierende Glaubenssysteme aufeinander. Der Fortschrittsglaube der Frau, die sich einfrieren ließ, kollidierte mit dem religiösen, jenseits-gerichteten Glaubenssystem ihrer Familie. Die Familie missachtete dadurch den Wunsch der Verfrorenen, wahrscheinlich im Glauben, ihr etwas Gutes zu tun, nämlich: den Eintritt ins Jenseits zu ermöglichen (wenn Gott nicht bereits zu erbost über ihren blasphemischen Versuch war).

Kryonik-Koryphäe Klaus Sames

Auch Klaus Sames (*1939), die Kryonik-Koryphäe Deutschlands, hoffte zunächst auf ewiges Leben im paradiesischen Jenseits. Er studierte Theologie, musste dann aber schnell feststellen, dass er nicht in dem Himmel kommen würde, wie er in einem Interview erzählt. Auf der Suche nach anderen Mitteln und Wegen zur Erweiterung der Lebensspanne begann Sames dann das Studium der Medizin und entdeckte bald die Kryonik.

In einer Art Home-Video des Vereins “Kryonik Europa“ wird Dr. Sames vorgestellt. Dort berichtet er, wie eine Kryonisierung abläuft. Dass es wichtig ist, den “Patienten“, sobald der – vorerst – letzte Herzschlag getan ist, unter Eiswürfeln zu begraben, insbesondere den Kopf und dass, in einem nächsten Schritt, das Blut durch ein (giftiges) Frostschutzmittel ersetzt wird, damit die beim Einfrieren sich bildenden Kristallstrukturen das Zellgewebe nicht beschädigen.

In einem (vorerst) letzten Schritt wird der “Patient“ dann nackt und kopfüber in einem Behältnis platziert, das mit flüssigem Stickstoff gefüllt ist. Sollte ein Krieg oder eine andere Katastrophe die Wartung der Kältekammern verhindern und der Stickstoffnachschub versiegen, tauen die Füße zuerst auf. Der Kopf bleibt geschützt.

Kryonik – Quasireligion im Wissenschaftsgewand

Das Vorgehen der Kryoniker kann man also als durchaus systematisch, ja sogar wissenschaftlich beschreiben. In der modernen Medizin wird die Kryokonservierung bei Operationen, zum Beispiel am Gehirn, bereits eingesetzt. Durch die Kühlung wird der Stoffwechsel verlangsamt, Schäden durch Sauerstoffunterversorgung werden unwahrscheinlicher.

Das Kältesilo des US-amerikanischen Kryonik-Marktführers: Zum Einfrieren wird der “Patient” kopfüber in diesem Behältnis platziert. Fotoquelle

Im Gegensatz dazu hat das Einfrieren toter Körper eine andere Qualität. Denn Klaus Sames und Kollegen haben keine Antworten darauf, wie die zukünftige Wiederbelebung stattfinden soll. Oder wie die ursprüngliche Todesursache rückgängig gemacht werden könnte. Deshalb stufen Kritiker sie als Grenzwissenschaft ein: Kryoniker mögen wissenschaftlich vorgehen, ihr Erfolg ist jedoch nur perspektivisch; er könnte nach langer Zeit – dank den Verdiensten anderer – eintreten.

Exemplarisch wird das am Problem deutlich, das frühe Kryoniker hatten. Beim Einfrieren wird Zellgewebe irreversibel beschädigt. Die Lösung moderner Kryoniker: Sie tauschen das Blut gegen ein überaus giftiges Frostschutzmittel aus. Diese Intoxikation ist prinzipiell reversibel, und so ist das Problem für die Kryoniker beseitigt. Nach dem Motto: Die Zukunftsmenschen werden’s schon richten.

Sie sollen ihn ewig leben lassen

Sames glaubt aber daran, er glaubt an den Fortschritt. Deshalb rechnet er sich mit der Kryokonservierung seines Leichnams die besten Chancen aus. Der Mediziner geht aber noch weiter. Relativ unverblümt gibt er zu, dass seine Erwartungen die kühnen Voraussetzungen der “Kryowissenschaft“ übersteigen. Er glaubt, dass ihm die Menschen in der Zukunft das ewige Leben schenken können.

“Wenn ich in meine Bibliothek gehe und all diese Bücher sehe … Ich erschrecke, weil ich weiß, ich hab nur eine begrenzte Lebenszeit.” Aber wenn das Leben ewig wäre, “dann können die meinetwegen jedes Jahr ein paar Millionen Bücher schreiben. Und ich les’ die alle.”

Steht also hinter dem Vorhaben der Kryoniker letztlich wieder die Sehnsucht nach ewigem Leben? Es wird Zeit, sich einmal mit dieser Idee auseinanderzusetzen. Ob nun möglich oder nicht, wie wäre es, wenn ein Mensch ewig leben würde?

Schicksal der Unsterblichen, laut Nietzsche: allgemeine Sterbewut

Der Philosoph und Philologe Friedrich Nietzsche formulierte seine Ansicht gegenüber denen, die nach dem ewigen Leben trachteten, folgendermaßen hart und unerbittlich:

Ein einziger unsterblicher Mensch auf der Erde wäre ja schon genug, um alles Andere, das noch da wäre, durch Überdruss an ihm in eine allgemeine Sterbe- und Aufhängewut zu versetzen! Und ihr Erdenbewohner mit euren Begriffelchen von ein paar Tausend Zeitminütchen wollt dem ewigen allgemeinen Dasein ewig lästig fallen! Gibt es etwas Zudringlicheres!

Friedrich Nietzsche, An die Träumer der Unsterblichkeit!, Morgenröte 1881

Nietzsche war also der Meinung, nichts wäre ärgerlicher, als die Ewigkeit in Person. Doch auch wenn sich nicht “alles Andere“ gegen den Unsterblichen richten würde: Ist nicht bereits der Wunsch, die eigene Lebenszeit um ein Vielfaches zu strecken, egoistisch? Die weltlichen Ressourcen sind endlich, die Welt selbst, ja sogar die Zeit ist endlich. Sollten dann nicht möglichst viele Menschen das Glück haben zu leben?

Nietzsche hält nicht viel vom Trachten nach ewigem Leben. Gemälde: Edvard Munch

Dagegen ist das Streben danach, allen Menschen ein gesundes und langes Leben zu ermöglichen, an allgemeine Verbesserungen der Lebensumstände gekoppelt. Gegen dieses Vorhaben scheint kein Menschenfreund Einwände haben zu können. Und so steigt die allgemeine Lebenserwartung bis ins 21. Jahrhundert hinein verlässlich an. Ein Zeugnis menschlichen Fortschritts, auf den die Kryoniker so sehr vertrauen.

Muss sich Ewigkeit an Sternen messen

In der Moderne stehen die Vorzeichen gut, dass mehr Menschen die Chance haben, so alt zu werden wie ihre Gene es zulassen. Aber eines scheint inzwischen sicher: Es gibt eine Grenze des menschlichen Alters, in der DNA festgeschrieben und unumstößlich – egal wie gut die Lebensbedingungen sein mögen. Nur wo genau sie liegt, da sind sich die Biologen noch nicht einig. Jeanne Calment stirbt im Jahr 1997 – mit 122 Jahren. Vielleicht hat sie ausgereizt, was genetisch möglich ist. Viel mehr kann es jedenfalls nicht sein. Schlechte Nachrichten für all diejenigen, die ewig leben wollen.

Aber wirken nicht auch 122 Jahre, für menschliche Verhältnisse, bereits ewig? Ewigkeit, in menschlichen Dimensionen, muss sich ja nicht an Sternen messen.

Das sehen viele Menschen anders. Im frühen 21. Jahrhundert werden Unternehmen und Labore gegründet, die die Lebensspanne des Menschen über das natürlich vorgesehene Maß hinweg erweitern wollen. Und sie entwickeln vielversprechende Ansätze. Da schlummern die ersten Kryonikpatienten schon seit einem halben Jahrhundert im eisigen Dornröschenschlaf.

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Longevity: Business oder Menschenrecht?

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Longevity: Business oder Menschenrecht?

Sind das die Hundertjährigen der Zukunft? Foto: Miguel Calderon

Heute werden die Weichen gestellt, wie morgen mit Langlebigkeit umgegangen wird. Wem gelingt der Durchbruch: der klassischen, öffentlichen Forschung oder der Industrie? Unabhängig davon, wie das Rennen ausgeht, die Menschheit steht vor turbulenten Zeiten.

Durchschnittliche Lebenserwartung 2015: 81 (Deutschland) / 72 (weltweit)

Im Zuge der Jahrtausendwende entflammte erneut der Traum des ewigen Lebens. Hundertjährigen-Studien gibt es nun mehr denn je, das Geheimnis der Langlebigkeit ist noch nicht aufgeklärt und die Mystik des Jungbrunnens noch nicht verschwunden.

Daten über Hundertjährige werden zusammengetragen, um festzustellen, unter welchen Umständen sie so lange leben können. Doch im Gegensatz zu früher wird der Jungbrunnen nicht mehr auf fremden Kontinenten gesucht. Heutzutage werden in großangelegten Studien lokale und globale Umweltfaktoren ausgemacht, die zur Langlebigkeit führen.

Gut zu Leben ist Glück und Kunststück

Die Identifizierung von Faktoren, die Hundertjährige rund um den Globus gemeinsam haben, zeigte, dass die richtige Balance von sozialen Komponenten die Langlebigkeit begünstigt. Und das mehr als bisher angenommen. Der Jungbrunnen von heute sind also günstige Umweltfaktoren. Desillusionierend? Ja, aber vielversprechend. Im Gegensatz zur Aussicht, den echten Jungbrunnen zu finden.

Die Grundlage für ein gesundes, langes Leben: Ein Geflecht aus sozialer Zufriedenheit bis ins hohe Alter gepaart mit einer intakten Familie und ausreichend finanziellen Mitteln, die ein Mindestmaß an Bildung und gesunder Ernährung gewähren. In Kombination mit einem erfüllenden Beruf führen all diese Faktoren im besten Falle zu einem Verzicht von körperschädigenden Substanzen wie Alkohol, Zigaretten oder anderen Drogen.

Die Suche nach dem Jungbrunnen findet heute unter dem Mikroskop und in groß-angelegten Studien statt. Foto: Sharon Pittaway

Neben der Erforschung sozialer Einflüsse wird heutzutage auch auf zellulärer Ebene nach genetischen Auffälligkeiten bei Hundertjährigen gesucht. Sogenannte Whole Genome Sequencing-Methoden werden seit ihrer ersten erfolgreichen Anwendung im Jahr 2003, welche noch 2,7 Milliarden US-Dollar kostete, immer billiger. Im Jahr 2016 kann sich beinahe jeder sequenzieren lassen, da durch umfangreiche Optimierungen jeder Interessierte nur noch 1.000 US-Dollar investieren muss. Somit steigt die Anzahl genetisch gestrippter Menschen von Tag zu Tag.

Gibt es das Hundertjährigen-Gen?

SNPs (Single nucleotide polymorphisms) sind physiologische Genvarianten, von denen manche öfter und manche seltener in der Bevölkerung auftreten. In Hundertjährigen wurden schon einige signifikant auftretende Genvarianten gefunden, die somit in Verdacht stehen, zur Langlebigkeit beizutragen. Demnach haben viele Hundertjährige die natürlichen Voraussetzungen von Geburt an zu den “Lucky 1 %” zu gehören, über 100 Jahre auf Erden zu wandeln.

Oft von den meisten unbemerkt, erreicht die medizinische Forschung immer wieder neue Meilensteine: HIV-Medikamente, Immunonkologie und biokompatible Materialien, die mit dem menschlichen Körper verbaut werden können. Dies und vieles mehr stellt bereits die Praxis dar, oder steht kurz davor, in den Markt eingeführt zu werden.

Wissensdurstige Wissenschaftler und Profit getriebene Wirtschaftsbosse forschen in den 2010ern gleichermaßen an der lukrativen Langlebigkeit. Forschungsinstitute rund um den Globus arbeiten an Ansätzen, um das menschliche Leben zu verlängern oder das Altern erträglicher zu gestalten.

Dracula und seine unsterblichen Fledermäuse

Im Zuge der Grundlagenforschung wurden Mechanismen auf unterschiedlichsten Ebenen gefunden, die als lebensverlängernde Maßnahmen eingesetzt werden könnten. Dabei werden in modernen Forschungseinrichtungen für den Menschen tödliche Krankheiten an Fledermäusen erforscht. Sie sind nämlich wahre Wunderwesen. Fledermäuse leben nicht nur gesünder, da sie gegen die Mehrheit von viralen Erkrankungen immun sind, sie können sogar nahezu unbegrenzt leben.

Von Fledermäusen können wir uns eine Menge abschauen, wenn wir länger und gesünder leben wollen. Foto: Todd Cravens

Einige Fledermausarten besitzen einen besonders ausgeklügelten Erbgutschutzmechanismus. Ihre Telomere, vereinfacht als Schutzkappen der DNA beschrieben, nutzen sich deutlich langsamer ab als bei anderen Lebewesen. Damit sind sie auf zellulärer Ebene viel länger frisch; sie genießen ein Vampirleben, nur ohne die lästige Abhängigkeit vom menschlichen Blut. Was die Langlebigkeit auf genetischer Ebene angeht, können wir uns eine Menge von ihnen abgucken. Somit lagen die Erfinder des Dracula-Mythos von gestern gar nicht so falsch in ihren Annahmen.

Da der menschliche Organismus unglaublich komplex ist, reicht jedoch die Entschlüsselung des Telomerschutzes nicht aus, um dem Menschen die Langlebigkeit zu schenken. Deshalb gibt es noch weitere Forschungsansätze, welche mit den Fledermaus-Skills kombiniert werden müssen, um das Ziel der Langlebigkeit zu erreichen.

Von verjüngten Mäusen und halsbrecherischen Experimenten

Im Jahr 2012 erhielt Shin’ya Yamanaka den Nobelpreis für Medizin, da er vier Differenzierungsfaktoren identifizierte, welche aus jeder Zelle des Körpers eine Stammzelle formen können. Diese sogenannten Yamanaka-Faktoren wurden erfolgreich zur Gewebsverjüngung von Mäusen genutzt. Behandelte Nager wurden bis zu 35 % älter als die nicht behandelten Kontrolltiere.

Etwas ausgefallenere Methoden, wie die Fusion der Blutkreisläufe von jungen und alten Lebewesen zeigen, dass bisher nicht identifizierte Faktoren, die in jungen Individuen vorhanden sind, in alten augenscheinlich fehlen.

Die Verbindung der Blutkreisläufe zweier Lebewesen wird in der Chirurgie als Parabiose bezeichnet. (Das mag jetzt nach Frankenstein-Versuchen klingen. Und so ähnlich ist es auch.) Die Parabiose von Jung und Alt zeigte im Tierversuch, dass das ältere Äquivalent mehrere Anzeichen von Verjüngung aufwies. Tiere wurden schlauer, stärker und auch hübscher. Letzteres machte man an der Fellqualität fest, welches wieder eine schimmernde, glatte Struktur aufwies. Universitäten wie Harvard und Stanford arbeiten nun an der Identifizierung der Faktoren, die für die Verjüngung verantwortlich sind.

Die Industrie übernimmt: Silicon Valley’s Longevity Plan

Da mit einem Produkt wie der Langlebigkeit viel Geld gemacht werden kann, stürzt sich auch die Industrie darauf. Einer der industriellen Vorreiter ist Craig Venter, der Großvater der DNA-Entschlüsselung. Dieser hat bereits im Jahr 2013 die Human Longevity Inc. gegründet, um das genetische Geheimnis der Langlebigkeit endgültig zu knacken. Ein weiteres Beispiel ist die SENS Foundation. Sie verfolgt einen Ansatz, der zum Ziel hat, das Altern an sich aufzuhalten.

Vielerorts wird an der Lebensverlägerung geforscht, aber wenige werden davon profitieren. Foto: Kelly Sikkema

Da alle Ergebnisse, die in staatlichen Forschungseinrichtungen erhoben werden, dem Institut und somit der Öffentlichkeit gehören, ist es für den einzelnen Forscher ökonomischer, für Privatunternehmen zu arbeiten und sich die Gewinne auszahlen zu lassen, statt im Auftrag des Staates zu arbeiten und sich zusätzlich um die Bewilligung neuer Fördermittel sorgen zu müssen.

Am Longevity-Business versinnbildlicht sich auch ein moralisches Dilemma der modernen Forschung. In der Weltgemeinschaft ist die Bevölkerung in weniger privilegierten Regionen unzähligen Gesundheitsrisiken ausgesetzt. Dazu gehören eine schlechte Hygiene, in der Folge Epidemien wie Malaria oder Ebola sowie fehlender Zugang zu Bildung. Trotzdem setzen viele Industrie- und Forschungszweige ihren Schwerpunkt auf die Langlebigkeit. Einen Vorteil aus den daraus entstehenden Technologien ziehen jedoch die ohnehin privilegierten Bevölkerungsschichten, die bereits über ein langes und gesundes Leben verfügen.

Droht damit eine Rückkehr in mittelalterliche Verhältnisse? Alt wird, wer sich’s leisten kann?

Weiterlesen Hundertprozentig Hundertjährig – in der Oberschicht
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Kompendium: Longevity – ewiges Leben?

Hundertprozentig Hundertjährig – in der Oberschicht

Kompendium: Longevity – ewiges Leben?

Hundertprozentig Hundertjährig – in der Oberschicht

Die Oberschicht ist reich, weiß und alt. Hat sich wirklich gar nichts getan? Foto: Shamim Nakhaei

Die Menschheit gelangt an den Scheideweg ewigen Lebens. Wohlstand entscheidet darüber, wer sich ein langes und gesundes Leben leisten kann. Statt einer progressiven Entwicklung droht lähmende Stagnation.

Durchschnittliche Lebenserwartung 2095: 79 (Deutschland) / 76 (weltweit)

Ende der 2090er wurde der Code des maximalen natürlichen Lebens von 122 Jahren (nach Jeanne “Calment-Code” getauft) entschlüsselt und kann von isolierten Gruppen der Bevölkerung gelebt werden. Dazu gehören Menschen der Oberschicht mit Zugang zu Bildung, Wohlstand, natürlichen Nahrungsmitteln und sozialer Zufriedenheit. Wie “heute” sind die meisten Hundertjährigen weißer Herkunft, geknüpft an soziale Gegebenheiten wie Bildung, Wohlstand und Ernährung. Die meisten demokratischen Systeme haben die Notwendigkeit sozialer Gerechtigkeit und verhältnismäßiger Gleichheit schon lange erkannt, durch die Möglichkeit der Lebensverlängerung drohen die ungleichen Machtverhältnisse sich jedoch immer weiter zu verfestigen.

Obesity vs. Longevity

Der signifikant ansteigenden Zahl von Hundertjährigen zum Trotz stagniert die durchschnittliche Lebenserwartung in Industrieländern wie Deutschland erstmals wieder. Aufgrund des langsamen Wirtschaftswachstums und der Automatisierung handwerklicher Berufe schrumpft die Mittelschicht ungebremst. Durch die stetig schwindenden Arbeitsplätze, gekoppelt mit der steigenden Bevölkerungszahl, wird die frühere Mittelschicht fortlaufend ärmer und greift vermehrt auf zuckerhaltige und ungesunde, jedoch billige Lebensmittel zurück. Damit treten verstärkt chronische Krankheiten wie Diabetes oder Arteriosklerose auf – und verkürzen die Lebenserwartung insgesamt.

Vergängliches Glück verpackt in Junkfood. Es narkotisiert die Unzufriedenheit – und beeinflusst die Lebenserwartung entscheidend. Foto: Tom Sodge

Trotz des Wissens um den vermeintlich richtigen Lebensstil sehen weniger privilegierte Menschen nicht den Sinn in einem verlängerten Leben in Armut. Das vergängliche Glück verpackt in Tiefkühlpizzen, Glutamat, Krustenbraten und Gebäck narkotisiert die Unzufriedenheit und lässt somit den Traum vom langen und gesunden Leben platzen.

Eigentlich hatte sich die Weltgemeinschaft im Climate Emergency Plan 2030 auf eine radikale Reduktion des Fleischkonsums auf ein Hundertstel geeinigt. Das hätte auch zu einer gesünderen und bewussteren Ernährung geführt. Im Zuge der Armutsentwicklung förderte eine andere Entwicklung die Renaissance ungesunder Ernährung: Die Fleischindustrie erzielt einen Durchbruch in der Herstellung von künstlich gezüchtetem Fleisch. Die Marketingmaschinerie leistet ganze Arbeit. “Wohlschmeckend, klimaneutral und moralisch einwandfrei” soll es sein. Insbesondere das bettermeat der Kraft Foods Group erschließt bisher ungekannte Märkte. Übergewicht wird erneut zum Gesundheitsrisiko Nummer eins.

Longevity Treatments

Derweil kommen private Krankenversicherungen seit dem Jahr 2059 für spezielle Langlebigkeits-Behandlungen auf. Bevor diese von der WHO zugelassen wurden, bestand ein jahrzehntelanger Konflikt auf medizinischer und ethischer Ebene. Nachdem Telomer- und DNA-Repairstudien erfolgreich abgeschlossen wurden und die Verkürzung der chromosom-schützenden Enden durch genetische Editierung gestoppt werden kann, verhindern über Jahre hinweg andauernde Proteste seitens der Bevölkerung die Zulassung. Denn nicht jeder kann sich die Behandlung leisten, bei der das Altern der menschlichen Zellen unterdrückt wird.

Die Protestierenden befürchten ein weiteres Auseinanderdriften der gesellschaftlichen Schichten. Doch die liberalen Kräfte und Großkonzerne setzen sich mit der Zeit durch. Schrittweise werden die Präparate, teilweise auch durch gesetzliche Schlupflöcher, eingeführt. Die Befürworter feiern sich selbst. Der Tod habe seinen engsten Freund verloren: das Alter.

Das Präparat TeloYoung, welches holistisches Gene-Editing-in-a-Pill verspricht, kommt auf den Markt. Allerdings bringt die alleinige Einnahme des Präparates nicht den gewünschten Erfolg. Der Tod wird auf organischer- und Gewebsebene durch andere Mechanismen hervorgerufen. Letztlich verlängert sich die Lebenserwartung durch diese Behandlung nicht. Die Enttäuschung unter den Befürwortern des Präparats und den Investoren von TeloYoung ist gleichermaßen groß.

Eine Kombination verschiedener Medikamente hat den gewünschten Effekt. Allerdings ist der Preis hoch, im doppelten Sinne.

Der heilige Gral: SenEx und TeloYoung

Doch die Vielzahl der Startups, die sich der Suche nach ewigem Leben verschrieben haben, geraten auf eine heiße Spur: Seneszente Zellen, also solche im Endstadium, treten sowohl in der pränatalen und postnatalen Frühentwicklung auf, wie auch in regenerativen Prozessen und, bemerkenswerterweise, auch im hohen Alter. Seit Beginn der 2010er wird an diesem Zelltyp geforscht. Grundsätzlich können alle Zellen in den Zustand der Seneszenz übergehen. Nach Eintritt dieses Zustands der Seneszenz wird der Zellzyklus final unterbrochen und die Zellteilung unterbunden.

Indem diese Zellen Boten- und Signalstoffe produzieren, unterstützen sie das umliegende Gewebe. Diese Stoffe werden im Allgemeinen unter dem Begriff “senescence-associated secretory phenotype” (SASP) zusammengefasst. Allerdings fördert der sekretierte Cocktail auch Entzündungen. Außerdem werden altersbedingte Krankheiten mit dem Anstieg an seneszenten Zellen assoziiert, wie Typ-2 Diabetes, Nierenerkrankungen und auch Krebs.

Trotz allem wird eine Therapie zur Reduzierung der altersbedingten Seneszenz, zeitgleich zu TeloYoung, genehmigt. Schon im Jahr 2017 wurde im Rahmen eines Tierversuchs eine Lebensverlängerung von 17-35 % erzielt. Durch das Präparat SenEx wird die Seneszenz auf ein Minimum im Alter reduziert. Die Kombination von SenEx und TeloYoung bringt der Oberschicht den langersehnten Erfolg von einem langen Leben, das über die natürliche Calment-Grenze von 121 Jahren reicht. Doch die Behandlung ist überaus teuer: die Medikation muss penibel genau eingestellt, die Auswirkungen auf den Patienten aufwendig und dauerhaft überwacht werden und auch das Auftreten lebensgefährlicher Nebenwirkungen ist möglich, da Langzeitstudien noch nicht durchgeführt wurden. Nur sehr wenige Menschen können sich die umfangreiche Betreuung leisten.

Wer vergisst, seine Präparate einzunehmen, muss sofort an den Tropf. Zusätzlich wird der Körper der Patienten durchgängig getrackt. So können Nebenwirkungen frühzeitig erkannt werden.

Lösung oder Agens der Probleme von Übermorgen

Ende des Jahrhunderts machen sich die Auswirkungen der im Jahr 2059 zugelassenen Medikamente bemerkbar. Politiker, Popstars, Industrievertreter, aber auch einflussreiche Wissenschaftler werden immer älter und geben den Raum für Neues kaum mehr frei.

Damit setzt eine gesellschaftliche Lähmung ein, die früher von jungen Geistern gebrochen werden konnte. Die aber haben es schwer. Immer wieder treffen sie auf verbissene Greise in, für ihr Alter, viel zu jungen Körpern. Diese Eliten verschleiern jedoch die Problematik der sozialen Ungleichheit so gut es nur eben geht. Es droht eine anhaltende Stagnation.

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Kompendium: Longevity – ewiges Leben?

Der Clash der jungen Wilden und jungen Alten

Kompendium: Longevity – ewiges Leben?

Der Clash der jungen Wilden und jungen Alten

21 oder 210? Das lässt anhand des Äußeren nicht mehr erkennen. Foto: Zulmaury Saavdra

Der Jungbrunnen ist Realität geworden. Doch für die meisten ist er so unerreichbar, wie zu Zeiten des Mittelalters. Den Privilegierten dürstet es derweil nach mehr.

Durchschnittliche Lebenserwartung 3005: 200 (Deutschland) / 150 (weltweit)

“Designerbabies“, wie sie noch um die 2000er Jahrtausendwende genannt wurden, sind längst Normalität. Allerdings sind nur Eingriffe erlaubt, die erbliche Krankheiten ausschließen und die genetisch besten Voraussetzungen für ein gesundes Leben schaffen. Befruchtungen werden nahezu ausschließlich im Labor durchgeführt, die Risiken einer natürlichen Geburt gelten als viel zu hoch.

Design for a better life?

Doch die Gesellschaft ist in einer Frage tief gespalten.

Inzwischen besteht die Möglichkeit, bestimmte Gene pränatal mit isolierten Langlebigkeits-SNP-Variationen zu versehen. Darüber hinaus werden Telomerase-Gene im Nachwuchs überexprimiert und Seneszenzgene durch genetisch integrierte “Knockout-Enzyme” nach vollständiger Entwicklung in den auserwählten Organismen gelöscht.Im Klartext heißt das: Der Genschlüssel zu potentiell ewigem Leben ist gefunden.

Es bedeutet aber auch, dass diese so wichtige Entscheidung über die grundsätzliche Möglichkeit des Alterns vor der Befruchtung getroffen werden müsste. Der Einfluss der Entscheidungen von Eltern auf ihre Kinder würde also noch weiter steigen, auch lange vor der Geburt. Doch die Gesetzeslage erlaubt solche tiefgreifenden genetischen Anpassungen nicht.

Verfechter von genetischen Anpassungen werden im deutschsprachigen Raum Immju-Freunde oder kurz: Immjus genannt, die “immer jungen“. Sie skandieren, jeder solle selbst entscheiden können, wie lange er oder sie lebt. Doch was würde das bedeuten? Bei Immjus würde der Körper auswachsen (Wachstum der Gliedmaßen kommt zum Erliegen, Sexualität entwickelt sich vollständig), der darauf folgende Alterungsprozess wäre allerdings abgeschaltet. Sie wären wortwörtlich forever 21.

Eine Reihe medizinischer Eingriffe, auch auf genetischer Ebene, geschieht bereits vor der Geburt eines Kindes. Foto: Carlo Navarro

Genetische Ökobewegung: verbessern, aber nicht grundlegend ändern

Schnell formiert sich eine Gegenbewegung. Diese Gruppe wird als Öko-Ratios (Ökologisch-Rationale) bezeichnet. Dass der Alterungsprozess, letztlich also der natürliche Tod, den Immjus verwehrt wird, sehen die Öko-Ratios als Skandal. Ein Handeln “wider die Natur“.

Stattdessen sprechen sie sich dafür aus, es beim inzwischen völlig gängigen genetischen Eingriff zu belassen, der die Übertragung von Krankheiten und sonstigen potentiell schädlichen Dispositionen verhindert. Dieser Eingriff bewirkt, dass die Individuen gesund und lange leben, aber trotzdem altern. So wie Hundertjährige es schon vor Hunderten von Jahren taten.

Die Fronten sind verhärtet, doch die Öko-Ratios gestehen den Immjus schließlich das Recht zu ewigem Leben zu. In einer Volksabstimmung wird für ein entsprechendes Gesetz votiert. Es enthält aber, auf Drängen der Öko-Ratios, ein Maßnahmenpaket mit einigen Bedingungen, die vor dem Eingriff erfüllt sein müssen. Eltern sollen durch Beratungseinrichtungen und Tests zu “gewissenhaften, wohlüberlegten Entscheidungen“ verpflichtet werden. Sie sollen sich umfangreich mit den Implikationen der Immju-Behandlung beschäftigen und diese Entscheidung, die das Leben ihres Kindes so maßgeblich beeinflussen wird, nur unter Kenntnis aller Informationen und Unwägbarkeiten treffen dürfen.

Doch der Weg zur Immju-Behandlung ist damit frei. Und ihr Anteil nimmt sukzessive zu. Schließlich ist die Lebenserwartung von Immjus theoretisch nach oben hin offen.

Demografischer Wandel steht auf dem Kopf

Schon bald werden bisherige demographische Messmethoden hinfällig, da das tatsächliche Alter bei Immjus keine Rolle spielt. Das demographische Bild beginnt sich zu ändern und formiert sich bald zu einer umgekehrten Pyramide. Denn auch die Geburtenraten gehen immer weiter zurück. Durchschnittlich bringt jede Lebensgemeinschaft nur noch ein Viertel-Kind zur Welt. Da die Menschen immer älter werden, wird die Pyramide nach oben hin immer breiter. Schätzungen zufolge werden bereits im Jahr 3100 mehr als 40 % der Bevölkerung Immjus sein.

Derweil ist die Jugend, welche tatsächlich erst seit zwei Jahrzehnte auf der Erde wandelt, zur kleinen Minderheit und politischen Randgruppe geschrumpft. Ihre Ansichten unterscheiden sich deutlich vom Rest der Gesellschaft. Sie wollen Veränderung, ein Umdenken in zentralen Fragen erreichen.

Die demographische Entwicklung hat nun die Form einer umgekehrten Pyramide: wenig Kinder, viele Alte. Foto: Sweet Ice Cream Photography

Kann Jugend stürmisch sein, wenn sie immer ist?

Ihnen gegenüber stehen nicht nur die Älteren, sondern auch die Immjus. Auch wenn sie äußerlich jungen Menschen gleichen, so könnten ihre Ideen, Ziele, Wünsche und Ansichten kaum unterschiedlicher sein. Denn die Menschheit kannte die Unsterblichkeit bisher nur aus Mythen. Ihrer Kultur lag aber immer das Wissen um die Endlichkeit des eigenen Seins zugrunde. Die stürmische Jugend mit ihrem revolutionären Potenzial, das Überwinden der Jugend und die begrenzte Zeit, in der man Kinder bekommen kann, die geistige Entschleunigung und Behutsamkeit, die mit der körperlichen Entwicklung in späten Lebensjahren synchron zu verlaufen scheint.

Das alles gilt für Immjus nicht. Sie können immer stürmisch sein, immer Kinder bekommen und erleben nie, wie der Zahn der Zeit an ihren Kräften nagt. Ihr Geist altert jedoch wie gewohnt. In der ersten Immjus-Generation weiß noch niemand, welche psychologischen Auswirkungen es haben wird, wenn Körper und Geist 200 Jahre auf Erden wandeln.

Es zeigt sich, dass einige sich an einst entwickelten Idealen, Glaubenssätzen und Überzeugungen festklammern, da sie Veränderungen scheuen. Oftmals vertreten sie, wie Vampire aus alten Romanen, die Ideale und Moralvorstellungen eines vergangenen Jahrhunderts.

Andere sind überfordert mit den vielen Möglichkeiten und sehen keinen Zwang, sich einer Idee zu verschreiben. Dadurch sind sie bald angeödet, hedonistisch und fatalistisch eingestellt. Kritiker beginnen sogar wieder Nietzsche aus der “Morgenröte“ zu zitieren, und werfen den Immjus eine unausstehliche Aufdringlichkeit vor. Sie seien beispielhaft für den kulturellen Verfall und für eine immer selbstvergessener und narzisstischer werdende Gesellschaft.

Die privilegierten und unprivilegierten der Oberschicht

Unter den Immjus lässt sich derweil noch ein anderer Trend beobachten. Innerhalb der Immjus entwickelt sich eine Unter-, Mittel-, und Oberschicht. Besonders in der Immju-Unterschicht, deren Dasein sich Tag für Tag nur um die Beschaffung des Allernötigsten dreht, wirkt die Unsterblichkeit wie ein Fluch. Wie schon im Jahr 2020, als der Schlüssel der natürlichen, nicht genetisch veränderten Langlebigkeit bekannt war, wird fettes, zuckerhaltiges Essen zur Volksdroge. Trotz bemerkenswert guter Gene sterben sie an den Folgen von Fettleibigkeit und Übergewicht, an Herz-Kreislauferkrankungen und Diabetes.

Foto: Joey Holder” (CC BY 2.0) by Rosa Menkman

Währenddessen bleiben der Oberschicht Jahrhunderte, um ihre Macht und ihren Einfluss auszubauen. Frühere politische Instrumente, die die Vermögenskonzentration auf einige wenige Individuen verhinderte (z. B. Erbschaftssteuer), greifen nicht mehr und gefährden das zuvor mühsam austarierte Gleichgewicht der Interessen.

Britney aus dem Tiefkühler

Neuestes Hobby einiger superreicher Individuen: Milliardeninvestitionen in Forschungsprojekte zur Wiederbelebung kryokonservierter Popstars. Der einhelligen Meinung von Wissenschaftlern zum Trotz, dass die Vergiftung infolge der intravenös zugeführten Kühlflüssigkeit sowie die sich immer unterschiedlich äußernde Todesursache nicht mehr rückgängig zu machen sind. Zu verlockend erscheint es den sich selbst als Philanthropen inszenierenden Reichen, einen Menschen aus einem anderen Jahrtausend wiederbeleben zu können.

Doch auch die Forscher des eigenhändig gegründeten “Cryonic Institute for a Second Life” müssen bald zugeben, dass die Versuche zwecklos sind. Ungeachtet des technologischen Fortschritts ist es weiterhin nicht möglich, den Körpern neues Leben einzuhauchen. Britney Spears bleibt also weiterhin im Stickstofftank. Vielleicht ist das auch gar nicht so schlecht, denn: Ist das Leben im Jahr 3000 wirklich grundlegend besser als zu ihrer Lebenszeit?

Die ungesunde Lebensweise und Vermögenskonzentration zeigen, dass der technologische und genetische Fortschritt allein die Gesellschaft nicht voran bringt. Es bleibt nun Philosophen, Künstlern und anderen Kulturschaffenden vorbehalten, die Leere, die viele der Immjus ergriffen hat, mit Sinn zu füllen. Neue Möglichkeiten und radikale Ansätze aufzuzeigen. Und das Potenzial freizulegen, das sich mit der prinzipiellen Zeitlosigkeit ergibt.

Zum Anfang Der Traum vom Brunnen, der den Greis zum Jungen macht
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