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Bild: Caniceus

Wieviel Nährstoffe sind noch im Gemüse? Studien zeichnen ein besorgniserregendes Bild

Der Boden ist buchstäblich die Grundlage unseres Lebens. Doch unseren Böden geht es nicht gut: Jahrzehnte von Landwirtschaft und Umweltverschmutzung haben ihnen schwer zu schaffen gemacht. Die Konsequenzen tragen wir selbst.

Du bist, was du isst? Von wegen. Was unsere Großeltern und Urgroßeltern gegessen haben, war definitiv gesünder, als das, was wir heute essen – das vermuten zumindest etliche WissenschaftlerInnen. Wenn es nach dem Forscherpaar Anne Biklé und David Montgomery ginge, wäre der Slogan für heute eher: Du bist, was dein Essen isst. „Durch Nährstoffrückgang wird der Wert von Lebensmitteln als Präventivmedizin nicht mehr derselbe sein“, sagt David Montgomory, der an der Washington Universität in Seattle Geomorphologie lehrt. 

Denn die Qualität der Ackerböden dieser Welt, so die Wissenschaftler, ist entscheidend für die Qualität unserer Lebensmittel, die daraus ihre Nährstoffe beziehen – und somit auch für unsere Gesundheit. Geht die Qualität verloren, kann der Körper sich schlechter gegen chronische Krankheiten wehren, so Montgomory. 

Wer kennt es nicht: Man kauft Tomaten oder Erdbeeren im Supermarkt und sie schmecken… nach Wasser. Sinkende Nährstoffgehalte in Lebensmitteln wirken sich nicht nur auf Gesundheit, sondern auch auf Geschmack aus. Jahrzehnte von Umweltverschmutzung und schädlichen landwirtschaftlichen Praktiken haben die Böden dieser Welt ausgelaugt, sagen die ExpertInnen. Der direkte und indirekte Einfluss des Menschen verändert sie: Bodenverdichtung, Bodenversiegelung, Bodenerosion, Belastungen durch Schwermetalle, sowie der unregulierte Einsatz von Düngemitteln sind nur einige Beispiele leidender Bodengesundheit. 

Weizenernte bei Eldagsen. Der Claas Lexion Mähdrescher mäht, drischt, zerkleinert die Spreu und bläst sie über das Feld. Währenddessen wird der gedroschene Weizen bei voller Fahrt auf einen Hänger umgeladen. Bild: Michael Gäbler

Die Böden werden immer unfruchtbarer

In unterschiedlichen Studien stellten ForscherInnen grundsätzliche Nährstoffveränderungen in Lebensmitteln fest. So beschreibt zum Beispiel eine australische Studie aus dem Jahr 2021 veränderte Nährstoffwerte in Gemüsesorten in Australien seit 1900. Mais, Kartoffeln, Blumenkohl und grüne Bohnen wiesen geringere Eisenwerte auf, während höhere Eisenwerte in Hass Avocados, Pilzen und Mangold festgestellt wurden.

Auch in den USA spiegelt sich dieser Trend wider: Eine amerikanische Studie aus dem Jahr 2004 hat Nährstoffwerte in 43 Gemüsesorten zwischen 1950 und 1999 untersucht und Rückgänge von Protein, Calcium, Eisen, Vitamin C, Riboflavin und Phosphor festgestellt. Derweil sagen ForscherInnen der ETH Zürich, dass Europas und vor allem Deutschlands Böden besonders selenarm seien. Selen spielt unter anderem eine wichtige Rolle für ein gut funktionierendes Immunsystem, im Schilddrüsenhormonstoffwechsel oder auch bei der Spermienproduktion. Es hilft auch dabei, die Zellen vor Stress durch beispielsweise Nikotin, Alkohol oder intensiver Sonneneinstrahlung zu schützen.

Dass der Schutz der Böden extrem wichtig ist, hat auch die Bundesregierung längst anerkannt und deshalb 1999 das Bodenschutzgesetz erlassen. Zweck dieses Gesetzes ist, „nachhaltig die Funktionen des Bodens zu sichern oder wiederherzustellen“ sowie „schädliche Bodenveränderungen abzuwehren“.

Verbraucherzentrale bezeichnet nährstoffarme Böden als „angstmachende Werbung“ 

Doch dass die Wiederherstellung und Sicherung von Bodenfunktionen überhaupt notwendig ist, darin scheinen sich in Deutschland die Geister zu scheiden. Glaubt man der deutschen Verbraucherzentrale, sollen deutsche Böden – offenbar anders als australische oder amerikanische – überhaupt nicht nährstoffarm sein, sondern tatsächlich sogar zu viele Nährstoffe enthalten. „Behauptungen zur ‘Nährstoffarmut der Böden und Pflanzen’“, so die Verbraucherzentrale, seien „irreführende und Angst machende Werbung“ der Nahrungsergänzungsmittelindustrie.

„Bodenuntersuchungen in intensiv landwirtschaftlich genutzten Regionen zeigen, dass Böden nicht weniger Pflanzennährstoffe als früher enthalten. Eher das Gegenteil ist der Fall. Um ein Zuviel an Nährstoffen zu verhindern, finden beispielsweise regelmäßige Bodenuntersuchungen statt und es muss termingerecht gedüngt werden“, heißt es im von der Verbraucherzentrale angebotene Magazin für Nahrungsergänzung. 

Als Beleg dafür verweist die Verbraucherzentrale auf den Bundeslebensmittelschlüssel des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft, welcher die durchschnittlichen Nährstoffwerte von fast 15.000 Lebensmitteln untersucht. Die relevanten Daten des Bundeslebensmittelschlüssels sind jedoch nicht öffentlich verfügbar und somit auch nicht überprüfbar – eine Lizenz kostet bis zu 2500€. Handelt es sich bei den Behauptungen von sinkenden Nährstoffwerten also nur um regionale bzw. nationale Beobachtungen, oder ist alles wirklich nur ein Mediengespenst der Nahrungsergänzungsmittel-Lobby? 

Mit regenerativen landwirtschaftlichen Methoden können sich auch die Böden erholen und unsere Lebensmittel wieder nährstoffreicher werden. Bild: Tania Malrechauffe

Die Böden sind müde

Laut Elisa Schwarz, Laborleitung der Abteilung Forschung und Entwicklung beim Berliner Biotechnologie-Unternehmen ABiTEP ist Bodengesundheit und Nährstoffzusammensetzung ein komplexes Thema, da es große regionale Unterschiede gibt. So ist beispielsweise der Boden in Norddeutschland eher sandig und nährstoffarm, während er in Bayern durch höhere Lehm- und Humusanteile nährstoffreicher und fruchtbarer ist. 

Doch auch die Bewirtschaftung des Bodens wirkt sich auf dessen Gesundheit aus: Wo viele Monokulturen oder etwa viel Mais im Wechsel mit Weizen angebaut werden, ist der Boden ausgelaugt und nährstoffärmer. Dagegen versuchen Landwirte mit Dünger gegenzusteuern, was wiederum zu Überdüngung führt und die Bodengesundheit sowie das Grundwasser belastet. 

Nach dem Motto „viel hilft viel“ greifen viele Landwirte auf chemisch-synthetischen Dünger statt auf schonendere Alternativen zurück. Durch die aktuelle Ukraine-Krise tut sich jetzt aber auch in der Düngemittelindustrie etwas: Da die Herstellung von Düngemitteln mit hohem Gasverbrauch einhergeht, müssen Landwirte nun vermehrt auf Alternativen zurückgreifen. Die Firma ABiTEP zum Beispiel kultiviert mithilfe von Bakterien biologischen Dünger, der auf natürlich vorkommenden Mikroorganismen basiert. 

Für Elisa Schwarz, Laborleitung der Abteilung Forschung und Entwicklung beim Berliner Biotechnologie-Unternehmen ABiTEP ist Bodengesundheit eines der wichtigsten Zukunftsthemen überhaupt. Bild: ABiTEP GmbH

Thema Bodengesundheit: Nur ein Mediengespenst?

Bloß ein Mediengespenst ist das Thema Bodengesundheit wohl kaum. Es ist längst wissenschaftlich anerkannt, dass Lebensmittel weniger Proteine haben, wenn sie in Atmosphären mit erhöhtem CO₂-Gehalt wachsen. Bis 2050 sollen laut einer Studie aus dem Jahr 2017 die Proteinwerte von Reis, Weizen, Gerste und Kartoffeln um jeweils 7,6%, 7,8%, 14,1% und 6,4% sinken. Die ForscherInnen schätzen, dass bei sinkenden Proteinwerten in Lebensmitteln wie Reis, Kartoffeln oder Weizen 1,6% der Weltbevölkerung im Jahr 2050 Proteinmangel haben werden – das entspricht etwa 148.4 Millionen Menschen. Bewahrheiten sich diese Schätzungen, würden 18 Länder jeweils bis zu 5% ihrer Nahrungsproteine verlieren.

Laut Verbraucherzentrale sei allerdings ein einfacher Vergleich von Tabellenwerten von heute und vor 50 Jahren, so wie es in einigen Studien gemacht wird, wie „Äpfel mit Birnen” zu vergleichen. Man müsse zumindest Werte der gleichen Obst- und Gemüsesorten aus der gleichen Region vergleichen und mit denselben Analysemethoden untersuchen.

Deutschland importiert den Großteil der Lebensmittel aus dem Ausland

Doch trotz aller analytischer Hürden und fehlender Daten: Der Großteil der in Deutschland konsumierten Lebensmittel – ob pflanzliche oder tierische Produkte, Genussmittel wie Kaffee, Wein oder auch exotische Früchte – ist aus dem Ausland importiert. 2018 machten nach Deutschland importierte Ernährungsgüter 64% (12,5 Millionen Hektar) der benötigten Fläche für den Inlandsverbrauch aus. Besonders hoch lag dieser Anteil bei pflanzlichen Erzeugnissen, der 2015 rund 81% (7 Millionen Hektar) betrug. 

Die Bewirtschaftung des Bodens wirkt sich auf dessen Gesundheit aus: Wo viele Monokulturen oder etwa viel Mais im Wechsel mit Weizen angebaut werden, ist der Boden ausgelaugt und nährstoffärmer. Bild: No one cares

Selbst wenn Deutschlands Böden also besonders nährstoffreich wären, würden uns nährstoffarme Böden im Ausland hierzulande also trotzdem betreffen. Ganz abgesehen von regionalen Unterschieden muss das Thema Bodengesundheit in einer globalisierten Gesellschaft, wie eben auch der Klimawandel, nicht als ein nationales, sondern als ein globales Problem begriffen werden, was globale Lösungen fordert. 

Qualität statt Quantität

Damit Verbraucher*innen sich nicht gezwungen sehen, ihre Ernährung mit Nahrungsergänzungsmitteln abzurunden, muss es deutliche Aufklärungsmaßnahmen sowie klare politische Anreize geben, Landwirtschaft nachhaltiger zu gestalten. Ein einmal verlorener Ackerboden ist unwiederbringlich, da hilft auch permanentes Düngen nicht. Die Übernutzung und Überbelastung von Böden durch Monokulturen und chemische Dünger sind kurzfristige Lösungen der Massenproduktion, die langfristig dramatische Konsequenzen haben.