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Bild: Cornelis van Haarlem: Der Sturz der Titanen

Detox Masculinity: Kann Mann Feminismus?

Nach Jahren in männlich dominierten Subkulturen hatte der Männerforscher Christoph May genug. 2016 gründete er gemeinsam mit seiner Frau Stephanie May das Institut für kritische Männerforschung, das Awareness-Seminare und Workshops zu toxischer Männlichkeit gibt. Im Qiio-Gespräch erklärt er, was Männer in männlichen Monokulturen verpassen und wie man Feminismus an den (toxischen) Mann bringt. 

Wie bringt man Feminismus an den Mann? 

Sagen wir mal so: Es braucht eine gewisse Grundbereitschaft. Wenn ein Mann sehr antifeministisch ist und null Verständnis für strukturelle Probleme hat, kann man es eigentlich kaum schaffen. Wenn ich mit Männern arbeite, die sich angegriffen fühlen, habe ich keine Chance. Manchmal fragen mich Student:innen: Wie kann ich mit meinem Vater reden, der am Tisch einfach krasse Sachen raushaut, die er auf Facebook gelesen hat? Und mittlerweile sage ich oft einfach: Spar dir das, das ist gar nicht deine Aufgabe. Es ist nicht die Aufgabe von FLINTA Personen, Männer, die gar nicht wollen, von Feminismus zu überzeugen. Dann steckt man die Energie lieber in andere Dinge, bei denen mehr rumkommt. Lieber dem feministischen Diskurs anderswo mehr Platz geben, damit toxische Positionen immer weniger Raum bekommen.

Vielleicht fällt der Groschen ja auch erst später und nicht in dem Gespräch, in dem Mann sich noch gegen Feminismus wehrt? Denn manchmal haben solche Gespräche auch noch im Nachhinein einen Impact.

Das stimmt. Viele unterschätzen die Macht von Awareness-Prozessen. Ich achte in meinen Seminaren auch immer auf das Setting. Wenn jetzt zum Beispiel eine Vätergruppe ins Seminar kommt, dann frage ich zuerst, warum keine Frauen in der Gruppe sind. Natürlich gibt es keinen plausiblen Grund dafür, warum man so etwas nur unter Männern macht. Dann sage ich immer: Wenn wir so etwas machen, möchte ich auf jeden Fall, dass eure Partnerinnen dabei sind – die Perspektive muss auf jeden Fall mit im Raum sein. Wir werden viel von Gleichstellungsbeauftragten angefragt, die ja meistens weiblich sind. Denen sagen wir dann, dass wir auf keinen Fall nur mit Männern arbeiten wollen, denn es ist super wichtig, auch FLINTA-Perspektiven im Raum zu haben. Je mehr FLINTA-Perspektiven im Raum sind, desto mehr halten sich Männer zurück. Man merkt dann im Nachhinein, dass Awareness-Prozesse über Wochen dauern. Ich bekomme noch Wochen nach den Seminaren Nachrichten wie: ‘Unser Chef hat sich gemeldet, er hat ja gar nichts gesagt in dem Zoom-Call, aber es hat ihn schon ziemlich bewegt.’ Da staune ich schon immer, wie viel Worte nachwirken können.

Christoph May gibt Seminare für (toxische) Männer. “Ich bekomme noch Wochen nach den Seminaren Nachrichten wie: ‘Unser Chef hat sich gemeldet, er hat ja gar nichts gesagt in dem Zoom-Call, aber es hat ihn schon ziemlich bewegt.’ Da staune ich schon immer, wie viel Worte nachwirken können”, sagt May. Bild: Arte/Die Antwort auf fast alles/Beate Brehm

Wer sind die Menschen, die sich zu deinen Seminaren anmelden? Kommen da auch typisch toxische Männer oder eher diejenigen, die sich sowieso schon für das Thema interessieren?

Im Grunde sind ja alle Männer klassisch toxisch, würde ich behaupten. Zumindest strukturell. Aber 90 % der Männer, die sich anmelden, haben eigentlich keine Lust auf Feminismus und glauben, Männer und Frauen seien schon längst gleichberechtigt. Oft nehmen sie teil, weil die Gleichstellungsbeauftragte ihrer Firma das als Fortbildung durchdrückt. Wenn die Teilnahme freiwillig ist, ist es schwierig. Das große Problem ist ja, dass wenn man Feminismus oder Gleichstellung auf die Flyer schreibt, die Männer sich gar nicht angesprochen fühlen und nicht kommen. Deshalb bitte ich die Auftraggeber:innen immer darum, unsere Texte und Bildsprache zu übernehmen, damit die Männer sich herausgefordert, ja sogar provoziert fühlen, zu kommen. Die meisten Männer kommen, weil sie wissen wollen: ‘Was will der von mir mit kritischer Männlichkeit?’

Wie war es bei dir; war Feminismus in deiner Jugend ein Thema?

Das kam erst viel später, so ungefähr als ich 28 war. Es war kein bestimmter Moment, sondern eher ein Prozess. In meiner Familie war Feminismus kein Thema. Ich war in Potsdam auf einem evangelischen Internat, da haben wir nur Bibelgeschichten gelesen, alles männlich natürlich. Ich habe im Chor gesungen – da haben wir auch nur männliche Komponisten gesungen. Dann bin ich in der Berliner Graffitiszene gelandet – eine sehr hypermaskuline Szene, bis heute. Parallel habe ich in Potsdam Literaturwissenschaften studiert und im Rahmen meiner Magisterarbeit zum ersten Mal über die Abwesenheit von Frauen nachgedacht. Die Graffitiszene ist ein Männerbündnis, und Männerbünde sind für Männer. Männliche Privilegien sind für Männer unsichtbar, einfach, weil wir davon ständig profitieren. 2009 haben wir dann eine Diskussionsrunde gestartet, um darüber zu sprechen, wieso wir nur Männer sind und wie wir das aufbrechen können. Nach dem Studium habe ich dann zehn Jahre lang im Berghain gearbeitet. Dort bin ich stärker mit der LGBTQ+-Bewegung in Kontakt gekommen und das hat mich sehr geprägt – obwohl auch dort viele Bereiche lange stark männlich geprägt waren. Jedenfalls habe ich mich dort mehr für das Thema sensibilisiert, und 2015, kurz vor der #metoo Debatte war dann klar, dass das Thema mein Lebensthema wird. Also haben meine Partnerin und ich das Institut gegründet. Und ein Jahr später war toxische Männlichkeit in aller Munde – damit haben wir nicht gerechnet. 

Was ist toxische Männlichkeit für dich?

Dieser Begriff kommt aus der mythopoetischen Männerbewegung (Anm. d. Red.: im Mittelpunkt der sogenannten “mythopoetischen Männerbewegung” steht die Wiederherstellung von Männlichkeit, die durch den gesellschaftlichen Wandel vermeintlich verloren oder beschädigt ist). Das sind Männer, die sich auf archaische, eigentlich schädliche Männerbilder fokussieren: Der Magier, der Liebhaber, der Krieger und so weiter. Und eigentlich bleiben diese Männer meistens unter sich, um ihre Männlichkeit zu bestärken. Das überschneidet sich mittlerweile auch stark mit rechten Bewegungen. Da denke ich zum Beispiel an den “Männercoach” John Aigner in Berlin, der Kuschelgruppen und Männerstammtische veranstaltet. Antifeministisch von vorne bis hinten. Ich habe kein Problem mit Kuschelgruppen, aber ich habe ein Problem damit, wenn Männer nur unter sich bleiben. Kritische Männlichkeitsgruppen, die nur unter Männern bleiben, sind nicht besonders kritisch.

Was ist denn kritische Männlichkeit im Vergleich zu toxischer Männlichkeit?

Kritische Männlichkeit bedeutet, sich als Mann mit sich und seinen Privilegien kritisch auseinanderzusetzen. Es bedeutet, möglichst schnell die männlich dominierten Umgebungen im eigenen Umfeld zu erkennen und zu verlassen, den männlich dominierten Medienkonsum umzustellen, Literatur, Filme und Musik. Den meisten Männern ist nicht bewusst, wie männlich dominiert ihr Medienkonsum ist. Die meisten Männer können problemlos zehn männliche Musiker oder Schauspieler aufzählen, aber nicht eine einzige Frau. Und je älter die Männer sind, desto mehr haben sie nur Männer auf dem Schirm. 

Wie bringst du Feminismus an gerade solche Männer?

Am Anfang haben wir nur versucht herauszufinden, wie man kritisch mit Männern über Männlichkeit spricht. Wie bringt man sie dazu, dass sie beim Thema bleiben und nicht defensiv reagieren? Manchmal habe ich meine Seminare begonnen, indem ich sagte: ‘Wir reden heute nur über Männlichkeit, wir reden nicht über FLINTA Personen.’ So kann man sie immer wieder einfangen, wenn sie vom Thema abkommen, denn die meisten Männer wollen nicht kritisch über Männlichkeit sprechen, geschweige denn über sich selbst. Eine andere Taktik, die wir anwenden, ist, dass FLINTA Personen so lange reden dürfen wie sie wollen und männlich gelesene Personen nur eineinhalb Minuten Sprechzeit bekommen. Das ist eine starke Machtumkehrung im Raum, mit der man Männern zeigen kann, dass sie einfach zuhören sollen. Denn wenn wir ehrlich sind, haben Männer zum feministischen Diskurs aktuell so gut wie gar nichts beizutragen. Ich kenne kaum Männer, die irgendetwas zu Feminismus zu sagen haben, das noch nicht von FLINTA Personen gesagt wurde. Deshalb interessiert mich das, was Männer über Feminismus zu sagen haben, nicht. Warum schreiben Väter Bücher über ihre Vaterschaft? Was soll das? Ich kann verstehen, dass der erste Gedanke ist: Ich zeige jetzt mal, wie Vaterschaft anders gelebt werden kann. Aber ist das nicht inhärent misogyn? Das Problem daran ist, dass die nicht einmal auf die Idee kommen, sich ihre Partnerin zum Vorbild zu nehmen – denn von der könnten sie einiges lernen. Stattdessen versuchen Männer, Vorbilder für andere Männer zu sein. Wenn dir ein Vater auf der Straße mit einem Baby entgegenkommt, dann ist statistisch Sonntag. Nur 2,5% aller Väter in Deutschland, habe ich letztens gelesen, nehmen mehr als 12 Monate Elternzeit. Wenn man durch Berlin-Prenzlauer Berg läuft, hat man wahrscheinlich den Eindruck, dass Väter zu 100 % den Haushalt schmeißen. Aber die eigentlichen Zahlen sind das komplette Gegenteil. 

“Kritische Männlichkeit bedeutet, sich als Mann mit sich und seinen Privilegien kritisch auseinanderzusetzen. Es bedeutet, möglichst schnell die männlich dominierten Umgebungen im eigenen Umfeld zu erkennen und zu verlassen, den männlich dominierten Medienkonsum umzustellen”. Bild: Christoph May/Detox Masculinity Institute

Welche Privilegien sind noch typisch männlich? 

Das Tückische an Privilegien ist, dass sie unsichtbar sind für diejenigen, die sie haben. FLINTA Personen decken im Club ihre Getränke ab. Sie können nicht einfach nachts durch den Park joggen. Bei Jobbewerbungen achten sie darauf, dass Mutterschaft keine Rolle spielt. Viele Männer sind sich dieser Lebensrealitäten von FLINTA Personen gar nicht bewusst, und das unterstreicht die Blindheit für Privilegien, die für viele Männer so charakteristisch ist. Unser Alltag ist nicht sexistisch. Trotzdem denken die meisten Männer, sie hätten sich ihre Privilegien selbst erarbeitet.

Warum ist es wichtig, dass auch Männer feministisch sind, wenn sie all diese Privilegien haben?

Männer können nur gewinnen, wenn sie ihre Privilegien auch abgeben und sich queere und FLINTA Perspektiven zum Vorbild nehmen. Im Job, in der Beziehung, überall. Wie viele Beziehungen leiden darunter, dass Männer keine ausdifferenzierte Gefühlssprache haben? Wie sollen Männer so etwas auch hervorbringen, solange sie sich nur in Männerbünden aufhalten und sich nicht mit FLINTA Perspektiven auseinandersetzen? Man kann Männer am besten von Feminismus überzeugen, indem man ihnen klarmacht, dass ihre Perspektiven bald keine Rolle mehr spielen werden. Versuch mal, heute The Big Bang Theory oder Two and a Half Men zu schauen. Das ist so sexistisch, das kann man sich gar nicht mehr angucken. 

Wie bist du zu dieser Einsicht gekommen?

Meine Partnerin ist Schriftstellerin und Feministin. In unzähligen Gesprächen habe ich ihre Lebensrealität kennengelernt, sie hat mir Lust auf FLINTA Perspektiven gemacht. Sie hat mir vor allem gezeigt, dass sie mit den Sachen, die ich so gemacht habe – Graffiti-Szene, Action Filme und so – gar nichts anfangen kann. Ich habe das erst nicht verstanden, bis ich meinen Konsum auf FLINTA Perspektiven umgestellt habe. Das war mindblowing, weil ich dadurch einen unglaublichen kulturellen Reichtum entdeckt habe. Ich habe angefangen, zu bereuen, dass ich die ersten 30 Jahre meines Lebens mit männlich dominierter Kultur verbracht habe – das war die Unterforderung meines Lebens. Männer kann man am schnellsten mitnehmen, indem man ihnen diesen kulturellen Reichtum zeigt. Wenn man das ein paar Monate macht, dann will man auch nicht mehr zurück. 

Also war es deine Partnerin, die dich zum Feministen gemacht hat?

Ja. Die Gespräche mit ihr, die Diskussionskultur und alles, was sie mir empfohlen hat, hat mich am meisten geprägt. Aber wie toll wäre eine Welt, in der FLINTA Personen sich diese Energie sparen, sich auf ihre eigenen Sachen konzentrieren und ihre Energien für ihr eigenes Leben und ihre Karrieren aufwenden könnten? 

Christoph May ist Männerforscher, Berater und Dozent. Er hat 2016 gemeinsam mit der Schriftstellerin Stephanie May das Institut für Kritische Männerforschung gegründet. Er hält Vorträge und gibt Workshops zu toxischer Männlichkeit sowie Seminare über Männerbünde, Männerbilder und kritische Männlichkeit. Christoph May hat Literaturwissenschaften, Komparatistik und Alte Geschichte studiert.

Möchtet ihr noch mehr von (toxischer und kritischer) Männlichkeit, Vaterschaft und männlichen Feministen lesen? Hier gehts zum Interview mit dem Vater und Journalisten Fabian Soethof und hier zum Interview mit dem Vater und Aktivisten Micha Fritz.